HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

ARBEITSRECHT AKTUELL // 13/225

Schein­werk­ver­trag und Schein­selb­stän­dig­keit

EDV-Be­treu­er kla­gen er­folg­reich ge­gen die AG Daim­ler auf Fest­stel­lung ei­nes Ar­beits­ver­hält­nis­ses: Lan­des­ar­beits­ge­richt Ba­den-Würt­tem­berg, Ur­teil vom 01.08.2013, 2 Sa 6/13
Man kann nicht al­les out­sour­cen...

05.08.2013. Die Ar­beits­ge­rich­te müs­sen im­mer wie­der ein­mal Fäl­le ent­schei­den, in de­nen dar­über ge­strit­ten wird, ob zwi­schen den Kla­ge­par­tei­en über­haupt ein Ar­beits­ver­hält­nis be­steht.

Denn wenn ein (an­geb­li­cher) Ar­beit­neh­mer Kün­di­gungs­schutz­kla­ge er­hebt, Lohn­fort­zah­lung im Krank­heits­fall oder Ur­laub ha­ben möch­te, setzt das vor­aus, dass der Klä­ger Ar­beit­neh­mer und kein Selb­stän­di­ger ist.

"Smar­te" Un­ter­neh­men um­ge­hen die­se läs­ti­gen An­sprü­che, in­dem sie an­stel­le von Ar­beit­neh­mern freie Mit­ar­bei­ter ein­set­zen, d.h. Selb­stän­di­ge. Stellt sich dann aber her­aus, dass die ver­meint­lich "frei­en" Mit­ar­bei­ter in Wahr­heit Ar­beit­neh­mer sind, d.h. Schein­selb­stän­di­ge, sind rück­stän­di­ge So­zi­al­ab­ga­ben zu ent­rich­ten und der "smar­te" Un­ter­neh­mer ist der Dum­me.

So ist es in ei­nem ak­tu­el­len Fall der Daim­ler AG er­gan­gen: Lan­des­ar­beits­ge­richt Ba­den-Würt­tem­berg, Ur­teil vom 01.08.2013, 2 Sa 6/13.

Wann sind Mit­ar­bei­ter von Fremd­fir­men in Wahr­heit Ar­beit­neh­mer des be­auf­tra­gen­den Un­ter­neh­mens?

Seit ei­ni­ger Zeit ist die Ar­beit­neh­merüber­las­sung po­li­tisch und recht­lich un­ter Druck und lohnt sich da­her zu­neh­mend we­ni­ger: Auf­grund von Bran­chen­zu­schlägen ist der Un­ter­schied zwi­schen den Kos­ten für ei­nen Leih­ar­beit­neh­mer und den Lohn­kos­ten für ei­ge­ne Ar­beit­neh­mer zu­sam­men­ge­schmol­zen und vor ei­ni­gen Wo­chen hat das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) ent­schie­den, dass der Be­triebs­rat dem zeit­lich un­be­grenz­ten Ein­satz von Leih­ar­beit­neh­mern wi­der­spre­chen kann (BAG, Be­schluss vom 10.07.2013, 7 ABR 91/11 - wir be­rich­te­ten in: Ar­beits­recht ak­tu­ell: 13/210 Be­triebs­rat kann Dau­er-Leih­ar­beit ver­hin­dern).

Statt auf Leih­ar­beit set­zen Un­ter­neh­men da­her zu­neh­mend auf Werk­verträge: Ar­beits­vor­be­rei­tung, EDV-Sup­port, Ver­sand und vie­les mehr lässt sich auch mit Fremd­fir­men ab­wi­ckeln, die ih­re ei­ge­ne Mit­ar­bei­ter schi­cken und ih­re Leis­tun­gen als selbständi­ge Dienst­leis­tung oder Werkleis­tung ab­rech­nen.

Ei­ne sol­che Fremd­ver­ga­be von Leis­tun­gen funk­tio­niert aber nur, wenn die Leis­tun­gen wirk­lich der be­auf­trag­ten Fir­ma zur selbständi­gen Durchführung über­tra­gen wer­den. Der Auf­trag­ge­ber darf kei­nen Ein­fluss auf den Per­so­nal­ein­satz durch die be­auf­trag­te Fremd­fir­ma ha­ben, d.h. kein Wei­sungs­recht ge­genüber den Mit­ar­bei­tern der Fremd­fir­ma.

