Update Arbeitsrecht 02|2025 vom 28.02.2025
Leitsatzreport
LAG Mecklenburg-Vorpommern: Auflösung des Arbeitsverhältnisses wegen nicht gerechtfertigter Vorwürfe strafbaren Verhaltens
Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 15.10.2024, 2 SLa 96/24
§§ 1, 2, 9 Kündigungsschutzgesetz (KSchG); §§ 241, 242, 626 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)
Leitsätze des Gerichts:
1. Ein Arbeitnehmer verletzt vertragliche Nebenpflichten, nämlich die dem Vertragspartner geschuldete Rücksichtnahme auf dessen Interessen (§ 241 Abs.2 BGB), wenn er im Rechtsstreit um eine Kündigung bewusst wahrheitswidrig vorträgt, weil er befürchtet, mit wahrheitsgemäßen Angaben den Prozess nicht gewinnen zu können (BAG, Urteil vom 08.11.2007 - 2 AZR 528/06 - Rn. 17, juris; BAG, Urteil vom 23.10.2014 - 2 AZR 644/13 - Rn. 16, juris).
2. Die Unwirksamkeit einer Kündigung allein macht es dem Arbeitnehmer nicht unzumutbar, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen. Es bedarf vielmehr zusätzlicher, vom Arbeitnehmer darzulegender Umstände. Auflösungsgründe können sich aus den Modalitäten der Kündigung als solcher und aus weiteren Handlungen des Arbeitgebers ergeben, die mit der Kündigung einhergehen (BAG, Urteil vom 11.07.2013 - 2 AZR 241/12 - Rn. 15, juris).
3. Äußerungen des Arbeitgebers in einem Gerichtsverfahren, die weder inhaltlich noch in der Form zu rechtfertigen sind, können einen Auflösungsgrund bieten (LAG Hamburg, Urteil vom 13.02.2013 - 5 Sa 58/12 - Rn.28, juris). Gleiches gilt dann, wenn der Arbeitgeber leichtfertig und ohne Vorhandensein objektiver Tatsachen einen Arbeitnehmer verdächtigt, eine Straftat begangen zu haben (LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 07.07.2014 - 3 Sa 98/14 - Rn. 46, juris).
Hintergrund:
Eine langjährig in einem Betrieb mit mehr als zehn Arbeitnehmern tätige Pflegedienstleiterin (PDL) erhielt im Januar 2023 jeweils zweimal eine außerordentliche und hilfsweise ordentliche Kündigung aus verhaltensbedingten Gründen. Der Hauptvorwurf lautete, dass die PDL Pflegekräfte an kostenpflichtigen Online-Fortbildungsveranstaltungen teilnehmen ließ, ohne sie dort zu melden und für sie zu zahlen. Vielmehr fertigte sie unter Verwendung des Originalzertifikats des Anbieters „Teilnahmezertifikate“ für die - faktisch kostenfrei teilnehmenden - Pflegekräfte an, die sie sodann mit dem Vermerk „Onlineseminar“ und unter Verwendung ihres eigenen Stempels abzeichnete und zum internen Gebrauch aufbewahrte. Die gegen die Kündigungen geführte Klage hatte vor dem Arbeitsgericht Rostock Erfolg (Urteil vom 28.07.2023, 3 Ca 112/23), wogegen der Arbeitgeber keine Berufung einlegte, so dass das Urteil rechtskräftig wurde. Nach Übersendung der Urteilsgründe kündigte der Arbeitgeber erneut, diesmal wegen des Vorwurfs eines angeblichen Prozessbetrugs der PDL im ersten Verfahren. Die Kündigung erklärte er, da die Zweiwochenfrist des § 626 Abs.2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) für eine fristlose Kündigung schon abgelaufen war, als ordentliche Änderungskündigung, wobei er der PDL anbot, künftig als Pflegekraft zu arbeiten. Die PDL nahm das Änderungsangebot nicht an, erhob erneut Kündigungsschutzklage und hatte damit wiederum vor dem Arbeitsgericht Rostock Erfolg (Urteil vom 16.05.2024, 3 Ca 1253/23). Auch das Landesarbeitsgericht (LAG) Mecklenburg-Vorpommern gab ihr recht. Es gab auch - anders als das Arbeitsgericht - dem Auflösungsantrag der PDL gemäß § 9 Abs.1 Satz 1 KSchG statt. Denn der Arbeitgeber hatte drei verhaltensbedingte Kündigungen mit dem Vorwurf erhoben, die PDL sei eine Straftäterin, sie habe Betrug und Urkundenfälschung begangen und im Vorprozess falsch vorgetragen. Dabei lag eine strafrechtliche Verurteilung aber nicht vor. Damit hatte der Arbeitgeber die Grenzen einer berechtigten Interessenwahrnehmung in Kündigungsschutzprozess überschritten.
Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 15.10.2024, 2 SLa 96/24
Handbuch Arbeitsrecht: Kündigung - Änderungskündigung
Handbuch Arbeitsrecht: Kündigung - Außerordentliche Kündigung
Handbuch Arbeitsrecht: Kündigung - Fristlose Kündigung
Handbuch Arbeitsrecht: Kündigung - Verhaltensbedingte Kündigung
Handbuch Arbeitsrecht: Kündigung - Verdachtskündigung
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