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ARBEITSRECHT AKTUELL // 16/205

Min­dest­l­ohn­ge­setz gilt auch für Be­reit­schafts­diens­te

Bun­des­ar­beits­ge­richt stellt klar, dass der ge­setz­li­che Min­dest­lohn von 8,50 EUR auch für Be­reit­schafts­zei­ten zu zah­len ist: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Ur­teil vom 29.06.2016, 5 AZR 716/15
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29.06.2016. Seit An­fang 2015 gilt in Deutsch­land das Min­dest­l­ohn­ge­setz (Mi­LoG), das ei­nen ge­setz­lich zwin­gen­den, d.h. ar­beits­ver­trag­lich nicht un­ter­schreit­ba­ren Min­dest­lohn von der­zeit 8,50 EUR brut­to pro St­un­de vor­sieht.

Ob zu ei­ner min­dest­lohn­pflich­ti­gen Ar­beits­stun­de auch Be­reit­schafts­dienst­zei­ten ge­hö­ren, wäh­rend der sich der Ar­beit­neh­mer nur zur Ar­beit be­reit hält, ist ge­setz­lich nicht ein­deu­tig ge­re­gelt und da­her um­strit­ten.

Heu­te hat das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) die­se Streit­fra­ge im Sin­ne der Ar­beit­neh­mer ent­schie­den: BAG, Ur­teil vom 29.06.2016, 5 AZR 716/15 (Pres­se­mel­dung des Ge­richts).

Gilt der Min­dest­lohn nach dem Min­dest­l­ohn­ge­setz (Mi­LoG) auch für Be­reit­schafts­zei­ten?

In vie­len Dienst­leis­tungs­be­ru­fen gibt es seit je­her Be­reit­schafts­diens­te, und die­se wer­den schlech­ter be­zahlt als die sog. Vol­l­ar­beit. Ty­pisch für den Be­reit­schafts­dienst ist es, dass sich der Ar­beit­neh­mer zwar im Be­trieb auf­hal­ten muss, um kurz­fris­tig nach Be­darf die Ar­beit auf­neh­men zu können, dass er sich aber während die­ser War­te­zeit mit pri­va­ten Din­gen beschäfti­gen oder schla­fen kann.

§ 1 Abs.2 Mi­LoG lässt of­fen, ob der Min­dest­lohn von 8,50 EUR brut­to auch für Be­reit­schafts­diens­te zu zah­len ist. Ge­nau­er ge­sagt geht es um die­je­ni­gen Zei­ten ei­nes Be­reit­schafts­diens­tes, während de­ren der Ar­beit­neh­mer nicht ar­bei­ten muss, son­dern sich nur zur Ar­beit be­reithält. In Min­dest­lohn heißt es nämlich nur knapp, dass der Min­dest­lohn von 8,50 EUR "je Zeit­stun­de" zu zah­len ist.

Vor die­sem Hin­ter­grund fragt sich, ob der Min­dest­lohn von 8,50 EUR

  • für die ge­sam­te Zeit ei­nes Be­reit­schafts­diens­tes zu zah­len ist, al­so auch für War­te- bzw. Be­reit­schafts­zei­ten, oder
  • nur für die­je­ni­gen Zei­ten ei­nes Be­reit­schafts­diens­tes, während der der Ar­beit­neh­mer ef­fek­tiv ar­bei­tet ("Vol­l­ar­beit").

Ei­ne sol­che Fra­ge hat­te das BAG En­de 2014 schon ein­mal zu ent­schei­den, nur dass es da­mals nicht um das Mi­LoG ging, son­dern um die ei­ne Min­dest­lohn-Ver­ord­nung für die Pfle­ge­bran­che, die Pfle­ge­ar­beits­be­din­gun­gen­ver­ord­nung (Pfle­ge­ArbbV). In die­sem Ur­teil stell­te das BAG klar, dass auch Be­reit­schafts­zei­ten von Pfle­ge­kräften min­dest­lohn­pflich­tig nach die­ser Ver­ord­nung sind (BAG, Ur­teil vom 19.11.2014, 5 AZR 1101/12, wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 14/385 Min­dest­lohn für Be­reit­schafts­dienst).

Et­was ak­tu­el­ler und mit Be­zug auf das Mi­LoG ent­schied das Ar­beits­ge­richt Ham­burg, dass Be­reit­schafts­zei­ten un­ter den An­wen­dungs­be­reich von § 1 Abs.2 Mi­LoG fal­len, d.h. mit 8,50 EUR zu vergüten sind (Ar­beits­ge­richt Ham­burg 02.03.2016, 27 Ca 443/15). Die­se An­sicht hat jetzt das BAG bestätigt.

Im Streit: Be­reit­schafts­zei­ten ei­nes Ret­tungs­sa­nitäters, die nach Ta­rif nur mit der Hälf­te des nor­ma­len St­un­den­lohns be­zahlt wer­den

Im Streit­fall hat­te ein nach dem Ta­rif­ver­trag für den öffent­li­chen Dienst (TVöD) vergüte­ter Ret­tungs­sa­nitäter für Ja­nu­ar und Fe­bru­ar 2015 ins­ge­samt 1.237,50 EUR Lohn ein­ge­klagt, und zwar für neun St­un­den Be­reit­schafts­zeit pro Wo­che.

