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ARBEITSRECHT AKTUELL // 20/003

FDP möch­te Selbst­stän­di­ge bes­ser schüt­zen

Bei der so­zi­al­ver­si­che­rungs­recht­li­chen Sta­tus­fest­stel­lung soll es künf­tig Po­si­tiv-Kri­te­ri­en für ei­ne selbst­stän­di­ge Tä­tig­keit ge­ben: An­trag der Ab­ge­ord­ne­te J. Vo­gel u.a., vom 14.11.2019, Fair­ness für Selbst­stän­di­ge - Sta­tus­fest­stel­lungs­ver­fah­ren re­for­mie­ren, Al­ters­vor­sor­ge er­mög­li­chen, Kran­ken- und Ar­beits­lo­sen­ver­si­che­rung öff­nen, BT Drucks. 19/15232
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07.01.2020. Wer als Selb­stän­di­ger sein Brot ver­dient und da­her ge­gen­über sei­nem Auf­trag­ge­ber als frei­er Mit­ar­bei­ter Rech­nun­gen stellt, ist mög­li­cher­wei­se nur schein­bar selb­stän­dig, d.h. in Wahr­heit ein so­zi­al­ver­si­che­rungs­pflich­tig be­schäf­tig­ter Ar­beit­neh­mer.

Dies führt zu grund­le­gend an­de­ren wirt­schaft­li­chen und recht­li­chen Be­zie­hun­gen zwi­schen Auf­trag­ge­ber (Ar­beit­ge­ber) und Auf­trag­neh­mer (Ar­beit­neh­mer).

Für den Schein­selb­stän­di­gen sind dann näm­lich rück­stän­di­ge So­zi­al­ver­si­che­rungs­bei­trä­ge ab­zu­füh­ren, was zu er­heb­li­chen fi­nan­zi­el­len Mehr­be­las­tun­gen für den Auf­trag­ge­ber/Ar­beit­ge­ber führt.

Ei­ne Mit­haf­tung des Schein­selbst­stän­di­gen/Ar­beit­neh­mers ist recht­lich weit­ge­hend aus­ge­schlos­sen, denn der Ar­beit­ge­ber haf­tet im Au­ßen­ver­hält­nis ge­gen­über den Kran­ken­kas­sen für den vol­len So­zi­al­ver­si­che­rungs­bei­trag, d.h. auch für den dar­in ent­hal­te­nen Ar­beit­neh­mer­an­teil. Der Ar­beit­neh­mer ist da­ge­gen ge­schützt, denn sein An­teil am So­zi­al­bei­trag kann der Ar­beit­ge­ber im Nach­hin­ein nur für ma­xi­mal drei Mo­na­te ver­lan­gen, und auch das nur im We­ge des Lohn­ab­zugs bzw. im (noch) be­ste­hen­den Ar­beits­ver­hält­nis (§ 28g Satz 3 Vier­tes Buch So­zi­al­ge­setz­buch - SGB IV).

Hin­zu kom­men wei­te­re fi­nan­zi­el­le Be­las­tun­gen des Auf­trag­ge­bers, die sich aus ar­beits­recht­li­chen An­sprü­chen des Schein­selb­stän­di­gen er­ge­ben. Die­se For­de­run­gen rich­ten sich im We­sent­li­chen auf nach­träg­li­che Ent­gelt­fort­zah­lung im Krank­heits­fall so­wie auf Ver­gü­tung oder Ab­gel­tung für nicht ge­währ­ten Ur­laub.

Auf­grund die­ser recht­li­chen und fi­nan­zi­el­len Ri­si­ken, die für Un­ter­neh­men mit der Be­auf­tra­gung von Selbst­stän­di­gen ver­bun­den sind, über­le­gen es sich vie­le Un­ter­neh­men zwei­mal, ob sie Auf­trä­ge an Fre­e­lan­cer ver­ge­ben sol­len, oder ob sie lie­ber dar­auf be­ste­hen soll­ten, dass der Wunsch­kan­di­dat ei­nem Ar­beits­ver­hält­nis zu­stimmt. Al­ter­na­tiv kann man ei­nen Auf­trag an ei­ne grö­ße­re Fir­ma ver­ge­ben, um auf die­se Wei­se Ri­si­ken aus dem Weg zu ge­hen. Für Fre­e­lan­cer ist es da­her gar nicht so ein­fach, trotz fach­li­cher Kom­pe­tenz und zeit­li­cher Fle­xi­bi­li­tät Auf­trä­ge zu er­gat­tern.

