HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

ARBEITSRECHT AKTUELL // 13/364

Dau­er­haf­te Leih­ar­beit lässt die Er­laub­nis zur Ar­beit­neh­mer­über­las­sung nicht ent­fal­len

Zeit­lich un­be­grenz­ter Ein­satz von Leih­ar­beit­neh­mern führt nicht zu ei­nem Ar­beits­ver­hält­nis mit dem Ent­lei­her: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Ur­teil vom 10.12.2013, 9 AZR 51/13
Zwei Gruppen von je drei Arbeitnehmern mit Helm, Bekleidung der beiden Gruppen unterschiedlich Der Dau­er­ein­satz von Leih­ar­beit ist für vie­le Be­triebs­rä­te är­ger­lich

10.12.2013. Die ge­werb­li­che Ar­beit­neh­mer­über­las­sung steht seit Jah­ren po­li­tisch und ju­ris­tisch un­ter Druck.

Als Kon­se­quenz der CG­ZP-Ent­schei­dung des Bun­des­ar­beits­ge­richts (BAG) vom De­zem­ber 2010 ist Leih­ar­beit in vie­len Be­rei­chen teu­rer ge­wor­den, vor al­lem auf­grund von Bran­chen­zu­schlä­gen, die Leih­ar­beit­neh­mer zu­sätz­lich zu ih­rer "ta­rif­li­chen" Be­zah­lung ge­mäß den Leih­ar­beits­ta­ri­fen ih­rer Zeit­ar­beits­fir­ma er­hal­ten.

Doch Ge­werk­schaf­ten und vie­len Be­triebs­rä­ten ge­nügt das nicht. Sie stel­len Leih­ar­beit grund­sätz­lich in Fra­ge, denn sie führt zu "ge­spal­te­nen Be­leg­schaf­ten".

Da­mit müs­sen sie aber vor­erst wei­ter le­ben, denn das BAG hat heu­te klar­ge­stellt, dass der ge­set­zes­wid­ri­ge Dau­er­ein­satz von Leih­ar­beit­neh­mern nicht da­zu führt, dass die Leih­ar­beit­neh­mer in ei­nem Ar­beits­ver­hält­nis zum Ent­lei­her ste­hen: BAG, Ur­teil vom 10.12.2013, 9 AZR 51/13.

Führt der zeit­lich un­be­grenz­te Ein­satz von Leih­ar­beit­neh­mern zu ei­nem Ar­beits­verhält­nis mit dem Ent­lei­her?

Seit zwei Jah­ren schreibt § 1 Abs.1 Satz 2 Ar­beit­neh­merüber­las­sungs­ge­setz (AÜG) vor, dass die Über­las­sung von Leih­ar­beit­neh­mern an Ent­lei­her "vorüber­ge­hend" er­folgt. Wel­che Fol­gen hat es, wenn Leih­ar­beit­neh­mer trotz­dem zeit­lich un­be­grenzt ein­ge­setzt wer­den, ist im Ge­setz al­ler­dings nicht ge­re­gelt.

Vor ei­ni­gen Mo­na­ten hat das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) be­reits ent­schie­den, dass der Be­triebs­rat der dau­er­haf­ten Ein­stel­lung von Leih­ar­beit­neh­mern wi­der­spre­chen kann (BAG, Be­schluss vom 10.07.2013, 7 ABR 91/11 - wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 13/210 Be­triebs­rat kann Dau­er-Leih­ar­beit ver­hin­dern).

Aber führt ein Dau­er­ein­satz von Leih­ar­beit­neh­mern darüber hin­aus viel­leicht auch da­zu, dass die Zeit­ar­beits­fir­men ih­re Er­laub­nis zur Ar­beit­neh­merüber­las­sung über­schrei­ten und da­her oh­ne die nach dem Ge­setz er­for­der­li­che Er­laub­nis han­deln?

