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ARBEITSRECHT AKTUELL // 14/271

Aus­nah­men vom Min­dest­l­ohn­ge­setz (Mi­LoG)

Das neue Mi­LoG gilt nicht für Lang­zeit­ar­beits­lo­se, Zei­tungs­zu­stel­ler und Ar­beit­neh­mer, die un­ter bran­chen­be­zo­ge­ne Min­dest­lohn­ta­ri­fe fal­len: An­nah­me des Ta­rif­au­to­no­mie­stär­kungs­ge­set­zes durch den Bun­des­tag am 03.07.2014 in der am Tag zu­vor vom Aus­schuss vor­ge­schla­ge­nen End­fas­sung
Sie wer­den auch 2015 nur 7,50 EUR (Ost) bzw. 8,00 EUR (West) ver­die­nen

30.07.2014. Nach­dem der Bun­des­tag am 03.07.2014 das Min­dest­l­ohn­ge­setz an­ge­nom­men hat und auch der Bun­des­rat am 11.07.2014 nach­ge­zo­gen hat, kommt der ge­setz­li­che Min­dest­lohn von 8,50 EUR zum 01.01.2015.

Zur An­nah­me stand al­ler­dings das kurz zu­vor noch über­ar­bei­te­te Ge­setz, d.h. die Be­schluss­emp­feh­lung vom 02.07.2014.

In die­ser end­gül­ti­gen Ge­set­zes­fas­sung sind ei­ni­ge Aus­nah­men vor­ge­se­hen, über die in den Wo­chen vor der Ge­set­zes­ver­ab­schie­dung kon­tro­vers dis­ku­tiert wur­de.

Im fol­gen­den fin­den Sie ei­nen Über­blick über die­se Aus­nah­men vom ge­setz­li­chen Min­dest­lohn: Be­schluss­emp­feh­lung und Be­richt des Aus­schus­ses für Ar­beit und So­zia­les (11. Aus­schuss), vom 02.07.2014, Bun­des­tag-Druck­sa­che 18/2010 (neu).

Ar­beit­neh­mer, die un­ter ei­nen bran­chen­be­zo­ge­nen Min­dest­lohn­ta­rif­ver­trag fal­len

Be­reits der ers­te Ge­setz­ent­wurf vom 11.04.2014 sah ei­ne Über­g­angs­re­ge­lung vor (§ 24 Mi­LoG), der zu­fol­ge Min­dest­lohn­ta­rif­verträge auf der Grund­la­ge des Ar­beit­neh­mer-Ent­sen­de­ge­set­zes (AEntG) oder nach dem Ar­beit­neh­mer-Über­las­sungs­ge­setz AÜG) für ei­ne Über­g­angs­zeit von zwei Jah­ren (= von An­fang 2015 bis En­de 2016) dem neu­en ge­setz­li­chen Min­dest­lohn von 8,50 EUR vor­ge­hen.

Die meis­ten Ar­beit­neh­mer, de­ren Ar­beits­verhält­nis­se un­ter ei­nen bran­chen­be­zo­ge­nen Min­dest­lohn­ta­rif­ver­trag fal­len, er­hal­ten zwar be­reits jetzt ei­nen über 8,50 EUR lie­gen­den Min­dest­lohn, doch se­hen ei­ni­ge (schon länger gel­ten­de) Min­dest­lohn­ta­ri­fe ei­nen ge­rin­ge­ren Min­dest­lohn vor. Für die Ar­beit­neh­mer der fol­gen­de Bran­chen bleibt es da­her auch ab Ja­nu­ar 2015 bei nied­ri­ge­ren Lohn­un­ter­gren­zen:

  • Gebäuderei­ni­gung - In­nen- und Un­ter­halts­rei­ni­gung / Ost: Hier beträgt der Min­dest­lohn ab dem 01.01.2015 nur 8,23 EUR.
  • Pfle­ge­bran­che / Ost, falls der hier seit An­fang 2013 gel­ten­de Min­dest­lohn von 8,00 EUR nicht zu An­fang 2015 auf 8,50 EUR an­ge­ho­ben wird.
  • Wäsche­rei­dienst­leis­tun­gen im Ob­jekt­kun­den­geschäft / Ost: Hier beträgt der Min­dest­lohn vom 01.01.2015 bis zum 30.06.2016 nur 8,00 EUR.
  • Zeit­ar­beit / Ost: Hier beträgt der Min­dest­lohn vom 01.01. bis zum 31.03.2015 nur 7,86 EUR und vom 01.04.2015 bis zum 30.05.2016 nur 8,20 EUR.
  • Fri­seur­hand­werk: Hier beträgt der Min­dest­lohn / Ost bis zum 31.07.2015 nur 7,50 EUR und der Min­dest­lohn / West bis zum 31.07.2015 nur 8,00 EUR.

