HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

HANDBUCH ARBEITSRECHT

Schein­selb­stän­dig­keit

In­for­ma­tio­nen zum The­ma Schein­selb­stän­dig­keit: Hen­sche Rechts­an­wäl­te, Kanz­lei für Ar­beits­recht
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Le­sen Sie hier, wer Schein­selb­stän­di­ger ist, wie man fest­stel­len kann, ob Schein­selbst­stän­dig­keit vor­liegt, und wel­che Fol­gen die Schein­selb­stän­dig­keit im Be­reich des Ar­beits­rechts, des So­zi­al­ver­si­che­rungs­rechts und des Steu­er­rechts hat.

Au­ßer­dem fin­den Sie Hin­wei­se da­zu, ob der Ar­beit­ge­ber nach Be­kannt­wer­den der Schein­selb­stän­dig­keit zu­viel ge­zahl­te Ver­gü­tung zu­rück­ver­lan­gen kann, ob ihm ein Rück­zah­lungs­an­spruch we­gen der vom Schein­selb­stän­di­gen zu Un­recht ver­ein­nahm­ten Um­satz­steu­er zu­steht und wel­che für den Ar­beit­ge­ber so­wie für Or­gan­ver­tre­ter per­sön­lich ris­kan­ten Fol­gen die Schein­selb­stän­dig­keit hat.

von Rechts­an­walt Dr. Mar­tin Hen­sche, Fach­an­walt für Ar­beits­recht, Ber­lin

Wer ist ein Schein­selbständi­ger?

Un­ter ei­nem Schein­selbständi­gen ver­steht man ei­nen Er­werbstäti­gen,

Schein­selbständi­ge sind da­her kei­ne be­son­de­re Grup­pe der Beschäftig­ten oder gar der Selbständi­gen. Viel­mehr sind Schein­selbständi­ge "ganz nor­ma­le" ver­si­che­rungs­pflich­ti­ge Beschäftig­te im Sin­ne von § 7 Abs.4 Vier­tes Buch So­zi­al­ge­setz­buch (SGB IV), für die al­ler­dings un­ter Ver­s­toß ge­gen die zwin­gen­den Vor­schrif­ten des So­zi­al­ver­si­che­rungs­rechts kei­ne So­zi­al­ab­ga­ben so­wie un­ter Ver­s­toß ge­gen steu­er­recht­li­che Be­stim­mun­gen kei­ne Lohn­steu­ern ent­rich­tet wer­den.

Zu­dem han­delt es sich zu­meist auch um Ar­beit­neh­mer, da der so­zi­al- bzw. bei­trags­recht­li­che Beschäftig­ten­be­griff und der ar­beits­recht­li­che Ar­beit­neh­mer­be­griff fast iden­tisch sind.

Wie kann man fest­stel­len, ob Schein­selbstständig­keit vor­liegt?

Die Fra­ge nach der Schein­selbständig­keit läuft auf die Fra­ge nach dem Vor­lie­gen ei­ner so­zi­al­ver­si­che­rungs­pflich­ti­gen bzw. abhängi­gen Beschäfti­gung hin­aus:

Wer sich als selbständig an­sieht und da­her für sei­ne Tätig­keit ge­genüber sei­nem Auf­trag­ge­ber als frei­er Mit­ar­bei­ter Rech­nun­gen stellt, ist schein­selbständig, wenn sei­ne Ar­beit die Vor­aus­set­zun­gen ei­ner so­zi­al­ver­si­che­rungs­pflich­ti­gen bzw. abhängi­gen Beschäfti­gung erfüllt.

Prak­tisch wich­tig ist da­bei die zwin­gen­de Wir­kung des Ar­beits­rechts und des So­zi­al­ver­si­che­rungs­rechts: Ist der ver­meint­lich freie Mit­ar­bei­ter in Wahr­heit in den Be­trieb sei­nes Auf­trag­ge­bers ein­ge­glie­dert und ver­rich­tet er nach des­sen Wei­sun­gen sei­ne Ar­beit, liegt ein Ar­beits­verhält­nis und ein so­zi­al­ver­si­che­rungs­pflich­ti­ges Beschäfti­gungs­verhält­nis auch dann vor, wenn die Ver­trags­par­tei­en das nicht wol­len und bemüht sind, das Ar­beits- bzw. Beschäfti­gungs­verhält­nis mit "ge­schick­ten For­mu­lie­run­gen" im Ver­trag zu bemänteln.

In­for­ma­tio­nen zu der Fra­ge, un­ter wel­chen Umständen dies der Fall ist, fin­den Sie un­ter dem Stich­wort "Beschäfti­gung" und "Ar­beit­neh­mer".

Wer kann im Zwei­fels­fall ver­bind­lich klären, ob Selbständig­keit oder Beschäfti­gung vor­liegt?

Die Fra­ge nach der so­zi­al- und ar­beits­recht­li­chen Ein­ord­nung ei­nes Er­werbstäti­gen ist oft nicht leicht zu be­ant­wor­ten und kann da­her ein Streit­punkt sein. Sie wird re­gelmäßig erst im Kon­flikt­fall ge­stellt, bei­spiels­wei­se bei ei­ner Kündi­gung oder wenn die Kran­ken­kas­se im Rah­men ei­ner Be­triebs­prüfung auf An­halts­punk­te für ein Beschäfti­gungs­verhält­nis stößt und da­her ein Fest­stel­lungs­ver­fah­ren ein­lei­tet. Wich­tig ist da­her, möglichst frühzei­tig bzw. bei Be­ginn der Tätig­keit rechts­ver­bind­lich zu klären, ob die Tätig­keit als ech­te freie Mit­ar­beit oder als Ar­beits- bzw. Beschäfti­gungs­verhält­nis an­zu­se­hen ist.

