Update Arbeitsrecht 21|2023 vom 18.10.2023
Entscheidungsbesprechungen
LAG Düsseldorf: Geldentschädigung für rechtswidrige Überwachung eines Arbeitnehmers mit Hilfe einer Detektei
Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Urteil vom 26.04.2023, 12 Sa 18/23
Die rechtswidrige und heimliche Überwachung und Ablichtung eines Arbeitnehmers durch eine vom Arbeitgeber beauftragte Detektei führt zu einem ersatzfähigen immateriellen Schaden im Sinne von Art.82 Abs.1 DSGVO.
Art.4, 5, 6, 9, 82, 88 Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO); § 26 Abs.1 Bundesdatenschutzgesetz (BDSG); § 102 Abs.1 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG); § 287 Zivilprozessordnung (ZPO)
Rechtlicher Hintergrund
Gemäß Art.82 Abs.1 Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO) hat jede (natürliche) Person, der wegen eines Verstoßes gegen die DS-GVO ein materieller oder immaterieller Schaden entstanden ist, Anspruch auf Schadensersatz gegen den Verantwortlichen oder den Auftragsverarbeiter.
Zu dieser Entschädigungsvorschrift hatte der Europäische Gerichtshof (EuGH) im Mai dieses Jahres entschieden, dass der bloße Verstoß gegen Vorschriften der DS-GVO als solcher noch nicht ausreicht, um einen Schadenersatzanspruch zu begründen.
Vielmehr müssen Anspruchsteller nachweisen, dass sie infolge eines zu ihren Lasten gehenden Verstoßes gegen die DS-GVO einen Schaden erlitten haben (EuGH, Urteil vom 04.05.2023, C-300/21, s. dazu Update Arbeitsrecht 14|2023). Wer lediglich eine vorübergehende gefühlsmäßige Beeinträchtigung erlitten hat, kann keinen Schadensersatz verlangen.
Allerdings hat der EuGH in diesem Urteil weiterhin klargestellt, dass auch geringfügige Schäden einen Schadenersatzanspruch nach sich ziehen. Es ist nicht erforderlich, dass der Schaden, den eine betroffene Person durch einen DS-GVO-Verstoß erlitten hat, einen bestimmten Grad an Erheblichkeit erreicht hat.
Vor dem Hintergrund dieser EuGH-Entscheidung fragt sich, wie die rechtswidrige Überwachung eines Arbeitnehmers durch einen Detektiv zu bewerten ist, wenn der Detektiv den Arbeitnehmer auf öffentlichen Wegen und Plätzen für etwa eine Woche überwacht und dabei Fotoaufnahmen des Arbeitnehmers anfertigt.
Genügt eine solche Überwachung, um dem Arbeitnehmer einen Schadensersatzanspruch zu verschaffen, und falls ja, wie hoch ist dieser Anspruch zu bemessen? Zu diesen Fragen musste vor kurzem das Landesarbeitsgericht (LAG) Düsseldorf Stellung nehmen (LAG Düsseldorf, Urteil vom 26.04.2023, 12 Sa 18/23).
Sachverhalt
Ein Unternehmen mit etwa 280 Arbeitnehmern hatte seinen 1957 geborenen und seit September 2009 bei ihm angestellten Vertriebsleiter im Juni 2017 ordentlich gekündigt.
Das deswegen über zwei Instanzen geführte Kündigungsschutzverfahren konnte der Angestellte im Februar rechtskräftig für sich entscheiden. Trotzdem wurde er für ein weiteres Jahr unter Fortzahlung der Vergütung von der Arbeit freigestellt.
Ein im März 2020 anberaumtes Gespräch über eine anderweitige Stelle sagte der Angestellte unter Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ab. Im Oktober 2020 kündigte der Arbeitgeber erneut, hatte damit aber wiederum vor Gericht keinen Erfolg.
Eine weitere Kündigung des Arbeitgebers folgte im Juli 2021, diesmal in Form einer Änderungskündigung, die der Angestellte unter Vorbehalt annahm und Änderungsschutzklage einreichte. Diesmal konnte sich der Arbeitgeber vor Gericht durchsetzen, so dass der Angestellte im Januar 2022 seine (geänderte) Arbeit wieder aufnehmen musste.
