HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

HANDBUCH ARBEITSRECHT

So­zi­al­aus­wahl

In­for­ma­tio­nen zum The­ma So­zi­al­aus­wahl: Hen­sche Rechts­an­wäl­te, Kanz­lei für Ar­beits­recht
Zwei Gruppen von je drei Arbeitnehmern mit Helm, Bekleidung der beiden Gruppen unterschiedlich

Auf die­ser Sei­te fin­den Sie In­for­ma­tio­nen zu der Fra­ge, un­ter wel­chen Um­stän­den Ar­beit­ge­ber ei­ne So­zi­al­aus­wahl durch­füh­ren müs­sen, wie dies zu ge­sche­nen hat und wel­che Ar­beit­neh­mer im Rah­men der So­zi­al­aus­wahl mit­ein­an­der ver­gleich­bar sind.

Au­ßer­dem fin­den Sie Hin­wei­se da­zu, ob be­son­ders ge­schütz­te Ar­beit­neh­mer in die So­zi­al­aus­wahl ein­zu­be­zie­hen sind, wel­che Ar­beit­neh­mer der Ar­beit­ge­ber aus der So­zi­al­aus­wahl her­aus­neh­men kann, ob ei­ne Bes­ser­stel­lung äl­te­rer Ar­beit­neh­mer bei der So­zi­al­aus­wahl heu­te noch zu­läs­sig ist und wel­che Fol­gen Feh­ler bei der So­zi­al­aus­wahl ha­ben.

von Rechts­an­walt Dr. Mar­tin Hen­sche, Fach­an­walt für Ar­beits­recht, Ber­lin

Video: Sozialauswahl kurz erklärt

Wann müssen Ar­beit­ge­ber ei­ne So­zi­al­aus­wahl durchführen?

Ei­ne or­dent­li­che be­triebs­be­ding­te Kündi­gung muss sich an § 1 Kündi­gungs­schutz­ge­setz (KSchG) mes­sen las­sen, d.h. sie muss "so­zi­al ge­recht­fer­tigt" sein, wenn der gekündig­te Ar­beit­neh­mer un­ter das KSchG fällt. Das wie­der­um ist der Fall,

  • wenn das Ar­beits­verhält­nis zum Zeit­punkt der Kündi­gungs­erklärung be­reits länger als sechs Mo­na­te be­stan­den hat (§ 1 Abs.1 KSchG), und
  • wenn im Be­trieb des Ar­beit­ge­bers mehr als zehn Ar­beit­neh­mer beschäftigt sind (§ 23 Abs.1 KSchG).

Un­ter wel­chen Vor­aus­set­zun­gen ei­ne be­triebs­be­ding­te Kündi­gung so­zi­al ge­recht­fer­tigt ist, können Sie un­ter dem Stich­wort „Kündi­gung - Be­triebs­be­ding­te Kündi­gung“ nach­le­sen. Zu die­sen Vor­aus­set­zun­gen gehört un­ter an­de­rem, dass der Ar­beit­ge­ber bei der So­zi­al­aus­wahl kei­ne Feh­ler ge­macht hat.

Aus den Vor­ga­ben des KSchG er­gibt sich, dass ei­ne So­zi­al­aus­wahl im­mer dann durch­zuführen ist, wenn fol­gen­de Vor­aus­set­zun­gen erfüllt sind:

  • Der oder die be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mer fal­len un­ter das KSchG.
  • Der Ar­beit­ge­ber möch­te ei­ne oder meh­re­re or­dent­li­che Kündi­gung(en) aus be­triebs­be­ding­ten Gründen aus­spre­chen.
  • Es gibt mehr "Kündi­gungs­kan­di­da­ten" als ge­plan­te Kündi­gun­gen.

BEISPIEL: Ei­ne Ein­zel­han­dels­fir­ma beschäftigt in drei Ham­bur­ger Fi­lia­len je­weils sie­ben Fach­verkäufer, zwei Kun­den­be­ra­ter für spe­zi­el­le Pro­duk­te und ei­nen Fi­li­al­lei­ter, ins­ge­samt da­her 30 Ar­beit­neh­mer. Die Ar­beit­neh­mer wer­den je nach Be­darf mal in der ei­nen, mal in der an­de­ren Fi­lia­le ein­ge­setzt. Die Fir­men­zen­tra­le ent­schei­det, dass ei­ne der drei Fi­lia­len ge­schlos­sen wer­den soll. Auf­grund die­ser Un­ter­neh­mer­ent­schei­dung fal­len zehn Ar­beitsplätze weg, und zwar in der zu schließen­den Fi­lia­le.

In die­sem Bei­spiel könn­te die Fir­men­zen­tra­le nicht ein­fach die­je­ni­gen zehn Ar­beit­neh­mer kündi­gen, die zum Zeit­punkt der Sch­ließung zufällig ge­ra­de in der ge­schlos­se­nen Fi­lia­le ar­bei­ten. Viel­mehr ist ei­ne So­zi­al­aus­wahl vor­zu­neh­men, denn es gibt 30 Kündi­gungs­kan­di­da­ten und zehn ge­plan­te Ent­las­sun­gen.

Wann ist aus­nahms­wei­se kei­ne So­zi­al­aus­wahl not­wen­dig?

Wie das obi­ge Bei­spiel zeigt, setzt die So­zi­al­aus­wahl im­mer vor­aus, dass es mehr Kündi­gungs­kan­di­da­ten als ge­plan­te be­triebs­be­ding­te Kündi­gun­gen gibt. Es kommt aber vor, dass der Ar­beit­ge­ber Ein­zel­stel­len strei­chen möch­te und von die­ser Un­ter­neh­mer­ent­schei­dung nur ein ein­zi­ger Ar­beits­platz be­trof­fen ist.

BEISPIEL: In ei­nem Be­trieb mit 50 Ar­beit­neh­mern gibt es ei­ne Ver­triebs­ab­tei­lung mit 15 Ver­triebs­kräften und mit ei­nem Ver­triebs­lei­ter, des­sen Auf­ga­ben gemäß Ar­beits­ver­trag al­lein in der Über­wa­chung und An­lei­tung der 15 Ver­triebs­kräfte be­ste­hen. Der Ar­beit­ge­ber be­sch­ließt aus Kos­ten­gründen, die Ver­triebs­lei­ter­stel­le zu strei­chen, so dass die 15 Ver­triebs­mit­ar­bei­ter künf­tig di­rekt ei­nem der drei Geschäftsführer un­ter­stellt sind.