Zwei wei­te­re Bran­chen sind in den letz­ten Mo­na­ten auf die­sen Zug auf­ge­sprun­gen und nut­zen durch ge­zielt ver­ein­bar­te Min­dest­lohn­ta­rif­verträge die ge­setz­li­che Über­g­angs­zeit aus. Auch für die von die­sen Min­dest­lohn­ta­rif­verträgen be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mer gibt es da­her ab 2015 erst ein­mal kei­nen Min­dest­lohn von 8,50 EUR:

  • Fleisch­ver­ar­bei­tung: Hier beträgt der (im Ja­nu­ar 2014 ver­ein­bar­te) ta­rif­ver­trag­li­che Min­dest­lohn von Au­gust 2014 bis No­vem­ber 2014 7,75 EUR, von De­zem­ber 2014 bis Sep­tem­ber 2015 8,00 EUR, von Ok­to­ber 2015 bis No­vem­ber 2016 8,60 EUR und von De­zem­ber 2016 bis En­de 2017 8,75 EUR (wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 14/195 Min­dest­lohn in der Fleisch­wirt­schaft).
  • Land­wirt­schaft: Hier ha­ben der Ge­samt­ver­band der Land- und Forst­wirt­schaft­li­chen Ar­beit­ge­ber­verbände (GL­FA) und die Ar­beits­ge­mein­schaft der gärt­ne­ri­schen Ar­beit­ge­ber­verbände (AgA) mit der In­dus­trie­ge­werk­schaft Bau­en-Agrar-Um­welt (IG BAU) am 04.07.2014 ei­nen bun­des­weit gel­ten­den Ta­rif­ver­trag ab­ge­schlos­sen, der für die un­ters­te Lohn­grup­pe der land­wirt­schaft­li­chen Sai­son­ar­bei­ter ei­nen Min­dest­lohn von 7,40 EUR (West) bzw. von 7,20 EUR (Ost) ab Ja­nu­ar 2015 vor­sieht. Die­se Min­destlöhne sol­len zum Ja­nu­ar 2016 auf 8,00 EUR (West) bzw. 7,90 (Ost), ab Ja­nu­ar 2017 ein­heit­lich für West- und Ost­deutsch­land auf 8,60 EUR und ab No­vem­ber 2017 auf 9,10 EUR an­ge­ho­ben wer­den

Die ge­setz­li­che Über­g­angs­zeit wur­de in der am 03.07.2014 vom Bun­des­tag be­schlos­se­nen End­fas­sung des Ge­set­zes (§ 24 Mi­LoG) um ein Jahr hin­aus­ge­scho­ben, d.h. sie beträgt jetzt drei Jah­re (= von An­fang 2015 bis En­de 2017). Zu­gleich soll die Min­dest­lohn­kom­mis­si­on ih­re Vor­schläge für ei­ne An­pas­sung des Min­dest­lohns nicht erst­mals für die Zeit ab An­fang 2018 vor­le­gen, son­dern be­reits für die Zeit ab An­fang 2017 (§ 9 Abs.1 Mi­LoG - End­fas­sung).

Für das Jahr 2017 wird es da­her vor­aus­sicht­lich ei­ne An­he­bung des ge­setz­li­chen Min­dest­lohns auf ei­nen Be­trag über 8,50 EUR ge­ben, und zu­gleich gel­ten gemäß der bis En­de 2017 verlänger­ten Über­g­angs­frist (§ 24 Mi­LoG) die ungüns­ti­ge­ren bran­chen­be­zo­ge­nen Min­dest­lohn­ta­rif­verträge im Jahr 2017 wei­ter.