Behält er sich ein sol­ches Wei­sungs­recht aus Gründen der Qua­litäts­si­che­rung vor oder übt er es auf­grund von ar­beits­or­ga­ni­sa­to­ri­schen Not­wen­dig­kei­ten fak­tisch aus, ist der Mit­ar­bei­ter der Fremd­fir­ma in Wahr­heit ein Ar­beit­neh­mer des be­auf­tra­gen­den Un­ter­neh­mens. 

Wo hier die Gren­ze liegt, zeigt ein ak­tu­el­ler Fall des Lan­des­ar­beits­ge­richts (LAG) Ba­den-Würt­tem­berg, bei dem es um den Ein­satz von ver­meint­lich frei­en Mit­ar­bei­tern bei der Daim­ler AG ging.

Der Streit­fall: EDV-Be­treu­er kla­gen ge­gen die AG Daim­ler auf Fest­stel­lung ei­nes Ar­beits­verhält­nis­ses

Die bei­den Kläger hat­ten mit ei­nem IT-Sys­tem­haus Verträge als freie Mit­ar­bei­ter. Die­ses IT-Sys­tem­haus war ein Su­b­un­ter­neh­men ei­nes großen an­de­ren IT-Un­ter­neh­mens, das von der Daim­ler AG be­auf­tragt war. In den Be­trie­ben der Daim­ler AG wur­den die Kläger von 2001 bis En­de 2011 als IT-Fach­kräfte ein­ge­setzt, d.h. sie be­treu­ten die EDV und wa­ren für die Funk­ti­onsfähig­keit der Com­pu­ter­ar­beitsplätze zuständig.

Nach ih­rer Ent­las­sung ver­klag­ten die IT-Fach­kräfte die Daim­ler AG und ar­gu­men­tier­ten, sie sei­en in de­ren Be­trieb ein­ge­glie­dert und de­ren Wei­sun­gen un­ter­wor­fen ge­we­sen.

Die Daim­ler AG be­tritt dies. An­geb­lich hat­ten die bei­den Kläger kei­ne Wei­sun­gen und Ar­beits­aufträge von ihr er­hal­ten. Die Be­auf­tra­gung der Kläger sei viel­mehr im Rah­men ei­nes Ti­cket­sys­tems er­folgt, in dem Daim­ler-Mit­ar­bei­ter EDV-spe­zi­fi­sche Auf­träge er­teilt hätten.

Nach­dem das Ar­beits­ge­richt die Kla­ge ab­ge­wie­sen hat­te, leg­ten die IT-Fach­kräfte Be­ru­fung zum LAG Ba­den-Würt­tem­berg ein.

LAG Ba­den-Würt­tem­berg: Nach der Ver­trags­pra­xis er­hiel­ten die IT-Fach­kräfte Wei­sun­gen von Daim­ler-Mit­ar­bei­tern und wa­ren da­her Schein­selbständi­ge

Das LAG hob das ar­beits­ge­richt­li­che Ur­teil auf und gab der Kla­ge statt. Zur Be­gründung heißt es in der der­zeit al­lein vor­lie­gen­den Pres­se­mit­tei­lung:

Bei der Un­ter­schei­dung zwi­schen Werk-/Dienst­ver­trag und Ar­beit­neh­merüber­las­sung kommt es dar­auf an, ob die Ar­beit­neh­mer in den Be­trieb des Auf­trag­ge­bers ein­ge­glie­dert sind und von die­sem ar­beits­ver­trag­li­che Wei­sun­gen er­hal­ten. Ist das der Fall, liegt Ar­beit­neh­merüber­las­sung vor.

Da­bei kommt es nicht auf die ver­trag­li­chen Ver­ein­ba­run­gen zwi­schen dem ver­meint­li­chen Werk­un­ter­neh­mer (hier: dem IT-Dienst­leis­ter) und dem Auf­trag­ge­ber an, wenn die Ver­trags­verhält­nis­se tatsächlich so nicht ge­lebt wor­den sind, so das Ge­richt.