Ei­ne rechts­ver­bind­li­che Klärung lässt sich frühzei­tig auf fol­gen­dem We­ge er­rei­chen:

  • Im So­zi­al­recht kann die mögli­che Ver­si­che­rungs- und Bei­trags­pflicht ei­ner Er­werbstätig­keit durch die zuständi­ge Kran­ken­kas­se (§ 28h Abs.2 Satz 1 SGB IV) oder im We­ge des An­fra­ge­ver­fah­ren nach § 7a SGB IV geklärt wer­den.
  • Im Ar­beits­recht kann das Vor­lie­gen bzw. Nicht­vor­lie­gen ei­nes Ar­beits­verhält­nis­ses durch die Kla­ge auf Fest­stel­lung des Be­ste­hens ei­nes Ar­beits­verhält­nis­ses geklärt wer­den.
  • Im Steu­er­recht be­steht die Möglich­keit ei­ner An­ru­fungs­aus­kunft gemäß § 42e Ein­kom­men­steu­er­ge­setz (EStG), durch die der Ar­beit­ge­ber beim Fi­nanz­amt vor­ab ei­ne ver­bind­li­che Aus­kunft über die steu­er­li­che Be­hand­lung be­stimm­ter Leis­tun­gen im Lohn­ab­zugs­ver­fah­ren ein­ho­len kann.

Ei­ne früher in § 7 Abs.4 SGB IV nie­der­ge­leg­te, für das So­zi­al­recht gel­ten­de Ver­mu­tungs­re­ge­lung wur­de ab­ge­schafft, da sie sich in der Pra­xis als nutz­los er­wie­sen hat­te.

Wel­che ar­beits­recht­li­chen Fol­gen hat die Schein­selbständig­keit?

Ver­meint­lich freie Mit­ar­bei­ter sind Ar­beit­neh­mer. Da­her ste­hen ih­nen sämt­li­che Rech­te zu, die das Ar­beits­recht für Ar­beit­neh­mer vor­sieht. Be­son­ders wich­tig ist hier vor al­lem

Kann der Ar­beit­ge­ber vom Schein­selbständi­gen zu­viel ge­zahl­te Vergütung zurück­ver­lan­gen?

Frei­be­ruf­ler bzw. selbständig Täti­ge be­kom­men meist ei­ne höhe­re Vergütung als Ar­beit­neh­mer mit ei­ner ver­gleich­ba­ren Tätig­keit. Denn Frei­be­ruf­ler müssen sich selbst um ih­ren Kran­ken­ver­si­che­rungs­schutz und ih­re Al­ters­ver­sor­gung kümmern. Außer­dem wer­den sie nur für die Zei­ten be­zahlt, die sie tatsächlich ar­bei­ten, d.h. sie können kei­ne Ent­gelt­fort­zah­lung im Krank­heits­fall und kei­nen be­zahl­ten Er­ho­lungs­ur­laub be­an­spru­chen. Auch das führt zu höhe­ren St­un­den- oder Ta­gessätzen, als sie Ar­beit­neh­mer mit ver­gleich­ba­ren Auf­ga­ben er­hal­ten.

Stellt sich im Nach­hin­ein her­aus, dass der Selbständi­ge in Wahr­heit ein Schein­selbständi­ger war, d.h. ein so­zi­al­ver­si­che­rungs­pflich­tig Beschäftig­ter, dann kommt es meist auch zu ei­ner gleich­ar­ti­gen ar­beits­recht­li­chen bzw. ar­beits­ge­richt­li­chen Fest­stel­lung, dass (auch) ein Ar­beits­verhält­nis vor­liegt bzw. in der Ver­gan­gen­heit vor­lag.

Ins­ge­samt führt das zu ho­hen und un­ge­plan­ten Mehr­kos­ten des Auf­trag­ge­bers/Ar­beit­ge­bers:

Zunächst stellt die zuständi­ge Kran­ken­kas­se For­de­run­gen, die sich an den Ar­beit­ge­ber rich­ten, denn er haf­tet im Außen­verhält­nis al­lein ge­genüber den Kran­ken­kas­sen für die Abführung des Ge­samt­so­zi­al­ver­si­che­rungs­bei­trags. Die­ser be­inhal­tet auch den Ar­beit­neh­mer­an­teil, d.h. der Ar­beit­ge­ber haf­tet auch für die­sen. Der Ar­beit­neh­mer ist da­ge­gen an die­ser Stel­le recht­lich und fi­nan­zi­ell geschützt, denn sein An­teil kann im Nach­hin­ein nur für ma­xi­mal drei Mo­na­te vom Ar­beit­ge­ber ver­langt wer­den, und auch das nur im We­ge des Lohn­ab­zugs bzw. im (noch) be­ste­hen­den Ar­beits­verhält­nis (§ 28g Satz 3 SGB IV). Hin­zu kom­men wei­te­re fi­nan­zi­el­le For­de­run­gen, die der Schein­selbständi­ge stel­len kann, nämlich auf nachträgli­che Ent­gelt­fort­zah­lung im Krank­heits­fall und Vergütung oder Ab­gel­tung für nicht gewähr­ten Ur­laub.

Ar­beit­ge­ber ver­su­chen in ei­ner sol­chen La­ge, ih­ren Scha­den durch Vergütungsrück­for­de­run­gen zu be­gren­zen. Ihr Ar­gu­ment: Hätte man ge­wusst, dass der Schein­selbständi­ge in Wahr­heit ein Ar­beit­neh­mer ist, hätte man ei­ne (viel) ge­rin­ge­re Vergütung ver­ein­bart, nämlich den übli­chen Lohn für ver­gleich­ba­re Tätig­kei­ten in ei­nem Ar­beits­verhält­nis.

In der Ver­gan­gen­heit hat das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) sol­chen For­de­run­gen ei­ne Ab­sa­ge er­teilt, ab­ge­se­hen von Son­derfällen im öffent­li­chen Dienst, ins­be­son­de­re im öffent­lich-recht­li­chen Rund­funk (BAG, Ur­teil vom 29.05.2002, 5 AZR 680/00, Rn.17).

