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ARBEITSRECHT
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ENTSCHEIDUNGSREPORT FÜR DIE BETRIEBLICHE PRAXIS 17|2024

Update Arbeitsrecht 17|2024 vom 30.11.2024

Entscheidungsbesprechungen

BAG: Schadensersatz wegen unzulässiger Verarbeitung von Gesundheitsdaten

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 25.07.2024, 8 AZR 225/23

Überwacht eine vom Arbeitgeber beauftragte Detektei einen krankgeschriebenen Arbeitnehmer und dokumentiert dessen sichtbaren Gesundheitszustand, handelt es sich um die Verarbeitung von Gesundheitsdaten im Sinne der DS-GVO.

Art.4 Nr.4, Nr.15; Art.9 Abs.1, Abs.2 Buchst. b); Art.82 Abs.1 Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO); Art.1 Abs.1; Art.2 Abs.1 Grundgesetz (GG); § 275 Abs.1a Satz 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V); § 26 Abs.3 Satz 1 Bundesdatenschutzgesetz (BDSG)

Rechtlicher Hintergrund

Jede Person, die wegen eines Verstoßes gegen die Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO) einen materiellen oder immateriellen Schaden erlitten hat, kann gemäß Art.82 Abs.1 DS-GVO Schadensersatz von dem Verantwortlichen verlangen. 

Zu den Verantwortlichen gehören auch Arbeitgeber. Denn sie müssen über die Zwecke und Mittel der Verarbeitung der personenbezogenen Daten ihrer Beschäftigten entscheiden und erfüllen damit die Definition des „Verantwortlichen“ im Sinne von Art.4 Nr.7 DSGVO. Ohne Erhebung, Speicherung und Löschung von Arbeitnehmerdaten durch den Arbeitgeber ist die Durchführung eines Arbeitsverhältnisses nämlich nicht möglich.

Im Zusammenhang mit Krankheitsfällen müssen Arbeitgeber auch Gesundheitsdaten im Sinne von Art.9 Abs.1 und Art.4 Nr.15 DS-GVO verarbeiten, was nur unter engen Voraussetzungen rechtmäßig ist. Gemäß Art.9 Abs.2 Buchst. b) DS-GVO und § 26 Abs.3 Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) ist dies u.a. der Fall, wenn die Gesundheitsdaten zur Ausübung von arbeitsrechtlichen Rechten erforderlich ist.

Eine solche Ausübung von Rechten kann auch darin liegen, dass Arbeitgeber Gesundheitsdaten eines Arbeitnehmers verarbeiten, um Zweifel an einer von ihm behaupteten Arbeitsunfähigkeit zu beseitigen. Gehen Arbeitgeber dabei zu weit, können sie gemäß Art.82 Abs.1 DS-GVO schadensersatzpflichtig sein.

Zu den Voraussetzungen dieser Ersatzpflicht hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) in den vergangenen Jahren mit einigen wichtigen Urteilen Stellung genommen. 

So ist mittlerweile geklärt, dass es für einen immateriellen Schaden im Sinne dieser Vorschrift nicht erforderlich ist, dass er eine gewisse (Mindest-)Erheblichkeit hat (EuGH, Urteil vom 04.05.2023, C-300/21, Rn.51 - Österreichische Post; s. dazu Update Arbeitsrecht 14|2023). 

Daher kann auch das negative Gefühl des Betroffenen, durch einen Datenschutzverstoß die Kontrolle über seine Daten verloren zu haben, ein immaterieller „Schaden“ sein. Dieser ist allerdings konkret darzulegen. Der bloße Verstoß gegen die DS-GVO reicht als solcher nicht für einen Ersatzanspruch gemäß Art.82 Abs.1 DS-GVO aus (EuGH, Urteil vom 04.05.2023, C-300/21, Rn.32, 42 - Österreichische Post).

Außerdem hat der EuGH klargestellt, dass Art.82 Abs.1 DS-GVO nur den Schaden (vollständig) ausgleichen soll, aber keine Abschreckungs- oder Straffunktion erfüllt (EuGH, Urteil vom 21.12.2023, C‑667/21, Rn.86, 87 - Krankenversicherung Nordrhein; EuGH, Urteil vom 25.01.2024, C-687/21, Rn.48, 50 - Media Markt).

Vor dem Hintergrund dieser aktuellen EuGH-Rechtsprechung musste das Bundesarbeitsgericht (BAG) vor kurzem über einen Fall entscheiden, in dem es um Schadensersatz wegen unrechtmäßiger Überwachung eines Arbeitnehmers durch eine vom Arbeitgeber beauftragte Detektei ging.

Sachverhalt

Ein Unternehmen lag mit seinem seit September 2009 bei ihm tätigen Vertriebsleiter jahrelang im Streit und hatte ihn 2017 ordentlich gekündigt, wogegen sich der Vertriebsleiter erfolgreich mit einer Kündigungsschutzklage gewehrt hatte.