Vor die­sem Hin­ter­grund hat die Freie De­mo­kra­ti­sche Par­tei (FDP) bzw. de­ren Bun­des­tags­frak­ti­on ei­nen An­lauf un­ter­nom­men, die recht­li­che Si­tua­ti­on von selbst­stän­di­gen ge­setz­lich zu ver­bes­sern. Da die FDP dort der Op­po­si­ti­on ist, hat man sich von vorn­her­ein dar­auf be­schränkt, ei­nen Ent­schlie­ßungs­an­trag zu for­mu­lie­ren (BT Drucks. 19/15232), über den mitt­ler­wei­le auch im Bun­des­tag de­bat­tiert wur­de.

Kern des Vor­schlags ist es, die Fest­stel­lung des Vor­lie­gens bzw. Nicht­vor­lie­gens ei­nes so­zi­al ver­si­che­rungs­pflich­ti­gen Be­schäf­ti­gungs­ver­hält­nis­ses grund­le­gend zu ver­ein­fa­chen, und zwar durch die po­si­ti­ve Fest­stel­lung ei­ner selbst­stän­di­gen Tä­tig­keit.

Auf den ers­ten Blick wä­re ein sol­ches Vor­ge­hen tat­säch­lich ein Sys­tem­wech­sel, denn die ein­schlä­gi­gen Ge­set­zes­vor­schrif­ten de­fi­nie­ren bis­lang nicht, was un­ter ei­nem Frei­be­ruf­ler zu ver­ste­hen ist, son­dern sie le­gen fest, wer als Ar­beit­neh­mer gilt (§ 611a Bür­ger­li­ches Ge­setz­buch - BGB) bzw. wann ei­ne so­zi­al­ver­si­che­rungs­pflich­ti­ge Be­schäf­ti­gung vor­liegt (§ 7 Abs.1 SGB IV). We­sent­lich für das Ar­beits- und Be­schäf­ti­gungs­ver­hält­nis ist da­bei die so­zia­le Ab­hän­gig­keit des Dienst­ver­pflich­te­ten, die sich wie­der­um an sei­ner Wei­sungs­ab­hän­gig­keit und an sei­ner Ein­glie­de­rung in die Ar­beits­or­ga­ni­sa­ti­on des Auf­trag­ge­bers zeigt. Wer nicht in die­sem Sin­ne so­zi­al ab­hän­gig ist, ist kein Ar­beit­neh­mer bzw. Be­schäf­tig­ter und kann dann als Frei­be­ruf­ler an­ge­se­hen wer­den.

Im Un­ter­schied da­zu schlägt die FDP vor, künf­tig durch ge­setz­li­che Po­si­tiv­kri­te­ri­en fest­zu­le­gen, wann von Selbst­stän­dig­keit aus­zu­ge­hen ist. Als mög­li­che po­si­ti­ve Kri­te­ri­en nennt der Ent­schlie­ßungs­an­trag ein (nicht nä­he­rer kon­kre­ti­sier­tes) „Min­dest­ho­no­rar“, das Vor­han­den­sein ei­ner aus­rei­chen­den Al­ters­vor­sor­ge so­wie ein be­son­de­res Know-how bei Diens­ten hö­he­rer Art. Dar­über hin­aus soll es auch auf den Par­tei­wil­len und auf die je­wei­li­ge Ver­kehrs­an­schau­ung an­kom­men.

In der Bun­des­tags­aus­spra­che über die­sen Vor­schlag (S.16754) ha­gel­te es, wie nicht an­ders zu er­war­ten war, Kri­tik von al­len Sei­ten. Eher sach­lich-nüch­tern wies Wil­fried Oel­lers (CDU/CSU) dar­auf hin, dass be­reits die rot-grü­ne Bun­des­re­gie­rung in den Jah­ren 2002/2003 ei­ne ähn­li­che Re­form der so­zi­al­ver­si­che­rungs­recht­li­chen De­fi­ni­ti­on des Be­schäf­ti­gungs­ver­hält­nis­ses ver­sucht hat­te, näm­lich durch die ge­setz­li­che Auf­lis­tung von In­di­zi­en, bei de­nen das Vor­lie­gen ei­nes Be­schäf­ti­gungs­ver­hält­nis­ses im Re­gel­fall an­ge­nom­men wer­den konn­te. In der Pra­xis hat sich her­aus­ge­stellt, dass die­ser Kri­te­ri­en­ka­ta­log völ­lig un­brauch­bar war, und da­her wur­de er von den Kran­ken­kas­sen von vorn­her­ein bei der Sta­tus­klä­rung nicht her­an­ge­zo­gen. Ei­ni­ge Jah­re spä­ter wur­de die­ser Kri­te­ri­en­ka­ta­log aus dem Ge­setz wie­der ge­stri­chen (wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 03/01 Weg­fall der "Schein­selb­stän­dig­keits"-Re­ge­lung).