BEISPIEL: Ei­ne Rund­funk­an­stalt nimmt re­gelmäßig die Leis­tun­gen ei­nes Re­dak­teurs in An­spruch. Er wird als "fes­ter frei­er Mit­ar­bei­ter" geführt und erhält ei­ne Vergütung, die sich nach ei­nem für die frei­en Re­dak­teu­re gel­ten­den, mit der Ge­werk­schaft aus­ge­han­del­ten Vergütungs­sys­tem rich­tet. Später stellt sich her­aus, dass er Schein­selbständi­ger bzw. Ar­beit­neh­mer ist. Hätten er und die Rund­funk­an­stalt sich nicht über die Ar­beit­neh­mer­ei­gen­schaft ge­irrt, wäre er in den für fest­an­ge­stell­te Re­dak­teu­re gel­ten­den Ta­rif­ver­trag ein­grup­piert wor­den und hätte da­her ei­ne ge­rin­ge­re Vergütung er­hal­ten.

In ei­nem sol­chen Fall konn­te der Ar­beit­ge­ber auch in der Ver­gan­gen­heit die Dif­fe­renz zwi­schen der dem Schein­selbständi­gen gewähr­ten Vergütung und der (ge­rin­ge­ren) Vergütung, die er als Ar­beit­neh­mer er­hal­ten hätte, zurück­ver­lan­gen. Denn ei­ne kon­kre­te bzw. in­di­vi­du­el­le Ver­ein­ba­rung über die Vergütung ha­ben die Par­tei­en in ei­nem sol­chen Fall gar nicht ge­trof­fen, son­dern sich nur darüber ge­ei­nigt, "nach wel­chem Ta­rif" zu zah­len ist - ent­we­der nach dem Ta­rif für "fes­te Freie" oder nach dem Ta­rif für An­ge­stell­te.

Die­se Recht­spre­chung hat das BAG Mit­te 2019 grund­le­gend zu­las­ten der Schein­selbständi­gen geändert. Denn ein Rück­for­de­rungs­an­spruch be­steht jetzt laut BAG grundsätz­lich im­mer, d.h. nicht nur im Aus­nah­me­fall (öffent­li­cher Dienst / Rund­funk).

Ist die von ei­nem Schein­selbständi­gen er­hal­te­ne Vergütung höher als der übli­che Ar­beits­lohn von Ar­beit­neh­mern mit ver­gleich­ba­ren Ar­beits­auf­ga­ben, muss der Schein­selbständi­ge die Dif­fe­renz zwi­schen der er­hal­te­nen Vergütung und dem übli­chen Ar­beits­lohn ver­gleich­ba­rer Ar­beit­neh­mer er­stat­ten (BAG, Ur­teil vom 26.06.2019, 5 AZR 178/18). Der Leit­satz der Ent­schei­dung lau­tet:

"Stellt sich ein ver­meint­lich frei­es Dienst­verhält­nis im Nach­hin­ein als Ar­beits­verhält­nis dar, kann in der Re­gel nicht da­von aus­ge­gan­gen wer­den, die für freie Mit­ar­beit ver­ein­bar­te Vergütung sei der Höhe nach auch für ei­ne Beschäfti­gung als Ar­beit­neh­mer ver­ab­re­det."

Prak­tisch be­deu­tet das: Die Ein­lei­tung ei­ner so­zi­al­ver­si­che­rungs­recht­li­chen Sta­tusklärung (durch den Schein­selbständi­gen oder im Rah­me ei­ne Be­triebs­prüfung) kann, eben­so wie die ar­beits­ge­richt­li­che Fest­stel­lung ei­nes Ar­beits­verhält­nis­ses, zu wirt­schaft­lich exis­tenz­ver­nich­ten­den Rück­for­de­run­gen des Ar­beit­ge­bers führen. So be­lief sich in dem o.g. Fall des BAG die Re­gress­for­de­rung des Ar­beit­ge­bers auf mehr als 112.000,00 EUR zzgl. Zin­sen.

Fre­e­lan­cern, die an ih­rem selbständi­gen Sta­tus zwei­feln, ist da­her seit Ju­ni 2019 drin­gend zu ra­ten, vor der Ein­lei­tung ei­ner ar­beits- und/oder so­zi­al­recht­li­chen Sta­tusklärung ei­ne um­fas­sen­de an­walt­li­che Klärung der da­mit ver­bun­de­nen recht­li­chen und fi­nan­zi­el­len Ri­si­ken vor­neh­men zu las­sen.

Es gibt nach wie vor Fälle, in de­nen sich ei­ne Sta­tusklärung aus Sicht des Schein­selbständi­gen lohnt, doch soll­te da­zu der auf der Ba­sis (ver­meint­lich) frei­er Mit­ar­beit ver­ein­bar­te St­un­den­satz nicht all­zu viel höher lie­gen als der St­un­den­lohn ver­gleich­ba­rer Ar­beit­neh­mer. Für ei­nen sol­chen Ver­gleich ist laut BAG zu dem Ar­beit­neh­mer-Brut­to­stun­den­lohn der Ar­beit­ge­ber­an­teil am So­zi­al­bei­trag auf­zu­schla­gen, denn den hätte der Ar­beit­ge­ber auch bei kor­rek­ter Ab­wick­lung des Ar­beits­verhält­nis­ses zah­len müssen (BAG, Ur­teil vom 26.06.2019, 5 AZR 178/18, Rn.39).

Kri­tisch ist ge­genüber der Recht­spre­chungsände­rung des BAG an­zu­mer­ken, dass die­se wahr­schein­lich eu­ro­pa­rechts­wid­rig ist, da sie den Ar­beit­neh­mern den Zu­gang zum be­zahl­ten Er­ho­lungs­ur­laub so­wie zu ei­ner Ur­laubs­ab­gel­tung un­zu­mut­bar er­schwert, was ge­gen Art.7 der Ar­beits­zeit­richt­li­nie (Richt­li­nie 2003/88/EG) verstößt. Aus ähn­li­chen Gründen ist auch ein Ver­s­toß ge­gen das Grund­ge­setz (GG) na­he­lie­gend, nämlich ge­gen das So­zi­al­staats­prin­zip (Art.20 Abs.1 GG) und die Be­rufs­frei­heit des Schein­selbständi­gen (Art.12 GG). Es ist da­her nicht un­wahr­schein­lich, dass das o.g. BAG-Ur­teil ir­gend­wann ein­mal ge­kippt wird. Aber bis da­hin ver­geht si­cher­lich noch ei­ni­ge Zeit, und während die­ser Zeit sind Schein­selbständi­ge Re­gress­ri­si­ken in exis­tenz­ver­nich­ten­der Höhe aus­ge­setzt.

