Update Arbeitsrecht 11|2020 vom 27.05.2020
Leitsatzreport
LAG Schleswig-Holstein: Scheinselbständige müssen erhaltene Honorare nicht immer erstatten
Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein, Urteil vom 21.01.2020, 1 Sa 115/19
§§ 242, 611a, 612, 812 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)
Leitsätze des Gerichts:
1. Der Arbeitgeber kann grundsätzlich nicht die Rückzahlung der gezahlten Honorare für einen freien Mitarbeiter verlangen, wenn sich das Rechtsverhältnis im Nachhinein als Arbeitsverhältnis erweist. Gegenüber dem entsprechenden Begehren kann sich der Arbeitnehmer grundsätzlich auf Vertrauensschutz berufen (mit BAG v. 8.11.2006 - 5 AZR 706/05).
2. Das gilt nicht, wenn der vermeintliche freie Mitarbeiter selbst eine Statusklage beim Arbeitsgericht erhoben hat oder ein sozialversicherungsrechtliches Statusverfahren eingeleitet hat.
3. Für die Gewährung von Vertrauensschutz ist es unerheblich, auf wessen Verlangen das Rechtsverhältnis als freies Mitarbeiterverhältnis begründet worden ist.
Hintergrund:
Mit Urteil vom 26.06.2019 (5 AZR 178/18) hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) seine Rechtsprechung zur Scheinselbständigkeit geändert und entschieden, dass die für ein vermeintlich freies Dienstverhältnis vereinbarte Vergütung, falls sich das Vertragsverhältnis im Nachhinein als Arbeitsverhältnis herausstellt, in aller Regel nicht als rechtsverbindlicher Arbeitslohn angesehen werden kann (s. dazu Update Arbeitsrecht 05|2019 vom 27.11.2019). An die Stelle der laut BAG unwirksamen Vergütungsvereinbarung, die der Arbeitgeber mit dem Scheinselbstständigen getroffen hat, tritt im Zweifel die übliche Arbeitnehmer-Vergütung gemäß § 612 Abs.2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), so das BAG (Urteil, Rn.27). Ist die vom Scheinselbstständigen erhaltene Vergütung höher als die übliche Arbeitnehmer-Vergütung, muss er die Differenz gemäß § 812 Abs.1 Satz 1 Alt.1 BGB erstatten. Diese BAG-Rechtsprechung ist zweifelhaft, da sie scheinselbständige Arbeitnehmer mit dem Risiko belastet, infolge einer arbeits- und/oder sozialversicherungsrechtlichen Statusklärung mit hohen Regressforderungen belastet zu werden. In einem aktuellen Urteil hat das Landesarbeitsgericht (LAG) Schleswig-Holstein die neue BAG-Rechtsprechung zugunsten der Scheinselbständigen eingeschränkt: Wenn der vermeintlich freie Mitarbeiter selbst weder eine Statusklage beim Arbeitsgericht erhebt noch ein sozialversicherungsrechtliches Statusverfahren einleitet, kann der Arbeitgeber die Differenz zwischen dem Freiberufler-Honorar und dem Lohn vergleichbarer Arbeitnehmer nicht zurückfordern. Denn dann steht dem Regressanspruch des Arbeitgebers der Einwand des Rechtsmissbrauchs (§ 242 BGB) entgegen, so das LAG (Urteil, Rn.33-35). Daher scheiterte die Regressklage, die der Betreiber eines Pflegeheims gegen einen Altenpfleger angestrengt hatte, der im Jahre 2015 in dem Pflegeheim als Scheinselbständiger gearbeitet hatte. Denn dass hier Scheinselbständigkeit vorlag, stellte sich durch ein Statusverfahren der Rentenversicherung heraus, das der Altenpfleger nicht initiiert hatte und über das er auch nicht informiert worden war (Urteil, Rn.12, 40). In diesem Sinne, d.h. wie die Erste Kammer des LAG Schleswig-Holstein, hat auch die Fünfte Kammer des LAG Schleswig-Holstein entschieden (Urteil vom 16.01.2020, 5 Sa 150/19).
Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein, Urteil vom 21.01.2020, 1 Sa 115/19
Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein, Urteil vom 16.01.2020, 5 Sa 150/19
Handbuch Arbeitsrecht: Arbeitnehmer
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