Das hätte zur Fol­ge, dass die Ar­beit­neh­merüber­las­sung un­wirk­sam (§ 9 Nr.1 AÜG) ist und ein Ar­beits­verhält­nis zwi­schen Leih­ar­beit­neh­mer und Ent­lei­her ent­steht (§ 10 Abs.1 Satz 1 AÜG).

Die­se An­sicht hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Ber­lin-Bran­den­burg An­fang 2013 ver­tre­ten (LAG Ber­lin-Bran­den­burg, Ur­teil vom 09.01.2013, 15 Sa 1635/12 - wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 13/007 Führt dau­er­haf­te Leih­ar­beit zu ei­nem Ar­beits­verhält­nis mit dem Ent­lei­her?).

Wie die Er­fur­ter Rich­ter heu­te klar­ge­stellt ha­ben, ma­chen sie da nicht mit: BAG, Ur­teil vom 10.12.2013, 9 AZR 51/13.

Der Fall des BAG: Kran­ken­haus­ge­sell­schaft leiht sich Per­so­nal von Zeit­ar­beits­toch­ter und stellt auf die­se Wei­se Be­triebs­rat kalt

Im Streit­fall ging es um den Land­kreis Lörrach, der meh­re­re Kran­kenhäuser be­treibt und da­zu ei­ne Kran­ken­haus­ge­sell­schaft er­rich­tet hat. Die für die Kran­kenhäuser er­for­der­li­chen Ar­beit­neh­mer lieh sich die Kran­ken­haus­ge­sell­schaft zum Teil von ei­ner Zeit­ar­beits­fir­ma.

Die­se wie­der­um war ei­ne ein­hun­dert­pro­zen­ti­ge Toch­ter­ge­sell­schaft der Kran­ken­haus­ge­sell­schaft und be­saß die Er­laub­nis zur Ar­beit­neh­merüber­las­sung. Sie beschäftig­te 450 Ar­beit­neh­mer. Von die­sen wa­ren als ei­ge­ne Stamm­be­leg­schaft et­wa 45 als Rei­ni­gungs­kräfte tätig, die übri­gen Ar­beit­neh­mer ver­lieh sie an die Kran­ken­haus­ge­sell­schaft.

Im Fe­bru­ar 2008 stell­te die Zeit­ar­beits­fir­ma ei­nen IT-Sach­be­ar­bei­ter und ver­lieh ihn an die Kran­ken­haus­ge­sell­schaft. Der Sach­be­ar­bei­ter wur­de im Sep­tem­ber 2010 zum Be­triebs­rats­mit­glied bei der Zeit­ar­beits­fir­ma gewählt und ist seit März 2011 Be­triebs­rats­vor­sit­zen­der.

Zu En­de Ok­to­ber 2011 kündig­te die Kran­ken­haus­ge­sell­schaft den Per­so­nal­ge­stel­lungs­ver­trag, der den Ein­satz des IT-Sach­be­ar­bei­ters be­traf, so dass die­ser seit No­vem­ber 2011 nicht mehr ein­ge­setzt wur­de. Gleich­zei­tig schrieb die Kran­ken­haus­ge­sell­schaft ei­ne Stel­le als IT-Sach­be­ar­bei­ter aus.

Der auf die­se Wei­se kalt­ge­stell­te Be­triebs­rats­vor­sit­zen­de zog vor das Ar­beits­ge­richt Lörrach und be­an­trag­te fest­zu­stel­len, dass zwi­schen ihm und der Kran­ken­haus­ge­sell­schaft ein Ar­beits­verhält­nis be­steht. Da­mit hat­te er vor dem Ar­beits­ge­richt zunächst kei­nen Er­folg (Ar­beits­ge­richt Lörrach, Ur­teil vom 24.04.2012, 2 Ca 384/11), dafür aber in der Be­ru­fung vor dem LAG (LAG Ba­den-Würt­tem­berg, Ur­teil vom 22.11.2012, 11 Sa 84/12).