Kann der Ar­beit­ge­ber vom Schein­selbständi­gen zu Un­recht ver­ein­nahm­te Um­satz­steu­er zurück­ver­lan­gen?

Rück­zah­lungs­for­de­run­gen wer­den zu­wei­len auch mit Blick auf die vom Schein­selbständi­gen ver­ein­nahm­te Um­satz­steu­er bzw. Mehr­werts­steu­er er­ho­ben: Da der Schein­selbständi­ge als Ar­beit­neh­mer, der er in Wahr­heit ist, für sei­ne Ar­beits­leis­tun­gen kei­ne Um­satz­steu­er nach dem Um­satz­steu­er­ge­setz (UStG) ver­lan­gen kann (denn er ist als Ar­beit­neh­mer kein Un­ter­neh­mer im Sin­ne des UStG), hat sein Auf­trag­ge­ber, der in Wahr­heit Ar­beit­ge­ber ist, dem Schein­selbständi­gen die Um­satz­steu­er oh­ne recht­li­chen Grund be­zahlt. Das hat im Prin­zip ei­nen zi­vil­recht­li­chen Rück­for­de­rungs­an­spruch des Ar­beit­ge­bers ge­genüber dem Ar­beit­neh­mer bzw. Schein­selbständi­gen zur Fol­ge.

Al­ler­dings ist der Auf­trag­ge­ber sei­ner­seits in der Re­gel be­rech­tigt und ver­pflich­tet, auf sei­ne Leis­tun­gen Um­satz­steu­er zu be­rech­nen und muss die­se an das Fi­nanz­amt abführen. Dann hat er von sei­ner ei­ge­nen Um­satz­steu­er­schuld die von dem Schein­selbständi­gen in Rech­nung ge­stell­te Um­satz­steu­er als sog. Vor­steu­er ab­ge­zo­gen. Im Er­geb­nis hat er da­her (zunächst ein­mal) kei­nen Scha­den er­lit­ten, weil er an den Schein­selbständi­gen Um­satz­steu­er ent­rich­tet hat, da er in die­sem Um­fang sei­ne Um­satz­steu­er­schuld ge­genüber dem Fi­nanz­amt ge­min­dert hat.

Vor die­sem Hin­ter­grund kommt es eher sel­ten zu Um­satz­steu­er-Rück­for­de­run­gen des Auf­trag­ge­bers (= Ar­beit­ge­bers) an die Adres­se des Auf­trag­neh­mers (= Ar­beit­ge­bers).

Es bleibt al­ler­dings das Pro­blem, dass der Schein­selbständi­ge für sei­nen ei­ge­nen "be­trieb­li­chen" Be­darf Leis­tun­gen und Wa­ren mit Um­satz­steu­er ge­kauft und die­se Um­satz­steu­er als Vor­steu­er bei sei­nen Um­satz­steu­er-Zah­lun­gen an das Fi­nanz­amt ab­ge­zo­gen hat. Das Fi­nanz­amt kann da­her - zu­min­dest - die­se Beträge vom Schein­selbständi­gen ver­lan­gen. Ob dies auf der Grund­la­ge ent­spre­chen­der Steu­er­prüfun­gen ge­schieht, ist ei­ne an­de­re Fra­ge. Letzt­lich wer­den sich die­se Beträge meist in Gren­zen hal­ten.

Ein ent­spre­chen­des Vor­steu­er-Pro­blem hat auch der Ar­beit­ge­ber, der ja dem Fi­nanz­amt mehr Um­satz­steu­er hätte zah­len müssen, wenn er die vom Schein­selbständi­gen (zu Un­recht) be­rech­ne­te Um­satz­steu­er nicht an die­sen aus­be­zahlt und dann als Vor­steu­er von der ei­ge­nen Um­satz­steu­er-Schuld ab­ge­zo­gen hätte. Der­ar­ti­ge, meist länger zurück­lie­gen­den Vorgängen wer­den aber nicht all­zu oft im Rah­men ei­ner Be­triebs­prüfung be­an­stan­det und führen dann zu Nach­for­de­run­gen der Fi­nanz­ver­wal­tung.

Mögli­cher­wei­se lässt sich Fi­nanz­ver­wal­tung auch dar­auf ein, von For­de­run­gen ganz ab­zu­se­hen, denn es er­gibt sich ein "Er­stat­tungs­ka­rus­sell": Würde der Schein­selbständi­ge sei­nem Ar­beit­ge­ber die zu Un­recht ver­ein­nahm­te Um­satz­steu­er er­stat­ten, müss­te die­ser sie an das Fi­nanz­amt wei­ter­lei­ten, da er sie ja zu Un­recht als Vor­steu­er gel­tend ge­macht hat. Dies würde aber zu ei­ner nicht ge­recht­fer­tig­ten Dop­pel­zah­lung an das Fi­nanz­amt führen, die sich nur be­sei­ti­gen ließe, in­dem das Fi­nanz­amt die Um­satz­steu­er dem Schein­selbständi­gen er­stat­tet, denn die­ser hat ja zu Un­recht Um­satz­steu­er an Fi­nanz­amt ent­rich­tet.

Wel­che so­zi­al­ver­si­che­rungs­recht­li­chen Fol­gen hat die Schein­selbständig­keit?

Wie erwähnt sind Schein­selbständi­ge ganz nor­ma­le Beschäftig­te und als sol­che gemäß der je­wei­li­gen Re­ge­lun­gen in den ein­zel­nen Zwei­gen der So­zi­al­ver­si­che­rung ver­si­che­rungs­pflich­tig.

