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BAG, Be­schluss vom 10.07.2013, 7 ABR 91/11

   
Schlagworte: Arbeitnehmerüberlassung: Betriebsrat, Betriebsrat: Arbeitnehmerüberlassung
   
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 7 ABR 91/11
Typ: Beschluss
Entscheidungsdatum: 10.07.2013
   
Leitsätze: 1. § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG verbietet die nicht mehr vorübergehende Arbeitnehmerüberlassung.

2. Beabsichtigt der Entleiher, einen Leiharbeitnehmer mehr als vorübergehend zu beschäftigen, kann der Betriebsrat des Entleiherbetriebs nach § 14 Abs. 3 Satz 1 AÜG, § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG die Zustimmung zur Übernahme verweigern.

Vorinstanzen: Arbeitsgericht Braunschweig, Beschluss vom 06.07.2011, 3 BV 8/11
Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Beschluss vom 16.11.2011, 17 TaBV 99/11
   

BUN­DES­AR­BEITS­GERICHT

7 ABR 91/11
17 TaBV 99/11
Lan­des­ar­beits­ge­richt
Nie­der­sach­sen


Im Na­men des Vol­kes!

Verkündet am

10. Ju­li 2013

BESCHLUSS

Schie­ge, Ur­kunds­be­am­ter

der Geschäfts­stel­le

In dem Be­schluss­ver­fah­ren mit den Be­tei­lig­ten

1.

An­trag­stel­le­rin,

2.

Be­schwer­deführer und Rechts­be­schwer­deführer,

hat der Sieb­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts auf­grund der Anhörung vom 10. Ju­li 2013 durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Lin­sen­mai­er, die Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Dr. Zwan­zi­ger und Prof. Dr. Kiel 


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so­wie die eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Dr. Ger­scher­mann und Klen­ter für Recht er­kannt:

Auf die Rechts­be­schwer­de des Be­triebs­rats wird der Be­schluss des Lan­des­ar­beits­ge­richts Nie­der­sach­sen vom 16. No­vem­ber 2011 - 17 TaBV 99/11 - auf­ge­ho­ben.

Auf die Be­schwer­de des Be­triebs­rats wird der Be­schluss des Ar­beits­ge­richts Braun­schweig vom 6. Ju­li 2011 - 3 BV 8/11 - ab­geändert:

Der An­trag wird ab­ge­wie­sen.

Von Rechts we­gen!

Gründe

A. Die zu 1. be­tei­lig­te Ar­beit­ge­be­rin be­gehrt im vor­lie­gen­den Ver­fah­ren die Er­set­zung der Zu­stim­mung des bei ihr ge­bil­de­ten, zu 2. be­tei­lig­ten Be­triebs­rats zur Ein­stel­lung der Ar­beit­neh­me­rin S als Leih­ar­beit­neh­me­rin so­wie die Fest­stel­lung, dass die­se per­so­nel­le Maßnah­me aus sach­li­chen Gründen drin­gend er­for­der­lich war.

Bei der Ar­beit­ge­be­rin, ei­nem Zei­tungs­ver­lag, sind mehr als 20 zum Be­triebs­rat wahl­be­rech­tig­te Ar­beit­neh­mer beschäftigt. Am 5. April 2011 schrieb sie un­ter­neh­mens­in­tern ei­ne Stel­le „Sach­be­ar­bei­tung Ein­zel­ver­kauf von Prämi­en­wer­bung (m/w)“ aus. Auf die­se Stel­le be­warb sich Frau S. Frau S hat­te im Ja­nu­ar 2010 er­folg­reich ei­ne Be­rufs­aus­bil­dung bei der Ar­beit­ge­be­rin ab­ge­schlos­sen. An­sch­ließend wur­de sie von der Ar­beit­ge­be­rin bis Ja­nu­ar 2011 in ei­nem Ar­beits­verhält­nis auf der Grund­la­ge des bei der Ar­beit­ge­be­rin gel­ten­den Ta­rif­ver­trags beschäftigt. Da­nach wur­de sie über die D KG (künf­tig: D) bei der Ar­beit­ge­be­rin als Leih­ar­beit­neh­me­rin ein­ge­setzt, wo­bei zunächst ei­ne auf zwei Jah­re be­fris­te­te Tätig­keit vor­ge­se­hen war. Im April 2011 ent­schloss sich die Ar­beit­ge­be­rin, Frau S auf der am 5. April 2011 aus­ge­schrie­be­nen Stel­le oh­ne


