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ARBEITSRECHT
Ausgabe
ENTSCHEIDUNGSREPORT FÜR DIE BETRIEBLICHE PRAXIS 02|2025

Update Arbeitsrecht 02|2025 vom 28.02.2025

Entscheidungsbesprechungen

BAG: Pflicht zum Schadensersatz bei verspäteter Zielvorgabe

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 19.02.2025, 10 AZR 57/24

Verletzt der Arbeitgeber seine Pflicht zur rechtzeitigen Zielvorgabe, kann der Arbeitnehmer Schadensersatz verlangen, wenn eine nachträgliche Zielvorgabe ihre Motivations- und Anreizfunktion nicht mehr erfüllen kann.

§§ 249; 252 Satz 1; 254; 280 Abs.1, Abs.3; 283 Satz 1; 315 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB); § 287 Zivilprozessordnung (ZPO)

Rechtlicher Hintergrund

Viele Arbeitsverträge enthalten Rahmenvereinbarungen zum Thema Zielvereinbarung. Danach müssen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu Beginn eines Kalender- oder Geschäftsjahrs gemeinsam Ziele festlegen, die der Arbeitnehmer erreichen sollte, um einen Bonus zu erhalten.

Alternativ dazu können arbeitsvertragliche Rahmenregelungen auch vorsehen, dass der Arbeitgeber verpflichtet ist, dem Arbeitnehmer einseitig Zielvorgaben zu machen. Sie müssen erreichbare Ziele beinhalten, d.h. sie müssen „billigem Ermessen“ im Sinne von § 315 Abs.1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) entsprechen.

Ob arbeitsvertragliche Pflicht zur jährlichen Zielvereinbarung oder zur jährlichen einseitigen Zielvorgabe - in jedem Fall sollten sich die Parteien vor Beginn der Zielerreichungsperiode hinsetzen und die zu erreichenden Ziele besprechen. Dazu fehlt oft die Zeit.

Daher kommt es vor, dass die eigentlich vorab festzulegenden „Jahresziele“ erst im Lauf des Zielerreichungsjahrs definiert werden, und manchmal gar nicht. Dann läuft die arbeitsvertragliche Bonusregelung leer. Das vertraglich festgelegte Ablaufprogramm wird nicht eingehalten.

Ende 2020 hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschieden, dass ein schuldhafter Verstoß des Arbeitgebers gegen seine arbeitsvertragliche Pflicht zur Vereinbarung von Jahreszielen nach Ablauf der Zielerreichungsperiode einen Anspruch auf Schadensersatz nach sich zieht. 

Dieser Anspruch beinhaltet einen „Schadensersatz statt der Leistung“ und beruht auf § 280 Abs.1, Abs.3 in Verb. mit § 283 Satz 1 BGB (BAG, Urteil vom 17.12.2020, 8 AZR 149/20; s. dazu Update Arbeitsrecht 14|2021 vom 14.07.2021).

Vor kurzem musste das BAG über eine Vertragsklausel entscheiden, in der es um eine arbeitsvertragliche Pflicht zur einseitigen Zielvorgabe ging, die der Arbeitgeber teilweise gar nicht und teilweise erst spät im Verlauf der Zielerreichungsperiode gemacht hatte: Urteil vom 19.02.2025, 10 AZR 57/24.

Sachverhalt

Ein Angestellter arbeitete von Mitte Juli 2016 bis Ende November 2019 als „Head of Advertising“ bei einem Unternehmen, das Führungskräften eine erfolgsabhängige Vergütung zahlte. Sie hing von den Zielvorgaben des Unternehmens und vom Grad der Zielerreichung ab. Zielerreichungsperiode war das Geschäftsjahr, das dem Kalenderjahr entsprach.

Mitte März 2019 einigten sich Geschäftsleitung und Betriebsrat auf eine Betriebsvereinbarung zum Thema Zielvereinbarungsbonus. Darin hieß es: 

„Der Mitarbeiter erhält bis zum 01.03. des Kalenderjahres eine zuvor mit ihm zu besprechende Zielvorgabe. Diese setzt sich zu 70 % aus Unternehmenszielen zusammen. 30 % entfallen auf individuelle Ziele, von denen bis zu 3 definiert werden sollen. Die Gewichtung dieser individuellen Ziele liegt im pflichtgemäßen Ermessen der Führungskraft, die sich hierzu mit dem Mitarbeiter abstimmen soll. Der Arbeitgeber verpflichtet sich, den Mitarbeitern Ziele vorzugeben, die nach pflichtgemäßer Beurteilung ex ante erreichbar sind.“ 

Unter Verstoß gegen diese Betriebsvereinbarung, die rückwirkend zum 01.01.2019 in Kraft getreten war, teilte das Unternehmen dem Angestellten die Jahresziele weder bis zum 01.03.2019 noch in den folgenden Monaten mit. 