Al­ler­dings müssen die­se ei­nen Lohn von min­des­tens 8,50 EUR vor­se­hen, d.h. die bran­chen­be­zo­ge­nen Min­destlöhne können im Jahr 2017 nur dann den ge­setz­li­chen (ver­mut­lich über 8,50 EUR lie­gen­den) Min­dest­lohn un­ter­schrei­ten, wenn sie min­des­tens dem erst­ma­li­gen ge­setz­li­chen Min­dest­lohn von 8,50 EUR ent­spre­chen (§ 24 Abs.1 Satz 1, zwei­ter Halb­satz Mi­LoG - End­fas­sung).

Lang­zeit­ar­beits­lo­se

Gemäß § 22 Abs.4 Satz 1 Mi­LoG gilt der Min­dest­lohn nicht für Ar­beit­neh­mer, die un­mit­tel­bar vor Be­ginn der Beschäfti­gung lang­zeit­ar­beits­los im Sin­ne des § 18 Abs.1 Drit­ten Bu­ches So­zi­al­ge­setz­buch (SGB III) wa­ren. Das sind al­le Ar­beits­lo­sen, die ein Jahr oder länger ar­beits­los sind.

Be­gründet wird die­se Re­ge­lung mit den ungüns­ti­gen "Beschäfti­gungs­chan­cen von Lang­zeit­ar­beits­lo­sen" (Ge­setz­ent­wurf vom 28.05.2014, S.51). Sie sol­len nicht durch ei­nen für Ar­beit­ge­ber un­at­trak­ti­ven, weil zu ho­hen Min­dest­lohn wei­ter ver­schlech­tert wer­den sol­len.

Der Deut­sche Ge­werk­schafts­bund (DGB), die Grünen und die Lin­ke leh­nen die­se Re­ge­lung ab (Be­schluss­emp­feh­lung des Aus­schus­ses vom 02.07.2014, S.13, S.23), un­ter an­de­rem mit dem Ar­gu­ment, dass man nicht al­le Lang­zeit­ar­beits­lo­sen über ei­nen Kamm sche­ren könne und dass die jetzt be­schlos­se­ne Re­ge­lung gar kei­ne Lohn­un­ter­gren­ze vor­sieht.

Die Ver­tre­ter der großen Ko­ali­ti­on hal­ten da­ge­gen, dass der ge­setz­li­che Min­dest­lohn ja nicht die ein­zi­ge Lohn­un­ter­gren­ze in Deutsch­land ist. Im­mer­hin gibt es ja mitt­ler­wei­le ei­ne Viel­zahl von Min­dest­lohn­ta­rif­verträgen.

Dass die Schöpfer die­ser Aus­nah­me­re­ge­lung selbst nicht so recht an de­ren Not­wen­dig­keit glau­ben, zeigt sich an der Ex­pe­ri­men­tier­klau­sel des § 22 Abs.4 Satz 2 Mi­LoG. Da­nach hat die Bun­des­re­gie­rung dem Bun­des­tag und dem Bun­des­rat zum 01.06.2016 darüber zu be­rich­ten, in­wie­weit die­se Aus­nah­me­re­ge­lung tatsächlich die Wie­der­ein­glie­de­rung von Lang­zeit­ar­beits­lo­sen in den Ar­beits­markt gefördert hat. Außer­dem hat die Bun­des­re­gie­rung "ei­ne Einschätzung darüber ab­zu­ge­ben, ob die­se Re­ge­lung fort­be­ste­hen soll".

Aus­zu­bil­den­de

§ 22 Abs.3 Mi­LoG stellt klar, dass das Ge­setz nicht für Aus­zu­bil­den­de gilt. Sie er­hal­ten kei­nen Ar­beits­lohn, da der Zweck ih­rer Tätig­keit das Er­ler­nen ei­nes Be­rufs und nicht das Geld­ver­die­nen ist.

Die Höhe der Aus­bil­dungs­vergütung kann im Prin­zip frei von Aus­bil­der und Aus­zu­bil­den­den ver­ein­bart wer­den, doch gibt es hier Emp­feh­lun­gen der zuständi­gen Be­rufs­kam­mern. Von die­sen Emp­feh­lun­gen wie­der­um soll­ten Aus­bil­der nicht zu weit nach un­ten ab­wei­chen, denn sonst ist die Ver­ein­ba­rung der Aus­bil­dungs­vergütung nich­tig und dem Aus­zu­bil­den­den steht die übli­che Vergütung zu. 