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zeit­li­che Be­gren­zung als von der D über­las­se­ne Leih­ar­beit­neh­me­rin zu beschäfti­gen. Die D verfügt über die nach dem AÜG er­for­der­li­che Er­laub­nis zur Ar­beit­neh­merüber­las­sung. Die Ar­beit­ge­be­rin ist an ihr als Ge­sell­schaf­te­rin be­tei­ligt.

Der be­ab­sich­tig­te Ein­satz von Frau S als Leih­ar­beit­neh­me­rin steht im Zu­sam­men­hang mit der Per­so­nal­po­li­tik der Ar­beit­ge­be­rin. Die­se hat­te zunächst im Jahr 2005 da­mit be­gon­nen, die zu­vor mit Ab­ruf­kräften be­setz­ten Ar­beitsplätze in der Ro­ta­ti­ons­end­ver­ar­bei­tung dau­er­haft mit Leih­ar­beit­neh­mern zu be­set­zen. Im De­zem­ber 2006 teil­te sie dem Be­triebs­rat mit, sie be­ab­sich­ti­ge, ab dem 1. April 2007 al­le neu zu be­set­zen­den Stel­len nur noch mit Leih­ar­beit­neh­mern der D zu be­set­zen. Ziel der Ar­beit­ge­be­rin war es, ei­ne aus ih­rer Sicht not­wen­di­ge Struk­tur­verände­rung der Per­so­nal­kos­ten zu er­rei­chen. Die­ses Vor­ha­ben hat die Ar­beit­ge­be­rin - wie sie in der münd­li­chen Anhörung vor dem Se­nat nach aus­drück­li­cher Erörte­rung erklärt hat - bis­lang je­den­falls in­so­weit nicht auf­ge­ge­ben, als es um die Neu­be­set­zung von Ar­beitsplätzen geht, bei de­nen das Be­tei­li­gungs­ver­fah­ren nach § 99 Be­trVG - wie im Fall von Frau S - be­reits vor dem 1. De­zem­ber 2011 ein­ge­lei­tet wur­de. Das ist der Zeit­punkt zu dem § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG, der durch Art. 1 Nr. 2 Buchst. a, Buchst. bb des „Ers­ten Ge­set­zes zur Ände­rung des Ar­beit­neh­merüber­las­sungs­ge­set­zes - Ver­hin­de­rung von Miss­brauch der Ar­beit­neh­merüber­las­sung“ vom 28. April 2011 (verkündet am 29. April 2011, BGBl. I S. 642 - künf­tig: Miss­brauchs­ver­hin­de­rungs­ge­setz) in das AÜG ein­gefügt wur­de, nach Art. 2 die­ses Ge­set­zes in Kraft trat.

Mit am 18. April 2011 beim Be­triebs­rat ein­ge­gan­ge­ner „Ein­stel­lungs­mel­dung“ be­an­trag­te die Ar­beit­ge­be­rin un­ter Vor­la­ge des auf die Per­so­nal­ak­te ver­wei­sen­den Be­wer­bungs­schrei­bens von Frau S die Zu­stim­mung des Be­triebs­rats zur Ein­stel­lung für ei­ne zeit­lich nicht be­grenz­te Beschäfti­gung als Leih­ar­beit­neh­me­rin ab dem 1. Mai 2011. Die Ar­beit­ge­be­rin nahm ih­re Mit­tei­lung vom 1. April 2007 in Be­zug und wies wei­ter dar­auf hin, dass sich Schwer­be­hin­der­te nicht be­wor­ben hätten und es auch sonst kei­ne Be­wer­bun­gen ge­be. Hin­wei­se und Da­ten zur Per­son von Frau S sei­en dem Be­triebs­rat be­kannt.