In die­sem Bei­spiels­fall ist der Ver­triebs­lei­ter mit kei­nem an­de­ren Ar­beit­neh­mer des Be­triebs ver­gleich­bar, denn die ihm un­ter­stell­ten Ver­triebs­kräfte ste­hen auf ei­ner an­de­ren Ebe­ne der be­trieb­li­chen Hier­ar­chie. Auch mit an­de­ren Führungs­kräften ist er nicht ver­gleich­bar, denn sei­ne Auf­ga­ben sind gemäß Ar­beits­ver­trag al­lein auf die Ver­triebs­ab­tei­lung be­zo­gen.

Ein an­de­res Bei­spiel für be­triebs­be­ding­te Kündi­gun­gen, bei de­nen die So­zi­al­aus­wahl kei­ne Rol­le spielt, ist die kom­plet­te Be­triebs­sch­ließung, bei der die ge­sam­te Be­leg­schaft ent­las­sen wird. In sol­chen Fällen ist kei­ne So­zi­al­aus­wahl vor­zu­neh­men, d.h. § 1 Abs.3 KSchG hilft dem gekündig­ten Ar­beit­neh­mer nichts.

Auf wel­che so­zia­len Merk­ma­le kommt es bei der So­zi­al­aus­wahl an?

Die vier Ge­sichts­punk­te, auf die es bei der So­zi­al­aus­wahl an­kommt, wer­den in § 1 Abs.3 Satz 1 KSchG ge­nannt. Die­se Vor­schrift lau­tet:

"Ist ei­nem Ar­beit­neh­mer aus drin­gen­den be­trieb­li­chen Er­for­der­nis­sen im Sin­ne des Ab­sat­zes 2 gekündigt wor­den, so ist die Kündi­gung trotz­dem so­zi­al un­ge­recht­fer­tigt, wenn der Ar­beit­ge­ber bei der Aus­wahl des Ar­beit­neh­mers die Dau­er der Be­triebs­zu­gehörig­keit, das Le­bens­al­ter, die Un­ter­halts­pflich­ten und die Schwer­be­hin­de­rung des Ar­beit­neh­mers nicht oder nicht aus­rei­chend berück­sich­tigt hat."

Da­bei gilt: Der Schutz im Rah­men der So­zi­al­aus­wahl ist stärker

  • je länger man dem Be­trieb an­gehört,
  • je älter man ist,
  • wenn man (mehr) ge­setz­li­che Un­ter­halts­pflich­ten (als an­de­re) hat, und
  • wenn man schwer­be­hin­dert ist.

Wie ist die So­zi­al­aus­wahl durch­zuführen?

Die So­zi­al­aus­wahl ist in drei Schrit­ten durch­zuführen:

Schritt eins: Fest­stel­lung der Ar­beit­neh­mer, die auf der­sel­ben be­trieb­li­chen Ebe­ne ar­bei­ten und da­her un­ter­ein­an­der aus­ge­tauscht wer­den können. Sie sind ho­ri­zon­tal ver­gleich­bar.

BEISPIEL: Ei­ne Ein­zel­han­dels­fir­ma beschäftigt in drei Ham­bur­ger Fi­lia­len je­weils sie­ben Fach­verkäufer, zwei Kun­den­be­ra­ter für spe­zi­el­le Pro­duk­te und ei­nen Fi­li­al­lei­ter, ins­ge­samt da­her 30 Ar­beit­neh­mer. Zehn Ar­beit­neh­mer müssen ge­hen, weil ei­ne der drei Fi­lia­len ge­schlos­sen wer­den soll.

Hier sind ho­ri­zon­tal ver­gleich­bar die Grup­pe der Fach­verkäufer (je sie­ben Verkäufer in drei Fi­lia­len = 21 Fach­verkäufer), zwei­tens die Grup­pe der Kun­den­be­ra­ter für spe­zi­el­le Pro­duk­te (je zwei Be­ra­ter in drei Fi­lia­len = sechs Kun­den­be­ra­ter) und schließlich die Grup­pe der drei Fi­li­al­lei­ter. Die So­zi­al­aus­wahl ist in je­der Grup­pe für sich vor­zu­neh­men, d.h. in­ner­halb der ho­ri­zon­tal ver­gleich­ba­ren Ar­beit­neh­mer.

Schritt zwei: Die An­gehöri­gen je­der Grup­pe der mit­ein­an­der ho­ri­zon­tal ver­gleich­ba­ren Ar­beit­neh­mer sind mit Hil­fe der ge­setz­li­chen So­zi­al­aus­wahl-Kri­te­ri­en (Be­triebs­zu­gehörig­keit, Al­ter, Un­ter­halts­pflich­ten, Schwer­be­hin­de­rung) in ei­ne Rang­ord­nung nach der so­zia­len Schutz­bedürf­tig­keit zu brin­gen. Bei größeren Grup­pen wie hier im Bei­spiel der Ham­bur­ger Ein­zel­han­dels­fir­ma muss man ein we­nig "rech­nen":

BEISPIEL: Der Ar­beit­ge­ber legt z.B. fest, dass man pro Jahr der Be­triebs­zu­gehörig­keit zwei Punk­te erhält, pro Le­bens­jahr ei­nen Punkt, pro un­ter­halts­be­rech­tig­tem Kind zehn Punk­te und bei Vor­lie­gen ei­ner Schwer­be­hin­de­rung pro Grad der Be­hin­de­rung 0,2 Punk­te. Ist ein Ar­beit­neh­mer zum Zeit­punkt der Kündi­gung 50 Jah­re alt und seit 25 Jah­ren im Be­trieb beschäftigt, hat er für zwei un­ter­halts­be­rech­tig­te Kin­der zu sor­gen und ist er schwer­be­hin­dert mit ei­nem Grad der Be­hin­de­rung (GdB) von 50, so lässt sich der Grad sei­ner Schutz­bedürf­tig­keit mit 140 Punk­ten an­ge­ben: 50 Punk­te gibt es für das Al­ter, wei­te­re (25 Jah­re x 2 =) 50 Punk­te für die lan­ge Be­triebs­zu­gehörig­keit, 20 Punk­te ma­chen die bei­den Kin­der aus und für den GdB von 50 gibt es wei­te­re (0,2 x 50 =) 10 Punk­te, macht zu­sam­men 140 Punk­te.

Wie der Ar­beit­ge­ber bei ei­ner sol­chen "Punk­te­wirt­schaft" verfährt, ist durch § 1 Abs.3 KSchG nicht vor­ge­ge­ben. So könn­te man im obi­gen Bei­spiel das Al­ter auch ge­rin­ger ge­wich­ten und/oder die Un­ter­halts­pflich­ten höher be­wer­ten, oh­ne dass dies ge­gen § 1 Abs.3 KSchG ver­s­toßen würde.

