HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

HANDBUCH ARBEITSRECHT

Schwer­be­hin­de­rung, schwer­be­hin­der­ter Mensch

In­for­ma­tio­nen zum The­ma Schwer­be­hin­de­rung, schwer­be­hin­der­ter Mensch: Hen­sche Rechts­an­wäl­te, Kanz­lei für Ar­beits­recht
Mann mit Rollator

Auf die­ser Sei­te fin­den Sie In­for­ma­tio­nen zu der Fra­ge, wer im Ar­beits­recht als schwer­be­hin­der­ter Mensch gilt, was man tun muss, um die An­er­ken­nung als Schwer­be­hin­der­ter zu er­rei­chen und wel­che ar­beit­recht­li­chen Schutz­vor­schrif­ten zu­guns­ten von schwer­be­hin­der­ten Men­schen gel­ten.

Au­ßer­dem fin­den Sie Hin­wei­se zum ge­setz­li­chen Zu­satz­ur­laub schwer­be­hin­der­ter Ar­beit­ne­her, zu dem be­son­de­ren Schutz vor Kün­di­gun­gen, den Schwer­be­hin­der­te ge­nie­ßen, so­wie zu den wich­tigs­ten recht­li­chen Pflich­ten von Ar­beit­ge­bern ge­gen­über schwer­be­hin­der­ten Men­schen.

von Rechts­an­walt Dr. Mar­tin Hen­sche, Fach­an­walt für Ar­beits­recht, Ber­lin

Wer ist schwer­be­hin­dert?

Ei­ne Be­hin­de­rung kann mehr oder we­ni­ger er­heb­lich sein. Da­bei wird ei­ne Ab­stu­fung des Gra­des der Be­hin­de­rung („GdB“) auf ei­ner Ska­la bis 100 (sehr schwe­re Be­hin­de­rung) vor­ge­nom­men, und zwar in Zeh­ner­schrit­ten.

Von ei­ner „Be­hin­de­rung“ wird da­bei erst ab ei­nem Grad der Be­hin­de­rung von 20 ge­spro­chen. Der GdB wird auf der Grund­la­ge ärzt­li­cher Un­ter­su­chun­gen er­mit­telt.

Ei­ne Schwer­be­hin­de­rung liegt erst ab ei­nem Grad der Be­hin­de­rung von we­nigs­tens 50 vor (§ 2 Abs.2 Neun­tes Buch So­zi­al­ge­setz­buch - SGB IX). Dem­nach sind al­le schwer­be­hin­der­ten Men­schen zu­gleich auch be­hin­dert, aber nicht al­le Men­schen mit Be­hin­de­rung sind auch schwer­be­hin­der­te Men­schen.

All­ge­mei­ne In­for­ma­tio­nen zu der Fra­ge, ob je­mand im Sin­ne des Ar­beits- und So­zi­al­rechts be­hin­dert ist oder nicht, fin­den Sie un­ter „Hand­buch Ar­beits­recht: Be­hin­de­rung, Men­schen mit Be­hin­de­rung“.

Wo sind Ih­re Rech­te als schwer­be­hin­der­ter Mensch ge­re­gelt?

Die Rech­te schwer­be­hin­der­ter Men­schen und Ar­beit­neh­mer sind vor al­lem im SGB IX ge­re­gelt.

Das SGB IX wur­de durch Ar­ti­kel 1 des Ge­set­zes zur Stärkung der Teil­ha­be und Selbst­be­stim­mung von Men­schen mit Be­hin­de­run­gen (Bun­des­teil­ha­be­ge­setz - BTHG) vom 23.12.2016 zum 01.01.2018 in ei­ner grund­le­gend re­for­mier­ten Fas­sung in Kraft ge­setzt. Zeit­gleich ist das SGB IX in sei­ner bis­he­ri­gen Fas­sung außer Kraft ge­tre­ten.

Weil der Auf­bau des SGB IX durch das BTHG geändert wur­de, fin­den sich die Vor­schrif­ten über schwer­be­hin­der­te Ar­beit­neh­mer ab dem 01.01.2018 im drit­ten Teil des Ge­set­zes, und zwar in den §§ 151 bis 175 SGB IX.

Was müssen Sie tun, um Ih­re An­er­ken­nung als Schwer­be­hin­der­ter zu er­rei­chen?

Um Ih­re An­er­ken­nung als schwer­be­hin­der­ter Mensch zu er­rei­chen, müssen Sie zunächst bei dem zuständi­gen Amt ei­nen ent­spre­chen­den An­trag stel­len, § 152 Abs.1 SGB IX. Wel­ches Amt zuständig ist, ist in von Bun­des­land zu Bun­des­land an­ders ge­re­gelt.

Die zuständi­gen Ämter heißen

  • „Ver­sor­gungs­amt“ (Ba­den-Würt­tem­berg, Bay­ern, Bre­men, Hes­sen, Meck­len­burg-Vor­pom­mern, Nie­der­sach­sen, Nord­rhein-West­fa­len), oder
  • „Amt für so­zia­le An­ge­le­gen­hei­ten“ (Rhein­land-Pfalz), oder
  • „Amt für So­zia­les und Ver­sor­gung“ (Bran­den­burg), oder
  • „Lan­des­amt für Ge­sund­heit und So­zia­les Ver­sor­gungs­amt“ (Ber­lin), oder
  • „Behörde für So­zia­les und Fa­mi­li­en. Abtl. So­zia­le Entschädi­gung. Re­fe­rat Schwer­be­hin­der­ten­fest­stel­lun­gen“ (Ham­burg), oder
  • "Lan­des­amt für So­zia­les" (Saar­land), oder
  • "Lan­des­ver­wal­tungs­amt" (Sach­sen-An­halt), oder
  • "Lan­des­amt für so­zia­le Diens­te" (Schles­wig-Hol­stein), oder
  • "Stadt­ver­wal­tung" oder "Land­rats­amt" (Sach­sen, Thürin­gen).

Wenn Sie sich da­zu ent­schlos­sen ha­ben, ei­nen An­trag auf An­er­ken­nung ei­ner Schwer­be­hin­de­rung zu stel­len, müssen Sie ei­nen um­fang­rei­chen Fra­ge­bo­gen ausfüllen, in dem nach ge­sund­heit­li­chen Störun­gen, Krank­hei­ten, be­han­deln­den Ärz­ten und auch da­nach ge­fragt wird, ob Sie in den letz­ten Jah­ren be­reits we­gen ei­nes Ren­ten­an­trags un­ter­sucht wor­den sind usw.