Die so­zi­al­ver­si­che­rungs­recht­li­chen Fol­gen für die Zu­kunft sind da­her recht­lich un­pro­ble­ma­tisch. Nähe­re In­for­ma­tio­nen hier­zu fin­den Sie in den Ar­ti­keln "So­zi­al­ver­si­che­rungs­bei­trag, SV-Bei­trag" und "So­zi­al­ver­si­che­rungs­mel­dun­gen".

Viel be­las­ten­der als die Zu­kunft des Ar­beits­verhält­nis­ses ist für den Ar­beit­ge­ber al­ler­dings die Ver­gan­gen­heit. Denn er muss die in der Ver­gan­gen­heit be­reits an­ge­fal­le­nen bzw. nicht ab­geführ­ten So­zi­al­ver­si­che­rungs­beiträge nun­mehr an die Kran­ken­kas­se ent­rich­ten. Und die­se Zah­lungs­pflicht kann sich je nach­dem, wie lan­ge die Tätig­keit des Schein­selbständi­gen dau­er­te, zu er­heb­li­chen Beträgen auf­sum­mie­ren.

Dass der Ar­beit­ge­ber ge­genüber dem Ar­beit­neh­mer ei­nen An­spruch auf den hälf­tig von ihm auf­zu­brin­gen­den Ar­beit­neh­mer­an­teil am So­zi­al­ver­si­che­rungs­bei­trag hat, ist nur ein schwa­cher Trost. Denn der vom Ar­beit­neh­mer auf­zu­brin­gen­de An­teil un­ter­liegt zwei gra­vie­ren­den Be­schränkun­gen:

  1. Ers­tens kann der An­spruch auf den Ar­beit­neh­mer­an­teil nur durch Ab­zug vom Ar­beits­ent­gelt gel­tend ge­macht wer­den (§ 28g Satz 2 SGB IV). Be­steht das Ar­beits­verhält­nis da­her nicht mehr bzw. ist da­her kein Lohn mehr ab­zu­rech­nen, schei­det ei­ne Zah­lungs­pflicht des Ar­beit­neh­mers aus. Ei­ne nachträgli­che Zah­lungs­auf­for­de­rung des Ex-Ar­beit­ge­bers an sei­nen Ex-Ar­beit­neh­mer, die sich auf den Ar­beit­neh­mer­an­teil am So­zi­al­ver­si­che­rungs­bei­trag be­zieht, ist da­her recht­lich aus­ge­schlos­sen bzw. vom Ge­setz nicht ge­deckt.
  2. Zwei­tens darf ein in­fol­ge der Schein­selbständig­keit un­ter­blie­be­ner Ab­zug nur bei den drei nächs­ten Lohn- oder Ge­halts­zah­lun­gen nach­ge­holt wer­den, da­nach nur dann, wenn der Ab­zug oh­ne Ver­schul­den des Ar­beit­ge­bers un­ter­blie­ben ist (§ 28g Satz 3 SGB IV). Da ein Ver­schul­den des Ar­beit­ge­bers in Form in al­ler Re­gel vor­liegt, nämlich in Form ei­ner zu­min­dest fahrlässi­gen Ver­ken­nung der be­ste­hen­den So­zi­al­ver­si­che­rungs­pflicht, läuft die­se zwei­te Be­schränkung dar­auf hin­aus, dass länger in der Ver­gan­gen­heit lie­gen­de Feh­ler gar nicht mehr un­ter "fi­nan­zi­el­ler Mit­hil­fe" des Ar­beit­neh­mers kor­ri­giert wer­den können, son­dern vom Ar­beit­ge­ber al­lein zu be­rich­ti­gen sind.

BEISPIEL: Ein Schein­selbständi­ger ar­bei­tet von An­fang 2017 bis En­de 2019 für den Ar­beit­ge­ber. Der Irr­tum wird Mit­te Ja­nu­ar 2020 be­merkt und der Schein­selbständi­ge erst­mals ab Ja­nu­ar 2020 kor­rekt als Ar­beit­neh­mer vergütet und als so­zi­al­ver­si­che­rungs­pflich­ti­ger Beschäftig­ter bei der Kran­ken­kas­se ge­mel­det. Da die Feh­ler der Ver­gan­gen­heit, d.h. der von Ja­nu­ar 2017 bis De­zem­ber 2019 (= 36 Mo­na­te) un­ter­blie­be­ne Bei­trags­ab­zug nur "bei den drei nächs­ten Lohn- oder Ge­halts­zah­lun­gen nach­ge­holt" wer­den kann, kann der Ar­beit­ge­ber al­len­falls noch für die Mo­na­te Ok­to­ber, No­vem­ber und De­zem­ber 2019 ei­nen Bei­trags­an­teil vom Ar­beit­neh­mer ver­lan­gen: Der im Ok­to­ber 2019 un­ter­blie­be­ne Ab­zug kann nämlich in den "nächs­ten drei Mo­na­ten" und da­her ge­ra­de noch mit der Lohn­ab­rech­nung für Ja­nu­ar 2020 nach­ge­holt wer­den. Der für Sep­tem­ber 2019 un­ter­blie­be­ne Bei­trags­ab­zug hätte spätes­tens im De­zem­ber 2019 kor­ri­giert wer­den müssen, und die­se Chan­ce ist im Ja­nu­ar 2020 ver­tan.