Das LAG mein­te, hier läge ei­ne dau­er­haf­te Ar­beit­neh­merüber­las­sung vor und ein sol­cher Ver­s­toß ge­gen § 1 Abs.1 Satz 2 AÜG müsse in sinn­gemäßer ("ana­lo­ger") An­wen­dung von § 10 Abs.1 Satz 1 AÜG zur Fol­ge ha­ben, dass ein Ar­beits­verhält­nis zwi­schen dem Ent­lei­her und dem Leih­ar­beit­neh­mer zu­stan­de kommt.

BAG: Auch ständi­ger Ein­satz von Leih­ar­beit lässt die Er­laub­nis zur Ar­beit­neh­merüber­las­sung nicht ent­fal­len

Das BAG hob die Ent­schei­dung des LAG auf und ent­schied, dass zwi­schen dem Be­triebs­rat und der Kran­ken­haus­ge­sell­schaft kein Ar­beits­verhält­nis zu­stan­de ge­kom­men ist.

Denn die Zeit­ar­beits­fir­ma, de­ren Ar­beit­neh­mer der Be­triebs­rat war, be­saß die gemäß § 1 AÜG er­for­der­li­che Er­laub­nis zur Ar­beit­neh­merüber­las­sung, und das genügt nach An­sicht des BAG. Das Ge­richt konn­te es da­her of­fen las­sen, ob im Streit­fall ei­ne vorüber­ge­hen­de oder dau­er­haf­te und da­mit ge­set­zes­wid­ri­ge Über­las­sung vor­lag. Auch zu der Fra­ge, wo denn nun die Gren­ze zwi­schen ei­nem "vorüber­ge­hen­den" (= le­ga­len) Ein­satz von Leih­ar­beit­neh­mern und ei­ner "dau­er­haf­ten" (= il­le­ga­len) Über­las­sung verläuft, muss­ten Er­fur­ter Rich­ter nicht be­ant­wor­ten.

Zur Be­gründung heißt es in der der­zeit al­lein vor­lie­gen­den Pres­se­mel­dung des BAG, die ge­setz­li­che An­ord­nung ei­nes Ar­beits­verhält­nis­ses zwi­schen Ent­lei­her und Ver­lei­her gemäß § 10 Abs.1 Satz 1 AÜG sei nur auf den Fall ei­ner feh­len­den Über­las­sungs­er­laub­nis des Ver­lei­hers an­zu­wen­den. Ei­ne darüber hin­aus­ge­hen­de ("ana­lo­ge") An­wen­dung die­ser Vor­schrift auf den Fall ei­ner (ver­bo­te­nen) dau­er­haf­ten Über­las­sung ist laut BAG nicht möglich.

Zwar steht hin­ter dem seit De­zem­ber 2011 gel­ten­den § 1 Abs.1 Satz 2 AÜG, wo­nach Leih­ar­beit "vorüber­ge­hend" er­folgt, ei­ne eu­ropäische Richt­li­nie, nämlich die Richt­li­nie 2008/104/EG des Eu­ropäischen Par­la­ments und des Ra­tes vom 19.11.2008 über Leih­ar­beit (Leih­ar­beits­richt­li­nie). Sie schreibt den Mit­glieds­staa­ten aber kei­ne kon­kre­ten Sank­ti­on für den Fall des Dau­er­ein­sat­zes von Leih­ar­beit vor, so das BAG. Die Fest­le­gung sol­cher Sank­tio­nen müss­te der Ge­setz­ge­ber vor­neh­men und nicht die Jus­tiz.

Fa­zit: Wie der hier ent­schie­de­ne Streit­fall zeigt, lädt das be­ste­hen­de Recht der Ar­beit­neh­merüber­las­sung Ar­beit­ge­ber ge­ra­de­zu da­zu ein, sich durch pfif­fi­ge ju­ris­ti­sche Kon­struk­tio­nen ei­ne "markt­ge­recht" be­zahl­te Rand­be­leg­schaft zu schaf­fen, die noch da­zu oh­ne Be­ach­tung des Kündi­gungs­schutz­rechts je­der­zeit aus dem Be­trieb ge­drängt wer­den kann.