Wich­tig ist nur, dass im Er­geb­nis die An­gehöri­gen je­der ho­ri­zon­tal ver­gleich­ba­ren Ar­beit­neh­mer­grup­pe in ei­ne kla­re Rang­fol­ge nach ih­rer so­zia­len Schutz­bedürf­tig­keit ge­bracht wer­den. Denn da­mit lässt sich ra­tio­nal ent­schei­den, wer ge­hen muss, nämlich im obi­gen Bei­spiel die sie­ben Fach­verkäufer mit der ge­rings­ten Punk­te­zahl, die zwei Kun­den­be­ra­ter mit den we­nigs­ten Punk­ten und auch von den drei Fi­li­al­lei­tern wie­der­um der­je­ni­ge, der den ge­rings­ten Punk­te­wert vor­wei­sen kann.

Schritt drei: Zu­letzt ist zu über­le­gen, ob viel­leicht ein­zel­ne Leis­tungs­träger von der So­zi­al­aus­wahl aus­zu­neh­men sind. Grund­la­ge von die­ser Her­aus­nah­me ein­zel­ner Ar­beit­neh­mer aus der So­zi­al­aus­wahl ist § 1 Abs.3 Satz 2 KSchG. Da­nach sind Ar­beit­neh­mer nicht in die So­zi­al­aus­wahl ein­zu­be­zie­hen, wenn ih­re Wei­ter­beschäfti­gung

  • we­gen ih­rer Kennt­nis­se, oder
  • we­gen ih­rer Fähig­kei­ten und Leis­tun­gen oder
  • zur Si­che­rung ei­ner aus­ge­wo­ge­nen Per­so­nal­struk­tur des Be­trie­bes

im be­rech­tig­ten be­trieb­li­chen In­ter­es­se liegt.

Wel­che Ar­beit­neh­mer sind im Rah­men der So­zi­al­aus­wahl ho­ri­zon­tal mit­ein­an­der ver­gleich­bar?

In die So­zi­al­aus­wahl sind Ar­beit­neh­mer ein­zu­be­zie­hen, die im We­ge der ar­beit­ge­ber­sei­ti­gen Wei­sung mit­ein­an­der aus­tausch­bar sind. Das sind die ho­ri­zon­tal ver­gleich­ba­ren Ar­beit­neh­mer. In der Pra­xis wird hier in Zwei­felsfällen z.B. da­nach ge­fragt, wel­che Ar­beit­neh­mer sich ge­gen­sei­tig in Fällen von Krank­heit oder während ei­nes Ur­laubs ver­tre­ten.

BEISPIEL: Ei­ner von sechs Ser­vice­mit­ar­bei­tern wird zum Ser­vice­lei­ter befördert und erhält da­her ei­nen geänder­ten Ar­beits­ver­trag, der ihm ne­ben ei­nem höhe­ren Ge­halt auch aus­drück­lich die Tätig­keit ei­nes Ser­vice­lei­ters mit Wei­sungs­be­fug­nis ge­genüber den ihm un­ter­stell­ten „gewöhn­li­chen“ Ser­vice­kräften ga­ran­tiert. Ein Jahr nach der Beförde­rung be­sch­ließt der Ar­beit­ge­ber, die Stel­le des Ser­vice­lei­ters zu strei­chen und des­sen Auf­ga­ben di­rekt von ei­nem der drei Geschäftsführer (mit-)er­le­di­gen zu las­sen.

Der Ser­vice­lei­ter kann sich ge­genüber ei­ner be­triebs­be­ding­ten Kündi­gung nicht dar­auf be­ru­fen, dass er im Ver­gleich zu den fünf ver­blei­ben­den Ser­vice­kräften in höhe­rem Maße so­zi­al schutz­bedürf­tig ist, denn mit den Ser­vice­kräften ist er nicht ho­ri­zon­tal ver­gleich­bar. Denn der Ar­beit­ge­ber könn­te ihm nicht per Wei­sung die Ar­bei­ten ei­nes „ein­fa­chen“ Ser­vice­mit­ar­bei­ters zu­wei­sen, da der Ar­beits­ver­trag des Ser­vice­lei­ters ei­nen sol­chen Ar­beits­ein­satz aus­sch­ließt.

An­ders als klar fest­ge­leg­te ar­beits­ver­trag­li­che Gren­zen der Wei­sungs­be­fug­nis „nach un­ten hin“ ist es bei ei­ner nur fak­tisch bes­se­ren Qua­li­fi­ka­ti­on. Sie steht der ho­ri­zon­ta­len Ver­gleich­bar­keit mit schlech­ter qua­li­fi­zier­ten Kol­le­gen nicht ent­ge­gen, falls der bes­ser qua­li­fi­zier­te Ar­beit­neh­mer so­zi­al schutz­bedürf­ti­ger ist und da­her bei An­wen­dung der vier So­zi­al­aus­wahl-Kri­te­ri­en sein Ar­beits­verhält­nis be­hal­ten darf.

BEISPIEL: Der dienstältes­te von sechs Ver­triebs­mit­ar­bei­tern er­le­digt seit Jah­ren hauptsächlich Auf­ga­ben der Ar­beits­or­ga­ni­sa­ti­on, d.h. er plant die an­fal­len­den Ar­bei­ten und teilt sei­ne Kol­le­gen zu den Ar­bei­ten ein. Außer­dem kann er auf­grund be­son­de­rer Zu­satz­qua­li­fi­ka­tio­nen spe­zi­el­le Pro­duk­te be­treu­en, mit de­nen sich sei­ne Kol­le­gen nicht so gut aus­ken­nen. Ei­nen be­son­de­ren Ar­beits­ver­trag als Ver­triebs­lei­ter hat er nicht. Auf­grund sei­ner be­ruf­li­chen Er­fah­run­gen könn­te er je­der­zeit die Auf­ga­ben sei­ner fünf Kol­le­gen über­neh­men, doch wären die­se um­ge­kehrt mit sei­nen Ar­beits­auf­ga­ben über­for­dert.

Sol­len in die­sem Bei­spiel auf­grund geänder­ter be­trieb­li­cher Abläufe drei der sechs Ver­triebs­mit­ar­bei­ter gekündigt wer­den und ist der Dienstältes­te so­zi­al am schutz­bedürf­tigs­ten, ist er in die So­zi­al­aus­wahl ein­zu­be­zie­hen, da ihm die Auf­ga­ben der drei we­ni­ger schutz­bedürf­ti­gen (und da­her zu kündi­gen­den) Kol­le­gen über­tra­gen wer­den könn­ten.