Da der Ar­beit­ge­ber im Verhält­nis zur Kran­ken­kas­se als der Ein­zugs­stel­le im­mer der al­lei­ni­ge Bei­trags­schuld­ner ist, d.h. ein Zah­lungs­an­spruch bzw. Durch­griff der Kran­ken­kas­se auf den Ar­beit­neh­mer aus­ge­schlos­sen ist, muss der Ar­beit­ge­ber im obi­gen Bei­spiel den Ge­samt­so­zi­al­ver­si­che­rungs­bei­trag für die Mo­na­te Ja­nu­ar 2017 bis Sep­tem­ber 2019 al­lein auf­brin­gen, d.h. er muss der Kran­ken­kas­se auch den Ar­beit­neh­mer­an­teil am So­zi­al­ver­si­che­rungs­bei­trag be­zah­len und kann auf­grund der oben ge­schil­der­ten Rechts­la­ge bzw. we­gen § 28g Satz 3 SGB IV den Ar­beit­neh­mer hier­an nicht be­tei­li­gen.

Wann verjährt die Pflicht zur Bei­trags­zah­lung?

Der An­spruch der Ein­zugs­stel­le ge­gen den Ar­beit­ge­ber wird ef­fek­tiv nur durch die Verjährungs­frist be­grenzt. Sie beträgt vier Jah­re, be­gin­nend ab dem En­de des Ka­len­der­jah­res, in dem die Beiträge fällig ge­wor­den sind (§ 25 Abs.1 Satz 1 SGB IV). Die Verjährung ist ge­hemmt, so­lan­ge ei­ne Prüfung beim Ar­beit­ge­ber statt­fin­det (§ 25 Abs.2 Satz 2 SGB IV). § 25 Abs.1 SGB IV lau­tet:

"Ansprüche auf Beiträge verjähren in vier Jah­ren nach Ab­lauf des Ka­len­der­jah­res, in dem sie fällig ge­wor­den sind. Ansprüche auf vorsätz­lich vor­ent­hal­te­ne Beiträge verjähren in dreißig Jah­ren nach Ab­lauf des Ka­len­der­jah­res, in dem sie fällig ge­wor­den sind."

Wenn der Ar­beit­ge­ber zur Zeit der Beschäfti­gung und der Lohn­zah­lung wuss­te, dass er ei­nen Ar­beit­neh­mer beschäftigt, verjähren die Ansprüche der Ein­zugs­stel­le auf Zah­lung des So­zi­al­ver­si­che­rungs­bei­trags erst in 30 Jah­ren. Für den vom Ge­setz für die lan­ge Verjährungs­frist ge­for­der­ten Vor­satz genügt ein sog. be­ding­ter Vor­satz, d.h. es reicht aus, wenn der Ar­beit­ge­ber die So­zi­al­ver­si­che­rungs­pflicht für möglich ge­hal­ten hat, die Nicht­abführung der Beiträge bzw. den Rechts­ver­s­toß "bil­li­gend in Kauf ge­nom­men" hat. Vor­satz in die­sem Sin­ne ist z.B. dann ge­ge­ben, wenn Ein­glie­de­rung und Wei­sungs­abhängig­keit des Beschäftig­ten of­fen­sicht­lich sind und das Ar­beits­ent­gelt den­noch ge­gen Rech­nung (oder so­gar "schwarz" bzw. oh­ne Rech­nungs­le­gung) ge­zahlt wur­de.

Kann der Ar­beit­ge­ber Scha­dens­er­satz we­gen der Be­las­tung mit dem Ar­beit­neh­mer­an­teil am SV-Bei­trag ver­lan­gen?

Der Ar­beit­ge­ber­an­teil am So­zi­al­ver­si­che­rungs­bei­trag, der in­fol­ge der Schein­selbständig­keit für länge­re Zeit nicht ab­geführt wur­de und da­her bei nachträgli­cher An­mel­dung des Schein­selbständi­gen zur So­zi­al­ver­si­che­rung "in ei­nem Bat­zen" nach­zu­zah­len ist, stellt kei­nen Vermögens­scha­den für den Ar­beit­ge­ber dar, da er sei­nen (Ar­beit­ge­ber-)An­teil oh­ne­hin hätte zah­len müssen.

An­ders zu be­ur­tei­len ist aber der Ar­beit­neh­mer­an­teil am So­zi­al­ver­si­che­rungs­bei­trag: Den Ar­beit­neh­mer­an­teil hätte der Ar­beit­ge­ber nämlich bei­zei­ten vom Ar­beit­neh­mer ein­be­hal­ten können, wenn er ihn nicht irrtümlich als Selbständi­gen be­han­delt hätte, wo­hin­ge­gen ei­ne nachträgli­che fi­nan­zi­el­le Be­tei­li­gung des Ar­beit­neh­mers aus den oben ge­nann­ten Gründen nur in en­gen Gren­zen möglich ist. Die al­lei­ne Haf­tung des Ar­beit­ge­bers ge­genüber der Kran­ken­kas­se für den nicht recht­zei­tig ab­geführ­ten Ar­beit­neh­mer­an­teil am So­zi­al­ver­si­che­rungs­bei­trag stellt da­her ei­nen Vermögens­scha­den des Ar­beit­ge­bers dar.

Ist der Ar­beit­ge­ber ei­ne Ein­zel­fir­ma bzw. ei­ne natürli­che Per­son und hat er sich bei der Ab­wick­lung des Ver­trags mit dem Schein­selbständi­gen von nie­man­dem be­ra­ten las­sen, schei­det ein Scha­dens­er­satz­an­spruch aus. Der Ar­beit­ge­ber kann sich dann nur "an die ei­ge­ne Na­se fas­sen".

An­ders ist es aber, wenn der Ar­beit­ge­ber ei­ne ju­ris­ti­sche Per­son ist, d.h. zum Bei­spiel ei­ne GmbH, ei­ne AG oder ein Ver­ein, oder wenn ei­ne An­walts­kanz­lei oder ein Steu­erbüro an der Ge­stal­tung oder Ab­wick­lung des Ver­trags mit dem Schein­selbständi­gen mit­ge­wirkt hat. Dann können je nach den Umständen des Ein­zel­falls fol­gen­de Per­so­nen we­gen der Be­las­tung des Ar­beit­ge­bers mit dem Ar­beit­neh­mer­an­teil haft­bar ge­macht wer­den:

  1. Der Geschäftsführer der GmbH und der Vor­stand der AG bzw. des Ver­eins, da die­se als Or­ga­ne der ju­ris­ti­schen Per­son durch die Nicht­ein­be­hal­tung des Ar­beit­neh­mer­an­teils die GmbH, AG bzw. den Ver­ein geschädigt ha­ben. Nähe­re In­for­ma­tio­nen hier­zu fin­den Sie un­ter dem Stich­wort „Geschäftsführer­haf­tung“.
  2. Die mit dem Fall be­fass­te An­walts­kanz­lei oder das mit ihm be­fass­te Steu­erbüro.