An­ders als die an­de­ren Aus­nah­men vom Mi­LoG hat die Her­aus­nah­me der Aus­zu­bil­den­den kei­ne grundsätz­li­che Kri­tik er­fah­ren.

Eh­ren­amt­lich täti­ge Mit­ar­bei­ter von Sport­ver­ei­nen

Gemäß § 22 Abs.3 Mi­LoG gilt das Ge­setz nicht für die Vergütung von "eh­ren­amt­lich Täti­gen".

Dass sie nicht un­ter das Ge­setz fal­len, scheint auf den ers­ten Blick selbst­verständ­lich zu sein. Denn wer im Ver­ein oder in an­de­ren Zu­sam­menhängen ein Eh­ren­amt ausübt, ist nicht auf der Grund­la­ge ei­nes Ar­beits­ver­trags tätig, d.h. er ist kein Ar­beit­neh­mer. Er will ja kein Geld ver­die­nen, so dass sich die Fra­ge ei­nes Min­dest­lohns gar nicht zu stel­len scheint.

Al­ler­dings gibt es vor al­lem in Sport­ver­ei­nen vie­le Per­so­nen, die in ers­ter Li­nie aus ide­el­len Gründen mit­hel­fen, dafür aber gleich­zei­tig als Dan­keschön ei­ne - meist ge­rin­ge - Vergütung er­hal­ten. Auf die­ser Ba­sis ar­bei­ten zum Bei­spiel vie­le Trai­ner in Sport­ver­ei­nen. Da­her hielt der Bun­des­tags­aus­schuss in sei­nen Be­ra­tun­gen fol­gen­de Klar­stel­lung für sinn­voll, die al­ler­dings nicht in den Ge­set­zes­text auf­ge­nom­men wur­de, son­dern nur in dem Be­schluss­emp­feh­lung des Aus­schus­ses vom 02.07.2014 (S.17) fest­ge­hal­ten wird:

"Die Ko­ali­ti­ons­frak­tio­nen sei­en mit dem Bun­des­mi­nis­te­ri­um für Ar­beit und So­zia­les dar­in ei­nig, dass eh­ren­amt­li­che Übungs­lei­ter und an­de­re eh­ren­amt­lich täti­ge Mit­ar­bei­ter in Sport­ver­ei­nen nicht un­ter die­ses Ge­setz fie­len. Von ei­ner >eh­ren­amt­li­chen Tätig­keit< im Sin­ne des § 22 Ab­satz 3 Mi­LoG sei im­mer dann aus­zu­ge­hen, wenn sie nicht von der Er­war­tung ei­ner adäqua­ten fi­nan­zi­el­len Ge­gen­leis­tung, son­dern von dem Wil­len ge­prägt sei, sich für das Ge­mein­wohl ein­zu­set­zen."

Ob­wohl sie nicht Ge­setz ge­wor­den ist, son­dern "nur" das Ge­set­zes­verständ­nis der Aus­schuss­mit­glie­der wi­der­spie­gelt, ist die­se Klar­stel­lung für die Vorstände von Sport- und an­de­ren Ide­al­ver­ei­nen wich­tig, denn sie wären bei ei­nem an­de­ren Ge­set­zes­verständ­nis in der Ge­fahr der persönli­chen Haf­tung für ei­ne Un­ter­schrei­tung des ge­setz­li­chen Min­dest­lohns. Dem­ent­spre­chend at­men Ver­tre­ter von Ver­ei­nen und Verbänden auf.

Ju­gend­li­che oh­ne ab­ge­schlos­se­ne Be­rufs­aus­bil­dung

§ 22 Abs.2 Mi­LoG sieht vor, dass

nicht als Ar­beit­neh­mer im Sin­ne des Mi­LoG gel­ten. Ge­recht­fer­tigt wird die­se Aus­nah­me, die die CDU ge­gen den Wil­len der SPD durch­ge­setzt hat, mit fol­gen­den Über­le­gun­gen (Ge­setz­ent­wurf vom 28.05.2014, S.50 f.):

