Update Arbeitsrecht 17|2024 vom 30.11.2024
Leitsatzreport
LAG Niedersachsen: Gerichtlicher Vergleich als Sachgrund für Befristung auch ohne inhaltliche Mitwirkung des Gerichts
Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Urteil vom 10.09.2024, 10 Sa 818/23
§ 14 Abs.1 Satz 2 Nr.8 Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG)
Leitsätze des Gerichts:
1. Ein Sachgrund zur Befristung durch Abschluss eines gerichtlichen Vergleichs im Sinne von § 14 Abs.1 S 2 Nr.8 TzBfG ist nicht nur gegeben, wenn der Vergleich auf Vorschlag des Gerichts zustande kommt. Es genügt auch ein gerichtlicher Vergleich im Sinne von § 278 Abs.6 ZPO, der auf übereinstimmenden Vorschlag der Parteien geschlossen wird.
2. Sieht ein solcher Vergleich für die gesamte Befristungsdauer die unwiderrufliche bezahlte Freistellung des Arbeitnehmers vor, kann außerdem die Eigenart der Arbeitsleistung die Befristung im Sinne von § 14 Abs.1 S 2 Nr.4 TzBfG rechtfertigen.
Hintergrund:
Ein Arbeitnehmer verklagte seinen Arbeitgeber im Rahmen einer Befristungskontrollklage, d.h. er klagte auf die gerichtliche Feststellung, dass die zuletzt vereinbarte Befristung unwirksam war. Im Prozess einigte man sich auf einen Vergleich, dem zufolge das Arbeitsverhältnis nicht bereits - wie in der streitigen Befristungsabrede vereinbart - am 15.09.2022 enden sollte, sondern erst zum 30.06.2023. Die beiderseits anwaltlich vertretenen Parteien schlossen diesen Vergleich im sog. schriftlichen Verfahren gemäß § 278 Abs.6 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) auf der Grundlage eines von den Anwälten erarbeiteten Vergleichstextes. § 278 Abs.6 Satz 1 ZPO lautet: „Ein gerichtlicher Vergleich kann auch dadurch geschlossen werden, dass die Parteien dem Gericht einen schriftlichen Vergleichsvorschlag unterbreiten oder einen schriftlichen oder zu Protokoll der mündlichen Verhandlung erklärten Vergleichsvorschlag des Gerichts durch Schriftsatz oder durch Erklärung zu Protokoll der mündlichen Verhandlung gegenüber dem Gericht annehmen.“ Nach Abwicklung des Arbeitsverhältnisses gemäß dem Vergleich erhob der Kläger erneut Klage, diesmal mit dem Ziel der gerichtlichen Feststellung, dass die in dem Vergleich vereinbarte Befristung des Arbeitsverhältnisses zum 30.06.2023 unwirksam sei. Denn laut Bundesarbeitsgericht (BAG) entspricht eine Befristungsabrede nur dann dem Sachgrund des § 14 Abs.1 Satz 2 Nr.8 Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG), dass nämlich „die Befristung auf einem gerichtlichen Vergleich beruht“, wenn das Gericht durch einen eigenen Vorschlag inhaltlich an dem Vergleichstext mitgewirkt hat (BAG, Urteil vom 21.03.2017, 7 AZR 369/15, Rn.16). Das war im Streitfall anders gelaufen. Denn der schriftliche Vergleich wurde (wie praktisch immer) von den Anwälten ausgearbeitet und vom Gericht nur protokolliert. Der Ablauf entsprach daher § 278 Abs.6 Satz 1 Alt.1 ZPO („dass die Parteien dem Gericht einen schriftlichen Vergleichsvorschlag unterbreiten“) und nicht § 278 Abs.6 Satz 1 Alt.2 ZPO („Vergleichsvorschlag des Gerichts“). Nach Ansicht des Landesarbeitsgerichts (LAG) Niedersachsen sollte aber - entgegen dem BAG - auch ein von den Anwälten ausgearbeiteter schriftlicher Vergleich für die Wirksamkeit einer Befristung gemäß § 14 Abs.1 S 2 Nr.8 TzBfG genügen. Daher hob das LAG das zugunsten des Klägers ergangene Urteil des Arbeitsgerichts Lingen (Urteil vom 14.11.2023, 4 Ca 174/23) auf und wies die Klage ab. Außerdem ließ das LAG die Revision zum BAG zu, wo der Fall inzwischen liegt (Aktenzeichen des BAG: 7 AZR 297/24).
Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Urteil vom 10.09.2024, 10 Sa 818/23
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 21.03.2017, 7 AZR 369/15
Handbuch Arbeitsrecht: Befristung des Arbeitsvertrags (befristeter Arbeitsvertrag, Zeitvertrag)
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