Auf­grund der vor­ge­nann­ten Haf­tungs­ri­si­ken wird ei­ne An­walts­kanz­lei oder ei­ne Steu­er­be­ra­ter­kanz­lei vernünf­ti­ger Wei­se vor­ab kei­ne ver­bind­li­che Aus­kunft über die So­zi­al­ver­si­che­rungs­pflicht ei­nes (ver­meint­lich oder wirk­lich?) frei­en Mit­ar­bei­ters ge­ben, son­dern den Ar­beit­ge­ber auf das An­fra­ge­ver­fah­ren gemäß § 7a SGB IV ver­wei­sen und im Rah­men die­ses Ver­fah­rens ggf. un­terstützend tätig sein.

Wann haf­ten Ar­beit­ge­ber­ver­tre­ter persönlich we­gen nicht ab­geführ­ter So­zi­al­ab­ga­ben?

Nach § 266a Abs.1 Straf­ge­setz­buch (StGB) macht sich straf­bar, wer als Ar­beit­ge­ber der Ein­zugs­stel­le bzw. Kran­ken­kas­se Beiträge des Ar­beit­neh­mers zur So­zi­al­ver­si­che­rung ein­sch­ließlich der Ar­beitsförde­rung, „vor­enthält“, wo­bei die­se Straf­bar­keit un­abhängig da­von be­steht, ob das Ar­beits­ent­gelt tatsächlich an den Ar­beit­neh­mer ge­zahlt wird oder nicht.

BEISPIEL: Auf­grund von fi­nan­zi­el­len Pro­ble­men zahlt der Ar­beit­ge­ber sei­nen zehn Ar­beit­neh­mern den Lohn für die Mo­na­te Mai und Ju­ni nicht aus. Auch Ab­schlags­zah­lun­gen wer­den nicht ge­leis­tet. Während die­ser bei­den Mo­na­te wur­de ge­ar­bei­tet, d.h. die Ar­beits­leis­tung ist er­bracht wor­den. Un­ter sol­chen Umständen ist der An­spruch der Ein­zugs­stel­le auf den Ge­samt­so­zi­al­ver­si­che­rungs­bei­trag mit Er­brin­gung der Ar­beits­leis­tung ent­stan­den und geht nicht et­wa nachträglich un­ter, weil die Ar­beit­neh­mer ihr Geld nicht se­hen. Und während die Nicht­zah­lung des Ar­beit­ge­ber­an­teils am So­zi­al­ver­si­che­rungs­bei­trag zwar nicht rech­tens, aber im­mer­hin straf­los ist, muss der Ar­beit­ge­ber je­den­falls den Ar­beit­neh­mer­an­teil am So­zi­al­ver­si­che­rungs­bei­trag an die Ein­zugs­stel­le ent­rich­ten, da er sich an­sons­ten straf­bar macht.

Die­se Straf­vor­schrift gilt auch für Or­ga­ne ei­ner ju­ris­ti­schen Per­son, d.h. auch GmbH-Geschäftsführer, Vorstände ei­ner AG oder ei­nes Ver­eins sind „Ar­beit­ge­ber“ im Sin­ne die­ser Vor­schrift (§ 14 Abs.1 Nr.1 StGB).

Und weil § 266a StGB ein „Schutz­ge­setz“ im Sin­ne von § 823 Abs.2 Bürger­li­ches Ge­setz­buch (BGB) ist, haf­ten die o.g. Or­gan­ver­tre­ter der Kran­ken­kas­se ge­genüber persönlich, d.h. mit ih­rem Pri­vat­vermögen auf Be­zah­lung der von der GmbH, der AG bzw. dem Ver­ein nicht ab­geführ­ten Ar­beit­neh­mer­an­tei­le am So­zi­al­ver­si­che­rungs­bei­trag.

Nähe­re In­for­ma­tio­nen hier­zu fin­den Sie un­ter dem Hand­buch­ar­ti­kel „Geschäftsführer­haf­tung“.

Die Beschäfti­gung ei­nes Schein­selbständi­gen im Be­trieb ei­ner ju­ris­ti­schen Per­son führt so­mit da­zu, dass die Or­gan­ver­tre­ter das Ri­si­ko ei­ner persönli­chen Haf­tung für nicht ab­geführ­te So­zi­al­ab­ga­ben (ge­nau­er: für die un­ter­blie­be­ne Abführung des Ar­beit­neh­mer­an­teils am So­zi­al­bei­trag) tra­gen.

Wel­che Fol­gen hat die Schein­selbständig­keit im Zu­sam­men­hang mit der Lohn­steu­er?

Ein Ar­beit­ge­ber ist dem Fi­nanz­amt ge­genüber ge­setz­lich da­zu ver­pflich­tet, die auf den Ar­beits­lohn ent­fal­len­de Lohn­steu­er ein­zu­be­hal­ten und an das Fi­nanz­amt ab­zuführen (§ 42d Abs.1 Nr.1 EStG). Auch wenn und so­lan­ge der Ar­beit­ge­ber da­von aus­geht, kei­nen Ar­beit­neh­mer zu beschäfti­gen, son­dern mit ei­nem Selbständi­gen zu­sam­men­zu­ar­bei­ten, be­steht die­se Pflicht, d.h. ein Rechts­irr­tum über den Ar­beit­neh­mer­sta­tus ei­nes Schein­selbständi­gen ändert dar­an nichts.

