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ARBEITSRECHT AKTUELL // 14/195

Min­dest­lohn in der Fleisch­wirt­schaft

Das Schlach­ten und Fleisch­ver­ar­bei­ten ist ei­ne neue Min­dest­lohn­bran­che des Ar­beit­neh­mer-Ent­sen­de­ge­set­zes (AEntG): Ers­tes Ge­setz zur Än­de­rung des Ar­beit­neh­mer-Ent­sen­de­ge­set­zes, vom 24.05.2014, BGBl I, S.538

30.05.2014. Nach­dem sich die Ta­rif­par­tei­en im Ja­nu­ar 2014 auf ei­nen bun­des­ein­heit­li­chen Min­dest­lohn von 7,75 EUR für die Schlach­te­rei und Fleisch­ver­ar­bei­tung ge­ei­nigt ha­ben, war der Ge­setz­ge­ber am Zug.

Denn um den neu­en Min­dest­lohn-Ta­rif­ver­trag für al­le Be­schäf­tig­ten der Bran­che ver­bind­lich zu ma­chen, ist ei­ne ent­spre­chen­de Ver­ord­nung nach dem Ar­beit­neh­mer-Ent­sen­de­ge­setz (AEntG) sinn­voll.

Da­zu wie­der­um ist zu­vor ei­ne Än­de­rung des AEntG not­wen­dig. Sie ist mit Wir­kung zum 29.05.2014 in Kraft ge­tre­ten: Ers­tes Ge­setz zur Än­de­rung des Ar­beit­neh­mer-Ent­sen­de­ge­set­zes, vom 24.05.2014 (BGBl I, S.538).

Prekäre Ar­beits­be­din­gun­gen in der Fleisch­in­dus­trie

In den ver­gan­ge­nen zwölf Mo­na­ten wur­de im­mer wie­der über prekäre Ar­beits­be­din­gen in großen Schlachthöfen und fleisch­ver­ar­bei­ten­den Be­trie­ben be­rich­tet.

An­ge­fan­gen von Dum­pinglöhnen über man­gel­haf­te Ar­beits­si­cher­heit bis hin zum sys­te­ma­ti­schen Ein­satz von Schein­werk­verträgen mit ost­eu­ropäischen Wan­der­ar­bei­tern und zu men­schen­unwürdi­gen Un­terkünf­ten: Die Bran­che hat we­nig Ge­le­gen­hei­ten aus­ge­las­sen, um preis­be­wuss­ten Ver­brau­chern die Scha­mesröte und Ge­werk­schaf­tern die Zor­nesröte ins Ge­sicht zu trei­ben.

Re­sul­tat der Dis­kus­si­on war En­de 2013 die For­de­rung nach ei­nem bran­chen­weit ver­bind­li­chen Min­dest­lohn­ta­rif­ver­trag, die sich die Ge­werk­schaft Nah­rung-Ge­nuss-Gaststätten (NGG) auf die Fah­nen schrieb.

Nach­dem es zunächst nicht da­nach aus­sah, als wäre ei­ne ra­sche Ei­ni­gung wahr­schein­lich, konn­ten sich die Ta­rif­par­tei­en dann doch be­reits im Ja­nu­ar 2014 auf ei­nen Min­dest­lohn verständi­gen.

Ta­rif­li­cher Min­dest­lohn für die Fleisch­in­dus­trie ab Ju­li 2014

Am 14.01.2014 ga­ben die Ar­beit­ge­ber­ver­ei­ni­gung Nah­rung und Ge­nuss e.V. (ANG) und die Ge­werk­schaft Nah­rung-Ge­nuss-Gaststätten (NGG) be­kannt, sich nach zähen Ver­hand­lun­gen auf ei­nen bun­des­weit gülti­gen Min­dest­lohn für die Fleisch­wirt­schaft ge­ei­nigt zu ha­ben.

Der Ta­rif­ver­trag hat ei­ne drei­ein­halbjähri­ge Lauf­zeit, die am 01.07.2014 be­ginnt und En­de 2017 en­det. Während die­ser Zeit sol­len fol­gen­de ta­rif­li­che Min­destlöhne für die Schlach­te­rei und die Fleisch­ver­ar­bei­tung gel­ten:

  • 1. Stu­fe, ab 01.07.2014: 7,75 EUR pro St­un­de
  • 2. Stu­fe, ab 01.12.2014: 8,00 EUR pro St­un­de
  • 3. Stu­fe, ab 01.10.2015: 8,60 EUR pro St­un­de
  • 4. Stu­fe, ab 01.12.2016: 8,75 EUR pro St­un­de

Wei­ter­hin wur­de ver­ein­bart, ge­mein­sam ei­nen An­trag auf All­ge­mein­ver­bind­lich­keits­erklärung bzw. auf Auf­nah­me der Bran­che Schlach­ten und Fleisch­ver­ar­bei­tung in das AEntG zu stel­len.