"Durch die Aus­nah­me wird si­cher­ge­stellt, dass der Min­dest­lohn kei­nen An­reiz setzt, zu­guns­ten ei­ner mit dem Min­dest­lohn vergüte­ten Beschäfti­gung auf ei­ne Be­rufs­aus­bil­dung zu ver­zich­ten. Die (...) Al­ters­gren­ze ver­hin­dert da­hin­ge­hen­de Fehl­an­rei­ze, dass jun­ge Men­schen nach Ab­schluss der Se­kun­dar­stu­fe 1 von ei­ner wei­terführen­den Schul­aus­bil­dung oder ei­ner Be­rufs­aus­bil­dung des­halb ab­se­hen, um statt­des­sen ei­ne mit dem Min­dest­lohn vergüte­te Beschäfti­gung an­zu­neh­men. Ty­pi­scher­wei­se wer­den von jun­gen Men­schen nach Ab­schluss der Se­kun­dar­stu­fe 1 wich­ti­ge Wei­chen für ih­ren späte­ren be­ruf­li­chen Wer­de­gang ge­stellt."

Die­se Be­gründung ist we­nig über­zeu­gend, da die Al­ters­gren­ze von 18 Jah­ren nicht zum The­ma Be­rufs­aus­bil­dung passt. Die Zei­ten, in de­nen man mit 14 oder 15 Jah­ren "in die Leh­re" ging, sind lan­ge vor­bei. Wer ei­ne Be­rufs­aus­bil­dung be­ginnt, macht das heu­te oft in ei­nem höhe­ren Al­ter. Da­her ha­ben die Sach­verständi­gen Prof. Thüsing und Prof. Preis in der ih­ren Stel­lung­nah­men zum Ge­setz­ent­wurf die­se Al­ters­gren­ze als un­taug­li­ches Mit­tel kri­ti­siert (Be­schluss­emp­feh­lung des Aus­schus­ses vom 02.07.2014, S.14 f. und S.16).

Im Er­geb­nis ist die­se Re­ge­lung al­ters­dis­kri­mi­nie­rend, d.h. sie verstößt ge­gen das eu­ro­pa­recht­li­che Ver­bot, Ar­beit­neh­mer auf­grund ih­res Al­ters zu dis­kri­mi­nie­ren, d.h. schlech­ter zu stel­len als ver­gleich­ba­re Ar­beit­neh­mer, die sich in ei­nem an­de­ren Al­ter be­fin­den (Art.1 und Art.3 Abs.1 Buchst. c) Richt­li­nie 2000/78/EG).

Denn da ein nach­voll­zieh­ba­rer sach­li­cher Grund nicht er­kenn­bar ist, die Wahl ei­ner schlech­ter be­zahl­ten Be­rufs­aus­bil­dung ge­ra­de bei den un­ter 18jähri­gen zu un­terstützen, gibt es kei­ne Recht­fer­ti­gung für die­se Schlech­ter­stel­lung. Die in Art.6 Richt­li­nie 2000/78/EG auf­ge­lis­te­ten Recht­fer­ti­gun­gen für ei­ne al­ters­be­ding­te Schlech­ter­stel­lung grei­fen hier nicht ein.

Pflicht­prak­ti­kan­ten

Prak­ti­kan­ten sind vom An­wen­dungs­be­reich des Ge­set­zes nicht ge­ne­rell aus­ge­nom­men, son­dern wer­den viel­mehr im Grund­satz un­ter den ge­setz­li­chen Min­dest­lohn­schutz ge­stellt. Da­her heißt es in § 22 Abs.1 Satz 1 Mi­LoG aus­drück­lich, dass Prak­ti­kan­ten im Sin­ne von § 26 Be­rufs­bil­dungs­ge­setz (BBiG) als Ar­beit­neh­mer im Sin­ne des Mi­LoG gel­ten.

Prak­ti­kan­ten im Sin­ne von § 26 BBiG wie­der­um sind "Per­so­nen, die ein­ge­stellt wer­den, um be­ruf­li­che Fer­tig­kei­ten, Kennt­nis­se, Fähig­kei­ten oder be­ruf­li­che Er­fah­run­gen zu er­wer­ben, oh­ne dass es sich um ei­ne Be­rufs­aus­bil­dung im Sin­ne die­ses Ge­set­zes han­delt", d.h. im Sin­ne des BBiG.