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Außer­dem lie­ge dem Be­triebs­rat be­reits die Er­laub­nis der D nach dem Ar­beit­neh­merüber­las­sungs­ge­setz vor.

Mit „Haus­mit­tei­lung“ vom 21. April 2011, bei der Ar­beit­ge­be­rin am sel­ben Tag ein­ge­gan­gen, ver­wei­ger­te der Be­triebs­rat sei­ne Zu­stim­mung zu die­ser Maßnah­me mit fol­gen­der Be­gründung:

„Der Be­triebs­rat ist in­for­miert wor­den, dass neu zu be­set­zen­de Stel­len über Ar­beit­neh­merüber­las­sung be­setzt wer­den.

Der dau­er­haf­te Ein­satz von Ar­beit­neh­merüber­las­sun­gen wi­der­spricht grundsätz­lich Ab­sicht, Sinn und Zweck des AÜG. Der Ge­setz­ge­ber woll­te nur den kon­kre­ten Zeit­rah­men nicht mehr fest­schrei­ben. Ei­ne dau­er­haf­te Aus­lei-he/Ein­stel­lung zu an­de­ren Ta­ri­fen war nicht vor­ge­se­hen und ist recht­lich un­zulässig. Auch nach der No­vel­lie­rung des AÜG ist das Leih­ar­beits­verhält­nis - wie der Na­me schon zum Aus­druck bringt - grundsätz­lich ein vorüber­ge­hen­des. Die vom Ge­setz­ge­ber ge­woll­te Funk­ti­on kann das AÜG nur dann erfüllen, wenn der Ein­satz von Leih­ar­beit­neh­mern vorüber­ge­hend er­folgt oder die Aus­nah­me bleibt, z. B. bei kurz­fris­ti­gen Auf­trags­spit­zen, Krank­heits­ver­tre­tun­gen, El­tern­zeit, Auf­tre­ten von Mehr­ar­beit o. Ä. Die beim B Zei­tungs­ver­lag prak­ti­zier­te Dau­er­aus­lei­he und die da­mit ein­her­ge­hen­de Um­ge­hung der im B Zei­tungs­ver­lag gel­ten­den Ta­rif­ord­nung verstößt ge­gen Ar­ti­kel 9 des Grund­ge­set­zes. Ziel des AÜG ist es, neue Beschäfti­gungsmöglich­kei­ten zu er­sch­ließen. Ziel war und ist es nicht, Stamm­ar­beitsplätze in Leih­ar­beitsplätze um­zu­wan­deln.

Aus die­sem Grund ver­wei­gert der Be­triebs­rat sei­ne Zu­stim­mung zur Ein­stel­lung von S.

Der Be­triebs­rat wi­der­spricht der Ein­stel­lung von S auch, weil das Un­ter­neh­men das zwin­gen­de Mit­be­stim­mungs-recht nach § 95 Be­trVG nicht be­ach­tet hat. Das Un­ter­neh­men hat ein­sei­tig ent­schie­den, dass sich ab dem 01.04.2007 bei frei­wer­den­den Stel­len die per­so­nel­le Aus­wahl auf Leih­ar­beit­neh­mer be­schränkt.

Aus die­sem Grund ver­wei­gert der Be­triebs­rat die Ein­stel­lung von S.

...“

Mit wei­te­rer „Ein­stel­lungs­mel­dung“ vom 27. April 2011, die dem Be­triebs­rat am sel­ben Tag zu­ging, nahm die Ar­beit­ge­be­rin für sich in An­spruch,


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die Ein­stel­lung von Frau S sei aus sach­li­chen Gründen drin­gend er­for­der­lich. Dem wi­der­sprach der Be­triebs­rat mit „Haus­mit­tei­lung“ vom 4. Mai 2011, die der Ar­beit­ge­be­rin am sel­ben Tag zu­ging.

