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ARBEITSRECHT AKTUELL // 12/243

Falschaus­kunft als In­diz für Dis­kri­mi­nie­rung

Fal­sche Be­grün­dun­gen für die Nicht­ver­län­ge­rung ei­nes Zeit­ver­trags kön­nen ein Dis­kri­mi­nie­rungs­in­diz sein: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Ur­teil vom 21.06.2012, 8 AZR 364/11
Wie be­legt man ei­ne Dis­kri­mi­nie­rung we­gen der eth­ni­schen Her­kunft?

22.06.2012. Ar­beit­neh­mer und Stel­len­be­wer­ber dür­fen nicht we­gen ih­rer eth­ni­schen Her­kunft oder aus ras­sis­ti­schen Grün­den dis­kri­mi­niert wer­den (§§ 1, 7 All­ge­mei­nes Gleich­be­hand­lungs­ge­setz - AGG). Ge­schieht dies trotz­dem, kön­nen be­trof­fe­ne Ar­beit­neh­mer Scha­dens­er­satz und ei­ne Ent­schä­di­gung for­dern (§ 15 AGG).

Da Ar­beit­ge­ber Dis­kri­mi­nie­run­gen prak­tisch nie zu­ge­ben und weil dis­kri­mi­nie­ren­de Mo­ti­ve au­ßer­dem nur schwer nach­zu­wei­sen sind, kön­nen (po­ten­ti­el­le) Dis­kri­mi­nie­rungs­op­fer ei­ne ge­setz­li­che Be­wei­ser­leich­te­rung in An­spruch neh­men. An­statt dis­kri­mi­nie­ren­de Ar­beit­ge­ber­ab­sich­ten be­wei­sen zu müs­sen, kön­nen sie sich auf den Be­weis von Hilfs­tat­sa­chen ("In­di­zi­en") be­schrän­ken, die ei­ne Dis­kri­mi­nie­rung ver­mu­ten las­sen (§ 22 AGG). Dann muss der Ar­beit­ge­ber die - zu ver­mu­ten­de - Dis­kri­mi­nie­rung wi­der­le­gen.

Auf­grund die­ser ge­setz­li­chen Re­ge­lung wird im­mer wie­der dar­über ge­strit­ten, was als Dis­kri­mi­nie­rungs­in­diz an­zu­se­hen ist und was nicht. In ei­nem Ur­teil vom gest­ri­gen Tag hat das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) klar­ge­stellt, dass das blo­ße Schwei­gen des Ar­beit­ge­bers dar­über, aus wel­chen Grün­den er ei­nen be­fris­te­ten Ver­trag nicht ver­län­gert will, nicht als Dis­kri­mi­nie­rungs­in­diz an­zu­se­hen ist. Al­ler­dings kann ei­ne nach­weis­li­che Falschaus­kunft über die Ab­leh­nungs­grün­de ein Dis­kri­mi­nie­rung ver­mu­ten las­sen, d.h. ein Dis­kri­mi­nie­rungs­in­diz sein: BAG, Ur­teil vom 21.06.2012, 8 AZR 364/11.

Wie kann man ei­ne Dis­kri­mi­nie­rung durch Nicht­verlänge­rung ei­nes be­fris­te­ten Ar­beits­ver­trags nach­wei­sen?

Ab­ge­lehn­te Stel­len­be­wer­ber können selbst dann, wenn sie die in der Aus­schrei­bung ge­nann­ten Ein­stel­lungs­vor­aus­set­zun­gen erfüllen, nicht ver­lan­gen, dass ih­nen der Ar­beit­ge­ber ei­ne Be­gründung für die Ab­leh­nung lie­fert. Ab­ge­lehn­te Stel­len­be­wer­ber ha­ben hier kei­nen Aus­kunfts­an­spruch.