Dass die so­zi­al we­ni­ger schutz­bedürf­ti­gen Kol­le­gen sei­ne Auf­ga­ben nicht über­neh­men könn­ten, lässt die ho­ri­zon­ta­le Ver­gleich­bar­keit al­ler sechs Ver­triebs­mit­ar­bei­ter nicht ent­fal­len. Denn wenn ein so­zi­al we­ni­ger schutz­bedürf­ti­ger Ar­beit­neh­mer im Er­geb­nis ei­ner So­zi­al­aus­wahl ge­hen muss, spielt es kei­ne Rol­le, ob er auch die Auf­ga­ben ei­nes Ar­beit­neh­mers über­neh­men könn­te, der bleibt.

Sind Ar­beit­neh­mer mit be­son­de­rem Kündi­gungs­schutz in die So­zi­al­aus­wahl ein­zu­be­zie­hen?

Ar­beit­neh­mer, die als Be­triebs­rats­mit­glie­der ge­gen or­dent­li­che Kündi­gun­gen in erhöhtem Maße geschützt sind, Schwan­ge­re und jun­ge Mütter bis zum vier­ten Mo­nat nach der Ent­bin­dung und schwer­be­hin­der­te Ar­beit­neh­mer sind im All­ge­mei­nen nicht in die So­zi­al­aus­wahl mit ein­zu­be­zie­hen. Das gilt auch für an­de­re or­dent­lich unkünd­ba­re Ar­beit­neh­mer, d.h. für Ar­beit­neh­mer, de­ren Ar­beits­verhält­nis durch Vor­schrif­ten des Son­derkündi­gungs­schut­zes in ge­stei­ger­ter Wei­se ge­gen or­dent­li­che Kündi­gun­gen geschützt ist.

Al­ler­dings ist der Ar­beit­ge­ber da­zu be­rech­tigt, auch schwer­be­hin­der­te Ar­beit­neh­mer in die So­zi­al­aus­wahl ein­zu­be­zie­hen, d.h. er kann das tun, muss es aber nicht. Wenn er schwer­be­hin­der­te Ar­beit­neh­mer in die So­zi­al­aus­wahl mit ein­be­zie­hen möch­te, braucht er die Zu­stim­mung des In­te­gra­ti­ons­am­tes zu der Kündi­gung des Schwer­be­hin­der­ten. Und bei der So­zi­al­aus­wahl muss er dann die Schwer­be­hin­de­rung gemäß § 1 Abs.3 KSchG zu­guns­ten des Schwer­be­hin­der­ten berück­sich­ti­gen.

Um die So­zi­al­aus­wahl nicht übermäßig kom­pli­ziert zu ma­chen, ent­schei­den sich Ar­beit­ge­ber oft da­zu, sie nur un­ter Ein­be­zie­hung von Ar­beit­neh­mern durch­zuführen, die kei­nen Son­derkündi­gungs­schutz ge­nießen.

Neh­men Ar­beit­neh­mer während der ers­ten sechs Mo­na­te des Ar­beits­verhält­nis­ses an der So­zi­al­aus­wahl teil?

Nein, sol­che Ar­beit­neh­mer sind nicht in die So­zi­al­aus­wahl ein­zu­be­zie­hen, da sie sich gemäß § 1 Abs1. KSchG nicht auf den Kündi­gungs­schutz nach dem KSchG be­ru­fen können. Wenn sie von ei­nem ge­plan­ten Per­so­nal­ab­bau be­trof­fen sind, d.h. als „Kündi­gungs­kan­di­da­ten“ an­zu­se­hen sind, muss der Ar­beit­ge­ber erst ein­mal sie kündi­gen.

Ei­ne So­zi­al­aus­wahl ist da­bei nicht er­for­der­lich. Der Gekündig­te kann sich da­her nicht dar­auf be­ru­fen, dass an­de­re, schon länger als sechs Mo­na­te beschäftig­te Kol­le­gen so­zi­al we­ni­ger schutz­bedürf­tig sei­en als er.

Hilft die Be­reit­schaft, not­falls schlech­te­re Ar­beits­be­din­gun­gen zu ak­zep­tie­ren, bei der So­zi­al­aus­wahl?

In dem obi­gen Bei­spiel des Ser­vice­mit­ar­bei­ters, der erst zum Ser­vice­lei­ter befördert wur­de und später be­triebs­be­dingt gekündigt wur­de, liegt es für den Be­trof­fe­nen na­he, zur Ver­mei­dung ei­ner Kündi­gung sei­ne frühe­re Auf­ga­be als ein­fa­cher Ser­vice­mit­ar­bei­ter wie­der zu über­neh­men. Im­mer­hin hat er ja bis vor ei­nem Jahr die­se Ar­beit er­le­digt und könn­te da­her je­der­zeit wie­der „zurück ins Glied tre­ten“.

Durch die Erklärung, zur Ver­mei­dung ei­ner Kündi­gung not­falls wie­der ei­ne Stu­fe nach un­ten zurück­zu­ge­hen, können Ar­beit­neh­mer bei ei­ner auf sie zu­kom­men­den be­triebs­be­ding­ten Kündi­gung den Um­kreis der mit ih­nen ver­gleich­ba­ren Kol­le­gen nicht er­wei­tern.

Ei­ne sol­che Vor­ge­hens­wei­se würde nämlich die Plan­bar­keit der So­zi­al­aus­wahl und da­mit der be­triebs­be­ding­ten Kündi­gun­gen für den Ar­beit­ge­ber zu­nich­te ma­chen. Außer­dem würde ei­ne sol­che recht­li­che Op­ti­on zu ei­nem Ver­drängungs­wett­be­werb in­ner­halb der Be­leg­schaft von oben nach un­ten führen.

Was heißt Be­triebs­be­zo­gen­heit der So­zi­al­aus­wahl?

Die Aus­wahl der zu kündi­gen­den Ar­beit­neh­mer ist in­ner­halb des Be­triebs vor­zu­neh­men, in dem be­triebs­be­ding­te Kündi­gun­gen an­ste­hen.

Die­se Be­triebs­be­zo­gen­heit der So­zi­al­aus­wahl führt manch­mal da­zu, dass der Um­kreis der in die So­zi­al­aus­wahl ein­zu­be­zie­hen­den Ar­beit­neh­mer er­wei­tert wird. Wenn der Ar­beit­ge­ber z.B. vor­hat, die Ar­beit­neh­mer ei­ner be­stimm­ten Be­triebs­ab­tei­lung zu ent­las­sen, muss er die mit ih­nen ver­gleich­ba­ren Ar­beit­neh­mer des ge­sam­ten Be­triebs in die So­zi­al­aus­wahl ein­be­zie­hen.

