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ARBEITSRECHT AKTUELL // 03/01

Weg­fall der "Schein­selb­stän­dig­keits"-Re­ge­lung

Kei­ne Son­der­re­ge­lung­mehr zur Schein­selb­stän­dig­keit: Die ge­setz­li­che Grund­la­ge wird zum Jah­res­an­fang 2003 ge­än­dert: Än­de­rung des SGB IV zur Schein­selb­stän­dig­keit
Mobiler Hotdogverkäufer mit Fahrradverkaufsstand Kei­ne leich­te Fra­ge: Wer ist schein­selb­stän­dig und wer nicht?
08.01.2003. Zu An­fang die­ses Jah­res ist die Vor­schrift des § 7 Abs.4 SGB Vier­tes Buch So­zi­al­ge­setz­buch (SGB IV) in ih­rer bis­he­ri­gen Fas­sung ab­ge­schafft bzw. voll­stän­dig um­ge­än­dert wor­den.

Die bis­her in die­sem Pa­ra­gra­phen ent­hal­te­ne Re­ge­lung über die so­ge­nann­te Schein­selb­stän­dig­keit ist zum 01.01.2003 er­satz­los ent­fal­len.

Es gibt da­her ab An­fang die­ses Jah­res kei­ne be­son­de­re ge­setz­li­che Re­ge­lung mehr, die die Schein­selb­stän­dig­keit de­fi­niert oder spe­zi­ell auf sie zu­ge­schnit­ten wä­re. An­ge­sichts der Tat­sa­che, dass die nun­mehr ab­ge­schaff­te Re­ge­lung nach über­ein­stim­men­der Mei­nung al­ler da­mit be­fass­ten Ex­per­ten kei­nen po­si­ti­ven Ef­fekt hat­te, ist das auch gut so.

War­um spricht man über­haupt von "Schein­selbständig­keit"?

Un­ter ei­nem Schein­selbständi­gen ver­steht man ei­nen Er­werbstäti­gen, der ei­ner so­zi­al­ver­si­che­rungs­pflich­ti­gen Beschäfti­gung nach­geht, sei­ne Ver­si­che­rungs­pflicht aber hin­ter dem fal­schen Schein ei­ner selbständi­gen Tätig­keit ver­birgt.

Die so­ge­nann­ten Schein­selbständi­gen sind da­her recht­lich ge­se­hen kei­ne be­son­de­re Grup­pe der Beschäftig­ten oder gar der Selbständi­gen.

Viel­mehr sind sie ganz nor­ma­le ver­si­che­rungs­pflich­ti­ge Beschäftig­te bzw. Ar­beit­neh­mer, für die al­ler­dings un­ter Ver­s­toß ge­gen die zwin­gen­den Vor­schrif­ten des So­zi­al­ver­si­che­rungs­rechts kei­ne So­zi­al­ab­ga­ben ent­rich­tet wer­den.

Da sich vie­le Beschäftig­te fak­tisch ih­rer Ver­si­che­rungs­pflicht ent­zie­hen, da es al­so vie­le Schein­selbständi­ge gibt, woll­te der Ge­setz­ge­ber in der Zeit vom 01.01.1999 bis zum 31.12.2002 mit ei­nem spe­zi­el­len Pa­ra­gra­phen er­rei­chen, daß möglichst vie­le die­ser Schein­selbständi­gen in die So­zi­al­ver­si­che­rung ein­be­zo­gen wer­den, d.h. ord­nungs­gemäß ge­mel­det wer­den und Beiträge be­zah­len.

Die­ser über vier Jah­re dau­ern­de Ver­such, der sich be­reits im Lau­fe des Jah­res 1999 als pra­xis­un­taug­lich er­wies, wur­de nach ei­ner zwi­schen­zeit­li­chen Ände­rung der Ge­set­zes­fas­sung nun­mehr zum 31.12.2002 of­fi­zi­ell be­en­det.

Wel­che Fas­sung hat­te der Pa­ra­graph über die Schein­selbständig­keit zu­letzt?

In sei­ner zu­letzt, d.h. bis zum 31.12.2002 Fas­sung lau­te­te der Schein­selbständig­keits-Pa­ra­graph (§ 7 Abs.4 SGB IV) so:

"§ 7 Beschäfti­gung.

(4) Bei ei­ner er­werbstäti­gen Per­son, die ih­re Mit­wir­kungs­pflich­ten nach § 206 des Fünf­ten Bu­ches So­zi­al­ge­setz­buch oder nach § 196 Abs.1 des Sechs­ten Bu­ches So­zi­al­ge­setz­buch nicht erfüllt, wird ver­mu­tet, daß sie beschäftigt ist, wenn min­des­tens drei der fol­gen­den fünf Merk­ma­le vor­lie­gen:

1. Die Per­son beschäftigt im Zu­sam­men­hang mit ih­rer Tätig­keit re­gelmäßig kei­nen so­zi­al­ver­si­che­rungs­pflich­ti­gen Ar­beit­neh­mer, des­sen Ar­beits­ent­gelt aus die­sem Beschäfti­gungs­verhält­nis re­gelmäßig im Mo­nat 325 Eu­ro über­steigt;

2. sie ist auf Dau­er und im we­sent­li­chen nur für ei­nen Auf­trag­ge­ber tätig;

3. ihr Auf­trag­ge­ber oder ein ver­gleich­ba­rer Auf­trag­ge­ber läßt ent­spre­chen­de Tätig­kei­ten re­gelmäßig durch von ihm beschäftig­te Ar­beit­neh­mer ver­rich­ten;

4. ih­re Tätig­keit läßt ty­pi­sche Merk­ma­le un­ter­neh­me­ri­schen Han­delns nicht er­ken­nen;

5. ih­re Tätig­keit ent­spricht dem äußeren Er­schei­nungs­bild nach der Tätig­keit, die sie für den­sel­ben Auf­trag­ge­ber zu­vor auf­grund ei­nes Beschäfti­gungs­verhält­nis­ses aus­geübt hat­te.