Hüllt sich der Ar­beit­ge­ber aber in Schwei­gen und macht da­mit von sei­nem "gu­ten Recht" Ge­brauch, kann sein Schwei­gen al­ler­dings ein In­diz für ei­ne Dis­kri­mi­nie­rung des Stel­len­be­wer­bers sein. Die­se ziem­lich wi­dersprüchli­che und da­her un­kla­re Rechts­la­ge er­gibt sich aus zwei Ur­tei­len des Eu­ropäischen Ge­richts­hofs (EuGH), nämlich aus dem Ur­teil in Sa­chen Kel­ly (EuGH, Ur­teil vom 21.07.2011, C-104/10 - Kel­ly) und aus dem Ur­teil in Sa­chen Meis­ter (EuGH, Ur­teil vom 19.04.2012, C-415/10 - Meis­ter).

Bis­lang gibt es kei­ne Ur­tei­le, aus de­nen man ent­neh­men kann, wie die deut­schen Ar­beits­ge­rich­te mit die­sen Vor­ga­ben des EuGH um­ge­hen wer­den. Mögli­cher­wei­se wer­den die Ge­rich­te ver­su­chen, die Be­deu­tung der o.g. bei­den Ur­tei­le des EuGH her­ab­zu­spie­len, da der EuGH ja im­mer­hin be­tont hat, dass die "Ver­wei­ge­rung" von Auskünf­ten über die Gründe für ei­ne Be­wer­be­ra­b­leh­nung im­mer nur zu­sam­men mit an­de­ren Dis­kri­mi­nie­rungs­in­di­zi­en ei­ne Rol­le spie­len kann.

In die­se Rich­tung geht das gest­ri­ge Ur­teil des BAG, in dem es auch um die Ver­wei­ge­rung ei­ner Aus­kunft durch den Ar­beit­ge­ber ging, al­ler­dings be­zo­gen auf sei­ne Ent­schei­dung, ei­nen be­fris­te­ten Ver­trag nicht zu verlängern (Bun­des­ar­beits­ge­richt, Ur­teil vom 21.06.2012, 8 AZR 364/11).

BAG: Ei­ne fal­sche Aus­kunft über die Gründe für die Nicht­verlänge­rung ei­nes Zeit­ver­trags kann ein Dis­kri­mi­nie­rungs­in­diz sein

Im Streit­fall ging es um ei­ne türkischstämmi­ge Ver­wal­tungs­an­ge­stell­te, die auf der Grund­la­ge von zwei be­fris­te­ten Ar­beits­verträgen ins­ge­samt zwei Jah­re lang beschäftigt war, zunächst vom 01.02.2008 bis zum 31.12.2008 und so­dann vom 01.01.2009 bis zum 31.01.2010. Im Sep­tem­ber 2009 teil­te der Ar­beit­ge­ber der An­ge­stell­ten mit, ei­ne Verlänge­rung oder Ent­fris­tung ab Fe­bru­ar 2010 wer­de es nicht ge­ben. Dar­auf­hin bat die An­ge­stell­te mit ei­nem An­walts­schrei­ben vom No­vem­ber 2009 um Erläute­rung der Gründe für die­se Ent­schei­dung und mach­te zu­gleich Scha­dens­er­satz und Entschädi­gung nach § 15 AGG gel­tend.

Mit an­walt­li­chem Ant­wort­schrei­ben vom Ja­nu­ar 2010 teil­te der Ar­beit­ge­ber mit: "Un­se­re Man­dant­schaft hat sich da­zu ent­schlos­sen, das Ar­beits­verhält­nis Ih­rer Man­dan­tin nach dem Ab­lauf der zeit­li­chen Be­fris­tung am 31. Ja­nu­ar 2010 nicht wei­ter fort­zu­set­zen. Hier­zu be­darf es kei­ner Be­gründung. Ent­ge­gen der Auf­fas­sung Ih­rer Man­dan­tin liegt kein In­diz für ei­ne Be­nach­tei­li­gung we­gen ih­rer "eth­ni­schen Her­kunft" vor."