Auf die­ser Grund­la­ge holt das zuständi­ge Amt in al­ler Re­gel Be­fund­be­rich­te der be­han­deln­den Ärz­te ein und trifft dann sei­ne Ent­schei­dung.

Wird die Schwer­be­hin­de­rung an­er­kannt, d.h. ein Grad der Be­hin­de­rung von 50 oder mehr, er­hal­ten Sie ei­nen Schwer­be­hin­der­ten­aus­weis. Was dar­in ent­hal­ten ist, ist in der Schwer­be­hin­der­ten­aus­weis­ver­ord­nung (Schw­bA­wV) ge­re­gelt. Der Schwer­be­hin­der­ten­aus­weis wird im All­ge­mei­nen längs­tens für fünf Jah­re aus­ge­stellt.

Was heißt Gleich­stel­lung, d.h. wer ist ei­nem schwer­be­hin­der­ten Men­schen gleich­ge­stellt?

Gleich­ge­stell­te be­hin­der­te Men­schen sind gemäß § 2 Abs.3 SGB IX

  • be­hin­der­te Men­schen mit ei­nem Grad der Be­hin­de­rung von 30 oder 40 (d.h. von min­des­tens 30, aber von we­ni­ger als 50),
  • die rechtmäßig in Deutsch­land woh­nen oder sich hier gewöhn­lich auf­hal­ten oder beschäftigt sind,
  • die in­fol­ge ih­rer Be­hin­de­rung oh­ne die Gleich­stel­lung ei­nen ge­eig­ne­ten Ar­beits­platz nicht er­lan­gen oder nicht be­hal­ten können,
  • de­ren Gleich­stel­lung die Ar­beits­agen­tur aus­ge­spro­chen hat.

Der Vor­teil ei­ner Gleich­stel­lung be­steht für den gleich­ge­stell­ten be­hin­der­ten Men­schen dar­in, dass er in der­sel­ben Wei­se wie ein Schwer­be­hin­der­ter vor ei­ner Kündi­gung durch den Ar­beit­ge­ber geschützt ist (gemäß § 168 SGB IX). Da­ge­gen ha­ben Gleich­ge­stell­te kei­nen An­spruch auf den ge­setz­li­chen Zu­satz­ur­laub von ei­ner Wo­che pro Jahr (gemäß § 208 SGB IX), denn der Zu­satz­ur­laub steht nur schwer­be­hin­der­ten Ar­beit­neh­mern. Das er­gibt sich aus § 151 Abs.3 SGB IX.

Für ei­ne Gleich­stel­lung müssen Sie in ei­nem ers­ten Schritt ei­nen An­trag auf Fest­stel­lung ei­nes be­stimm­ten GdB stel­len, wo­bei der GdB min­des­tens 30 be­tra­gen muss. Die­se Fest­stel­lung trifft das Amt, das dafür gemäß § 152 Abs.1 SGB IX in dem je­wei­li­gen Bun­des­land zuständig ist (s. oben).

Wenn Sie Ih­ren GdB von 30 oder 40 ha­ben, muss im nächs­ten Schritt die Agen­tur für Ar­beit über die Gleich­stel­lung ent­schei­den. Die Gleich­stel­lung wird mit dem Tag des Ein­gangs des An­trags auf Gleich­stel­lung bei der Ar­beits­agen­tur wirk­sam. Da­zu heißt es in § 151 Abs.2 SGB IX:

"Die Gleich­stel­lung be­hin­der­ter Men­schen mit schwer­be­hin­der­ten Men­schen (§ 2 Ab­satz 3) er­folgt auf Grund ei­ner Fest­stel­lung nach § 152 auf An­trag des be­hin­der­ten Men­schen durch die Bun­des­agen­tur für Ar­beit. Die Gleich­stel­lung wird mit dem Tag des Ein­gangs des An­trags wirk­sam. Sie kann be­fris­tet wer­den."

Wel­che ar­beits­recht­li­chen Vor­schrif­ten schützen schwer­be­hin­der­te Men­schen vor Be­nach­tei­li­gun­gen?

Gemäß Art.3 Abs.3 Satz 2 Grund­ge­setz (GG) darf nie­mand we­gen sei­ner Be­hin­de­rung be­nach­tei­ligt wer­den. Die­ses Be­nach­tei­li­gungs­ver­bot gilt zu­guns­ten von al­len Men­schen mit ei­ner Be­hin­de­rung und natürlich auch zu­guns­ten von Schwer­be­hin­der­ten.

Gemäß § 164 Abs.2 SGB IX dürfen Ar­beit­ge­ber schwer­be­hin­der­te Beschäftig­te nicht we­gen ih­rer Be­hin­de­rung be­nach­tei­li­gen. Was dies im ein­zel­nen heißt, steht aber nicht im SGB IX, son­dern rich­tet sich nach dem All­ge­mei­nen Gleich­be­hand­lungs­ge­setz (AGG).

Das AGG ver­bie­tet ei­ne Dis­kri­mi­nie­rung schwer­be­hin­der­ter Men­schen vor al­lem

  • bei der Ein­stel­lung,
  • beim be­ruf­li­chen Auf­stieg,
  • bei der Durchführung ei­nes Ar­beits­verhält­nis­ses und
  • bei der Be­en­di­gung ei­nes Ar­beits­verhält­nis­ses bzw. bei den „Ent­las­sungs­be­din­gun­gen“.

Eben­so wie das in Art.3 GG ent­hal­te­ne Be­nach­tei­li­gungs­ver­bot schützen auch die Vor­schrif­ten des AGG al­le Men­schen mit ei­ner Be­hin­de­rung und da­mit nicht nur, aber natürlich auch schwer­be­hin­der­te Men­schen.

Darüber hin­aus wer­den Schwer­be­hin­der­te durch das SGB IX geschützt. Das SGB IX un­ter­schei­det zwi­schen

  • be­hin­der­ten Men­schen (= Per­so­nen mit ei­nem Grad der Be­hin­de­rung von 20, 30 oder 40) und
  • schwer­be­hin­der­ten Men­schen (= Per­so­nen mit ei­nem Grad der Be­hin­de­rung von 50 oder mehr).