Satz 1 gilt nicht für Han­dels­ver­tre­ter, die im we­sent­li­chen frei ih­re Tätig­keit ge­stal­ten und über ih­re Ar­beits­zeit be­stim­men können. Die Ver­mu­tung kann wi­der­legt wer­den."

Wel­che prak­ti­sche Be­deu­tung hat­te der Pa­ra­graph über die Schein­selbständig­keit?

Wie be­reits ge­sagt, hat­te die hier zi­tier­te Ge­set­zes­be­stim­mung prak­tisch kei­ner­lei Be­deu­tung, d.h. der prak­ti­sche Nutz­ef­fekt war gleich null. Der so­ge­nann­te Schein­selbständig­keits-Pa­ra­graph führ­te mit an­de­ren Wor­ten in kei­ner Wei­se da­zu, daß Schein­selbständi­ge in größerem Um­fang als zu­vor "ent­larvt" und ih­re Beschäfti­gungs­verhält­nis­se ei­ner ord­nungs­gemäßen An­mel­dung zur So­zi­al­ver­si­che­rung zu­geführt wor­den wären.

Die Nutz­lo­sig­keit des Schein­selbständig­keits-Pa­ra­gra­phen er­gab sich dar­aus, daß die Kran­ken­kas­sen mit die­ser Vor­schrift nicht ar­bei­ten konn­ten, da sie die Umstände, die für oder ge­gen ei­ne Ver­si­che­rungs­pflicht spre­chen, um­fas­send er­mit­teln müssen und sich da­bei aus recht­li­chen Gründen gar nicht auf die in die­sem Pa­ra­gra­phen an­ge­ord­ne­te recht­li­che "Ver­mu­tung" ver­las­sen dürfen.

Prak­tisch wich­tig ist da­her vor al­lem der Ein­lei­tungs­satz des § 7 Abs.4 SGB IV, dem zu­fol­ge die­se Ver­mu­tungs­re­ge­lung nur für sol­che Er­werbstäti­ge gilt, die ih­re ge­setz­li­che Mit­wir­kungs­pflicht bei der Über­prüfung der So­zi­al­ver­si­che­rungs­pflicht nicht erfüllen. Das setzt al­ler­dings vor­aus, daß der Be­tref­fen­de den zuständi­gen So­zi­al­ver­si­che­rungs­trägern gar kei­ne oder of­fen­sicht­lich fal­sche Auskünf­te er­teilt.

Sol­che Fälle von "To­tal­ver­wei­ge­rung" im Rah­men ei­nes be­reits lau­fen­den of­fi­zi­el­len Über­prüfungs­ver­fah­rens sind aber ex­trem sel­ten, so daß der Schein­selbständig­keits-Pa­ra­graph prak­tisch kei­nen An­wen­dungs­be­reich hat­te, d.h. lief leer.

Was tun ge­gen das Hin­ter­ge­hen der So­zi­al­ver­si­che­rung?

Wenn man die An­zahl der Schein­selbständi­gen ef­fek­tiv ver­rin­gern woll­te, dann müßte man die Kon­trol­len verschärfen, d.h. man müßte Geld für ef­fek­ti­ve­re Über­prüfun­gen aus­ge­ben. Das aber ist po­li­tisch nicht ge­wollt.

Ei­ne an­de­re Möglich­keit bestünde dar­in, die Möglich­keit ei­ner ge­ringfügi­gen Beschäfti­gung, für die kaum So­zi­al­ab­ga­ben an­fal­len, zu re­du­zie­ren. Die Mi­ni­jobs sind aber heut­zu­ta­ge ein so fes­ter Be­stand­teil der Beschäfti­gung in Deutsch­land ge­wor­den, dass ei­ne Zurück­drängung oder gar ei­ne Ab­schaf­fung die­ser Beschäfti­gungs­form po­li­tisch kaum durch­setz­bar wäre.

Mit ei­nem die Schein­selbständig­keit bloß de­fi­nie­ren­den Pa­ra­gra­phen, der zu­dem kei­nen kla­ren An­wen­dungs­be­reich hat, kann man da­ge­gen die ver­brei­te­te Um­ge­hung der So­zi­al­ver­si­che­rungs­pflicht nicht wirk­lich ver­rin­gern.

Die­ses Schei­tern hat der Ge­setz­ge­ber nun­mehr of­fi­zi­ell ein­ge­stan­den und den Schein­selbständig­keits-Pa­ra­gra­phen ab­ge­schafft.

Die Ent­wick­lung die­ser von vorn­her­ein ver­fehl­ten Re­ge­lung können Sie un­ter dem Stich­wort Schein­selbständig­keit nach­le­sen.

Letzte Überarbeitung: 16. November 2020

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