Die Ar­beit­neh­me­rin klag­te auf Scha­dens­er­satz und Entschädi­gung und be­wer­te­te die Ab­leh­nung ei­ner wei­te­ren Beschäfti­gung als Dis­kri­mi­nie­rung we­gen ih­rer eth­ni­schen Her­kunft. Im­mer­hin hat­te der Ar­beit­ge­ber En­de Ja­nu­ar 2010 ein über­durch­schnitt­lich gu­tes Ar­beits­zeug­nis er­teilt. Nach­dem das Ar­beits­ge­richt Mainz die Kla­ge ab­ge­wie­sen hat­te (Ur­teil vom 14.07.2010, 1 Ca 218/10) gab das Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Rhein­land-Pfalz ihr statt, weil es ei­ne Dis­kri­mi­nie­rung als ge­ge­ben an­sah (LAG Rhein­land-Pfalz, Ur­teil vom 25.03.2011, 9 Sa 678/10). Ein we­sent­li­ches Dis­kri­mi­nie­rungs­in­diz war für das LAG, dass der Ar­beit­ge­ber der An­ge­stell­ten trotz Auf­for­de­rung kei­ne Aus­kunft über die Gründe er­teilt hat­te, die für die Nichtüber­nah­me in ein un­be­fris­te­tes Ar­beits­verhält­nis maßgeb­lich wa­ren (wir be­rich­te­ten in: Ar­beits­recht ak­tu­ell 11/142: Dis­kri­mi­nie­rung bei Ver­trags­verlänge­rung we­gen der eth­ni­schen Her­kunft).

Die­se Be­gründung mach­te das BAG nicht mit und hob da­her das LAG-Ur­teil auf, da­mit der Fall dort wei­ter ver­han­delt wer­den kann. Das LAG wird da­bei auf­zuklären ha­ben, so das BAG, ob die Ar­beit­ge­ber-Auskünf­te über die Gründe für die Nicht­verlänge­rung des Ar­beits­verhält­nis­ses "mögli­cher­wei­se falsch wa­ren oder im Wi­der­spruch zu dem sons­ti­gen Ver­hal­ten" des Ar­beit­ge­bers stan­den. Mögli­cher­wei­se war ja auch das po­si­ti­ve Zeug­nis falsch - oder aber um­ge­kehrt die im Pro­zess vor­ge­brach­te Be­gründung, ei­ne Ent­fris­tung sei we­gen der Leis­tungsmängel der An­ge­stell­ten nicht möglich ge­we­sen.

Fa­zit: Eben­so wie ab­ge­lehn­te Stel­len­be­wer­ber kei­nen An­spruch auf Aus­kunft über die Ab­leh­nungs­gründe ha­ben, muss der Ar­beit­ge­ber es auch nicht be­gründen, wenn er in ei­nem lau­fen­den Ar­beits­verhält­nis zu ei­ner Ver­trags­verlänge­rung nicht be­reit ist. An­ders als es die o.g. bei­den EuGH-Ur­tei­le na­he­le­gen (Ur­teil vom 21.07.2011, C-104/10 - Kel­ly, Ur­teil vom 19.04.2012, C-415/10 - Meis­ter) ist auch ei­ne schlich­te Aus­kunfts­ver­wei­ge­rung kein Dis­kri­mi­nie­rungs­in­diz. Al­ler­dings kann ei­ne Falschaus­kunft ein An­zei­chen dafür sein, dass die Ab­leh­nung ei­ner wei­te­ren Ver­trags­verlänge­rung auf dis­kri­mi­nie­ren­den Mo­ti­ven be­ruht. Dann al­ler­dings muss der Ar­beit­ge­ber nicht nur schwei­gen, son­dern un­wahr re­den, und das muss der Ar­beit­neh­mer be­wei­sen.

Nähe­re In­for­ma­tio­nen fin­den Sie hier:

Hin­weis: In der Zwi­schen­zeit, d.h. nach Er­stel­lung die­ses Ar­ti­kels, hat das BAG sei­ne Ent­schei­dungs­gründe veröffent­licht. Das vollständig be­gründe­te Ur­teil des BAG fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 15. Dezember 2017

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