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ARBEITSRECHT AKTUELL // 12/078

Fra­ge nach Schwer­be­hin­de­rung zu­läs­sig

Fra­ge nach ei­ner Schwer­be­hin­de­rung ist im be­ste­hen­den Ar­beits­ver­hält­nis zu­läs­sig: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Ur­teil vom 16.02.2012, 6 AZR 553/10
Mann mit Rollator Wird im­mer wie­der zum Zank­ap­fel: Fra­ge­recht des Ar­beit­ge­bers

20.02.2012. Ar­beit­ge­ber dür­fen Stel­len­be­wer­ber nicht nach ei­ner Schwer­be­hin­de­rung fra­gen, denn das wä­re ei­ne be­hin­de­rungs­be­ding­te Dis­kri­mi­nie­rung.

An­de­rer­seits wer­den schwer­be­hin­der­te Ar­beit­neh­mer, wenn das Ar­beits­ver­hält­nis ein­mal be­grün­det wor­den ist, vor Be­nach­tei­li­gun­gen we­gen ih­rer Be­hin­de­rung durch spe­zi­el­le ge­setz­li­che Re­ge­lun­gen be­son­ders ge­schützt. Die­sen ge­setz­li­chen Schutz kann der Ar­beit­ge­ber aber nur um­set­zen, wenn er weiß, wer von sei­nen Ar­beit­neh­mern schwer­be­hin­dert ist.

Das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) hat da­her vor ei­ni­gen Ta­gen ent­schie­den, dass die Fra­ge nach ei­ner Schwer­be­hin­de­rung zu­läs­sig ist, wenn das Ar­beits­ver­hält­nis be­reits sechs Mo­na­te be­steht: BAG, Ur­teil vom 16.02.2012, 6 AZR 553/10.

Darf der Ar­beit­ge­ber nach ei­ner Schwer­be­hin­de­rung fra­gen?

Vor zwölf Jah­ren hielt das BAG die Fra­ge nach ei­ner Schwer­be­hin­de­rung bei Ein­stel­lun­gen noch all­ge­mein für zulässig. Doch jetzt ver­bie­ten § 81 Abs.2 So­zi­al­ge­setz­buch Neun­tes Buch (SGB IX) und das All­ge­mei­ne Gleich­be­hand­lungs­ge­setz die Dis­kri­mi­nie­rung schwer­be­hin­der­ter Men­schen. Des­halb wird heu­te all­ge­mein an­ge­nom­men, dass bei ei­ner Ein­stel­lung nicht nach ei­ner Schwer­be­hin­de­rung ge­fragt wer­den darf, falls die­se nicht aus­nahms­wei­se der ver­trags­gemäßen Tätig­keit ent­ge­gen­steht.

An­ders als bei der Ein­stel­lung könn­te dem Ar­beit­ge­ber aber im lau­fen­den Ar­beits­verhält­nis die Fra­ge nach ei­ner Schwer­be­hin­de­rung er­laubt sein. Denn das SGB IX sieht Beschäfti­gungs­quo­ten und ein Recht auf be­hin­de­rungs­ge­rech­te Beschäfti­gung vor. Die­se Pflich­ten kann der Ar­beit­ge­ber nur erfüllen, wenn er Schwer­be­hin­de­run­gen sei­ner Ar­beit­neh­mer kennt.

Und auch bei be­triebs­be­ding­ten Kündi­gun­gen sind Schwer­be­hin­der­te be­son­ders geschützt, weil die Schwer­be­hin­de­rung bei der So­zi­al­aus­wahl berück­sich­tigt wer­den muss (§ 1 Abs.3 Satz 1 Kündi­gungs­schutz­ge­setz - KSchG) und weil das In­te­gra­ti­ons­amt ei­ner der Kündi­gung ei­nes Schwer­be­hin­der­ten zu­stim­men muss (§§ 85-92 SGB IX). Die­ser Kündi­gungs­schutz greift al­ler­dings erst nach sechs Mo­na­ten Beschäfti­gungs­dau­er ein.

Vor die­sem Hin­ter­grund fragt sich, ob sich der Ar­beit­ge­ber im Vor­feld ei­ner ge­plan­ten Kündi­gungs­wel­le nach Schwer­be­hin­de­run­gen er­kun­di­gen darf. Darf er, so das BAG.

BAG: Nach sechs Mo­na­ten ist die Fra­ge nach ei­ner Schwer­be­hin­de­rung rech­tens

Im Streit­fall woll­te ein In­sol­venz­ver­wal­ter zur Vor­be­rei­tung be­triebs­be­ding­ter Kündi­gun­gen ei­ne So­zi­al­aus­wahl vor­neh­men und frag­te da­her al­le Ar­beit­neh­mer per Fra­ge­bo­gen nach ih­ren So­zi­al­da­ten. Ein Ma­schi­nen­schlos­ser hat­te bei der Fra­ge nach der Schwer­be­hin­de­rung das Feld "nein" an­ge­kreuzt.

Erst nach­dem er oh­ne Zu­stim­mung des In­te­gra­ti­ons­am­tes gekündigt wor­den war, be­rief er sich auf sei­ne Schwer­be­hin­de­rung. Die­sen Ein­wand ge­gen die Kündi­gung woll­te das mit dem Fall be­fass­te Lan­des­ar­beits­ge­richt Hamm (Ur­teil vom 30.06.2010, 2 Sa 49/10) nicht gel­ten las­sen (wir be­rich­te­ten darüber in Ar­beits­recht ak­tu­ell 11/017: Darf der Ar­beit­ge­ber zwecks Kündi­gung nach ei­ner Schwer­be­hin­de­rung fra­gen?).

Der Mei­nung des LAG hat sich jetzt das BAG an­ge­schlos­sen. Denn die Fra­ge des Ver­wal­ters war zulässig, so das BAG, weil sie ihm ein recht­lich kor­rek­tes Ver­hal­ten ermögli­chen soll­te. Und da der Ar­beit­neh­mer auf die Fra­ge falsch ge­ant­wor­tet hat­te, konn­te er sich im Kündi­gungs­schutz­pro­zess auf sei­ne Be­hin­de­rung nicht be­ru­fen.

Fa­zit: In sei­ner Pres­se­mit­tei­lung deu­tet das BAG an, dass es die Fra­ge nach ei­ner Schwer­be­hin­de­rung „je­den­falls nach sechs Mo­na­ten“ im All­ge­mei­nen, d.h. un­abhängig von Kündi­gungs­vor­be­rei­tun­gen für zulässig hält. Ei­ne sol­che Zeit­gren­ze wäre sinn­voll, denn ers­tens benötigt der Ar­beit­ge­ber In­for­ma­ti­on über die Schwer­be­hin­de­rung, um ge­setz­li­che Pflich­ten zu erfüllen, und zwei­tens ge­nießt der Ar­beit­neh­mer nach sechs Mo­na­ten all­ge­mei­nen Kündi­gungschutz nach dem KSchG (falls die­ses an­wend­bar ist) und Son­derkündi­gungs­schutz als Schwer­be­hin­der­ter.

Nähe­re In­for­ma­tio­nen fin­den sie hier:

Hin­weis: In der Zwi­schen­zeit, d.h. nach Er­stel­lung die­ses Ar­ti­kels, hat das Ge­richt sei­ne Ent­schei­dungs­gründe schrift­lich ab­ge­fasst und veröffent­licht. Die Ent­schei­dungs­gründe im Voll­text fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 16. November 2020

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