Die gegen eine Änderungskündigung 2021 geführte Änderungsschutzklage ging dagegen zugunsten des Arbeitgebers aus. Daher musste der Angestellte im Januar 2022 seine - nunmehr zu seinen Ungunsten geänderte - Arbeit wieder aufnehmen.

Im weiteren Verlauf stritten die Parteien über die Frage, ob das Unternehmen dem Angestellten eine dem Vertrag entsprechende Arbeit zuwies. Der Angestellte klagte auf vertragsgemäße Beschäftigung.

Am 04.02.2022 meldete er sich bis zum 04.03.2022 arbeitsunfähig krank. Das nahm der Arbeitgeber zum Anlass, um eine Detektei einzuschalten. 

Sie beobachtete den Angestellten gut eine Woche lang, um herauszufinden, ob es vielleicht Anhaltspunkte für das Vortäuschen einer Arbeitsunfähigkeit gab.

Dabei beschrieb die Detektei u.a. den Gang des Angestellten, der in einer Situation sein linkes Bein nachzog, und fertigte Fotografien an.
Im März 2022 sprach der Arbeitgeber eine fristlose Kündigung wegen des Verdachts des Vortäuschens einer Arbeitsunfähigkeit aus. 

Das Arbeitsgericht gab der Kündigungsschutzklage statt, wies aber die Klage auf eine Entschädigung von 25.000,00 EUR wegen der Detektiv-Überwachung ab (Arbeitsgericht Krefeld, Urteil vom 17.11.2022, 4 Ca 566/22). 

Das Landesarbeitsgericht (LAG) Düsseldorf wies die Berufung des Arbeitgebers zurück und verurteilte ihn auf die Berufung des Angestellten hin zu einer Entschädigung von 1.500,00 EUR wegen der unrechtmäßigen Überwachung (LAG Düsseldorf, Urteil vom  26.04.2023, 12 Sa 18/23, s. dazu Update Arbeitsrecht 21|2023).

Entscheidung des BAG

Das BAG bestätigte das LAG-Urteil und wies die weitergehende Revision des Angestellten, der an seiner Forderung von 25.000,00 EUR wegen der Überwachung festhielt, ab.

Er hatte zwar einen Anspruch aus Art.82 Abs.1 DS-GVO, doch hatte das LAG die Höhe des Schadensersatzes in vertretbarer Weise mit 1.500,00 EUR festgesetzt.

Im Streitfall wurde durch die Detektei der sichtbare Gesundheitszustand des Angestellten dokumentiert, u.a. sein Gang. Damit wurden Gesundheitsdaten im Sinne von Art.9 Abs.1 und Art.4 Nr.15 DS-GVO verarbeitet. Diese Verarbeitung müsste daher gemäß Art.9 Abs.2 Buchst. b) DS-GVO und gemäß §§ 26 Abs.3; 22 Abs.2 BDSG gerechtfertigt sein.

Dies war hier nicht der Fall, da die Observation durch eine Detektei nicht erforderlich war. Aufgrund der Umstände des Streitfalls war der Beweiswert der vom Angestellten vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen über seine Arbeitsunfähigkeit nämlich vor Beauftragung der Detektei nicht erschüttert.

Der Angestellte hatte durch die rechtswidrige Observation bzw. Verarbeitung von Gesundheitsdaten auch einen Schaden erlitten. Er bestand in dem erlittenen Kontrollverlust und im Verlust der Sicherheit vor Beobachtung im privaten Umfeld.

Die Höhe des vom LAG ausgeurteilten Schadensersatzes von 1.500,00 EUR war schließlich ebenfalls in Ordnung, so das BAG unter Hinweis auf die aktuelle EuGH-Rechtsprechung, der zufolge der Schadensersatz gemäß Art.82 Abs.1 DS-GVO keine Abschreckungs- oder Straffunktion hat.

Praxishinweis

Die von deutschen Gerichten wegen Verletzungen des Persönlichkeitsrechts, hier in Form einer Verletzung der Privatsphäre und des Rechts am eigenen Bild, ausgeurteilten Entschädigungen sind und bleiben sehr gering. 

Mit solchen Mini-Entschädigungen ist künftig auch im Bereich des DS-GVO-Schadensersatzanspruchs gemäß Art.82 Abs.1 DS-GVO zu rechnen. Für Betroffene lohnt es daher meist kaum, Schadensersatz- bzw. Entschädigungsklagen anzustrengen.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 25.07.2024, 8 AZR 225/23

Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Urteil vom  26.04.2023, 12 Sa 18/23

Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 25.01.2024, C-687/21 (Media Markt)

Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 21.12.2023, C-667/21 (Krankenversicherung Nordrhein)

Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 14.12.2023, C-340/21 (Natsionalna agentsia)

Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 04.05.2023, C-300/21 (Österreichische Post)

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 05.05.2022, 2 AZR 363/21 

 

Handbuch Arbeitsrecht: Datenschutz im Arbeitsrecht

Handbuch Arbeitsrecht: Haftung des Arbeitgebers

Handbuch Arbeitsrecht: Krankheit

Handbuch Arbeitsrecht: Kündigung - Verdachtskündigung

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