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ARBEITSRECHT
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ENTSCHEIDUNGSREPORT FÜR DIE BETRIEBLICHE PRAXIS 13|2024

Update Arbeitsrecht 13|2024 vom 29.07.2024

Leitsatzreport

LAG Düsseldorf: Bei der Sozialauswahl kommt es allein auf das Ergebnis an

Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Urteil vom 09.01.2024, 3 Sa 687/23

§ 1 Abs.3 Kündigungsschutzgesetz (KSchG); § 113 Satz 2 Insolvenzordnung (InsO)

Leitsätze des Gerichts:

1. Wird bei einer Betriebsstilllegung ein sogenanntes Abwicklungsteam gebildet und über den Stilllegungstermin und den Kündigungstermin aller anderen betriebsbedingt gekündigten Arbeitnehmer hinaus mit Abwicklungsarbeiten weiterbeschäftigt (hier: für drei weitere Monate), sind die Arbeitnehmer des Abwicklungsteams - soweit keine Ausnahmen nach § 1 Abs.3 Satz 2 KSchG begründet sind - im Rahmen einer Sozialauswahl zu bestimmen. 

2. Der Arbeitgeber ist bis zur Grenze der Willkür bei der Bestimmung des Anforderungsprofils der (vorübergehend) fortbestehenden Abwicklungsarbeitsplätze frei. Er muss im Kündigungsschutzprozess aber darlegen, nach welchen Kriterien er dieses festgelegt hat. Lässt sich seinem Vorbringen durch zwei Gerichtsinstanzen hindurch kein Anforderungsprofil der Abwicklungsarbeitsplätze entnehmen und bildet er zugleich bei 596 betroffenen Mitarbeitern mehr als 80 Vergleichsgruppen allein nach deren bisheriger, infolge vollzogener Produktionseinstellung bereits weggefallener Tätigkeit, erweist sich eine auf dieser Grundlage vorgenommene Sozialauswahl als von vornherein methodisch fehlerhaft. 

3. Ist eine Sozialauswahl methodisch fehlerhaft vorgenommen worden, spricht in jedem Kündigungsschutzverfahren eine jeweils von dem kündigenden Arbeitgeber zu widerlegende tatsächliche Vermutung dafür, dass bei der streitgegenständlichen Kündigung die Sozialauswahlkriterien des § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt wurden. 

4. Auch wenn methodische Fehler bei der Durchführung der Sozialauswahl festgestellt werden, führt dies gleichwohl nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung, wenn die tatsächlich getroffene Auswahl zu Lasten des Gekündigten - und sei es auch nur zufällig - objektiv vertretbar ist. Die Darlegungs- und Beweislast hierfür liegt jedoch beim kündigenden Arbeitgeber.

Hintergrund:

Ein Hersteller von Aluminiumgussteilen mit knapp 600 Arbeitnehmern befand sich seit März 2022 in einem Insolvenzverfahren, das in Eigenverwaltung betrieben wurde. Nachdem Verhandlungen mit dem Betriebsrat über einen Interessenausgleich im November 2022 gescheitert waren, sprach das Unternehmen im Dezember 2022 allen Arbeitnehmern, die nicht bereits aus anderen Gründen ausscheiden würden, wegen der beabsichtigten Stilllegung des Betriebs eine betriebsbedingte Kündigung aus. Die Kündigungen wurden in der Regel mit der verkürzten dreimonatigen Frist gemäß § 113 Satz 2 Insolvenzordnung (InsO) erklärt, d.h. zum 31.03.2023. Außerdem wurden die gekündigten Arbeitnehmer ab Anfang Januar 2023 unwiderruflich freigestellt. Abweichend davon wurden 53 Arbeitnehmer zu einem Abwicklungsteam zusammengestellt und über den 31.12.2022 hinaus beschäftigt. 14 Arbeitnehmer des Abwicklungsteams wurden ebenfalls zum 31.03.2023 gekündigt, die übrigen 39 erst zum 30.06.2023. Ein über 25 Jahre beschäftigter Arbeitnehmer, der im Dezember 2022 eine Kündigung zum 31.03.2023 erhalten hatte und ab dem 01.01.2023 freigestellt worden war, erhob vor dem Arbeitsgericht Solingen mit Erfolg Kündigungsschutzklage (Urteil vom 17.05.2023, 7 Ca 1335/22). Die Berufung des Unternehmens hatte vor dem Landesarbeitsgericht (LAG) Düsseldorf keinen Erfolg. Das LAG hielt dem Unternehmen vor, dass es die Arbeitnehmer, die als Teil des Abwicklungsteams erst zum 30.06.2023 gekündigt worden waren, im Wege der Sozialauswahl gemäß § 1 Abs.3 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) hätte bestimmen müssen. Dazu hätte der Arbeitgeber erläutern müssen, welche Anforderungen die Mitarbeiter des Abwicklungsteams aufgrund der zu erledigenden Restarbeiten erfüllen mussten. Hierzu hatte der Arbeitgeber nichts vorgetragen.

Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Urteil vom 09.01.2024, 3 Sa 687/23

 

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