Die Ent­schei­dung des BAG vom heu­ti­gen Ta­ge macht klar, dass der ein­zi­ge Schutz ge­genüber sol­chen Prak­ti­ken bis auf wei­te­res, d.h. bis zu ei­ner künf­ti­gen Ge­set­zes­re­form, § 1 Abs.1 Satz 2 AÜG in Ver­bin­dung mit dem Mit­be­stim­mungs­recht des Be­triebs­rats ist, das es ihm er­laubt, Dau­er­ein­satz von Leih­ar­beit­neh­mern gemäß § 99 Be­triebs­ver­fas­sungs­ge­setz (Be­trVG) zu wi­der­spre­chen.

In punc­to Re­form der Leih­ar­beit hat sich die große Ko­ali­ti­on von CDU/CSU und SPD in ih­rem Ko­ali­ti­ons­ver­trag be­reits dar­auf ge­ei­nigt, dass die Dau­er der Über­las­sung an ein und den­sel­ben Ent­lei­her höchs­tens 18 Mo­na­te be­tra­gen darf. Außer­dem soll auch im Fal­le der Be­zah­lung des Leih­ar­beit­neh­mers gemäß ei­nem vom Ent­lei­her an­ge­wand­ten Leih­ar­beits­ta­rif­ver­trag nach neun Mo­na­ten das Prin­zip der glei­chen Be­zah­lung von Leih­ar­beit­neh­mern und Stamm­kräften gel­ten („equal pay“). Hier­zu hat die Präsi­den­tin des BAG In­grid Schmidt be­reits an­ge­mahnt, die­se neu­en Re­ge­lun­gen mit Sank­tio­nen für den Fall der Nicht­be­fol­gung zu ver­se­hen.

Nähe­re In­for­ma­tio­nen fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 16. November 2020

Weitere Auskünfte erteilen Ihnen gern:

Dr. Martin Hensche
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hensche@hensche.de
Christoph Hildebrandt
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hildebrandt@hensche.de
Nina Wesemann
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Arbeitsrecht

Kontakt:
040 / 69 20 68 04
wesemann@hensche.de
Bewertung: 5.0 von 5 Sternen (2 Bewertungen)

Auf Facebook teilen Auf Google+ teilen Ihren XING-Kontakten zeigen Beitrag twittern

 

Für Personaler, betriebliche Arbeitnehmervertretungen und andere Arbeitsrechtsprofis: "Update Arbeitsrecht" bringt Sie regelmäßig auf den neusten Stand der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung. Informationen zu den Abo-Bedingungen und ein kostenloses Ansichtsexemplar finden Sie hier:

Alle vierzehn Tage alles Wichtige
verständlich / aktuell / praxisnah

HINWEIS: Sämtliche Texte dieser Internetpräsenz mit Ausnahme der Gesetzestexte und Gerichtsentscheidungen sind urheberrechtlich geschützt. Urheber im Sinne des Gesetzes über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (UrhG) ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Martin Hensche, Lützowstraße 32, 10785 Berlin.

Wörtliche oder sinngemäße Zitate sind nur mit vorheriger schriftlicher Genehmigung des Urhebers bzw. bei ausdrücklichem Hinweis auf die fremde Urheberschaft (Quellenangabe iSv. § 63 UrhG) rechtlich zulässig. Verstöße hiergegen werden gerichtlich verfolgt.

© 1997 - 2024:
Rechtsanwalt Dr. Martin Hensche, Berlin
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Lützowstraße 32, 10785 Berlin
Telefon: 030 - 26 39 62 0
Telefax: 030 - 26 39 62 499
E-mail: hensche@hensche.de