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Offensichtliches Fehlen der fachlichen Eignung
15.08.2016. Öffentliche Arbeitgeber sind gesetzlich verpflichtet, schwerbehinderte Stellenbewerber zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen.
Entscheiden sie sich ohne ein persönliches Gespräch für einen anderen Bewerber, ist dieser Gesetzesvorstoß ein Indiz dafür, dass der abgelehnte Bewerber wegen seiner Behinderung diskriminiert wurde.
Eine Ausnahme von der Pflicht zu Einladung macht das Gesetz nur, wenn der Bewerber "offensichtlich" fachlich ungeeignet ist, wobei es nicht auf interne Wunschvorstellungen des Arbeitgebers ankommt, sondern auf die objektiven und in der Ausschreibung genannten Stellenanforderungen.
Je ungenauer die Vorgaben in der Stellenausschreibung sind, desto schwerer wird es für den Arbeitgeber, sich später auf eine angeblich fehlende Eignung des Bewerbers zu berufen: BAG, Urteil vom 11.08.2016, 8 AZR 375/15 (Pressemeldung des Gerichts).
- Wann brauchen öffentliche Arbeitgeber kein Vorstellungsgespräch mit schwerbehinderten Bewerbern zu führen, weil ihnen die fachliche Eignung "offensichtlich" fehlt?
- Im Streit: Die Stadt Frankfurt sucht Dipl.-Ing. (FH) oder staatlich geprüften Techniker oder Handwerksmeister oder Bewerber mit einer vergleichbaren Qualifikation
- BAG: Keine Berufung der beklagten Gemeinde auf fehlende fachliche Eignung des Bewerbers
Wann brauchen öffentliche Arbeitgeber kein Vorstellungsgespräch mit schwerbehinderten Bewerbern zu führen, weil ihnen die fachliche Eignung "offensichtlich" fehlt?
Das allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) verbietet die Diskriminierung behinderter Menschen, auch und vor allem bei der Einstellung, vgl. § 1, § 2 Abs.1 Nr.1, § 7 Abs.1 und § 6 Abs.1 Satz 2 AGG. Arbeitgeber, die gegen dieses Diskriminierungsverbot verstoßen, können auf Zahlung einer Geldentschädigung verklagt werden, § 15 AGG.
Um möglichen Diskriminierungsopfern die Rechtsverfolgung zu erleichtern, sieht § 22 AGG eine Beweiserleichterung vor. Betroffene müssen vor Gericht nur Indizien (Vermutungstatsachen) für eine Diskriminierung nachweisen, woraufhin der Arbeitgeber das Gericht davon überzeugen muss, dass keine Diskriminierung vorgelegen hat.
Indizien für eine Diskriminierung sind z.B. ausgrenzende, gemäß § 11 AGG verbotene Formulierungen in Stellenausschreibungen wie "Verkäuferin" oder "deutscher Abiturient", oder auch ein Verstoß öffentlicher Arbeitgeber gegen die gesetzliche Pflicht, jeden schwerbehinderten Stellenbewerber zu einem persönlichen Vorstellungsgespräch einzuladen.
Diese Pflicht ist in § 82 Satz 2 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) festgeschrieben. Der Verzicht auf die Einladung eines schwerbehinderten Bewerbers zum Vorstellungsgespräch indiziert eine behinderungsbedingte Diskriminierung im Sinne von § 22 AGG, wenn der Bewerber später abgelehnt wird.
Im Entschädigungsprozess berufen sich Arbeitgeber dann oft auf § 82 Satz 3 SGB IX, der folgende Ausnahme enthält:
"Eine Einladung ist entbehrlich, wenn die fachliche Eignung offensichtlich fehlt."
Bei der fachlichen Eignung kommt es zum einen auf die Ausbildungs- und Prüfungsvoraussetzungen für die Stelle an, zum anderen aber auch auf die Formulierungen in der öffentlichen Stellenausschreibung.