Die­se St­un­den wa­ren aus sei­ner Sicht nicht be­zahlt wor­den. Denn nach dem TVöD be­kam er für Be­reit­schafts­zei­ten die Hälf­te sei­nes ta­rif­li­chen St­un­den­lohns. Durch das Mi­LoG, so der Sa­nitäter, wa­ren die­se ta­rif­li­chen Re­ge­lun­gen un­wirk­sam ge­wor­den. Des­halb stünde ihm die übli­che Be­zah­lung von 15,81 EUR brut­to pro Ar­beits­stun­de zu. Da­bei be­rief er sich auf das o.g. BAG-Ur­teil vom 19.11.2014 (5 AZR 1101/12).

Das Ar­beits­ge­richt Aa­chen (Ur­teil vom 21.04.2015, 1 Ca 448/15 h) und das Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Köln wie­sen die Kla­ge ab (LAG Köln, Ur­teil vom 15.10.2015, 8 Sa 540/15).

Zwar stimm­ten bei­de Ge­rich­te dem Kläger aus­drück­lich zu, dass die strei­ti­gen Be­reit­schafts­zei­ten min­dest­lohn­pflich­tig sind. Al­ler­dings hat­te der Ar­beit­ge­ber be­reits al­les ge­zahlt. Denn auch un­ter Ein­be­rech­nung sämt­li­cher Be­reit­schafts­zei­ten würde der mo­nat­li­che Min­dest­lohn deut­lich un­ter dem ge­zahl­ten ta­rif­li­chen Mo­nats­lohn lie­gen.

BAG: Der ge­setz­li­che Min­dest­lohn von 8,50 EUR ist auch für Be­reit­schafts­zei­ten zu zah­len

Auch vor dem BAG hat­te der Sa­nitäter kei­nen Er­folg mit sei­ner Zah­lungs­kla­ge, dafür aber mit sei­ner Rechts­an­sicht, dass Be­reit­schafts­zei­ten min­dest­lohn­pflich­tig sind. In der der­zeit al­lein vor­lie­gen­den Pres­se­mel­dung des BAG heißt es zur Be­gründung:

Der ge­setz­li­che Min­dest­lohn ist für je­de ge­leis­te­te Ar­beits­stun­de zu zah­len. Zur vergütungs­pflich­ti­gen Ar­beit rech­nen auch Be­reit­schafts­zei­ten, während de­rer sich der Ar­beit­neh­mer an ei­nem vom Ar­beit­ge­ber be­stimm­ten Ort (im Be­trieb oder außer­halb) be­reit­hal­ten muss, um bei Be­darf die Ar­beit auf­zu­neh­men, so das BAG.

Eben­so wie das Ar­beits­ge­richt Aa­chen und das LAG Köln mein­te das BAG al­ler­dings, dass der Kläger für die strei­ti­gen bei­den Mo­na­te be­reits deut­lich mehr als den Min­dest­lohn er­hal­ten hat­te, auch wenn man da­bei zu sei­nen Guns­ten sämt­li­che Be­reit­schafts­zei­ten als min­dest­lohn­pflich­ti­ge St­un­den be­rech­net. Denn bei ei­ner ma­xi­mal denk­ba­ren Ar­beits­be­las­tung von mo­nat­lich 228 St­un­den (ein­sch­ließlich sämt­li­cher Be­reit­schafts­zei­ten) beträgt der Min­dest­lohn (228 St­un­den x 8,50 EUR =) 1.938,00 EUR brut­to. Und die­sen Be­trag hat­te der Ar­beit­ge­ber be­zahlt bzw. übe­r­erfüllt, denn der ge­zahl­te Ta­rif­lohn (oh­ne Zu­la­gen) be­trug 2.680,31 EUR brut­to.

Fa­zit: Ei­ne Un­ter­schei­dung von min­dest­lohn­pflich­ti­ger Vol­l­ar­beit und nicht min­dest­lohn­pflich­ti­ger War­te- oder Be­reit­schafts­zeit lässt sich mit § 1 Abs.2 Mi­LoG nicht ver­ein­ba­ren. Denn auch vom Ar­beit­ge­ber an­ge­ord­ne­te "Leer­lauf­zei­ten" sind ar­beits­ver­trag­li­che Leis­tun­gen, die zu be­zah­len sind, und zwar mit dem Min­dest­lohn von 8,50 EUR.

Al­ler­dings erfüllt der Ar­beit­ge­ber sei­ne Min­dest­lohn­pflicht durch den ge­sam­ten Mo­nats­lohn, von dem al­ler­dings Zu­schläge für ungüns­ti­ge Ar­beits­zei­ten, Schmutz­zu­la­gen und dgl. ab­zu­zie­hen sind. Der ver­blei­ben­de Mo­nats­lohn, der die "Nor­mal­leis­tung" vergütet, ist dann durch die An­zahl al­ler im Ab­rech­nungs­mo­nat ge­leis­te­ter St­un­den zu tei­len. Kommt da­bei pro St­un­de 8,50 EUR oder mehr her­aus, hat der Ar­beit­ge­ber den Min­dest­lohn be­zahlt, d.h. § 1 Abs.2 Mi­LoG ein­ge­hal­ten.

Nähe­re In­for­ma­tio­nen fin­den Sie hier:

Hin­weis: In der Zwi­schen­zeit, d.h. nach Er­stel­lung die­ses Ar­ti­kels, hat das BAG sei­ne Ent­schei­dungs­gründe veröffent­licht. Das vollständig be­gründe­te Ur­teil des BAG fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 18. Juni 2020

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