Ände­rung des Ar­beit­neh­mer-Ent­sen­de­ge­set­zes (AEntG): Auf­nah­me der Bran­che Schlach­ten und Fleisch­ver­ar­bei­tung

An­ge­sichts die­ser Ei­ni­gung war zu er­war­ten, dass der Ge­setz­ge­ber re­agie­ren würde, und zwar durch ei­ne Ände­rung des AEntG.

Denn ein vom Ar­beit­ge­ber­ver­band ab­ge­schlos­se­ner Min­dest­lohn­ta­rif­ver­trag ist nach § 3 Abs.1 Ta­rif­ver­trags­ge­setz (TVG) in Verb. mit § 4 Abs.1 TVG nur dann ei­ne zwin­gen­de Lohn­un­ter­gren­ze in ei­nem ein­zel­nen Ar­beits­verhält­nis, wenn der Ar­beit­neh­mer in der Ge­werk­schaft und der Ar­beit­ge­ber im Ar­beit­ge­ber­ver­band or­ga­ni­siert ist. Die­se Vor­aus­set­zun­gen lie­gen in der Fleisch­wirt­schaft aber oft nicht vor.

Da­her könn­te das Bun­des­mi­nis­te­ri­um für Ar­beit und So­zia­les (BMAS) den neu­en Min­dest­lohn­ta­rif­ver­trag auf der Grund­la­ge von § 5 TVG für all­ge­mein­ver­bind­lich erklären, doch ist das nicht oh­ne wei­te­res möglich. Die All­ge­mein­ver­bind­lich­keits­erklärung ei­nes Ta­rif­ver­trags setzt nämlich vor­aus, dass die ta­rif­ge­bun­de­nen Ar­beit­ge­ber nicht we­ni­ger als 50 Pro­zent der Ar­beit­neh­mer beschäfti­gen, die un­ter den Gel­tungs­be­reich des Ta­rif­ver­trags fal­len (§ 5 Abs.1 Satz 1 TVG).

Da­her wird der Gel­tungs­be­reich von bran­chen­be­zo­ge­nen Min­dest­lohn­ta­rif­verträgen in den letz­ten Jah­ren meist in der Wei­se auf ei­ne ge­sam­te Bran­che er­wei­tert, dass die je­wei­li­ge Bran­che per Ge­set­zesände­rung als Min­dest­lohn­bran­che in das AEntG auf­ge­nom­men wird. Im nächs­ten Schritt wird der Min­dest­lohn­ta­rif­ver­trag gemäß § 7 AEntG auf al­le Ar­beits­verhält­nis­se der Bran­che er­streckt.

Ein­zi­ge Vor­aus­set­zung für ei­ne sol­che Er­streck­bar­keits­ver­ord­nung ist, dass die Ta­rif­par­tei­en ei­nen An­trag auf All­ge­mein­ver­bind­lich­keits­erklärung gemäß § 5 TVG ge­stellt ha­ben, d.h. de­ren ge­setz­li­chen Vor­aus­set­zun­gen müssen letzt­lich gar nicht vor­lie­gen.

Zur Vor­be­rei­tung ei­ner Er­streck­bar­keits­ver­ord­nung wur­den da­her die bis­her acht Min­dest­lohn­bran­chen (§ 4 AEntG) durch das Ers­te Ge­setz zur Ände­rung des AEntG um die Bran­che "Schlach­ten und Fleisch­ver­ar­bei­tung" ergänzt.

In­kraft­tre­ten der AEntG-Ände­rung

Nach­dem die Bun­des­re­gie­rung am 25.03.2014 ei­nen Ge­setz­ent­wurf vor­ge­legt hat­te, wur­de die­ser An­fang April im Bun­des­tag in ers­ter Le­sung be­ra­ten.

Die Op­po­si­ti­on merk­te kri­tisch an, dass ein Min­dest­lohn für die Fleisch­bran­che zwar ein Schritt in die rich­ti­ge Rich­tung sei, aber nicht aus­rei­che. Min­destlöhne könn­ten mit Schein­werk­verträgen um­gan­gen wer­den. Kon­kret müsse die Fi­nanz­kon­trol­le Schwarz­ar­beit per­so­nell auf­ge­stockt wer­den, so Red­ner von BÜND­NIS 90/DIE GRÜNEN und der LIN­KEN.

In die­ser Wei­se äußer­ten sich die Ver­tre­ter der Op­po­si­ti­on auch im Aus­schuss für Ar­beit und So­zia­les, der dem Bun­des­tag letzt­lich emp­fahl, den Ge­setz­ent­wurf an­zu­neh­men. Die LIN­KE ent­hielt sich der Stim­me, un­ter an­de­rem weil sie ei­nen ta­rif­li­chen Min­dest­lohn von 7,75 EUR pro St­un­de als un­zu­rei­chend an­sieht.

Am 08.05.2014 nahm der Bun­des­tag das Ände­rungs­ge­setz in zwei­ter und drit­ter Be­ra­tung an. Zwei Wo­chen später, am 23.05.2014, er­teil­te auch der Bun­des­rat sei­ne Zu­stim­mung.