So können z.B. nur schwer­be­hin­der­te Men­schen (und Gleich­ge­stell­te) den be­son­de­ren Schutz vor ei­ner Kündi­gung ih­res Ar­beits­verhält­nis­ses durch den Ar­beit­ge­ber in An­spruch neh­men (§ 168 SGB IX), und auch der ge­setz­li­che Zu­satz­ur­laub steht nur schwer­be­hin­der­ten Ar­beit­neh­mern zu (§ 208 SGB IX).

Wann liegt ei­ne Dis­kri­mi­nie­rung we­gen ei­ner Schwer­be­hin­de­rung vor?

Ei­ne Dis­kri­mi­nie­rung we­gen ei­ner Schwer­be­hin­de­rung liegt vor, wenn ein schwer­be­hin­der­ter Stel­len­be­wer­ber oder Ar­beit­neh­mer we­gen sei­ner Be­hin­de­rung schlech­ter als an­de­re, mit ihm ver­gleich­ba­re Stel­len­be­wer­ber oder Ar­beit­neh­mer be­han­delt wird und wenn es für ei­ne sol­che Schlech­ter­stel­lung nicht aus­nahms­wei­se ei­nen trif­ti­gen sach­li­chen Grund gibt.

Ei­ne sach­lich nicht ge­recht­fer­tig­te Be­nach­tei­li­gung (= Dis­kri­mi­nie­rung) we­gen ei­ner Schwer­be­hin­de­rung ist ge­setz­lich eben­so ver­bo­ten wie ei­ne Dis­kri­mi­nie­rung we­gen des Ge­schlechts oder ei­ne Al­ters­dis­kri­mi­nie­rung.

Nähe­re In­for­ma­tio­nen zu die­sen Fra­gen fin­den Sie un­ter „Hand­buch Ar­beits­recht: Dis­kri­mi­nie­rungs­ver­bo­te - Be­hin­de­rung“.

Wie­viel Zu­satz­ur­laub steht schwer­be­hin­der­ten Ar­beit­neh­mern zu?

Gemäß § 208 SGB IX ha­ben schwer­be­hin­der­te Men­schen An­spruch auf ei­nen be­zahl­ten zusätz­li­chen Ur­laub von fünf Ar­beits­ta­gen im Ur­laubs­jahr.

Wenn Sie we­ni­ger als fünf Ta­ge in der Wo­che ar­bei­ten, ha­ben Sie nur an­tei­lig An­spruch auf den Mehr­ur­laub als Schwer­be­hin­der­ter. Wenn Sie al­so z.B. ei­ne Teil­zeittätig­keit im Um­fang von drei Ta­gen in der Wo­che ausüben, ha­ben Sie nur ei­nen Zu­satz­ur­laub von drei Ta­gen pro Jahr, und das ent­spricht ei­ner Ur­laubs­wo­che mehr.

Verfällt der Schwer­be­hin­der­ten-Zu­satz­ur­laub bei langjähri­ger Krank­heit?

An­fang 2009 ent­schied der Eu­ropäische Ge­richts­hof (EuGH) in ei­nem Grund­satz­ur­teil (Ur­teil vom 20.01.2009, C-350/06, Schultz-Hoff), dass Ur­laubs­ansprüche bei lan­ger Krank­heit nicht zum 31. März des Fol­ge­jah­res ver­fal­len dürfen, was bis da­hin dem herr­schen­den Verständ­nis von § 7 Abs.3 Bun­des­ur­laubs­ge­setz (BUrlG) ent­sprach.

Das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) änder­te dar­auf­hin sei­ne Recht­spre­chung, d.h. es wand­te § 7 Abs.3 BUrlG nicht mehr (wie bis­her) auf den Fall ei­ner lang­an­dau­ern­den Krank­heit an. In­fol­ge die­ser Recht­spre­chungsände­rung stell­te sich die Fra­ge, für wie lan­ge Zeit krank­heits­be­dingt nicht ge­nom­me­ner Ur­laub an­ge­sam­melt wer­den kann, da ein un­be­grenz­tes An­wach­sen von Ur­laubs- bzw. Rest­ur­laubs­ansprüchen klei­ne­re Ar­beit­ge­ber fi­nan­zi­ell über­for­dern würde.

Zwei Jah­re später stell­te der EuGH klar, dass das Eu­ro­pa­recht ein „end­lo­ses“ An­spa­ren von Ur­laubs­ansprüchen nicht for­dert: Wenn ein Ta­rif­ver­trag Ur­laubs­ansprüche lan­ge er­krank­ter Ar­beit­neh­mer nach 15 Mo­na­ten ver­fal­len lässt, ist das in Ord­nung, so der EuGH mit Ur­teil vom 22.11.2011, C-214/10 (KHS gg. Schul­te). Der Ur­laub muss in Krank­heitsfällen al­ler­dings „deut­lich länger“ ge­si­chert sein als nur zwölf Mo­na­te (wir be­rich­te­ten darüber in: Ar­beits­recht ak­tu­ell 11/234 Ur­laub und Krank­heit: Krank­heits­be­dingt nicht ge­nom­me­ner Ur­laub kann nach 15 Mo­na­ten ver­fal­len).

Auf der Grund­la­ge die­ses EuGH-Ur­teils hat das BAG im Jah­re 2012 ent­schie­den, dass krank­heits­be­dingt nicht ge­nom­me­ne Ur­laubs­ansprüche ge­ne­rell 15 Mo­na­te nach dem En­de des Be­zugs­zeit­raums ver­fal­len, d.h. auch dann, wenn es kei­nen Ta­rif­ver­trag gibt, der ei­ne sol­che Ver­falls­frist enthält (BAG, Ur­teil vom 07.08.2012, 9 AZR 353/10, wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 12/274 Ur­laub bei Dau­er­krank­heit verfällt nach 15 Mo­na­ten).

Und das gilt auch für den ge­setz­li­chen Zu­satz­ur­laub, der schwer­be­hin­der­ten Men­schen zu­steht. Auch der Zu­satz­ur­laub wird ma­xi­mal 15 Mo­na­te nach dem En­de des Ur­laubs­jah­res auf­recht er­hal­ten, wenn ein schwer­be­hin­der­ter Ar­beit­neh­mer auf­grund krank­heits­be­ding­ter Ar­beits­unfähig­keit über länge­re Zeit hin­weg kei­nen Ur­laub neh­men kann.