Mit die­ser Grund­re­gel hat die große Ko­ali­ti­on al­ler­dings ein heißes Ei­sen an­ge­fasst. Vie­le Be­trie­be (und öffent­li­che Stel­len wie z.B. Bun­des­mi­nis­te­ri­en) ma­chen die Beschäfti­gung von Prak­ti­kan­ten nämlich da­von abhängig, dass sie dafür kein Geld oder bes­ten­falls ei­ne klei­ne Auf­wands­entschädi­gung zah­len müssen. Ein ge­ne­rel­ler Min­dest­lohn­schutz für Prak­ti­kan­ten hätte da­her vor­aus­sicht­lich zur Fol­ge, dass es vie­le Prak­ti­kums­an­ge­bo­te schlicht nicht mehr gäbe, denn die meis­ten Be­trie­be und öffent­li­che Stel­len sind auf Prak­ti­kan­ten nicht wirk­lich an­ge­wie­sen.

Da­her sieht die End­fas­sung von § 22 Abs.1 nun­mehr fol­gen­de vier Aus­nah­men von der Re­gel vor, dass auch Prak­ti­kan­ten ei­nen Min­dest­lohn von 8,50 EUR ver­lan­gen können, d.h. die fol­gen­den vier Grup­pen von "ech­ten" Prak­ti­kan­ten ha­ben kei­nen Min­dest­lohn­an­spruch:

  • Pflicht­prak­ti­kan­ten, d.h. Teil­neh­mer an ei­nem Prak­ti­kum, das aus­bil­dungs­recht­lich ver­pflich­tend vor­ge­schrie­ben ist. Hier gilt kei­ne zeit­li­che Gren­ze.
  • Prak­ti­kan­ten, die ein Ori­en­tie­rungs­prak­ti­kum vor Be­ginn ei­ner Be­rufs­aus­bil­dung oder ei­nes Stu­di­ums ab­sol­vie­ren. Hier gilt ei­ne zeit­li­che Höchst­gren­ze von drei Mo­na­ten.
  • Prak­ti­kan­ten, die ein recht­lich nicht vor­ge­schrie­be­nes Prak­ti­kum als Ergänzung bzw. Be­glei­tung ei­ner Aus­bil­dung oder ei­nes Stu­di­ums ab­sol­vie­ren; dies be­trifft vor al­lem Stu­den­ten geis­tes­wis­sen­schaft­li­cher Fächer. Auch hier gilt ei­ne Höchst­gren­ze von drei Mo­na­ten und außer­dem die Be­din­gung, dass der Prak­ti­kant nicht be­reits zu­vor beim sel­ben Be­trieb ein Prak­ti­kum ge­macht hat.
  • Prak­ti­kan­ten, die an ei­ner Ein­stiegs­qua­li­fi­ka­ti­on im Sin­ne von § 54a SGB III oder an ei­ner Be­rufs­aus­bil­dungs­vor­be­rei­tung im Sin­ne des BBiG teil­neh­men. Hier gilt kei­ne zeit­li­che Höchst­gren­ze.

Ab­ge­se­hen von die­sen vier ge­setz­li­chen Aus­nah­men ha­ben auch Prak­ti­kan­ten ei­nen An­spruch auf ei­nen Min­dest­lohn von 8,50 EUR.

Ein ge­setz­li­ches Schlupf­loch al­ler­dings bleibt be­ste­hen, da das Mi­LoG den Be­griff des Prak­ti­kan­ten (trotz des Ver­wei­ses auf § 26 BBiG) selbst noch ein­mal umständ­lich de­fi­niert, wo­bei auch die­je­ni­gen Per­so­nen vom Be­griff des Prak­ti­kan­ten aus­ge­nom­men wer­den, die ei­ne der dua­len Be­rufs­aus­bil­dung "ver­gleich­ba­re prak­ti­sche Aus­bil­dung" durch­lau­fen (§ 22 Abs.1 Satz 2). Mit die­ser Klau­sel sol­len nach dem Wil­len der Ge­set­zes­ver­fas­ser zum Bei­spiel Vo­lontäre vom Min­dest­lohn­schutz aus­ge­nom­men wer­den (Be­schluss­emp­feh­lung des Aus­schus­ses vom 02.07.2014, S.26).