Mit ih­rer am 5. Mai 2011 beim Ar­beits­ge­richt ein­ge­gan­ge­nen An­trags­schrift hat die Ar­beit­ge­be­rin die ge­richt­li­che Er­set­zung der Zu­stim­mung des Be­triebs­rats zur Ein­stel­lung von Frau S so­wie die Fest­stel­lung der drin­gen­den Er­for­der­lich­keit des vorläufi­gen Ein­sat­zes be­gehrt. Sie hat vor­ge­bracht, die vom Be­triebs­rat gel­tend ge­mach­ten Zu­stim­mungs­ver­wei­ge­rungs­gründe bestünden nicht. Die vorläufi­ge Durchführung der Maßnah­me sei drin­gend er­for­der­lich.

Die Ar­beit­ge­be­rin hat zu­letzt be­an­tragt, 

1. die vom Be­triebs­rat mit Haus­mit­tei­lung vom 21. April 2011 ver­wei­ger­te Zu­stim­mung zur Ein­stel­lung von Frau S zu er­set­zen;

2. fest­zu­stel­len, dass die zum 1. Mai 2011 vor­ge­nom­me­ne vorläufi­ge Ein­stel­lung von Frau S aus sach­li­chen Gründen drin­gend er­for­der­lich war.

Der Be­triebs­rat hat be­an­tragt, die Anträge ab­zu­wei­sen. 

Er hat die An­sicht ver­tre­ten, die von ihm gel­tend ge­mach­ten Zu­stim­mungs­ver­wei­ge­rungs­gründe lägen vor. Die per­so­nel­le Ein­zel­maßnah­me sei auch nicht dring­lich ge­we­sen.

Das Ar­beits­ge­richt hat den Anträgen der Ar­beit­ge­be­rin ent­spro­chen. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat am 16. No­vem­ber 2011 die da­ge­gen ge­rich­te­te Be­schwer­de des Be­triebs­rats zurück­ge­wie­sen. Mit sei­ner Rechts­be­schwer­de ver­folgt die­ser wei­ter­hin die Ab­wei­sung der Anträge. Die Ar­beit­ge­be­rin be­gehrt die Zurück­wei­sung der Rechts­be­schwer­de.

B. Die Rechts­be­schwer­de des Be­triebs­rats hat hin­sicht­lich des An­trags auf Zu­stim­mungs­er­set­zung Er­folg. Die­ser ist un­ter Auf­he­bung der Ent­schei­dung des Lan­des­ar­beits­ge­richts und un­ter Abände­rung der erst­in­stanz­li­chen Ent­schei­dung ab­zu­wei­sen. Der Fest­stel­lungs­an­trag fällt dem Se­nat nicht mehr zur Ent­schei­dung an. 


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I. Der zulässi­ge An­trag der Ar­beit­ge­be­rin, die vom Be­triebs­rat ver­wei­ger­te Zu­stim­mung zur Ein­stel­lung der Leih­ar­beit­neh­me­rin S ge­richt­lich zu er­set­zen, ist un­be­gründet. Die be­ab­sich­tig­te Ein­stel­lung verstößt ge­gen ein Ge­setz (§ 99 Abs. 2 Nr. 1 Be­trVG). Sie wi­der­spricht dem aus § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG fol­gen­den Ver­bot ei­ner mehr als vorüber­ge­hen­den Ar­beit­neh­merüber­las­sung.