BEISPIEL: Ein schwer­be­hin­der­ter Ar­beit­neh­mer mit ge­setz­li­chem (vierwöchi­gem) Ur­laubs­an­spruch plus ei­ner Wo­che (fünf Ta­ge) Zu­satz­ur­laub gemäß § 208 Abs.1 SGB IX ist von An­fang 2014 bis En­de Au­gust 2018 oh­ne Un­ter­bre­chung ar­beits­unfähig er­krankt. Zum 31.08.2018 wird das Ar­beits­verhält­nis be­en­det. Zu die­sem Zeit­punkt ist der Ar­beit­neh­mer im­mer noch krank. Er hat An­spruch auf Ur­laubs­ab­gel­tung (§ 7 Abs.4 BUrlG, § 208 Abs.1 SGB IX) für fünf Wo­chen Ur­laub aus 2017 und für noch­mals fünf Wo­chen aus 2018, ins­ge­samt da­her für zehn Wo­chen. Denn die Ur­laubs- und Zu­satz­ur­laubs­ta­ge für 2014 sind am 31.03.2016 ver­fal­len, die Ur­laubs- und Zu­satz­ur­laubs­ta­ge für 2015 am 31.03.2017 und die Ur­laubs- und Zu­satz­ur­laubs­ta­ge für 2016 am 31.03.2018. Da­her be­ste­hen zum Zeit­punkt des Aus­schei­des (31.08.2018) nur noch die Ur­laubs- und Zu­satz­ur­laubs­ta­ge für die Jah­re 2017 und 2018. Die Ur­laubs­ansprüche für 2018 be­ste­hen da­bei in vol­lem Um­fang, denn das Ar­beits­verhält­nis en­det in der zwei­ten Jah­reshälf­te, so dass ei­ne nur zeit­an­tei­li­ge Be­rech­nung des Ur­laubs­an­spruchs aus­schei­det (vgl. § 5 Abs.1 Buchst.c BUrlG).

Nähe­re In­for­ma­tio­nen zu die­sen Fra­gen fin­den Sie un­ter „Hand­buch Ar­beits­recht: Ur­laub und Krank­heit“.

Ha­ben auch gleich­ge­stell­te Ar­beit­neh­mer An­spruch auf Zu­satz­ur­laub?

Nein, das ist ge­setz­lich durch § 151 Abs.3 SGB IX aus­ge­schlos­sen.

Die Gleich­stel­lung gilt aber für den be­son­de­ren Schutz schwer­be­hin­der­ter Men­schen bei ei­ner Kündi­gung durch den Ar­beit­ge­ber.

Wel­che Rech­te ha­ben schwer­be­hin­der­te Ar­beit­neh­mer bei Beschäfti­gung, Fort­bil­dung und Ar­beits­platz­ge­stal­tung?

Gemäß § 164 Abs.4 Nr.1 SGB IX ha­ben Schwer­be­hin­der­te ge­genüber ih­rem Ar­beit­ge­ber An­spruch auf ei­ne Beschäfti­gung, bei der sie ih­re Fähig­kei­ten und Kennt­nis­se möglichst voll ver­wer­ten und wei­ter­ent­wi­ckeln können. Der Ar­beit­ge­ber hat da­her bei Schwer­be­hin­der­ten noch mehr als bei an­de­ren Ar­beit­neh­mern dar­auf zu ach­ten, dass die zu­ge­wie­se­nen Ar­beits­auf­ga­ben we­der ei­ne Un­ter- noch ei­ne Über­for­de­rung be­inhal­ten.

Schwer­be­hin­der­te Ar­beit­neh­mer sind wei­ter­hin bei be­trieb­li­chen und außer­be­trieb­li­chen Be­rufs­bil­dungs­maßnah­men in be­son­de­rem Maße zu berück­sich­ti­gen (§ 164 Abs.4 Nr.2, 3 SGB IX). 

Sch­ließlich muss der Ar­beit­ge­ber für ei­ne be­hin­de­rungs­ge­rech­te Ge­stal­tung von Ar­beits­platz, Ar­beits­um­feld, Ar­beits­or­ga­ni­sa­ti­on und Ar­beits­zeit sor­gen, und er muss je nach Art der Be­hin­de­rung den Ar­beits­platz des Schwer­be­hin­der­ten mit den er­for­der­li­chen tech­ni­schen Ar­beits­hil­fen aus­stat­ten (§ 164 Abs.4 Nr.4, 5 SGB IX).

Wenn die Leis­tungsfähig­keit des Schwer­be­hin­der­ten im Lau­fe der Zeit ab­nimmt, hat er ei­nen An­spruch auf ei­nen Schon­ar­beits­platz, den der Ar­beit­ge­ber not­falls ex­tra für den Be­hin­der­ten ein­zu­rich­ten hat.

Al­le die­se Ansprüche schwer­be­hin­der­ter Ar­beit­neh­mer auf ei­ne Beschäfti­gung, die ih­rer Be­hin­de­rung an­ge­mes­sen ist, fin­den al­ler­dings ih­re Gren­ze, wenn ei­ne Maßnah­me für den Ar­beit­ge­ber "un­zu­mut­bar" ist. Was das im Ein­zel­fall heißt, muss not­falls das Ar­beits­ge­richt klären.

Wie sind schwer­be­hin­der­te Ar­beit­neh­mer vor Kündi­gun­gen geschützt?

Schwer­be­hin­der­te und Gleich­ge­stell­te sind nicht ge­ne­rell (or­dent­lich) unkünd­bar. Viel­mehr kann der Ar­beit­ge­ber ei­nem Schwer­be­hin­der­ten bzw. ei­nem Gleich­ge­stell­ten „im Prin­zip“ eben­so kündi­gen wie ei­nem nicht be­hin­der­ten Ar­beit­neh­mer auch. Der be­son­de­re Schutz, den Schwer­be­hin­der­te und Gleich­ge­stell­te ge­genüber Kündi­gun­gen ge­nießen, liegt im Ver­fah­rens­recht.