Rein interne Auswahlkriterien spielen daher keine Rolle, wie das Bundesarbeitsgericht (BAG) bereits vor einigen Jahren klargestellt hat. Nennt der öffentliche Arbeitgeber z.B. keine Mindestnoten in seiner Stellenausschreibung, kann er nicht nachträglich bei der Sichtung der Bewerbungen eine Notenuntergrenze festlegen (BAG, Urteil vom 21.07.2009, 9 AZR 431/08, wir berichteten in Arbeitsrecht aktuell: 09/187 Vorstellungsgespräch für schwerbehinderten Bewerber).
In einem aktuellen Fall hat das BAG zu der Frage Stellung genommen, ob sich Arbeitgeber auf eher ungenaue und bewertende Vorgaben ihrer Stellenausschreibung berufen können, um einem nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladenen schwerbehinderten Bewerber die fachliche Eignung abzusprechen.
Im Streit: Die Stadt Frankfurt sucht Dipl.-Ing. (FH) oder staatlich geprüften Techniker oder Handwerksmeister oder Bewerber mit einer vergleichbaren Qualifikation
Die Stadt Frankfurt suchte Mitte 2013 für den von ihr betriebenen "Palmgarten" eine/n geeignete/n Bewerber/in, da eine leitende Stelle im Gebäudemanagement zu besetzen war. In der Stellenannonce hieß es:
„Wir erwarten: Dipl.-Ing. (FH) oder staatl. gepr. Techniker/in oder Meister/in im Gewerk Heizungs-/Sanitär-/Elektrotechnik oder vergleichbare Qualifikation; langjährige Berufs- und Führungserfahrung; …“
Ein gelernter Zentralheizungs- und Lüftungsbauer mit einem Grad der Behinderung von 50 reichte seine Bewerbungsunterlagen ein, wobei er seinen Schwerbehindertenausweis und einen ausführlichen Lebenslauf beifügte. Er konnte eine Reihe von Zusatzqualifikationen vorweisen. U.a. war er Kundendiensttechniker, Sicherheits- und Brandschutzbeauftragter und staatlich geprüfter Umweltschutztechniker. Seit 2011 absolvierte er ein Fernstudium zum Baubiologen. Außerdem hatte er acht Jahr lang als technischer Leiter und stellvertretender Betriebsleiter gearbeitet.
Die Stadt lehnte den Bewerber ohne Vorstellungsgespräch ab, woraufhin dieser drei Gehälter als Diskriminierungsentschädigung einklagte. Die Stadt berief sich auf fehlende fachliche Eignung. Denn die Ausbildung des Bewerbers zum Heizungs- und Lüftungsbauer sei nur ein kleiner Teilausschnitt des Gewerkes „Heizungs-/Sanitär-/Elektrotechnik“, und außerdem fehle ihm die geforderte Führungserfahrung.
Das Arbeitsgericht Frankfurt ließ sich von diesen Ausreden nicht beeindrucken und verurteilte die Gemeinde zur Zahlung von drei Monatsgehältern als Entschädigung für die behinderungsbedingte Diskriminierung (Urteil vom 24.04.2014, 21 Ca 8338/13). Das Hessische Landesarbeitsgericht (LAG) entschied ebenfalls pro Bewerber, kürzte die Entschädigung aber auf ein Monatsgehalt (Hessisches LAG, Urteil vom 02.06.2015, 8 Sa 1374/14).
Für beide Gerichte war der Text der Stellenausschreibung entscheidend. Denn der Bewerber konnte eine fachlich einschlägige Berufsausbildung vorweisen, und dass er weder Ingenieur noch Meister war, machten seine Zusatzqualifikationen wett. Da sich die Gemeinde laut Anzeige auch mit einer "vergleichbaren Qualifikation" zufriedengab, konnte sie dem Kläger nicht vorhalten, er sei fachlich ungeeignet.
Das galt ebenso für die geforderte "langjährige... Führungserfahrung", die dem Bewerber nach Ansicht der Gemeinde fehlte, obwohl er immerhin acht Jahre als technischer Leiter und stellvertretender Betriebsleiter tätig war.