An­de­rer­seits ist die So­zi­al­aus­wahl nicht un­ter­neh­mens­be­zo­gen vor­zu­neh­men.

BEISPIEL: Ein deutsch­land­weit täti­ges Un­ter­neh­men will sei­nen Münche­ner Be­trieb schließen. Die dort von der Ent­las­sung be­droh­ten alt­ge­dien­ten Ar­beit­neh­mer können sich nicht dar­auf be­ru­fen, dass sie so­zi­al schutz­bedürf­ti­ger sind als ei­ni­ge Ar­beit­neh­mer, die das Un­ter­neh­men erst vor kur­zem in sei­nem Ber­li­ner Be­trieb ein­ge­stellt hat.

Ist die Bes­ser­stel­lung älte­rer Ar­beit­neh­mer bei der So­zi­al­aus­wahl ei­ne un­zulässi­ge Dis­kri­mi­nie­rung jünge­rer Ar­beit­neh­mer?

Das All­ge­mei­ne Gleich­be­hand­lungs­ge­setz (AGG) ver­bie­tet Dis­kri­mi­nie­run­gen von Ar­beit­neh­mern we­gen ih­res Al­ters, d.h. sach­lich nicht ge­recht­fer­tig­te al­ters­be­ding­te Be­nach­tei­li­gun­gen (§ 1 AGG). Und da sich älte­re Ar­beit­neh­mer bei der So­zi­al­aus­wahl bes­ser ste­hen als jünge­re, fragt sich, ob das nicht auf ei­ne Al­ters­dis­kri­mi­nie­rung der jünge­ren Kol­le­gen hin­ausläuft. Denn zu der Bes­ser­stel­lung we­gen des höhe­ren Le­bens­al­ters kommt wei­ter hin­zu, dass älte­re Ar­beit­neh­mer meist auch ei­ne länge­re Be­triebs­zu­gehörig­keit vor­wei­sen können, was den pri­vi­le­gie­ren­den Ef­fekt ei­nes ho­hen Al­ters noch verstärkt.

Die­se Fra­gen stel­len sich trotz § 2 Abs.4 AGG, wo­nach für Kündi­gun­gen „aus­sch­ließlich die Be­stim­mun­gen zum all­ge­mei­nen und be­son­de­ren Kündi­gungs­schutz“ gel­ten. Denn die Ar­beits­ge­rich­te und ju­ris­ti­schen Au­to­ren sind sich (mitt­ler­wei­le) ei­nig, dass die Dis­kri­mi­nie­rungs­ver­bo­te des AGG und der Gleich­be­hand­lungs-Richt­li­nie 2000/78/EG auch im Kündi­gungs­schutz­recht be­ach­tet wer­den müssen.

Vor die­sem Hin­ter­grund wird von ei­ni­gen Au­to­ren die tra­di­tio­nel­le Be­gründung für ei­nen bes­se­ren Kündi­gungs­schutz älte­rer Ar­beit­neh­mer in­fra­ge ge­stellt - dass älte­re Men­schen nämlich (an­geb­lich) größere Schwie­rig­kei­ten als jünge­re ha­ben, ei­ne neue An­stel­lung zu fin­den. Macht man die­se Vor­aus­set­zung nicht (mehr) mit, müss­te man das Le­bens­al­ter und viel­leicht auch die Be­triebs­zu­gehörig­keit bei der So­zi­al­aus­wahl viel schwächer als bis­her ge­wich­ten.

Denk­bar wäre es auch, das Le­bens­al­ter über­haupt erst ab ei­nem höhe­ren Al­ter von z.B. 35 oder 40 Jah­ren zu berück­sich­ti­gen. Dann würde das Al­ter bei ei­ner So­zi­al­aus­wahl zwi­schen Ar­beit­neh­mern zwi­schen 18 und 35 oder 40 Jah­ren gar kei­ne Rol­le spie­len, denn schließlich ha­ben in die­ser Al­ters­grup­pe „älte­re“ Ar­beit­neh­mer (al­so z.B. 35-jähri­ge) kaum schlech­te­re Chan­cen auf dem Ar­beits­markt als ih­re „jünge­ren“ (25-jähri­gen) Kol­le­gen.

Die­se Vor­schläge ha­ben sich bis­her nicht durch­set­zen können. Nach herr­schen­der Mei­nung ist es recht­lich zulässig bzw. kei­ne Al­ters­dis­kri­mi­nie­rung jünge­rer Ar­beit­neh­mer, wenn Ar­beit­ge­ber ein höhe­res Le­bens­al­ter ge­ne­rell, d.h. über al­le Al­ters­stu­fen hin­weg bei der So­zi­al­aus­wahl zu­guns­ten der älte­ren Ar­beit­neh­mer be­wer­ten.

Für die herr­schen­de Mei­nung spricht, dass so grund­le­gen­de Ände­run­gen im Kündi­gungs­schutz­recht vom Ge­setz­ge­ber be­schlos­sen wer­den müss­ten. Das Ge­setz bzw. § 1 Abs.3 KSchG gibt nun ein­mal Al­ter und Be­triebs­zu­gehörig­keit als In­di­ka­to­ren für ei­ne höhe­re Schutz­bedürf­tig­keit vor. Die­se An­nah­me des Ge­set­zes mag man po­li­tisch in­fra­ge stel­len, doch ist sie je­den­falls "ver­tret­bar". Da­her sind die Ge­rich­te an die­se ge­setz­li­che Vor­ga­be ge­bun­den.

Führt ein höhe­res Al­ter zu ge­rin­ge­rer Schutz­bedürf­tig­keit, wenn es mit dem An­spruch auf ei­ne Re­gel­al­ters­ren­te ver­bun­den ist?

Auch wenn man ent­spre­chend dem Ge­set­zes­wort­laut (§ 1 Abs.3 Satz 1 KSchG) an der all­ge­mei­nen Re­gel festhält, dass ein höhe­res Le­bens­al­ter mit ei­ner erhöhten so­zia­len Schutz­bedürf­tig­keit ver­bun­den ist, fragt sich doch, ob man nicht bei ren­ten­be­rech­tig­ten Ar­beit­neh­mern ei­ne Aus­nah­me von die­ser Re­gel ma­chen soll­te.

Denn wer in­fol­ge sei­nes vor­gerück­ten Le­bens­al­ters ei­ne Re­gel­al­ters­ren­te in An­spruch neh­men kann, wird von ei­ner be­triebs­be­ding­ten Kündi­gung nicht so hart ge­trof­fen wie jünge­re Kol­le­gen, die noch (lan­ge) nicht ren­ten­be­rech­tigt sind.