Zei­tungs­zu­stel­ler

Als be­son­de­res Sch­man­kerl ha­ben die Ko­ali­ti­onäre in letz­ter Mi­nu­te ei­ne Aus­nah­me­re­ge­lung zu­las­ten von Zei­tungs­zu­stel­lern und Zu­stel­le­rin­nen in das Ge­setz auf­ge­nom­men. Ih­nen wird der ge­setz­li­che Min­dest­lohn für ei­ne Über­g­angs­zeit von drei Jah­ren (An­fang 2015 bis En­de 2017) vor­ent­hal­ten, d.h. sie müssen sich für die­se Zeit mit ei­nem ver­min­der­ten Min­dest­lohn zu­frie­den ge­ben (§ 24 Abs.2 Mi­LoG).

Der über­g­angs­wei­se Min­dest­lohn für Zei­tungs­zu­stel­ler beträgt

  • im Jah­re 2015 6,38 EUR (= 75 Pro­zent des ge­setz­li­chen Min­dest­lohns von 8,50 EUR),
  • im Jah­re 2016 7,23 EUR (= 85 Pro­zent des ge­setz­li­chen Min­dest­lohns von 8,50 EUR), und
  • im Jah­re 2017 8,50 EUR (= 100 Pro­zent des der­zeit ge­setz­lich fest­ge­leg­ten Min­dest­lohns, der al­ler­dings im Jah­re 2017 auf­grund der dann erst­ma­lig von der Kom­mis­si­on emp­foh­le­nen An­he­bung un­ter dem neu­en bzw. ak­tua­li­sier­ten Min­dest­lohn für 2017 lie­gen wird).

Be­gründet wird die­se Aus­nah­me so (Be­schluss­emp­feh­lung des Aus­schus­ses vom 02.07.2014, S.26):

"Ei­ne stu­fen­wei­se Ein­pha­sung des Min­dest­lohns für die Zei­tungs­zu­stel­lung ist er­for­der­lich, weil die mit der Einführung des Min­dest­lohns ein­her­ge­hen­den Mehr­kos­ten ins­be­son­de­re in länd­li­chen und struk­tur­schwa­chen Re­gio­nen die Träger­zu­stel­lung be­ein­träch­ti­gen. Die Zu­stel­lung ist not­wen­di­ge Be­din­gung für das Funk­tio­nie­ren der durch Ar­ti­kel 5 Ab­satz 1 Satz 2 des Grund­ge­set­zes geschütz­ten frei­en Pres­se. Die verläss­li­che Träger­zu­stel­lung von Zei­tun­gen und Zeit­schrif­ten am Tag ih­res Er­schei­nens an den End­kun­den ist ei­ne we­sent­li­che Säule für den Ver­trieb die­ser Print­pro­duk­te."

Die­se "Be­gründung" ist so ab­we­gig, dass sie schon ärger­lich ist. Dass die Er­zeu­gung und der Ver­trieb von Zei­tun­gen grund­recht­lich geschützt sind, heißt natürlich nicht, dass Zei­tungs­ver­le­ger ei­ne Art Grund­rechts­schutz dar­auf hätten, bil­li­ge Ar­beits­kräfte bei der Zei­tungs­zu­stel­lung be­lie­big aus­beu­ten zu dürfen. Ein "Grund­recht auf Aus­beu­tung" gibt es nicht.

Mehr­kos­ten in­fol­ge des ge­setz­li­chen Min­dest­lohns müssen die Zei­tungs­ver­la­ge eben­so ver­ar­bei­ten wie an­de­re Un­ter­neh­men auch, d.h. sie müssen die­se Mehr­kos­ten als ge­winn­min­dernd hin­neh­men oder aber auf ih­re Kun­den abwälzen. Wie­so das Zei­tungs­ver­la­ge vor größere Pro­ble­me stel­len soll­te als an­de­re Un­ter­neh­men, ist nicht er­sicht­lich. Die hier von den Ver­la­gen durch­ge­box­te Aus­nah­me­re­ge­lung ist ein kras­ses Bei­spiel für ef­fek­ti­ve Lob­by­ar­beit, die zu un­sin­ni­gen ge­setz­li­chen Re­ge­lun­gen führt.

Das ein­zig Gu­te an die­ser Aus­nah­me­vor­schrift ist, dass sie nach drei Jah­ren wegfällt.