In einer Rund-E-Mail vom 26.09.2019 entschuldigte sich der Geschäftsführer bei den Mitarbeitern für die Verzögerung. Außerdem teilte er mit, dass man die individuellen Ziele für 2019 entsprechend der durchschnittlichen Zielerreichung der Führungskräfte in den vergangenen Jahren mit einem Zielerreichungsgrad von 142 Prozent bewerten werde.

In einem „Heads Meeting“ am 15.10.2019 wurden dann endlich konkrete Zahlen zu den Unternehmenszielen genannt. 

Der Angestellte kündigte zu Ende November 2019. Später verklagte er das Unternehmen. Er hatte zwar eine variable Vergütung von 15.586,55 EUR brutto erhalten, doch verlangte er weitere 16.035,94 EUR brutto als Schadensersatz. 

Diesen Betrag berechnete er zeitanteilig bis zu seinem Austritt Ende November 2019, sowie auf der Grundlage einer hundertprozentigen Erreichung der Unternehmensziele.

Vor dem Arbeitsgericht Köln hatte er keinen Erfolg (Urteil vom 23.11.2022, 12 Ca 2958/20). Dagegen gab das Landesarbeitsgericht (LAG) Köln dem Angestellten recht (LAG Köln, Urteil vom 06.02.2024, 4 Sa 390/23; s. dazu Update Arbeitsrecht 06|2024 vom 20.03.2024).

Entscheidung des BAG

Das BAG wies die Revision des Arbeitgebers zurück. In der derzeit allein vorliegenden Pressemitteilung des BAG heißt es zur Begründung:

Der Angestellte hatte einen Anspruch auf Schadensersatz auf der Grundlage von § 280 Abs.1, Abs.3 BGB in Verb. mit § 283 Satz 1 BGB. Das Unternehmen hatte seine Pflicht zur Zielvorgabe entsprechend der Betriebsvereinbarung für 2019 schuldhaft verletzt. 

Denn es hatte dem Angestellten keine individuellen Ziele vorgegeben und die Unternehmensziele erst mitgeteilt, nachdem etwa drei Viertel der Zielerreichungsperiode abgelaufen waren. 

Zu diesem Zeitpunkt war eine Zielvorgabe, die ihrer Motivations- und Anreizfunktion gerecht werden könnte, nicht mehr möglich. Daher wies das BAG auch das Argument des Arbeitgebers zurück, der eine nachträgliche gerichtliche Leistungsbestimmung gemäß § 315 Abs.3 Satz 2 Halbsatz 2 BGB vorgeschlagen hatte. 

Bei der Schadensschätzung gemäß § 287 Abs.1 Zivilprozessordnung (ZPO) war gemäß § 252 Satz 2 BGB von der zugesagten (maximalen) variablen Vergütung auszugehen, und es war weiterhin anzunehmen, dass der Angestellte die Unternehmensziele zu 100 Prozent und die individuellen Ziele zur 142 Prozent erreicht hätte. 

Der Angestellte musste sich auch kein Mitverschulden gemäß § 254 Abs.1 BGB anrechnen lassen. Hier macht das BAG offenbar einen Unterschied zwischen vertraglichen Zielvereinbarungen und einseitigen Zielvorgaben. 

Unterlässt der Arbeitgeber (rechtzeitige) Zielvorgaben, ist in der Regel überhaupt kein Mitverschulden des Arbeitnehmers wegen fehlender Mitwirkung anzunehmen. Denn bei Zielvorgaben trägt allein der Arbeitgeber die Initiativlast für die Vorgabe der Ziele.

Praxishinweis

Verletzt der Arbeitgeber schuldhaft seine arbeitsvertragliche Pflicht, dem Arbeitnehmer für eine Zielperiode bonusrelevante Ziele vorzugeben, kann der Arbeitnehmer Schadensersatz verlangen, wenn eine nachträgliche Zielvorgabe ihre Motivations- und Anreizfunktion nicht mehr erfüllen kann.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 19.02.2025, 10 AZR 57/24 (Pressemitteilung des Gerichts)

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 17.12.2020, 8 AZR 149/20

Landesarbeitsgericht Köln, Urteil vom 06.02.2024, 4 Sa 390/23

 

Handbuch Arbeitsrecht: Bonus

Handbuch Arbeitsrecht: Haftung des Arbeitgebers

Handbuch Arbeitsrecht: Provision 

Handbuch Arbeitsrecht: Tantieme

Handbuch Arbeitsrecht: Zielvereinbarung

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