In die­sem Sin­ne hat das BAG die Be­deu­tung des Al­ters bei der So­zi­al­aus­wahl ein­ge­schränkt bzw. so­gar zu­las­ten des ren­ten­be­rech­tig­ten Ar­beit­neh­mers um­ge­kehrt: Wer An­spruch auf ei­ne Re­gel­al­ters­ren­te hat, ist bei der So­zi­al­aus­wahl im Hin­blick auf sein Al­ter we­ni­ger schutz­bedürf­tig als sei­ne noch nicht ren­ten­be­rech­tig­te jünge­re Kol­le­gen (BAG, Ur­teil vom 27.04.2017, 2 AZR 67/16, wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 17/177 So­zi­al­aus­wahl und Al­ters­ren­te).

Was heißt So­zi­al­aus­wahl nach Al­ters­grup­pen?

Das Prin­zip der So­zi­al­aus­wahl führt da­zu, dass vor al­lem jünge­re Ar­beit­neh­mer mit nicht so lan­ger Be­triebs­zu­gehörig­keit gekündigt wer­den. Dem­zu­fol­ge erhöht ei­ne größere Ent­las­sungs­wel­le das Durch­schnitts­al­ter der Be­leg­schaft.

Um das zu ver­hin­dern, er­laubt das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) die Bil­dung von Al­ters­grup­pen bei der So­zi­al­aus­wahl. Da­bei wer­den die Ver­gleichs­grup­pen der ho­ri­zon­tal mit­ein­an­der ver­gleich­ba­ren Ar­beit­neh­mer in Al­ters­grup­pen auf­ge­teilt, al­so z.B. in die Grup­pe der 21- bis 30-jähri­gen, die Grup­pe der 31- bis 40-jähri­gen usw. Die So­zi­al­aus­wahl fin­det dann nur in­ner­halb die­ser Al­ters­grup­pen statt, so dass das höhe­re Al­ter nur in­ner­halb der je­wei­li­gen Al­ters­grup­pe berück­sich­tigt wird.

Das führt da­zu, dass ein 51-jähri­ger Ar­beit­neh­mer gekündigt wer­den kann, weil er in­ner­halb sei­ner Grup­pe (der 51- bis 60-jähri­gen) ein "Ju­ni­or" ist, während ein 29jähri­ger blei­ben darf, da er älter ist als die meis­ten Ver­gleichs­ar­beit­neh­mer sei­ner Grup­pe, nämlich der 21- bis 30-jähri­gen. Ge­recht­fer­tigt wird die­se So­zi­al­aus­wahl nach Al­ters­grup­pen mit der ge­setz­li­chen Be­fug­nis des Ar­beit­ge­bers, Ar­beit­neh­mer nicht in die So­zi­al­aus­wahl ein­zu­be­zie­hen, wenn das "zur Si­che­rung ei­ner aus­ge­wo­ge­nen Per­so­nal­struk­tur des Be­trie­bes" im be­rech­tig­ten be­trieb­li­chen In­ter­es­se liegt (§ 1 Abs.3 Satz 2 KSchG).

Der na­he­lie­gen­de Ein­wand, dass da­mit das Al­ter als so­zia­les Schutz­kri­te­ri­um weit­ge­hend aus­ge­he­belt wird und älte­re Ar­beit­neh­mer letzt­lich dis­kri­mi­niert wer­den, wird vom BAG nicht ak­zep­tiert (BAG, Ur­teil vom 15.12.2011, 2 AZR 42/10, wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 11/254 So­zi­al­aus­wahl und Al­ters­dis­kri­mi­nie­rung). Ei­ne So­zi­al­aus­wahl mit Al­ters­grup­pen­bil­dung ist da­her wei­ter­hin recht­lich zulässig. Da­bei müssen die Al­ters­grup­pen al­ler­dings ei­ni­ger­maßen groß sein, d.h. die Bil­dung von "Al­ters­grup­pen" im 2,5-Jah­res­t­akt wäre un­zulässig.

Wel­che Fol­gen ha­ben Feh­ler bei der So­zi­al­aus­wahl?

Das Ge­setz ver­langt vom Ar­beit­ge­ber kei­ne „per­fek­te So­zi­al­aus­wahl“. Viel­mehr will § 1 Abs.3 Satz 1 KSchG nur ver­hin­dern, dass der Ar­beit­ge­ber bei der Aus­wahl der zu kündi­gen­den Ar­beit­neh­mer die vier So­zi­al­aus­wahl-Kri­te­ri­en „nicht oder nicht aus­rei­chend berück­sich­tigt“. Klei­ne­re Un­rich­tig­kei­ten bei der So­zi­al­aus­wahl sind da­her (je­den­falls theo­re­tisch)un­er­heb­lich und führen nicht zur Un­wirk­sam­keit ei­ner be­triebs­be­ding­ten Kündi­gung.

BEISPIEL: Der Ar­beit­ge­ber will zwei von drei Stel­len strei­chen und nimmt da­zu ei­ne So­zi­al­aus­wahl zwi­schen fünf mit­ein­an­der ver­gleich­ba­ren Ar­beit­neh­mern vor. Ei­ner der Gekündig­ten ist 35 Jah­re alt. Er greift die Wirk­sam­keit der Kündi­gung mit ei­ner Kündi­gungs­schutz­kla­ge an und be­ruft sich dar­auf, dass an sei­ner Stel­le ein 33 Jah­re al­ter Kol­le­ge hätte gekündigt wer­den müssen. In be­zug auf die an­de­ren So­zi­al­aus­wahl­kri­te­ri­en (Be­triebs­zu­gehörig­keit, Un­ter­halts­pflich­ten, Schwer­be­hin­de­rung) gibt es kei­nen Un­ter­schied zwi­schen ihm und dem nicht gekündig­ten Ar­beits­kol­le­gen.

Hier würde das BAG wohl ur­tei­len, dass der Un­ter­schied zwi­schen dem gekündig­ten und dem nicht gekündig­ten Ar­beit­neh­mer so ge­ring ist, dass die So­zi­al­aus­wahl durch die Kündi­gungs­ent­schei­dung zu­las­ten des ge­ra­de mal zwei Jah­re älte­ren Ar­beit­neh­mers nicht feh­ler­haft wird.

