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ARBEITSRECHT AKTUELL // 15/003

Miss­brauch von Schein­werk­ver­trä­gen

Hilft ei­ne vor­sorg­li­che Er­laub­nis zur Ar­beit­neh­mer­über­las­sung ge­gen die ju­ris­ti­schen Fol­gen von Schein­werk­ver­trä­gen?: Lan­des­ar­beits­ge­richt Ba­den-Würt­tem­berg, Ur­teil vom 03.12.2014, 4 Sa 41/14
Zwei Gruppen von je drei Arbeitnehmern mit Helm, Bekleidung der beiden Gruppen unterschiedlich

02.01.2015. Un­ter­neh­men, die Leih­ar­bei­ter ein­set­zen, müs­sen si­cher­stel­len, dass die Zeit­ar­beits­fir­ma ei­ne Er­laub­nis zur Ar­beit­neh­mer­über­las­sung hat.

Denn an­dern­falls hat man als Ent­lei­her die Leih­ar­beit­neh­mer "an der Ba­cke", d.h. ein ge­setz­lich be­grün­de­tes Ar­beits­ver­hält­nis mit den (il­le­gal) ent­lie­he­nen Ar­beit­neh­mern.

Aber gilt das auch dann, wenn Ver­lei­her und Ent­lei­her ei­nen Schein­werk­ver­trag ver­ein­bart ha­ben, dem­zu­fol­ge die Ar­beit­neh­mer "auf dem Pa­pier" gar nicht in den Be­trieb des Ent­lei­hers ein­ge­glie­dert sein sol­len, und wenn sich der Ver­lei­her vor­sorg­lich ei­ne Er­laub­nis zur Ar­beit­neh­mer­über­las­sung hat er­tei­len las­sen?

Das Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Ba­den-Würt­tem­berg meint ja: LAG Ba­den-Würt­tem­berg, Ur­teil vom 03.12.2014, 4 Sa 41/14.

Ar­beit­neh­merüber­las­sung, Werk­verträge und Schein­werk­verträge

Bei der Ar­beit­neh­merüber­las­sung ar­bei­ten die ent­lie­he­nen Ar­beit­neh­mer im Be­trieb des Ent­lei­hers un­ter des­sen An­lei­tung, d.h. der Ent­lei­her übt das Wei­sungs­recht aus. Dem­zu­fol­ge hat der Be­triebs­rat des ent­lei­hen­den Be­triebs ein Mit­be­stim­mungs­recht nach § 99 Be­triebs­ver­fas­sungs­ge­setz (Be­trVG) und ist auch in vie­len Fra­gen zuständig für die ent­lie­he­nen Ar­beit­neh­mer. Die­se können ent­we­der den Lohn ver­gleich­ba­rer Ar­beit­neh­mer im ent­lei­hen­den Be­trieb ver­lan­gen ("equal pay") oder aber zu­min­dest den Ta­rif­lohn für Leih­ar­beit­neh­mer.

Bei (ech­ten) Werk­verträgen steu­ert da­ge­gen der Werk­un­ter­neh­mer als Fremd­un­ter­neh­men den Ein­satz sei­ner Ar­beit­neh­mer in dem Be­trieb des Auf­trag­ge­bers. Nicht et­wa der Auf­trag­ge­ber, son­dern der Werk­un­ter­neh­mer übt da­her das Wei­sungs­recht aus. Die Ar­beit­neh­mer des Werk­un­ter­neh­mers sind kei­ne Leih­ar­beit­neh­mer, und de­ren Tätig­keit im Be­trieb des Auf­trag­ge­bers geht des­sen Be­triebs­rat im Prin­zip nichts an. Ins­be­son­de­re be­steht kein Mit­be­stim­mungs­recht gemäß § 99 Be­trVG.

Vor die­sem Hin­ter­grund ent­schei­den sich im­mer mehr Un­ter­neh­men für "smar­te" Werk­verträge an­statt für Leih­ar­beit. Das ist al­ler­dings dann nicht mehr smart, son­dern schlicht il­le­gal, wenn die Ar­beit­neh­mer des an­geb­li­chen Werk­un­ter­neh­mers in den Be­trieb des an­geb­li­chen Werk­be­stel­lers ein­ge­glie­dert und auf des­sen Wei­sun­gen hin tätig sind, d.h. wie Leih­ar­beit­neh­mer ein­ge­setzt wer­den. Dann liegt kein Werk­ver­trag, son­dern ein Schein­werk­ver­trag vor. In Wahr­heit han­delt es sich um Ar­beit­neh­merüber­las­sung, die hin­ter dem fal­schen Schein ei­nes Werk­ver­trags ver­bor­gen wird.