Der Ar­beit­ge­ber braucht nämlich, be­vor er ei­nem schwer­be­hin­der­ten Ar­beit­neh­mer kündigt, die vor­he­ri­ge Zu­stim­mung des In­te­gra­ti­ons­am­tes zu der ge­plan­ten Kündi­gung. Das er­gibt sich aus § 168 SGB IX. Die­se Vor­schrift lau­tet:

„Die Kündi­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses ei­nes schwer­be­hin­der­ten Men­schen durch den Ar­beit­ge­ber be­darf der vor­he­ri­gen Zu­stim­mung des In­te­gra­ti­ons­am­tes.“

BEISPIEL: Ein schwer­be­hin­der­ter Ar­beit­neh­mer ist be­reits ein­mal we­gen un­ent­schul­dig­ten Feh­lens ab­ge­mahnt wor­den. Ei­ni­ge Wo­chen nach die­ser Ab­mah­nung kommt er er­neut oh­ne Ent­schul­di­gung nicht zur Ar­beit. Der Ar­beit­ge­ber ist zu­recht er­bost und kündigt or­dent­lich aus ver­hal­tens­be­ding­ten Gründen, al­ler­dings oh­ne zu­vor die Zu­stim­mung des In­te­gra­ti­ons­am­tes ein­ge­holt zu ha­ben. Die Kündi­gung wäre an sich rech­tens, ist aber we­gen § 168 SGB IX in Verb. mit § 134 Bürger­li­ches Ge­setz­buch (BGB) un­wirk­sam.

Das In­te­gra­ti­ons­amt prüft auf der Grund­la­ge ei­nes An­trags des Ar­beit­ge­bers, ob die ge­plan­te Kündi­gung mit der Be­hin­de­rung in Zu­sam­men­hang steht oder nicht. Be­steht kein sol­cher Zu­sam­men­hang wie ins­be­son­de­re bei be­triebs­be­ding­ten Kündi­gun­gen und bei ver­hal­tens­be­ding­ten Kündi­gun­gen, wird die Zu­stim­mung er­teilt, wo­bei mit Be­ar­bei­tungs­zei­ten von et­wa drei bis vier Wo­chen ge­rech­net wer­den muss.

Der be­son­de­re Kündi­gungs­schutz schwer­be­hin­der­ter Men­schen ist nach § 173 Abs.1 SGB IX in ei­ni­gen Fällen aus­ge­schlos­sen, so z.B. dann, wenn das Ar­beits­verhält­nis des Schwer­be­hin­der­ten zum Zeit­punkt der Kündi­gungs­erklärung noch nicht länger als sechs Mo­na­te be­stan­den (§ 173 Abs.1 Nr.1 SGB IX). Die­ser Zeit­raum ent­spricht der sechs­mo­na­ti­gen War­te­zeit, die al­le Ar­beit­neh­mer zurück­le­gen müssen, be­vor sie nach Kündi­gungs­schutz nach dem Kündi­gungs­schutz­ge­setz (KSchG) in An­spruch neh­men können (§ 1 Abs.1 KSchG).

Darüber hin­aus sind schwer­be­hin­der­te Ar­beit­neh­mer da­durch vor Kündi­gun­gen in be­son­de­rer Wei­se geschützt, dass der Ar­beit­ge­ber vor je­der Kündi­gung die Schwer­be­hin­der­ten­ver­tre­tung be­tei­li­gen muss. Denn gemäß § 178 Abs.2 Satz 3 SGB IX ist die Kündi­gung ei­nes schwer­be­hin­der­ten Men­schen oh­ne (vor­he­ri­ge und kor­rek­te) Be­tei­li­gung der Schwer­be­hin­der­ten­ver­tre­tung un­wirk­sam. Die­se ge­setz­li­che An­for­de­rung gilt auch für Gleich­ge­stell­te, und der Ar­beit­ge­ber muss sie auch dann be­ach­ten, wenn der be­trof­fe­ne Ar­beit­neh­mer noch kei­ne sechs Mo­na­te beschäftigt ist. Nähe­re In­for­ma­tio­nen hier­zu fin­den Sie un­ter dem Stich­wort Schwer­be­hin­der­ten­ver­tre­tung.

Im Er­geb­nis sind schwer­be­hin­der­te Ar­beit­neh­mer zwar nicht unkünd­bar, aber ver­fah­rensmäßig in dop­pel­ter Hin­sicht vor Kündi­gun­gen bes­ser als an­de­re Ar­beit­neh­mer geschützt:

  • Ers­tens muss der Ar­beit­ge­ber die Schwer­be­hin­der­ten­ver­tre­tung vor je­der Kündi­gung be­tei­li­gen, d.h. er muss sie un­ter­rich­ten, sie anhören und ihr sei­ne Ent­schei­dung mit­tei­len (§ 178 Abs.2 Satz 1 und 3 SGB IX).
  • Zwei­tens muss der Ar­beit­ge­ber vor je­der Kündi­gung die Zu­stim­mung des In­te­gra­ti­ons­am­tes ein­ho­len (§ 168 SGB IX).

Da­bei gibt es zwar kei­ne zeit­li­che Vor­ran­g­re­gel. Es emp­fiehlt sich aber für den Ar­beit­ge­ber, die Schwer­be­hin­der­ten­ver­tre­tung in ei­nem ers­ten Schritt zu un­ter­rich­ten, um erst da­nach (ggf. am nächs­ten Tag) den An­trag auf Zu­stim­mung beim In­te­gra­ti­ons­amt zu stel­len.

Gilt der be­son­de­re Kündi­gungs­schutz auch für gleich­ge­stell­te Ar­beit­neh­mer?

Ja, denn ge­ra­de dar­um geht es bei der Gleich­stel­lung.

Auch vor der Kündi­gung ei­nes gleich­ge­stell­ten be­hin­der­ten Men­schen muss der Ar­beit­ge­ber die Zu­stim­mung des In­te­gra­ti­ons­am­tes zu der ge­plan­ten Kündi­gung ein­ho­len.

Ist ei­ne vor­he­ri­ge Zu­stim­mung des In­te­gra­ti­ons­am­tes zur Kündi­gung auch er­for­der­lich, wenn der Schwer­be­hin­der­te noch kei­ne An­er­ken­nung als Schwer­be­hin­der­ter hat?

Ja, man muss nur ob­jek­tiv schwer­be­hin­dert sein. Ist man zum Zeit­punkt der Kündi­gung, d.h. des Zu­gangs der Kündi­gungs­erklärung, noch nicht als Schwer­be­hin­der­ter an­er­kannt, scha­det das nicht, vor­aus­setzt, man tatsächlich be­hin­dert mit ei­nem Grad der Be­hin­de­rung von 50.