Vie­le Ar­beits­ge­rich­te und Lan­des­ar­beits­ge­rich­te würden das aber an­ders se­hen, d.h. sie würden den Er­mes­sens­spiel­raum, der dem Ar­beit­ge­ber bei der So­zi­al­aus­wahl ei­gent­lich zu­steht, nicht sehr ernst neh­men.

Was be­sagt die „Do­mi­no­theo­rie“?

Die Do­mi­no­theo­rie wur­de in ei­nem Ur­teil des Bun­des­ar­beits­ge­richts (BAG) vom 18.10.1984 (2 AZR 543/83) ent­wi­ckelt und seit­dem lan­ge Jah­re vom BAG in ständi­ger Recht­spre­chung an­ge­wandt. Ihr Kern­satz lau­tet (BAG, a.a.O. Leit­satz 2):

"Wird meh­re­ren Ar­beit­neh­mern aus drin­gen­den be­trieb­li­chen Gründen zur sel­ben Zeit gekündigt, ei­nem ver­gleich­ba­ren Ar­beit­neh­mer da­ge­gen nicht, der er­heb­lich we­ni­ger hart von der Kündi­gung be­trof­fen wäre, so können sich al­le gekündig­ten Ar­beit­neh­mer auf die­sen Aus­wahl­feh­ler mit Er­folg be­ru­fen."

Soll heißen: Hat der Ar­beit­ge­ber bei der Aus­wahl von zum Bei­spiel 50 zu kündi­gen­den Ar­beit­neh­mern aus 100 mögli­chen „Kündi­gungs­kan­di­da­ten" ei­nen Ar­beit­neh­mer zu Un­recht auf den ret­ten­den Platz 48 ge­setzt, ob­wohl er bei rich­ti­ger An­wen­dung des Punk­te­sche­mas auf Platz 55 ge­setzt und da­her hätte gekündigt wer­den müssen, kann sich nicht nur der so­zi­al schutz­bedürf­tigs­te und da­her zu Un­recht auf Rang­num­mer 51 ge­setz­te Ar­beit­neh­mer auf die­sen Feh­ler be­ru­fen (d.h. auf sei­ne an sich rich­ti­ge bzw. „ret­ten­de“ Rang­num­mer 50), son­dern al­le (!) an­de­ren gekündig­ten Ar­beit­neh­mer, d.h. auch die­je­ni­gen, die auf Rang 52 bis 100 ge­setzt wur­den.

Die­se Be­trach­tungs­wei­se heißt "Do­mi­no­theo­rie", weil je­de fal­sche Po­si­tio­nie­rung ei­nes Ar­beit­neh­mers bei der Rang­fol­gen­bil­dung da­zu führt, dass auch al­le nach­fol­gen­den Po­si­tio­nen als recht­lich falsch an­zu­se­hen sind, d.h. "um­kip­pen".

Für die Do­mi­no­theo­rie spricht, dass die So­zi­al­aus­wahl eben un­rich­tig war und man nach dem Ge­setz ei­ne be­triebs­be­ding­te Kündi­gung nur bei feh­ler­frei­er So­zi­al­aus­wahl hin­neh­men muss. Ge­gen die Do­mi­no­theo­rie spricht al­ler­dings, dass die "wei­ter un­ten" auf der Lis­te be­find­li­chen Ar­beit­neh­mer so oder so hätten gekündigt wer­den können, d.h. auch dann, wenn der Feh­ler bei der Rang­fol­gen­bil­dung "wei­ter oben" nicht un­ter­lau­fen wäre: Sie hätten in je­dem Fall zu we­nig So­zi­al­punk­te ge­habt, um ans ret­ten­de Ufer zu kom­men, d.h. ih­re Na­men hätten sich so oder so auf der Lis­te der zu kündi­gen­den Ar­beit­neh­mer be­fun­den.

Die Do­mi­no­theo­rie wur­de vom BAG mit Ur­teil vom 09.11.2006 (2 AZR 812/05) auf­ge­ge­ben (wir be­rich­te­ten darüber in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 06/19 Bun­des­ar­beits­ge­richt lo­ckert So­zi­al­aus­wahl bei Kündi­gun­gen.).

Seit­dem ver­hilft der Nach­weis ei­nes Feh­lers bei der Rang­fol­gen­bil­dung nur noch sol­chen Ar­beit­neh­mern zum Er­folg ih­rer Kündi­gungs­schutz­kla­ge, die durch die bei rich­ti­ger So­zi­al­aus­wahl ge­bo­te­nen Her­ab­stu­fung ei­nes Ar­beits­kol­le­gen nach oben ge­scho­ben wer­den, so dass sie persönlich das ret­ten­de Ufer er­rei­chen.

Wel­che Aus­wir­kun­gen hat ein In­ter­es­sen­aus­gleich mit Na­mens­lis­te auf die So­zi­al­aus­wahl?

Bei Be­triebsände­run­gen, die mit größeren Ent­las­sungs­wel­len ("Mas­sen­ent­las­sun­gen") ver­bun­den sind, muss der Ar­beit­ge­ber mit dem Be­triebs­rat über ei­nen In­ter­es­sen­aus­gleich ver­han­deln und der Be­triebs­rat kann ei­nen So­zi­al­plan durch­set­zen, not­falls über den Weg der Ei­ni­gungs­stel­le.

Lässt sich der Be­triebs­rat bei die­sen Ver­hand­lun­gen dar­auf ein, ei­nen In­ter­es­sen­aus­gleich ab­zu­sch­ließen, in dem die zu kündi­gen­den Ar­beit­neh­mer na­ment­lich ge­nannt wer­den ("In­ter­es­sen­aus­gleich mit Na­mens­lis­te"), nimmt er den in der Na­mens­lis­te ge­nann­ten Ar­beit­neh­mern weit­ge­hend den Kündi­gungs­schutz.

Denn dann wird gemäß § 1 Abs.5 KSchG im ge­richt­li­chen Streit über die Wirk­sam­keit der be­triebs­be­ding­ten Kündi­gung ver­mu­tet, dass die Kündi­gung durch drin­gen­de be­trieb­li­che Er­for­der­nis­se be­dingt ist. Außer­dem kann die So­zi­al­aus­wahl durch das Ar­beits­ge­richt "nur auf gro­be Feh­ler­haf­tig­keit über­prüft wer­den". Al­ler­dings gel­ten die­se Ein­schränkun­gen des Kündi­gungs­schut­zes gemäß § 1 Abs.5 Satz 3 KSchG nicht, wenn sich die Sach­la­ge nach Zu­stan­de­kom­men des In­ter­es­sen­aus­gleichs "we­sent­lich geändert" hat.