Die­se Ar­beit­neh­merüber­las­sung hätte im Nor­mal­fall ei­nes Schein­werk­ver­trags gemäß § 9 Nr.1 Ar­beit­neh­merüber­las­sungs­ge­setz (AÜG) zur Fol­ge, dass der Ar­beits­ver­trag zwi­schen (Schein-)Werk­un­ter­neh­mer und (Leih-)Ar­beit­neh­mer un­wirk­sam ist, weil der (Schein-)Werk­un­ter­neh­mer nor­ma­ler­wei­se kei­ne Er­laub­nis zur Ar­beit­neh­merüber­las­sung be­sitzt. Und das wie­der­um führt da­zu, dass kraft Ge­set­zes ein Ar­beits­verhält­nis zwi­schen Leih­ar­beit­neh­mer und Ent­lei­her (= Schein­werk­be­stel­ler) ent­steht (§ 10 Abs.1 Satz 1 AÜG).

Frag­lich ist, ob die­se ge­setz­li­che Rechts­fol­ge (= Ent­ste­hen ei­nes Ar­beits­ver­trags zwi­schen Ent­lei­her und Leih­ar­beit­neh­mer) auch dann ein­greift, wenn der Schein-Werk­un­ter­neh­mer ei­ne vor­sorg­lich be­an­trag­te Er­laub­nis zur Ar­beit­neh­merüber­las­sung in der Ta­sche hat.

Der Streit­fall: Ent­wick­lungs­in­ge­nieur ar­bei­tet jah­re­lang im Rah­men von Schein­werk­verträgen

Im Streit­fall ging es um ei­nen Ent­wick­lungs­in­ge­nieur, der bei der Fir­ma Evo­Bus GmbH in Mann­heim seit Mai 2011 durch­ge­hend in der­sel­ben Ab­tei­lung auf dem­sel­ben Ar­beits­platz ar­bei­te­te. Da­bei war er voll be­trieb­lich ein­ge­glie­dert und un­ter­stand im Hin­blick auf die zu er­brin­gen­den Ar­beits­leis­tun­gen dem Wei­sungs­recht der Evo­Bus GmbH.

Die Evo­Bus GmbH al­ler­dings hat­te we­der ei­nen Ar­beits­ver­trag mit dem In­ge­nieur ab­ge­schlos­sen noch hat­te sie den In­ge­nieur als Leih­ar­beit­neh­mer von ei­nem Zeit­ar­beits­un­ter­neh­men ent­lie­hen. Viel­mehr hat­te sie nach­ein­an­der mit drei ver­schie­de­nen Dritt­fir­men Schein­werk­verträge ab­ge­schlos­sen, in de­ren Rah­men der In­ge­nieur bei Evo­Bus GmbH ein­ge­setzt wur­de. Die­se drei Dritt­fir­men wa­ren nach­ein­an­der Ver­trags­ar­beit­ge­ber des In­ge­nieurs.

Der Ent­wick­lungs­in­ge­nieur ver­klag­te die Evo­Bus GmbH vor dem Ar­beits­ge­richt Stutt­gart auf Fest­stel­lung ei­nes Ar­beits­verhält­nis­ses, weil er mein­te, § 10 Abs.1 Satz 1 AÜG könn­te auch auf Schein­werk­verträge an­ge­wandt wer­den.

Mit die­ser Kla­ge hat­te er al­ler­dings vor dem Ar­beits­ge­richt kei­nen Er­folg, weil die Evo­Bus GmbH dar­auf ver­wies, dass al­le drei Dritt­fir­men ei­ne Er­laub­nis zu Ar­beit­neh­merüber­las­sung hat­ten. Die­se Er­laub­nis be­saßen die drei Fir­men - zu­min­dest im Fal­le des Klägers - rein vor­sorg­lich, denn ein Ein­satz des Klägers als Leih­ar­beit­neh­mers war nir­gends ver­ein­bart, we­der in des­sen Ar­beits­ver­trag noch in dem Ver­trag mit der Evo­Bus GmbH (Ar­beits­ge­richt Stutt­gart, Ur­teil vom 08.04.2014, 16 Ca 8713/13).

LAG Ba­den-Würt­tem­berg: Ein Ar­beits­verhält­nis mit ei­nem Ent­lei­her kommt bei Schein­werk­verträgen auch zu­stan­de, wenn der Ver­lei­her ei­ne (Vor­rats-)Ar­beit­neh­merüber­las­sungs­er­laub­nis hat

Vor dem LAG Ba­den-Würt­tem­berg konn­te der In­ge­nieur da­ge­gen ge­win­nen. Das LAG stell­te fest, dass zwi­schen ihm und der Evo­Bus GmbH ein Ar­beits­verhält­nis be­stand. Zur Be­gründung heißt es in der der­zeit al­lein vor­lie­gen­den Pres­se­mel­dung des Ge­richts:

Es ist ein wi­dersprüchli­ches Ver­hal­ten der Dritt­fir­men und der be­klag­ten Fa. Evo­Bus GmbH, sich im Nach­hin­ein auf ei­ne Ar­beit­neh­merüber­las­sung und auf die be­ste­hen­de (Vor­rats-)Ar­beit­neh­merüber­las­sungs­er­laub­nis der drei Schein-Werk­un­ter­neh­men zu be­ru­fen, so das LAG. Denn Ver­lei­her und Ent­lei­her ha­ben sich während der ge­sam­ten Ver­trags­lauf­zei­ten ge­ra­de außer­halb des AÜG stel­len wol­len und so­mit be­wusst den mit dem AÜG ver­bun­de­nen So­zi­al­schutz des Klägers ver­hin­dern wol­len.