Bis­lang spiel­te in der De­bat­te an­schei­nend gar kei­ne Rol­le, dass das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) sei­ne Recht­spre­chung zum The­ma Schein­selb­stän­dig­keit Mit­te 2019 grund­le­gend ge­än­dert hat, und zwar zu­las­ten der Schein­selb­stän­di­gen. Ist die für den Schein­selb­stän­di­gen ver­ein­bar­te Ver­gü­tung hö­her als der üb­li­che Ar­beits­lohn von Ar­beit­neh­mern mit ver­gleich­ba­ren Ar­beits­auf­ga­ben, muss der Schein­selb­stän­di­ge die Dif­fe­renz zwi­schen der er­hal­te­nen Be­zah­lung und der üb­li­chen Ver­gü­tung ver­gleich­ba­rer Ar­beit­neh­mer er­stat­ten (BAG, Ur­teil vom 26.06.2019, 5 AZR 178/18). Denn, so das BAG in die­ser Ent­schei­dung (Leit­satz):

"Stellt sich ein ver­meint­lich frei­es Dienst­ver­hält­nis im Nach­hin­ein als Ar­beits­ver­hält­nis dar, kann in der Re­gel nicht da­von aus­ge­gan­gen wer­den, die für freie Mit­ar­beit ver­ein­bar­te Ver­gü­tung sei der Hö­he nach auch für ei­ne Be­schäf­ti­gung als Ar­beit­neh­mer ver­ab­re­det."

Die­se neue BAG-Recht­spre­chung führt da­zu, dass die nach­träg­li­che Fest­stel­lung ei­nes Be­schäf­ti­gungs­ver­hält­nis­ses (durch ei­ne Initia­ti­ve des Schein­selb­stän­di­gen selbst oder in­fol­ge ei­ner Be­triebs­prü­fung) eben­so wie die ar­beits­ge­richt­li­che Fest­stel­lung ei­nes Ar­beits­ver­hält­nis­ses zu wirt­schaft­lich exis­tenz­ver­nich­ten­den Rück­for­de­run­gen des Ar­beit­ge­bers füh­ren kann.

Ak­tu­ell dürf­te die­se ar­beit­neh­mer­un­freund­li­che Recht­spre­chung des Fünf­ten BAG-Se­nats das größ­te wirt­schaft­li­che und recht­li­che Ri­si­ko sein, das mit ei­ner frei­be­ruf­li­chen Tä­tig­keit ver­bun­den ist.

Denn die so­zi­al­ver­si­che­rungs­recht­li­che und auch die ar­beits­recht­li­che Sta­tus­klä­rung sind mit gro­ßen recht­li­chen Un­si­cher­hei­ten im Ein­zel­fall ver­bun­den, so dass sich ei­ne Fehl­ein­schät­zung (= Schein­selbst­stän­dig­keit) grund­sätz­lich im­mer im Nach­hin­ein her­aus­stel­len kann. Eben­so sind na­tür­lich auch Fehl­ent­schei­dun­gen mög­lich, z.B. wenn ein "ech­ter" Selb­stän­di­ger zu Un­recht als Ar­beit­neh­mer bzw. Be­schäf­tig­ter be­ur­teilt wird, und/oder wenn ein Ar­beits­ge­richt bei der Ent­schei­dung über die Re­gress­for­de­rung des Ar­beit­ge­bers von ei­nem zu ge­rin­gen Ver­gleichs­ent­gelt ei­nes ver­gleich­ba­ren Ar­beit­neh­mers aus­geht usw.

Da von die­ser Recht­spre­chung Selbst­stän­di­ge eben­so wie Schein­selbst­stän­di­ge (= Ar­beit­neh­mer) be­trof­fen sind, soll­te ein po­li­ti­scher Kon­sens dar­über zu er­zie­len sein, dass das BAG-Ur­teil vom 26.06.2019 (5 AZR 178/18) durch ei­ne Klar­stel­lung des Ge­setz­ge­bers, z.B. als Er­gän­zung zu § 611a BGB, kor­ri­giert wird. Ei­ne sol­che Klar­stel­lung könn­te lau­ten, dass die nach­träg­li­che Fest­stel­lung des Vor­lie­gens ei­nes Ar­beits­ver­hält­nis­ses oder ei­nes so­zi­al­ver­si­che­rungs­pflich­ti­gen Be­schäf­ti­gungs­ver­hält­nis­ses die Gül­tig­keit der von den Par­tei­en ge­trof­fe­nen Ver­gü­tungs­ver­ein­ba­rung, ins­be­son­de­re ih­re Hö­he, un­be­rührt lässt.

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Letzte Überarbeitung: 28. September 2021

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