Die im Steu­er­recht ver­wen­de­ten Ab­gren­zungs­merk­ma­le zwi­schen Selbständi­gem und Un­selbständi­gen bzw. Ar­beit­neh­mer und Selbständi­gen ent­spre­chen weit­ge­hend den ar­beits­recht­li­chen Merk­ma­len. In al­ler Re­gel be­steht da­her bei Schein­selbständi­gen die Pflicht zur Abführung der Lohn­steu­er.

An­ders als beim So­zi­al­ver­si­che­rungs­bei­trag, den al­lein der Ar­beit­ge­ber der Kran­ken­kas­se schul­det, haf­tet bei der Lohn­steu­er ne­ben dem Ar­beit­ge­ber auch der Ar­beit­neh­mer selbst für die Steu­er­schuld. Das Fi­nanz­amt hat nach pflicht­gemäßem Er­mes­sen zu ent­schei­den, an wenn es sich wen­det (§ 42d Abs.3 Satz 1 und 2 EStG).

Wird auf­ge­deckt, dass der Schein­selbständi­ge in Wahr­heit Ar­beit­neh­mer ist, kann das Fi­nanz­amt aus­ste­hen­de Lohn­steu­ern ein­for­dern. Dies ist bis zur Verjährungs­gren­ze möglich, § 47 Ab­ga­ben­ord­nung (AO). Die maßgeb­li­che Verjährungs­frist (Fest­set­zungs­frist) be­ginnt mit Ab­lauf des Ka­len­der­jah­res, in dem die Steu­er ent­stan­den ist und beträgt im Re­gel­fall vier Jah­re (§§ 170 Abs.1, 169 Abs.2 Satz 1 Nr.2 AO).

Im­mer im Raum steht auch ei­ne leicht­fer­ti­ge Steu­er­verkürzung (d.h. ei­ne Ord­nungs­wid­rig­keit), durch die sich die Frist auf fünf Jah­re verlängern kann. Soll­te die Schein­selbständig­keit vorsätz­lich kon­stru­iert wor­den sein, liegt so­gar ei­ne Steu­er­hin­ter­zie­hung (d.h. ei­ne Straf­tat) vor, die zu ei­ner Verjährungs­frist von zehn Jah­ren führt. Hin­zu kommt in die­sen Fällen, dass die Fest­set­zungs­frist in ih­rem Ab­lauf ge­hemmt ist, bis die Straf­tat bzw. Ord­nungs­wid­rig­keit verjährt ist (§ 171 Abs.7 AO).

Im Er­geb­nis be­steht da­her steu­er­recht­li­ches Ri­si­ko für den Ar­beit­ge­ber im Fal­le der Beschäfti­gung ei­nes Schein­selbständi­gen.

Ein­schränkend muss al­ler­dings ge­sagt wer­den, dass die­se Fal­le nur dann zu­schnappt, wenn der Schein­selbständi­ge die ja auch im Rah­men sei­ner schein­ba­ren Selbständig­keit zu ent­rich­ten­de Steu­er nicht be­zahlt hat. Hat der Schein­selbständi­ge als or­dent­li­cher Mensch brav sei­ne Steu­ern auf Grund­la­ge sei­nes (ver­meint­li­chen) Frei­be­ruf­ler­ein­kom­mens de­kla­riert und ab­geführt, ist sein Ar­beit­ge­ber aus dem Schnei­der.

Da der Ar­beit­ge­ber nicht selbst Schuld­ner der Lohn­steu­er ist, son­dern nur zu de­ren "Über­brin­gung" ver­pflich­tet ist, kommt auch ein Rück­for­de­rungs­an­spruch ge­gen den Ar­beit­neh­mer in Be­tracht. Die­ser dürf­te al­ler­dings wirt­schaft­lich meist we­nig wert bzw. un­ein­bring­lich sein.

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Letzte Überarbeitung: 26. Oktober 2021

Was können wir für Sie tun?

Wenn Sie als Dienst­leis­tungs­er­brin­ger oder als Auf­trag­ge­ber nicht si­cher sind, ob ei­ne be­stimm­te Tä­tig­keit als selb­stän­di­ge Tä­tig­keit oder als so­zi­al­ver­si­che­rungs­pflich­ti­ge Be­schäf­ti­gung zu be­wer­ten ist, be­ra­ten wir Sie je­der­zeit ger­ne. Soll die Tä­tig­keit wei­ter fort­ge­setzt wer­den, kön­nen wir al­ler­dings zur Ver­mei­dung ei­nes an­sons­ten nicht trag­ba­ren Haf­tungs­ri­si­kos kei­ne ver­bind­li­che Aus­kunft ge­ben, son­dern nur im Rah­men ei­ner Sta­tus­fest­stel­lung durch die Kran­ken­kas­se oder die Deut­sche Ren­ten­ver­si­che­rung Bund mit­wir­ken.

Wir un­ter­stüt­zen Sie auch bei der Über­prü­fung und Ab­wehr von Haf­tungs­an­sprü­chen, die Kran­ken­kas­sen oder die Fi­nanz­ver­wal­tung we­gen ei­nes mög­li­chen Ver­sto­ßes ge­gen steu­er­li­che oder die So­zi­al­ab­ga­ben be­tref­fen­de Ar­beit­ge­ber­pflich­ten er­he­ben. Je nach La­ge des Fal­les bzw. ent­spre­chend Ih­ren Wün­schen tre­ten wir ent­we­der nach au­ßen nicht in Er­schei­nung oder aber wir ver­han­deln in Ih­rem Na­men mit der Ge­gen­sei­te.

Für ei­ne mög­lichst ra­sche und ef­fek­ti­ve Be­ra­tung be­nö­ti­gen wir fol­gen­de Un­ter­la­gen:

  • Ver­trag über die (schein-)selb­stän­di­ge Tä­tig­keit (falls vor­han­den)
  • Ab­rech­nun­gen über er­brach­te Leis­tun­gen (falls vor­han­den)
  • Auf­for­de­rungs­schrei­ben der Kran­ken­kas­sen oder des Fi­nanz­am­tes (falls vor­han­den)

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