Denn zwi­schen ei­nem An­trag auf An­er­ken­nung als Schwer­be­hin­der­ter und ei­ner dem An­trag ent­spre­chen­den Fest­stel­lung durch das zuständi­ge Amt können Wo­chen und Mo­na­te ver­ge­hen. Wer in die­ser Zeit, d.h. zwi­schen An­trag­stel­lung und An­er­ken­nung, ei­ne Kündi­gung erhält, soll durch § 168 SGB IX geschützt sein.

Al­ler­dings er­gibt sich aus dem Er­for­der­nis, die Schwer­be­hin­de­rung (ge­genüber dem Ar­beit­ge­ber) nach­zu­wei­sen bzw. an der behörd­li­chen Fest­stel­lung der Schwer­be­hin­de­rung mit­zu­wir­ken (§ 173 Abs.3 SGB IX), dass der gekündig­te (ob­jek­tiv schwer­be­hin­der­te) Ar­beit­neh­mer zum Zeit­punkt der Kündi­gung zu­min­dest ein­mal ei­nen An­trag auf An­er­ken­nung als Schwer­be­hin­der­ter ge­stellt ha­ben muss, und zwar spätes­tens drei Wo­chen vor Zu­gang der Kündi­gung. Denn das ist die vom Ge­setz vor­ge­ge­be­ne Frist zur Ent­schei­dung über ei­nen An­trag auf Fest­stel­lung ei­ner Schwer­be­hin­de­rung, falls für die­se Fest­stel­lung kein Gut­ach­ten ein­ge­holt wer­den muss (§ 152 Abs.1 Satz 3 SGB IX in Verb. mit § 14 Abs.2 Satz 2 SGB IX).

BEISPIEL: Ein Ar­beit­neh­mer sieht ei­ne Kündi­gung des Ar­beit­ge­bers auf sich zu­kom­men, denn er hat vom Be­triebs­rat er­fah­ren, dass der Ar­beit­ge­ber den Be­triebs­rat be­reits zu der Kündi­gung an­gehört hat. Da­her ist der Ar­beit­neh­mer ziem­lich si­cher, in den nächs­ten Ta­gen ei­ne Kündi­gung in sei­nem Brief­kas­ten zu fin­den, und so kommt es auch. Um dem Ar­beit­ge­ber ei­nen Strich durch die Rech­nung zu ma­chen, stellt der Ar­beit­neh­mer flugs noch ei­nen An­trag auf An­er­ken­nung als schwer­be­hin­der­ter Mensch.

Das ist zu spät. Soll­te später in ei­nem Kündi­gungs­schutz­ver­fah­ren über die Fra­ge ge­strit­ten wer­den, ob die Kündi­gung wirk­sam war oder nicht, ist die feh­len­de Zu­stim­mung des In­te­gra­ti­ons­am­tes kein The­ma mehr - und zwar auch dann, wenn der Ar­beit­neh­mer tatsächlich (ob­jek­tiv) zum Zeit­punkt der Kündi­gung schwer­be­hin­dert war.

An­ders wäre es in dem o.g. Bei­spiel, wenn der Ar­beit­neh­mer be­reits fünf Wo­chen vor Zu­gang der Kündi­gung den An­trag auf An­er­ken­nung als Schwer­be­hin­der­ter ge­stellt hat, und wenn über den An­trag ei­ni­ge Wo­chen nach Zu­gang der Kündi­gung po­si­tiv ent­schie­den wird (= An­er­ken­nung der Schwer­be­hin­de­rung zum Zeit­punkt der Kündi­gung). Dann ist die Kündi­gung gemäß § 168 SGB IX in Verb. mit § 134 BGB un­wirk­sam, falls der Ar­beit­neh­mer dem ah­nungs­lo­sen Ar­beit­ge­ber die Schwer­be­hin­de­rung spätes­tens drei Wo­chen nach Zu­gang der Kündi­gung mit­teilt (s. un­ten).

Muss ein Schwer­be­hin­der­ter, des­sen Ar­beit­ge­ber von der Be­hin­de­rung nichts weiß, bei ei­ner Kündi­gung auf sei­ne Schwer­be­hin­de­rung hin­wei­sen?

Wenn der Ar­beit­ge­ber von der Schwer­be­hin­de­rung des Ar­beit­neh­mers nichts weiß, kann man von ihm schlecht ver­lan­gen, vor Aus­spruch ei­ner Kündi­gung beim In­te­gra­ti­ons­amt ei­nen An­trag auf Zu­stim­mung zu stel­len.

Trotz­dem hängt der ge­setz­li­che Son­derkündi­gungs­schutz nach § 168 SGB IX nicht da­von ab, dass der Ar­beit­ge­ber die Schwer­be­hin­de­rung des Ar­beit­neh­mers bei Aus­spruch der Kündi­gung kennt. Theo­re­tisch, d.h. nach den Buch­sta­ben des Ge­set­zes, könn­te ein gekündig­ter schwer­be­hin­der­ter Ar­beit­neh­mer Kündi­gungs­schutz­kla­ge er­he­ben und erst Mo­na­te später kurz vor Ab­schluss der ers­ten In­stanz die Kat­ze aus dem Sack las­sen, d.h. sei­ne Schwer­be­hin­de­rung mit­tei­len und sich auf die­sen Un­wirk­sam­keits­grund be­ru­fen (§ 6 KSchG). Dann müss­te der Ar­beit­ge­ber für ei­ne lan­ge Zeit den Lohn na­ch­en­trich­ten, oh­ne die Ar­beits­leis­tung er­hal­ten zu ha­ben, denn er be­fand sich im An­nah­me­ver­zug (§ 615 BGB).

Das wäre kei­ne ge­rech­te Ri­si­ko­ver­tei­lung, denn dann schließlich trifft den Ar­beit­ge­ber kein Ver­schul­den an sei­nem Rechts­ver­s­toß. Da­her ver­lan­gen die Ar­beits­ge­rich­te, dass der schwer­be­hin­der­te Ar­beit­neh­mer dem Ar­beit­ge­ber, der ei­ne Kündi­gung in Un­kennt­nis der Schwer­be­hin­de­rung aus­ge­spro­chen hat, in­ner­halb von drei Wo­chen nach Zu­gang der Kündi­gung mit­teilt, dass er schwer­be­hin­dert ist.

