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ARBEITSRECHT AKTUELL // 13/041

Dis­kri­mi­nie­rung bei der Be­wer­bung we­gen ei­ner Schwer­be­hin­de­rung

Ar­beit­ge­ber müs­sen Ab­sa­gen nicht im­mer be­grün­den: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Ur­teil vom 21.02.2013, 8 AZR 180/12
Auktionshammer bzw. Gerichtshammer auf Geldscheinen Bei un­zu­läs­si­gen Dis­kri­mi­nie­run­gen müs­sen Ar­beit­ge­ber zah­len
22.02.2013. Schwer­be­hin­der­te Stel­len­be­wer­ber dür­fen nicht we­gen ih­rer Be­hin­de­rung bei der Stel­len­be­set­zung be­nach­tei­ligt wer­den. Das ver­bie­ten § 1 All­ge­mei­nes Gleich­be­hand­lungs­ge­setz (AGG) und § 81 Abs.2 Neun­tes Buch So­zi­al­ge­setz­buch (SGB IX).

Da­bei ge­nügt es zum Nach­weis ei­ner Dis­kri­mi­nie­rung ge­mäß der ge­setz­li­chen Be­wei­ser­leich­te­rung des § 22 AGG, wenn der ab­ge­lehn­te Be­wer­ber Um­stän­de nach­weist, die im All­ge­mei­nen ei­ne Dis­kri­mi­nie­rung ver­mu­ten las­sen. Das kann z.B. ei­ne dis­kri­mi­nie­ren­de Stel­len­an­zei­ge sein. Dann muss der Ar­beit­ge­ber be­wei­sen, dass der Be­wer­ber nicht auf­grund sei­ner Be­hin­de­rung ab­ge­lehnt wur­de.

Da­her wird vor Ge­richt im­mer wie­der dar­über ge­strit­ten, wel­che Feh­ler beim Be­wer­bungs­ver­fah­ren ei­ne Dis­kri­mi­nie­rung ver­mu­ten las­sen. Da öf­fent­li­che Ar­beit­ge­ber ei­ne gan­ze Rei­he von An­for­de­run­gen er­fül­len müs­sen, um sich ge­gen­über ei­nem schwer­be­hin­der­ten Be­wer­ber recht­lich kor­rekt zu ver­hal­ten, gibt es vie­le mög­li­che Feh­ler, die dann auch schnell als Ver­mu­tungs­tat­sa­chen im Sin­ne des § 22 AGG ge­wer­tet wer­den kön­nen.

In ei­ner Ent­schei­dung vom gest­ri­gen Ta­ge hat das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) klar­ge­stellt, dass auch öf­fent­li­che Ar­beit­ge­ber nicht in je­dem Fall ei­ne Be­grün­dung da­für ge­ben müs­sen, war­um sie ei­nen schwer­be­hin­der­ten Stel­len­be­wer­ber nicht ein­ge­stellt ha­ben: BAG, Ur­teil vom 21.02.2013, 8 AZR 180/12.

Ist es ein In­diz für ei­ne Dis­kri­mi­nie­rung, wenn der Ar­beit­ge­ber nicht be­gründet, war­um er ei­nen schwer­be­hin­der­ten Be­wer­ber ab­ge­lehnt hat?

§ 81 Abs.1 Sätze 1 bis 3 SGB IX schreibt Ar­beit­ge­bern vor zu prüfen, ob freie Ar­beitsplätze mit Schwer­be­hin­der­ten be­setzt wer­den können. Da­zu müssen sie "frühzei­tig Ver­bin­dung mit der Agen­tur für Ar­beit auf­neh­men". Die Ar­beits­agen­tur schlägt den Ar­beit­ge­bern soll den Ar­beit­ge­bern dann ge­eig­ne­te schwer­be­hin­der­te Men­schen vor.

Außer­dem müssen Ar­beit­ge­ber dann ein­ge­hen­de Be­wer­bun­gen schwer­be­hin­der­ter Be­wer­ber zu­sam­men mit der Schwer­be­hin­der­ten­ver­tre­tung prüfen, und öffent­li­che Ar­beit­ge­ber sind so­gar darüber hin­aus ver­pflich­tet, in je­dem Fall ein Vor­stel­lungs­gespräch zu führen. Außer­dem steht in § 81 Abs.1 Satz 9 SGB IX, dass "al­le Be­tei­lig­ten" über die vom Ar­beit­ge­ber ge­trof­fe­ne Ent­schei­dung "un­ter Dar­le­gung der Gründe un­verzüglich zu un­ter­rich­ten" sind.

Dar­aus könn­te man den Schluss zie­hen, dass Ar­beit­ge­ber ge­ne­rell da­zu ver­pflich­tet sind, ab­ge­lehn­ten schwer­be­hin­der­ten Be­wer­bern ei­ne Be­gründung für die Ab­leh­nung zu­kom­men zu las­sen. Wenn ei­ne sol­che Pflicht be­steht, könn­te die be­gründungs­lo­se Ab­leh­nung ein In­diz für ei­ne Dis­kri­mi­nie­rung im Be­wer­bungs­ver­fah­ren sein.

Der Fall des BAG: Schwer­be­hin­der­te Se­kretärin wird vom Deut­schen Bun­des­tag ab­ge­lehnt - zunächst oh­ne Be­gründung

Ei­ne schwer­be­hin­der­te Be­wer­be­rin, die lan­ge Zeit beim Bun­des­präsi­di­al­amt beschäftigt war, woll­te sich von dort weg­be­wer­ben. Als die Bun­des­tags­ver­wal­tung im Som­mer 2010 ei­ne für sie pas­sen­de Stel­le aus­schrieb, be­warb sie sich un­ter Hin­weis auf ih­re Schwer­be­hin­de­rung. Da­bei be­ton­te sie aber, dass sie be­last­bar und voll­zei­tig ein­setz­bar sei.