Da sich die Ver­lei­her dem­zu­fol­ge nach An­sicht des LAG nicht auf ih­re Ar­beit­neh­merüber­las­sungs­er­laub­nis­se be­ru­fen durf­ten, wa­ren die Ar­beits­verträge zwi­schen den drei Ver­lei­hern und dem In­ge­nieur nich­tig. Da­her galt ein Ar­beits­ver­trag zwi­schen ihm und der be­klag­ten Evo­Bus GmbH als zu­stan­de ge­kom­men, so das LAG. Ob­wohl das LAG dies nicht aus­drück­lich sagt, ist die Rechts­grund­la­ge sei­ner Mei­nung nach of­fen­bar § 10 Abs.1 Satz 1 AÜG.

Kri­tisch ist an­zu­mer­ken, dass der hier vom LAG her­an­ge­zo­ge­ne § 10 Abs.1 Satz 1 AÜG auf ei­nen sehr spe­zi­el­len Fall zu­ge­schnit­ten ist, nämlich auf die Nich­tig­keit des Ar­beits­ver­trags zwi­schen Zeit­ar­beits­fir­ma und Leih­ar­beit­neh­mer auf­grund feh­len­der Er­laub­nis zur Ar­beit­neh­merüber­las­sung gemäß § 9 Nr.1 AÜG.

Wie das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) da­her erst vor kur­zem ent­schie­den hat, ist § 10 Abs.1 Satz 1 AÜG nicht auf den Fall an­zu­wen­den, dass der Ver­lei­her ei­nem Kun­den Leih­ar­beit­neh­mer in ge­set­zes­wid­ri­ger Wei­se dau­er­haft überlässt, denn ein sol­cher Ge­set­zes­ver­s­toß führt als sol­cher noch nicht da­zu, dass die Er­laub­nis zur Ar­beit­neh­merüber­las­sung entfällt (BAG, Ur­teil vom 10.12.2013, 9 AZR 51/13, wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 13/364 Dau­er­haf­te Leih­ar­beit lässt die Er­laub­nis zur Ar­beit­neh­merüber­las­sung nicht ent­fal­len).

Un­ter Be­ru­fung auf die­se BAG-Recht­spre­chung hat da­her ei­ne an­de­re Kam­mer des LAG Ba­den-Würt­tem­berg we­ni­ge Wo­chen später an­ders­her­um ent­schie­den, d.h. ei­nen Schein­werk­ver­trag als nicht aus­rei­chend für ei­nen Ar­beits­ver­trag zwi­schen Ar­beit­neh­mer und Schein-Auf­trag­ge­ber an­ge­se­hen (LAG Ba­den-Würt­tem­berg, Ur­teil vom 18.12.2014, 3 Sa 33/14).

Fa­zit: Das zu­guns­ten des In­ge­nieurs er­gan­ge­ne Ur­teil des LAG Ba­den-Würt­tem­berg, Ur­teil vom 03.12.2014 (4 Sa 41/14) ist viel­leicht in die­sem Ein­zel­fall an­ge­mes­sen (denn hier hat­ten drei ver­schie­de­ne Ver­trags­ar­beit­ge­ber den In­ge­nieur während kur­zer Zeit hin und her ge­scho­ben), lässt sich aber kaum ver­all­ge­mei­nern.

Sch­ließlich muss man auch be­den­ken, dass die Gren­ze zwi­schen ech­ten Werk­verträgen und Leih­ar­beit oft fließend ist, z.B. bei länger dau­ern­den tech­ni­schen Großauf­trägen, die ein Werk­un­ter­neh­men im Hau­se ei­nes Kun­den durchführt. Dass die be­auf­trag­ten Un­ter­neh­men hier oft vor­sorg­li­che Er­laub­nis­se zur Ar­beit­neh­merüber­las­sung in der Schub­la­de ha­ben, ist noch kein Grund, ih­nen ei­nen Werk­ver­trags-Miss­brauch vor­zu­wer­fen. In sol­chen Fällen stünden sich die Ar­beit­neh­mer oft auch gar nicht bes­ser, wenn man ih­nen ein Ar­beit­ge­ber­wech­sel auf­zwin­gen würde.

Nähe­re In­for­ma­tio­nen fin­den Sie hier:

Hin­weis: In der Zwi­schen­zeit, d.h. nach Er­stel­lung die­ses Ar­ti­kels, hat das LAG Ba­den-Würt­tem­berg sei­ne Ent­schei­dungs­gründe veröffent­licht. Das vollständig be­gründe­te Ur­teil des LAG fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 13. November 2020

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