Ar­beit­neh­mer, die auf ei­ner sol­chen Na­mens­lis­te ste­hen, ha­ben da­her bei ei­ner Kündi­gungs­schutz­kla­ge we­nig Chan­cen. Vor die­sem Hin­ter­grund sind Ar­beit­ge­ber bei Ver­hand­lun­gen über ei­nen In­ter­es­sen­aus­gleich und So­zi­al­plan sehr dar­an in­ter­es­siert, dass der Be­triebs­rat bei ei­ner Na­mens­lis­te mit­macht, was die­ser wie­der­um nur dann tun wird, wenn die So­zi­al­plan­leis­tun­gen im Ge­gen­zug deut­lich auf­ge­bes­sert wer­den.

Wer hat die für die Be­ur­tei­lung der So­zi­al­aus­wahl maßgeb­li­chen Tat­sa­chen vor Ge­richt zu be­wei­sen?

Gemäß § 1 Abs.3 Satz 3 KSchG hat der Ar­beit­neh­mer im Kündi­gungs­schutz­pro­zess die Tat­sa­chen zu be­wei­sen, aus de­nen sich er­gibt, dass die strei­ti­ge Kündi­gung so­zi­al un­ge­recht­fer­tigt war. Bei ei­ner be­triebs­be­ding­ten Kündi­gung gehören da­zu die Tat­sa­chen, die ei­ne feh­ler­haf­te So­zi­al­aus­wahl be­le­gen sol­len.

Da der Ar­beit­neh­mer da­zu al­ler­dings im Pro­zess vor­tra­gen muss, wel­cher Ar­beits­kol­le­ge statt sei­ner hätte gekündigt wer­den müssen, gibt ihm das Ge­setz ei­nen An­spruch auf Aus­kunft über die vom Ar­beit­ge­ber vor­ge­nom­me­ne So­zi­al­aus­wahl an die Hand: Gemäß § 1 Abs.3 Satz 1, 2. Halb­satz KSchG hat der Ar­beit­ge­ber dem Ar­beit­neh­mer auf des­sen Ver­lan­gen die Gründe mit­zu­tei­len, die zu der ge­trof­fe­nen so­zia­len Aus­wahl geführt ha­ben.

Wo fin­den Sie mehr zum The­ma So­zi­al­aus­wahl?

Wei­te­re In­for­ma­tio­nen, die Sie im Zu­sam­men­hang mit dem The­ma So­zi­al­aus­wahl in­ter­es­sie­ren könn­ten, fin­den Sie hier:

Kom­men­ta­re un­se­res An­walts­teams zu ak­tu­el­len Fra­gen rund um das The­ma So­zi­al­aus­wahl fin­den Sie hier:

Ar­beits­recht ak­tu­ell 2022

Ar­beits­recht ak­tu­ell 2019

Ar­beits­recht ak­tu­ell 2018

Ar­beits­recht ak­tu­ell 2017

Ar­beits­recht ak­tu­ell 2016

Ar­beits­recht ak­tu­ell 2015

Ei­ne vollständi­ge Über­sicht un­se­rer Beiträge zum The­ma So­zi­al­aus­wahl fin­den Sie un­ter:
Ur­tei­le und Kom­men­ta­re: So­zi­al­aus­wahl

Letzte Überarbeitung: 4. November 2022

Was können wir für Sie tun?

Wenn Sie ei­ne be­triebs­be­ding­te Kün­di­gung Ih­res Ar­beit­ge­bers er­hal­ten ha­ben und be­zwei­feln, ob die­se im Hin­blick auf die er­for­der­li­che So­zi­al­aus­wahl recht­lich in Ord­nung ist, be­ra­ten wir Sie je­der­zeit ger­ne. Wir un­ter­stüt­zen Sie auch, wenn Sie vor der Ent­schei­dung ste­hen, ei­ne Kün­di­gungs­schutz­kla­ge zu er­he­ben oder sich auf ei­ne au­ßer­ge­richt­li­che (Ab­fin­dungs-)Lö­sung ein­zu­las­sen.

Je nach La­ge des Fal­les bzw. ent­spre­chend Ih­ren Wün­schen tre­ten wir ent­we­der nach au­ßen nicht in Er­schei­nung oder aber wir ver­han­deln in Ih­rem Na­men mit Ih­rem Ar­beit­ge­ber bzw. mit den Ver­tre­tern der Ge­sell­schaf­ter.

Für ei­ne mög­lichst ra­sche und ef­fek­ti­ve Be­ra­tung be­nö­ti­gen wir fol­gen­de Un­ter­la­gen:

  • Ar­beits­ver­trag
  • Ge­halts­nach­wei­se
  • Kün­di­gungs­schrei­ben (falls vor­han­den)
  • An­ge­bot Ab­wick­lungs­ver­trag (falls vor­han­den)
  • An­ge­bot Auf­he­bungs­ver­trag (falls vor­han­den)

Weitere Auskünfte erteilen Ihnen gern:

Dr. Martin Hensche
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hensche@hensche.de
Christoph Hildebrandt
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hildebrandt@hensche.de
Nina Wesemann
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Arbeitsrecht

Kontakt:
040 / 69 20 68 04
wesemann@hensche.de
Bewertung: 4.0 von 5 Sternen (36 Bewertungen)

Auf Facebook teilen Auf Google+ teilen Ihren XING-Kontakten zeigen Beitrag twittern

 

Für Personaler, betriebliche Arbeitnehmervertretungen und andere Arbeitsrechtsprofis: "Update Arbeitsrecht" bringt Sie regelmäßig auf den neusten Stand der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung. Informationen zu den Abo-Bedingungen und ein kostenloses Ansichtsexemplar finden Sie hier:

Alle vierzehn Tage alles Wichtige
verständlich / aktuell / praxisnah

HINWEIS: Sämtliche Texte dieser Internetpräsenz mit Ausnahme der Gesetzestexte und Gerichtsentscheidungen sind urheberrechtlich geschützt. Urheber im Sinne des Gesetzes über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (UrhG) ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Martin Hensche, Lützowstraße 32, 10785 Berlin.

Wörtliche oder sinngemäße Zitate sind nur mit vorheriger schriftlicher Genehmigung des Urhebers bzw. bei ausdrücklichem Hinweis auf die fremde Urheberschaft (Quellenangabe iSv. § 63 UrhG) rechtlich zulässig. Verstöße hiergegen werden gerichtlich verfolgt.

© 1997 - 2024:
Rechtsanwalt Dr. Martin Hensche, Berlin
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Lützowstraße 32, 10785 Berlin
Telefon: 030 - 26 39 62 0
Telefax: 030 - 26 39 62 499
E-mail: hensche@hensche.de