Kurz darauf kam es zum Streit über die Frage, ob der Arbeitgeber dem Angestellten vertragsgemäße Aufgaben zuwies, und zu einer erneuten Klage, diesmal auf vertragsgemäße Beschäftigung. Am 04.02.2022 meldete sich der Angestellte krank.
Der Arbeitgeber schaltete daraufhin eine Detektei ein, die den Angestellten gut eine Woche beobachtete, um herauszufinden, ob es Anhaltspunkte für das Vortäuschen einer Arbeitsunfähigkeit gebe.
Anfang März 2022 befragte der Arbeitgeber den Angestellten zu dem Verdacht des Vortäuschens einer Arbeitsunfähigkeit und sprach sodann nach Anhörung des Betriebsrats eine fristlose Kündigung aus.
Die dagegen gerichtete Kündigungsschutzklage hatte vor dem Arbeitsgericht Erfolg, wohingegen das Gericht die Klage auf eine Entschädigung von 25.000,00 EUR wegen der Detektiv-Überwachung abwies (Arbeitsgericht Krefeld, Urteil vom 17.11.2022, 4 Ca 566/22).
Entscheidung des LAG Düsseldorf
Das LAG Hamm wies die Berufung des Arbeitgebers zurück, denn die Kündigung war bereits wegen fehlerhafter Anhörung des Betriebsrats gemäß § 102 Abs.1 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) unwirksam.
Dagegen hatte die Berufung des Angestellten Erfolg, allerdings nur in einem sehr geringen Umfang. Von den 25.000,00 EUR Geldentschädigung, die der Angestellte vor dem Arbeitsgericht und dem LAG eingeklagt hatte, sprach ihm das LAG lediglich 1.500,00 EUR zu.
Die Überwachung durch das Detektivbüro war durch keinen sachlichen Anlass gerechtfertigt und in jedem Fall unverhältnismäßig, so das LAG. Denn es gab keine Anhaltspunkte dafür, dass der sog. Beweiswert der vom Angestellten vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen erschüttert war.
Daher hatte der Angestellte dem Grunde nach einen Schadensersatzanspruch. Denn die rechtswidrige Überwachung durch einen Detektiv führ zu einem Schaden, d.h. hier liegt keine bloß gefühlsmäßige Beeinträchtigung im Sinne des o.g. EuGH-Urteils vor.
Allerdings hatte das Detektivbüro den Angestellten überwiegend, wenn auch nicht ausschließlich im öffentlichen Raum beobachtet und fotografiert. Die Detektei fertigte auch keine Videos an, sondern nur Fotografien. Als erschwerend bewertete das Gericht, dass der Angestellte auch auf der (öffentlich einsehbaren) Terrasse seines Hauses beobachtet worden war. Unter Berücksichtigung aller Umstände der hier vorgenommenen einwöchigen Observation hielt das LAG eine Geldentschädigung von 1.500,00 EUR für angemessen.
Praxishinweis
Die ausgeurteilte geringfügige Entschädigung entspricht der deutschen Rechtsprechungstradition und ist für Betroffene schwer zu akzeptieren. Aus Arbeitgebersicht ist ein solcher Rechtsbruch dagegen finanziell geradezu „günstig“.
Auch wenn es stimmt, dass Geldentschädigungen wegen Verletzungen des Persönlichkeitsrechts nicht in Monatsgehältern zu bemessen sind, besteht im Ergebnis doch ein Missverhältnis zwischen der hier zugesprochenen Kompensation für die (rechtswidrige!) Überwachung und dem Monatsgehalt des Angestellten. Dieses betrug im Durchschnitt 12.839,83 EUR brutto.
Bei einem solchen Gehalt kann eine unwirksame Kündigung bereits nach einigen Monaten zu einem Verzugslohnschaden von 50.000,00 EUR und mehr führen, wohingegen eine Persönlichkeitsverletzung durch eine illegale Überwachung für einen kleinen Bruchteil dieses finanziellen Risikos bereits „zu haben“ ist. Eine - vom LAG behauptete - abschreckende Wirkung haben solche Mini-Entschädigungen daher nicht.
Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Urteil vom 26.04.2023, 12 Sa 18/23
Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 04.05.2023, C-300/21 (UI gg. Österreichische Post AG)
Handbuch Arbeitsrecht: Datenschutz im Arbeitsrecht
Handbuch Arbeitsrecht: Haftung des Arbeitgebers
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