Ge­nau­er ge­sagt muss der Ar­beit­neh­mer den Ar­beit­ge­ber spätes­tens nach drei Wo­che plus ein oder zwei Ta­gen über das Vor­lie­gen der Schwer­be­hin­de­rung zum Kündi­gungs­zeit­punkt in­for­mie­ren, so das BAG in ei­ner Ent­schei­dung aus dem Jahr 2016 (BAG, Ur­teil vom 22.09.2016, 2 AZR 700/15, wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 17/026 Kündi­gung in Un­kennt­nis ei­ner Schwer­be­hin­de­rung). Nach Ab­lauf die­ser Frist von "drei Wo­chen plus x" hat der Schwer­be­hin­der­te sein Recht, sich auf die Un­wirk­sam­keit der Kündi­gung bzw. auf § 168 SGB IX in Verb. mit § 134 BGB zu be­ru­fen, ver­wirkt.

Hat der Ar­beit­ge­ber die­se In­for­ma­ti­on drei Wo­chen nach Aus­spruch der Kündi­gung er­hal­ten, weiß er recht frühzei­tig, dass sei­ne Kündi­gung un­wirk­sam war. Dann kann er sich über­le­gen, ob er auf die Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses ver­zich­ten oder aber er­neut kündi­gen möch­te, dies­mal nach vor­he­ri­ger Zu­stim­mung des In­te­gra­ti­ons­am­tes.

Sind Schwer­be­hin­der­te auch vor Ent­las­sun­gen geschützt, die nicht auf ei­ner Kündi­gung be­ruht?

Ja, durch § 175 SGB IX. Die­se Vor­schrift lau­tet:

„Die Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses ei­nes schwer­be­hin­der­ten Men­schen be­darf auch dann der vor­he­ri­gen Zu­stim­mung des In­te­gra­ti­ons­am­tes, wenn sie im Fal­le des Ein­tritts ei­ner teil­wei­sen Er­werbs­min­de­rung, der Er­werbs­min­de­rung auf Zeit, der Be­rufs­unfähig­keit oder der Er­werbs­unfähig­keit auf Zeit oh­ne Kündi­gung er­folgt. Die Vor­schrif­ten die­ses Ka­pi­tels über die Zu­stim­mung zur or­dent­li­chen Kündi­gung gel­ten ent­spre­chend.“

Die­se Vor­schrift ist vor dem Hin­ter­grund zu se­hen, dass Ta­rif­verträge oft­mals die au­to­ma­ti­sche Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses für den Fall des Be­zugs ei­ner Er­werbs­min­de­rungs­ren­te vor­se­hen, so z.B. § 33 Abs.2 Ta­rif­ver­trag für den öffent­li­chen Dienst (TVöD). Da­nach en­det das Ar­beits­verhält­nis mit Ab­lauf des Mo­nats, in dem der Ar­beit­neh­mer ei­nen Ren­ten­be­scheid erhält, dem zu­fol­ge er voll oder teil­wei­se er­werbs­ge­min­dert ist.

Die­ser Au­to­ma­tis­mus der Ver­trags­be­en­di­gung wird durch § 175 SGB IX durch­bro­chen, denn der Ar­beit­ge­ber muss auch dann, wenn das Ar­beits­verhält­nis ei­gent­lich un­mit­tel­bar gemäß Ta­rif we­gen ei­ner Er­werbs­min­de­rungs­be­ren­tung en­det, vor der Be­en­di­gung das In­te­gtra­ti­ons­amt um Zu­stim­mung bit­ten.

Wel­che Ar­beit­ge­ber sind zur Beschäfti­gung schwer­be­hin­der­ter Men­schen ver­pflich­tet?

Gemäß § 154 Abs.1 SGB IX sind ha­ben pri­va­te und öffent­li­che Ar­beit­ge­ber, die über min­des­tens 20 Ar­beitsplätzen verfügen, die Pflicht, auf min­des­tens fünf Pro­zent ih­rer Ar­beitsplätze schwer­be­hin­der­te Men­schen zu beschäfti­gen. Ar­beitsplätze sind da­bei al­le Stel­len, auf de­nen Ar­beit­neh­mer oder Aus­zu­bil­den­de beschäftigt wer­den (§ 156 Abs.1 SGB IX).

Erfüllen Ar­beit­ge­ber ih­re Pflicht zur Beschäfti­gung schwer­be­hin­der­ter Ar­beit­neh­mer nicht, sind sie für je­den un­be­setz­ten Platz zur Zah­lung ei­ner Aus­gleichs­ab­ga­be ver­pflich­tet. Die Aus­gleichs­ab­ga­be beträgt zwi­schen 105,00 und 290,00 EUR pro Mo­nat.

Sind Ar­beit­ge­ber ver­pflich­tet, ei­nen schwer­be­hin­der­ten Men­schen ein­zu­stel­len?

Ja und nein.

Ei­ner­seits be­steht die Pflicht zur Beschäfti­gung schwer­be­hin­der­ter Ar­beit­neh­mer auch dann fort, wenn der Ar­beit­ge­ber ei­ne Aus­gleichs­ab­ga­be zahlt, d.h. er kann sich mit der Ab­ga­be nicht von sei­ner Beschäfti­gungs­pflicht frei­kau­fen, son­dern verstößt so­lan­ge ge­gen gel­ten­des Recht, wie er die Beschäfti­gungs­quo­te nicht erfüllt.

An­de­rer­seits kann ein schwer­be­hin­der­ter Mensch nicht un­ter Be­ru­fung auf § 154 Abs.1 SGB IX sei­ne Ein­stel­lung, d.h. den Ab­schluss ei­nes Ar­beits­ver­trags ver­lan­gen. So ge­se­hen be­steht al­so kei­ne Pflicht des Ar­beit­ge­bers, ei­nen be­stimm­ten schwer­be­hin­der­ten Men­schen ein­zu­stel­len.

Was müssen Ar­beit­ge­ber bei der Stel­len­pla­nung und Be­wer­ber­su­che be­ach­ten?

Ar­beit­ge­ber, die Neu­ein­stel­lun­gen pla­nen, müssen be­reits frühzei­tig mit der Ar­beits­agen­tur Kon­takt auf­neh­men und prüfen, ob die zu be­set­zen­de Stel­le mögli­cher­wei­se mit ei­nem ge­eig­ne­ten Schwer­be­hin­der­ten be­setzt wer­den kann, § 164 Abs.1 SGB IX. Die­se Prüfung soll­ten Ar­beit­ge­ber so durchführen, dass sie später auch be­wie­sen wer­den kann.