Im vor­lie­gen­den Streit­fall war für das LAG ent­schei­dend, dass die bei­den IT-Fach­kräfte "jah­re­lang in den Be­triebsräum­en mit Be­triebs­mit­teln der Be­klag­ten für die­se tätig ge­we­sen sind" und so­mit bei die­ser ein­ge­glie­dert wa­ren.

Außer­dem er­hiel­ten sie von Daim­ler-Mit­ar­bei­tern im­mer wie­der di­rek­te ar­beits­ver­trag­li­che Wei­sun­gen. Das sog. Ti­cket­sys­tem (IT-Auf­träge von Daim­ler-Ar­beit­neh­mern wer­den nach Eröff­nung ei­nes Ti­ckets vom Werk­un­ter­neh­mer be­ar­bei­tet) wur­de "nicht ge­lebt", so das LAG.

Auf­grund die­ser "durch­ge­hend geübten Ver­trags­pra­xis" ging das LAG von ei­nem Schein­werk­ver­trag aus.

In­fol­ge von § 10 Abs.1 Satz 1 Ar­beit­neh­merüber­las­sungs­ge­setz (AÜG) in Verb. mit § 9 Nr.1 AÜG be­stand da­her zwi­schen den IT-Fach­kräften und der Daim­ler AG ein Ar­beits­verhält­nis, denn ei­ne Er­laub­nis zur ge­werb­li­chen Ar­beit­neh­merüber­las­sung hat­te das IT-Un­ter­neh­men nicht, als des­sen (ver­meint­li­che) Sub-Un­ter­neh­mer die IT-Fach­kräfte of­fi­zi­ell tätig wur­den.

Fa­zit: Das LAG hat die Re­vi­si­on zum Bun­des­ar­beits­ge­richt zu­ge­las­sen, so dass das Ur­teil noch nicht rechts­kräftig ist. Soll­te das BAG das Ur­teil des LAG bestäti­gen, muss die Daim­ler AG für die bei­den Schein­selbständi­gen rückständi­ge So­zi­al­ab­ga­ben ent­rich­ten. Der ver­meint­lich bil­li­ge Ein­satz von Werk­un­ter­neh­mern kann dann im Er­geb­nis sehr teu­er wer­den.

Nähe­re In­for­ma­tio­nen zu die­sem Vor­gang fin­den Sie hier:

Hin­weis: In der Zwi­schen­zeit, d.h. nach Er­stel­lung die­ses Ar­ti­kels, hat das Ge­richt sei­ne Ent­schei­dungs­gründe schrift­lich ab­ge­fasst und veröffent­licht. Die Ent­schei­dungs­gründe im Voll­text fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 20. November 2020

Weitere Auskünfte erteilen Ihnen gern:

Dr. Martin Hensche
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hensche@hensche.de
Christoph Hildebrandt
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hildebrandt@hensche.de
Nina Wesemann
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Arbeitsrecht

Kontakt:
040 / 69 20 68 04
wesemann@hensche.de

Bewertung:

Auf Facebook teilen Auf Google+ teilen Ihren XING-Kontakten zeigen Beitrag twittern

 

Für Personaler, betriebliche Arbeitnehmervertretungen und andere Arbeitsrechtsprofis: "Update Arbeitsrecht" bringt Sie regelmäßig auf den neusten Stand der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung. Informationen zu den Abo-Bedingungen und ein kostenloses Ansichtsexemplar finden Sie hier:

Alle vierzehn Tage alles Wichtige
verständlich / aktuell / praxisnah

HINWEIS: Sämtliche Texte dieser Internetpräsenz mit Ausnahme der Gesetzestexte und Gerichtsentscheidungen sind urheberrechtlich geschützt. Urheber im Sinne des Gesetzes über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (UrhG) ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Martin Hensche, Lützowstraße 32, 10785 Berlin.

Wörtliche oder sinngemäße Zitate sind nur mit vorheriger schriftlicher Genehmigung des Urhebers bzw. bei ausdrücklichem Hinweis auf die fremde Urheberschaft (Quellenangabe iSv. § 63 UrhG) rechtlich zulässig. Verstöße hiergegen werden gerichtlich verfolgt.

© 1997 - 2024:
Rechtsanwalt Dr. Martin Hensche, Berlin
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Lützowstraße 32, 10785 Berlin
Telefon: 030 - 26 39 62 0
Telefax: 030 - 26 39 62 499
E-mail: hensche@hensche.de