Am 28.05.2014 wur­de das Ge­setz im Bun­des­ge­setz­blatt (BGBl) verkündet und gilt ab dem Ta­ge nach sei­ner Verkündung, d.h. seit dem 29.05.2014.

Dem­ent­spre­chend ist jetzt das Bun­des­mi­nis­te­ri­um für Ar­beit und So­zia­les (BMAS) am Zug. Es wird vor­aus­sicht­lich gemäß § 7 Abs.1 Satz 1 AEntG durch Rechts­ver­ord­nung oh­ne Zu­stim­mung des Bun­des­ra­tes be­stim­men, dass die Rechts­nor­men des Min­dest­lohn­ta­rif­ver­trags auf al­le Ar­beits­verhält­nis­se der Bran­che Schlach­ten und Fleisch­ver­ar­bei­tung An­wen­dung fin­den.

Min­dest­lohn von 7,75 EUR nach dem Min­dest­lohn­ta­rif­ver­trag oder 8,50 nach dem neu­en Min­dest­l­ohn­ge­setz - was geht vor?

Da zum Ja­nu­ar 2015 der ge­setz­li­che all­ge­mei­ne Min­dest­lohn von 8,50 EUR in Kraft tre­ten wird, sieht es auf den ers­ten Blick so aus, als lohn­te der gan­ze Auf­wand nicht, ab Mit­te 2014 noch ei­nen Bran­chen­min­dest­lohn von 7,75 EUR für die Fleisch­in­dus­trie in Kraft zu set­zen.

Denn das neue Min­dest­l­ohn­ge­setz, das der­zeit in der Be­ra­tung ist, sieht nach den der­zeit be­kann­ten Entwürfen vor (§ 1 Abs.3 Min­dest­l­ohn­ge­setz - Ent­wurf), dass Bran­chen­min­destlöhne den all­ge­mei­nen ge­setz­li­chen Min­dest­lohn nicht un­ter­schrei­ten dürfen (wir be­rich­te­ten in: Ar­beits­recht ak­tu­ell: 14/131 Min­dest­l­ohn­ge­setz 2015).

Al­ler­dings enthält der Ent­wurf des Min­dest­l­ohn­ge­set­zes auch ei­ne Über­g­angs­re­ge­lung (§ 24 Min­dest­l­ohn­ge­setz - Ent­wurf), der zu­fol­ge die auf der Grund­la­ge des AEntG gel­ten­den Bran­chen­min­destlöhne bis En­de 2016 dem all­ge­mei­nen Min­dest­lohn von 8,50 EUR auch dann vor­ge­hen, wenn sie die­sen un­ter­schrei­ten.

In der Zeit von Ja­nu­ar bis Sep­tem­ber 2015 wird da­her in der Fleisch­in­dus­trie der ta­rif­li­che Bran­chen­min­dest­lohn von 8,00 EUR gel­ten (Ta­rif­lohn gemäß der zwei­ten Stu­fe, ver­bind­lich ab De­zem­ber 2014) und nicht der ge­setz­li­che Min­dest­lohn von 8,50 EUR.

Erst ab Ok­to­ber 2015 beträgt der ta­rif­li­che Bran­chen­min­dest­lohn gemäß der ver­ein­bar­ten drit­ten Stu­fe 8,60 EUR und liegt da­mit knapp über dem neu­en ge­setz­li­chen Min­dest­lohn.

Fa­zit: Loh­nerhöhung schon ab Mit­te 2014, Un­ter­schrei­tung des ge­setz­li­chen Min­dest­lohns bis Sep­tem­ber 2015

Der neue Bran­chen­min­dest­lohn von 7,75 EUR und sei­ne Ver­bind­lich­keit für al­le Ar­beit­neh­mer der Bran­che auf der Grund­la­ge des AEntG ist ein Kom­pro­miss:

Ei­ner­seits war­tet die Bran­che nicht ein­fach ab, bis im Ja­nu­ar 2015 der neue ge­setz­li­che Min­dest­lohn von 8,50 EUR in Kraft tritt, son­dern führt ei­ne (deut­li­che) Loh­nerhöhung be­reits ein hal­bes Jahr früher ein.

An­de­rer­seits un­terläuft die Bran­che da­mit für neun Mo­na­te in recht­lich zulässi­ger Wei­se den ge­setz­li­chen Min­dest­lohn, denn von Ja­nu­ar bis Sep­tem­ber 2015 steht den Ar­beit­neh­mern der Fleisch­in­dus­trie nicht 8,50 EUR zu, son­dern nur 8,00 EUR.

Vor die­sem Hin­ter­grund ist zu ver­mu­ten, dass der be­vor­ste­hen­de ge­setz­li­che Min­dest­lohn da­zu bei­ge­tra­gen hat, die Ar­beit­ge­ber der Fleisch­in­dus­trie von ei­nem Bran­chen­min­dest­lohn noch in 2014 und der ra­schen Auf­nah­me der Bran­che in das AEntG zu über­zeu­gen.

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Letzte Überarbeitung: 4. Januar 2021

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