Denn wird ei­ne sol­che Prüfung un­ter­las­sen und be­wirbt sich später ein schwer­be­hin­der­ter Stel­len­be­wer­ber und wird nicht ge­nom­men, dann be­steht die Ver­mu­tung, dass die zu sei­nen Las­ten ge­trof­fe­ne Ein­stel­lungs­ent­schei­dung dis­kri­mi­nie­rend war (BAG, Ur­teil vom 13.10.2011, 8 AZR 608/10 - wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell 11/201 Dis­kri­mi­nie­rung schwer­be­hin­der­ter Stel­len­be­wer­ber: Ver­let­zung der Prüfpflicht reicht als Nach­weis).

Ein­la­dung schwer­be­hin­der­ter Ar­beit­neh­mer zum Vor­stel­lungs­gespräch - was müssen Ar­beit­ge­ber be­ach­ten?

Öffent­li­che Ar­beit­ge­ber ha­ben ei­ne be­son­de­re Förde­rungs­pflicht gemäß § 165 SGB IX: Sie sind ge­setz­lich da­zu ver­pflich­tet, schwer­be­hin­der­te Stel­len­be­wer­ber zu ei­nem Vor­stel­lungs­gespräch ein­zu­la­den. Ei­ne Ein­la­dung zum Vor­stel­lungs­gespräch ist nur dann nicht er­for­der­lich, wenn dem schwer­be­hin­der­ten Be­wer­ber „die fach­li­che Eig­nung of­fen­sicht­lich fehlt“ (§ 165 Satz 3 SGB IX).

Und auf die „of­fen­sicht­lich“ feh­len­den Eig­nung kann sich der öffent­li­che Ar­beit­ge­ber nur be­ru­fen, wenn der Be­wer­ber An­for­de­run­gen nicht erfüllt, die in ei­ner öffent­lich ge­mach­ten Stel­len­aus­schrei­bung ge­nannt sind (BAG, Ur­teil vom 21.07.2009, 9 AZR 431/08 - wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell 09/187 Vor­stel­lungs­gespräch für schwer­be­hin­der­ten Be­wer­ber).

Auch hier gilt: Un­terlässt der öffent­li­che Ar­beit­ge­ber die ge­setz­lich vor­ge­schrie­be­ne Ein­la­dung ei­nes schwer­be­hin­der­ten Be­wer­bers zum Vor­stel­lungs­gespräch, ist das ein In­diz für ei­ne ver­bo­te­ne be­hin­de­rungs­be­ding­te Dis­kri­mi­nie­rung, falls der Be­wer­ber die Stel­le später nicht be­kommt.

Darf der Ar­beit­ge­ber nach ei­ner Schwer­be­hin­de­rung fra­gen und falls ja - wann ist die Fra­ge nach ei­ner Schwer­be­hin­de­rung er­laubt?

Vor ei­nem Be­wer­bungs­gespräch, während des Vor­stel­lungs­gesprächs und auch in den ers­ten sechs Mo­na­ten des Ar­beits­verhält­nis­ses dürfen Ar­beit­ge­ber ei­nen Stel­len­be­wer­ber bzw. frisch ein­ge­stell­ten Ar­beit­neh­mer nicht nach ei­ner Schwer­be­hin­de­rung fra­gen.

Ei­ne sol­che Fra­ge ist al­ler­dings nach Ab­lauf von sechs Mo­na­ten er­laubt, da­mit der Ar­beit­ge­ber weiß, ob er Zu­satz­ur­laub gewähren muss und ob er mit dem bei ihm beschäftig­ten Ar­beit­neh­mer sei­ne ge­setz­li­che Pflicht zur Beschäfti­gung Schwer­be­hin­der­ter erfüllt.

Außer­dem hat der Ar­beit­ge­ber nach Ab­lauf von sechs Mo­na­ten auch des­halb ein Recht zu er­fah­ren, ob ein Ar­beit­neh­mer schwer­be­hin­dert ist, da­mit er weiß, ob er vor ei­ner Kündi­gung das In­te­gra­ti­ons­amt um Zu­stim­mung bit­ten muss (BAG, Ur­teil vom 16.02.2012, 6 AZR 553/10 - wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell 12/078 Fra­ge nach Schwer­be­hin­de­rung zulässig).

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Letzte Überarbeitung: 1. Mai 2023

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Wir Sind auch ger­ne be­hilf­lich, wenn es dar­um geht, Ih­re recht­li­chen Mög­lich­kei­ten und die wei­te­re Vor­ge­hens­wei­se in Ih­rem Fall ab­zu­klä­ren. Bit­te be­ach­ten Sie, dass Sie nach dem Ge­setz kur­ze Fris­ten für die Gel­tend­ma­chung Ih­rer An­sprü­che zu be­ach­ten ha­ben.

Selbst­ver­ständ­lich un­ter­stüt­zen wir Sie auch bei der Durch­set­zung Ih­rer Rech­te als be­hin­der­ter oder schwer­be­hin­der­ter Mensch und der An­sprü­che, die sich aus ei­ner be­hin­de­rungs­be­ding­ten Dis­kri­mi­nie­rung er­ge­ben kön­nen. Je nach La­ge des Fal­les bzw. ent­spre­chend Ih­ren Wün­schen tre­ten wir ent­we­der nach au­ßen nicht in Er­schei­nung oder aber wir ver­han­deln in Ih­rem Na­men mit Ih­rem Ar­beit­ge­ber oder mit ei­nem Ver­tre­ter der Ge­sell­schaf­ter­ver­samm­lung.

Für ei­ne mög­lichst ra­sche und ef­fek­ti­ve Be­ra­tung be­nö­ti­gen wir fol­gen­de Un­ter­la­gen:

  • Ar­beits­ver­trag / Ge­schäfts­füh­rer­an­stel­lungs­ver­trag
  • Ge­halts­ab­rech­nun­gen
  • Un­ter­la­gen im Zu­sam­men­hang mit der Dis­kri­mi­nie­rung (falls vor­han­den)
  • Be­triebs­ver­ein­ba­rung oder Dienst­ver­ein­ba­rung über die AGG-Be­schwer­de­stel­le (falls vor­han­den)

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