BAG: Keine Berufung der beklagten Gemeinde auf fehlende fachliche Eignung des Bewerbers
Auch in Erfurt vor dem BAG hatte die Gemeinde kein Glück, denn das BAG wies ihre Revision zurück. In der derzeit allein vorliegenden Pressemeldung des BAG heißt es zur Begründung:
Indem die Stadt den Bewerber nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen hatte, hatte sie ein Diskriminierungsindiz geschaffen. Sie hatte daher die Vermutung gegen sich, dass der Kläger wegen seiner Schwerbehinderung vorzeitig aus dem Auswahlverfahren herausgenommen und dadurch benachteiligt wurde.
Weiterhin konnte sich die Stadt auf der Grundlage der Angaben, die der Kläger in seiner Bewerbung gemacht hatte, nicht auf dessen angeblich fehlende fachliche Eignung berufen.
Die Entscheidung des BAG ist korrekt, ebenso wie die der Vorinstanzen. Es ist für Arbeitgeber verlockend, Stellenanzeigen offen bzw. breit zu formulieren, um dadurch möglichst viele interessante Bewerbungen auf den Tisch zu bekommen. Je nach Bewerberlage kann man dann immer noch die interne Messlatte höher oder tiefer hängen. Dann aber kann man sich als öffentlicher Arbeitgeber gegenüber schwerbehinderten Bewerbern später kaum noch darauf berufen, sie seien "offenkundig" fachlich ungeeignet. So war es auch hier im Streitfall.
Fazit: Ungenaue Vorgaben in Stellenausschreibungen können dazu motivieren, dass sich Arbeitnehmer auf Positionen bewerben, für die sie sich sonst nicht interessiert hätten. Viele Bewerbungen führen aber auch zu einem erhöhten Aufwand bei der Durchsicht und Bearbeitung. Im öffentlichen Dienst sind dann öfter einmal Vorstellungsgespräche mit schwerbehinderten Bewerbern zu führen.
Nähere Informationen finden Sie hier:
- Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 11.08.2016, 8 AZR 375/15 (Pressemeldung des Gerichts)
- Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 11.08.2016, 8 AZR 375/15
- Hessisches Landesarbeitsgericht, Urteil vom 02.06.2015, 8 Sa 1374/14
- Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 21.07.2009, 9 AZR 431/08
- Handbuch Arbeitsrecht: Behinderung, Menschen mit Behinderung
- Handbuch Arbeitsrecht: Diskriminierung - Rechte Betroffener
- Handbuch Arbeitsrecht: Diskriminierungsverbote - Behinderung
- Handbuch Arbeitsrecht: Kündigungsschutz für schwerbehinderte Menschen
- Handbuch Arbeitsrecht: Schwerbehinderung, schwerbehinderter Mensch
- Arbeitsrecht aktuell: 15/339 Einstellung von Schwerbehinderten
- Arbeitsrecht aktuell: 14/328 Schwerbehinderung im Bewerbungsverfahren
- Arbeitsrecht aktuell: 13/041 Diskriminierung bei der Bewerbung wegen einer Schwerbehinderung
- Arbeitsrecht aktuell: 12/081 Diskriminierung wegen Behinderung bei der Bewerbung
- Arbeitsrecht aktuell: 12/078 Frage nach Schwerbehinderung zulässig
- Arbeitsrecht aktuell: 11/201 Diskriminierung schwerbehinderter Stellenbewerber: Verletzung der Prüfpflicht reicht als Nachweis
- Arbeitsrecht aktuell: 10/037 Vorstellungsgespräch mit schwerbehindertem Bewerber
- Arbeitsrecht aktuell: 09/187 Vorstellungsgespräch für schwerbehinderten Bewerber
Hinweis: In der Zwischenzeit, d.h. nach Erstellung dieses Artikels, hat das BAG seine Entscheidungsgründe veröffentlicht. Das vollständig begründete Urteil des BAG finden Sie hier:
Letzte Überarbeitung: 7. September 2021
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