Nach­dem die Bun­des­tags­ver­wal­tung ein Vor­stel­lungs­gespräch durch­geführt hat­te, er­hielt sie ei­ne Ab­leh­nung. Die­se war zunächst nicht be­gründet. Dies be­we­re­te­te die Be­wer­be­rin als In­diz für ei­ne Dis­kri­mi­nie­rung und ver­lang­te ei­ne Gel­dentschädi­gung. Die­se lehn­te die Bun­des­tags­ver­wal­tung ab und ver­wies dar­auf, dass sie beim Vor­stel­lungs­gespräch kei­nen über­zeu­gen­den Ein­druck ge­macht hätte. Außer­dem sei der Ar­beit­ge­ber nicht da­zu ver­pflich­tet, Auskünf­te zu Per­son und Qua­li­fi­ka­ti­on des er­folg­rei­chen Be­wer­bers zu ma­chen.

Das mit dem Fall be­fass­te Ar­beits­ge­richt Ber­lin (Ur­teil vom 19.05.2011, 59 Ca 19231/10 ) und auch das für die Be­ru­fung zuständi­ge Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Ber­lin-Bran­den­burg ent­schie­den ge­gen die Se­kretärin (LAG Ber­lin-Bran­den­burg, Ur­teil vom 20.12.2011, 3 Sa 1505/11).

BAG: Auch öffent­li­che Ar­beit­ge­ber müssen schwer­be­hin­der­ten Be­wer­bern nicht im­mer ei­ne Be­gründung für die Ab­sa­ge lie­fern

Auch das BAG ent­schied ge­gen die Se­kretärin. So­weit dies der der­zeit al­lein vor­lie­gen­den BAG-Pres­se­mel­dung zu ent­neh­men ist, stützt sich das BAG da­bei auf fol­gen­de Über­le­gung:

Zwar hat die Bun­des­tags­ver­wal­tung die Gründe für die Ab­leh­nung der Be­wer­be­rin zunächst ein­mal nicht dar­ge­legt. Das ist für sich al­lein ge­nom­men al­ler­dings noch kein In­diz für ei­ne Dis­kri­mi­nie­rung. Denn zu ei­ner Be­gründung der Ab­leh­nung gemäß § 81 Abs.1 Satz 9 SGB IX sind Ar­beit­ge­ber nur ver­pflich­tet, wenn sie die ih­re ge­setz­li­che Pflicht zur Beschäfti­gung von schwer­be­hin­der­ten Men­schen nicht hin­rei­chend nach § 71 SGB IX erfüllen.

Über die­se Fra­ge war im Pro­zess zwar ge­strit­ten wor­den, doch hat­te die die Kläge­rin an die­ser Stel­le kei­ne aus­rei­chen­den Be­le­ge dafür an­geführt, dass der Bun­des­tag zu we­nig Schwer­be­hin­der­te beschäftigt. Da auch der Ab­lauf des Vor­stel­lungs­gespräches ei­nen Schluss auf ei­ne Dis­kri­mi­nie­rung nicht zu­ließ, so das BAG, war die Kla­ge ab­zu­wei­sen.

In der ak­tu­el­len ar­beits­recht­li­chen Dis­kus­si­on sind ei­ni­ge Au­to­ren der An­sicht, dass die "Ver­wei­ge­rung" von In­for­ma­tio­nen über die Hin­ter­gründe ei­ner Be­wer­be­ra­b­leh­nung von den Ge­rich­ten im­mer als Dis­kri­mi­nie­rungs­in­diz be­wer­tet wer­den soll­te. Ei­ne sol­che Rich­tung der Rechts­an­wen­dung hat der Eu­ropäische Ge­richts­hof (EuGH) zwar mit sei­nem Ur­teil vom 19.04.2012, C-415/10 (Meis­ter) na­he­ge­legt (wir be­rich­te­ten darüber in: Ar­beits­recht ak­tu­ell: 12/160 Aus­kunfts­an­spruch des ab­ge­lehn­ten Stel­len­be­wer­bers?). Al­ler­dings ist die­ses EuGH-Ur­teil wi­dersprüchlich und da­mit letzt­lich un­klar. Mit sei­nem ak­tu­el­len Ur­teil vom 22.02.2013 hat das BAG si­gna­li­siert, dass es das The­ma "Ver­wei­ge­rung von In­for­ma­tio­nen über das Be­wer­bungs­ver­fah­ren" künf­tig wohl nicht so hoch hängen wird.

Fa­zit: Aus § 81 Abs.1 Satz 9 SGB IX kann man nicht den Schluss zie­hen, dass schwer­be­hin­der­te Be­wer­ber ge­ne­rell ei­nen An­spruch dar­auf ha­ben, dass der Ar­beit­ge­ber es ih­nen ge­genüber be­gründet, wenn er ei­nen an­de­ren Be­wer­ber ein­stellt. Dem­zu­fol­ge stellt es auch kein In­diz für ei­ne Dis­kri­mi­nie­rung dar, wenn ei­ne sol­che Be­gründung "nicht ge­lie­fert" wird.

Nähe­re In­for­ma­tio­nen fin­den Sie hier:

Hin­weis: In der Zwi­schen­zeit, d.h. nach Er­stel­lung die­ses Ar­ti­kels, hat das BAG sei­ne Ent­schei­dungs­gründe veröffent­licht. Das vollständig be­gründe­te Ur­teil des BAG fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 16. November 2020

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