Update Arbeitsrecht 14|2024 vom 28.08.2024
Leitsatzreport
Arbeitsgericht Hamburg: Betriebsverfassungsrechtlicher Anspruch auf Weiterbeschäftigung in der Wartezeit?
Arbeitsgericht Hamburg, Urteil vom 04.07.2024, 29 Ca 119/24
§ 1 Abs.1 Kündigungsschutzgesetz (KSchG); § 102 Abs.5 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG); §§ 168, § 173 Abs.1 Satz 1 Nr.1, Abs.4 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX); § 242 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)
Leitsatz des Gerichts:
Der betriebsverfassungsrechtliche Weiterbeschäftigungsanspruch aus § 102 Abs. 5 BetrVG findet keine Anwendung, wenn ein Arbeitsverhältnis nicht dem allgemeinen Kündigungsschutz unterfällt, weil die Wartezeit nach § 1 Abs. 1 KSchG noch nicht abgelaufen ist. Um Wertungswidersprüche zu vermeiden, ist § 102 Abs.3, 5 BetrVG teleologisch zu reduzieren.
Hintergrund:
Eine Wohnungsbaugenossenschaft mit mehr als zehn Arbeitnehmern stellte zum 16.10.2023 eine Kundenberaterin für 4.542,04 EUR brutto mtl. ein. Da die Angestellte den Erwartungen nicht entsprach, hörte der Arbeitgeber den Betriebsrat Ende Februar 2024 zu einer ordentlichen Kündigung innerhalb der Wartezeit des § 1 Abs.1 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) an. Nachdem die Angestellte daraufhin anzeigte, dass sie mit einem Grad der Behinderung von 100 schwerbehindert war, ergänzte der Arbeitgeber Anfang März 2024 die Anhörung des Betriebsrats, indem er die Schwerbehinderung mitteilte und klarstellte, dass er an seinem Kündigungsentschluss festhalte. Der Betriebsrat widersprach der Kündigung fristgemäß unter Berufung auf eine anderweitige Möglichkeit der Weiterbeschäftigung im Sinne von § 102 Abs.3 Nr.3. Dabei verwies er u.a. auf eine „freie Stelle als Allround-Sachbearbeiter(in) in der Abteilung Beratungsservice“. Die Angestellte erhob rechtzeitig Kündigungsschutzklage und klagte unter Berufung auf den Widerspruch des Betriebsrats auch auf Weiterbeschäftigung bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Kündigungsschutzantrag. Das Arbeitsgericht Hamburg wies die Kündigungsschutzklage ab, da es innerhalb der Wartezeit nicht auf die soziale Rechtfertigung der Kündigung gemäß § 1 Abs.2 KSchG ankam, da die Anhörung des Betriebsrats korrekt war, da eine Zustimmung des Integrationsamts zur Kündigung gemäß § 168 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) innerhalb der ersten sechs Monate des Arbeitsverhältnisses nicht erforderlich war (§ 173 Abs.1 Satz 1 Nr.1 SGB IX), und weil schließlich auch kein Verstoß des Arbeitgebers gegen Treu und Glauben, d.h. gegen § 242 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), vorlag. Auch den Antrag auf Weiterbeschäftigung auf der Grundlage von § 102 Abs.5 BetrVG wies das Arbeitsgericht zurück. Denn der Anspruch aus § 102 Abs.5 BetrVG setzt die Anwendbarkeit von § 1 Abs.2 KSchG voraus, so das Gericht. Dabei konnte sich das Gericht nur auf Literaturmeinungen stützen, da einschlägige Urteile zu diesem Thema bislang nicht vorhanden sind.
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