Land­wirt­schaft­li­che Sai­son­kräfte

Was den Ver­le­gern ge­lun­gen ist, ha­ben die Land­wir­te nicht durch­set­zen können, nämlich ei­ne ge­setz­li­che Be­reichs­aus­nah­me für Ern­te­hel­fer. Das ein­zi­ge, was ih­nen zu­ge­stan­den wur­de, ist ei­ne bis En­de 2018 gel­ten­de zeit­li­che Aus­deh­nung der ge­setz­li­chen Möglich­keit, Sai­son­kräfte als ge­ringfügig Beschäftig­te weit­ge­hend so­zi­al­ab­ga­ben­frei zu führen. Während dies der­zeit nur für die Dau­er von höchs­tens 50 Ar­beits­ta­gen der Fall ist, sol­len es künf­tig 70 Ar­beits­ta­ge sein (§ 115 SGB IV, neue Fas­sung).

Al­ler­dings dürf­te das für die Land­wir­te zu ver­schmer­zen sein, denn sie ha­ben sich ja be­reits (wie oben erwähnt) An­fang Ju­li 2014 mit der IG Bau auf ei­nen bun­des­weit gel­ten­den Min­dest­lohn­ta­rif­ver­trag ge­ei­nigt. Auf die­ser Grund­la­ge können die Land­wir­te den ge­setz­li­chen Min­dest­lohn für die drei Über­g­angs­jah­re ta­rif­ver­trag­lich un­ter­lau­fen.

Fa­zit

Die Aus­nah­men vom ge­setz­li­chen Min­dest­lohn, die die zah­lenmäßig größten Grup­pen von Ar­beit­neh­mern be­tref­fen, er­ge­ben sich auf­grund der­je­ni­gen bran­chen­be­zo­ge­nen Min­dest­lohn­ta­rif­verträge, die den ge­setz­li­chen Min­dest­lohn von 8,50 EUR un­ter­schrei­ten. Die­se Ta­rif­verträge ge­hen dem Mi­LoG über­g­angs­wei­se, d.h. bis längs­tens En­de 2017 vor.

Die da­ge­gen ge­rich­te­te Kri­tik ist nicht wirk­lich über­zeu­gend, denn im­mer­hin gab es in Deutsch­land jahr­zehn­te­lang gar kei­nen Min­dest­lohn und erst seit ei­ni­gen Jah­ren bran­chen­be­zo­ge­ne Min­destlöhne. Dass ei­ni­ge die­ser Bran­chen-Min­destlöhne nun für ei­ne be­grenz­te Über­g­angs­zeit dem ge­setz­li­chen Min­dest­lohn vor­ge­hen, wird man kaum als ar­beits­markt­po­li­ti­schen Sünden­fall be­wer­ten können.

Die Aus­nah­me zu­las­ten von Lang­zeit­ar­beits­lo­sen ist da­ge­gen nicht nach­voll­zieh­bar be­gründet, wird aber mögli­cher­wei­se ent­spre­chend der Ex­pe­ri­men­tier­klau­sel schon bald wie­der ab­ge­schafft, viel­leicht schon En­de 2016.

Ärger­lich ist das Ver­le­ger-Bon­bon, d.h. die Be­reichs­aus­nah­me zu­las­ten der Zei­tungs­zu­stel­ler, doch gilt auch die­se Aus­nah­me nur bis En­de 2017.

Bleibt im Er­geb­nis die auf Dau­er ge­stell­te al­ters­dis­kri­mi­nie­ren­de Aus­nah­me­re­ge­lung zu­las­ten von Ar­beit­neh­mern un­ter 18 Jah­ren. Hier gibt es Re­form­be­darf, d.h. die­se Re­ge­lung soll­te man wie­der ab­schaf­fen.

Mögli­cher­wei­se er­le­digt das die Recht­spre­chung, denn da­zu braucht es nur die Lohn­kla­ge ei­nes von die­ser Aus­nah­me­re­ge­lung be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mers und ei­nen Vor­la­ge­be­schluss an den Eu­ropäischen Ge­richts­hof (EuGH). Soll­te der EuGH die Aus­nah­me­re­ge­lung als al­ters­dis­kri­mi­nie­rend be­wer­ten, wäre sie vom Tisch, denn dann müss­ten die Ge­rich­te sie ent­spre­chend der ge­fes­tig­ten Recht­spre­chung zur eu­ro­pa­rechts­wid­ri­gen Al­ters­dis­kri­mi­nie­rung "un­an­ge­wen­det" las­sen.

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Letzte Überarbeitung: 16. November 2020

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