1. Der von der Ar­beit­ge­be­rin gemäß § 99 Abs. 4 Be­trVG ver­folg­te An­trag ist zulässig. Ins­be­son­de­re hat die Ar­beit­ge­be­rin das für ei­nen sol­chen An­trag er­for­der­li­che Rechts­schutz­bedürf­nis.

a) Das Rechts­schutz­bedürf­nis für ei­nen Zu­stim­mungs­er­set­zungs­an­trag nach § 99 Abs. 4 Be­trVG setzt vor­aus, dass der Be­triebs­rat ein Mit­be­stim­mungs­recht nach § 99 Abs. 1 Be­trVG bei der vom Ar­beit­ge­ber be­ab­sich­tig­ten endgülti­gen per­so­nel­len Ein­zel­maßnah­me hat und der Ar­beit­ge­ber für die Maßnah­me da­her der Zu­stim­mung des Be­triebs­rats be­darf (vgl. BAG 10. Ok­to­ber 2012 - 7 ABR 42/11 - Rn. 18 mwN).

b) Die­ses Rechts­schutz­bedürf­nis liegt hier vor. Die Ar­beit­ge­be­rin beschäftigt mehr als 20 wahl­be­rech­tig­te Ar­beit­neh­mer. Sie hat da­her nach § 14 Abs. 3 Satz 1 AÜG iVm. § 99 Be­trVG den Be­triebs­rat vor der Über­nah­me ei­nes Leih­ar­beit­neh­mers zur Ar­beits­leis­tung zu be­tei­li­gen (BAG 1. Ju­ni 2011 - 7 ABR 117/09 - Rn. 15). Der Um­stand, dass die Leih­ar­beit­neh­me­rin S be­reits vor der jetzt be­ab­sich­tig­ten zeit­lich un­be­grenz­ten Ein­stel­lung vorüber­ge­hend im Be­trieb tätig war, steht dem Mit­be­stim­mungs­recht nicht ent­ge­gen. Auch die Verlänge­rung ei­nes Ein­sat­zes von Leih­ar­beit­neh­mern ist als Ein­stel­lung nach § 99 Abs. 1 Be­trVG, § 14 Abs. 3 Satz 1 AÜG mit­be­stim­mungs­pflich­tig (BAG 23. Ja­nu­ar 2008 - 1 ABR 74/06 - Rn. 24 f., BA­GE 125, 306). Es ist auch we­der vor­ge­tra­gen noch sonst er­sicht­lich, dass der Be­triebs­rat ei­ner zeit­lich un­be­grenzt vor­ge­se­he­nen Ein­stel­lung von Frau S be­reits zu­ge­stimmt hat­te.

2. Der Zu­stim­mungs­er­set­zungs­an­trag ist un­be­gründet. Die Ar­beit­ge­be­rin hat zwar das Zu­stim­mungs­ver­fah­ren nach § 99 Abs. 1 Sätze 1 und 2 Be­trVG ord­nungs­gemäß ein­ge­lei­tet. Auch gilt die Zu­stim­mung des Be­triebs­rats nicht et­wa nach § 99 Abs. 3 Satz 2 Be­trVG als er­teilt. Die vom Be­triebs­rat ver­wei­ger-


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te Zu­stim­mung zur Ein­stel­lung der Frau S kann je­doch nicht ge­richt­lich er­setzt wer­den, da ih­re Ein­stel­lung nach der jetzt gel­ten­den Rechts­la­ge iSv. § 99 Abs. 2 Nr. 1 Be­trVG ge­gen ein Ge­setz verstößt.

a) Die Ar­beit­ge­be­rin hat das Zu­stim­mungs­ver­fah­ren ord­nungs­gemäß ein­ge­lei­tet.

aa) Vor­aus­set­zung für die ge­richt­li­che Er­set­zung der ver­wei­ger­ten Zu­stim­mung zu ei­ner per­so­nel­len Ein­zel­maßnah­me nach § 99 Abs. 4 Be­trVG ist, dass der Ar­beit­ge­ber den Be­triebs­rat iSv. § 99 Abs. 1 Sätze 1 und 2 Be­trVG aus­rei­chend un­ter­rich­tet hat. Beim tatsächli­chen Ein­satz ei­nes Leih­ar­beit­neh­mers hat der Ent­lei­her dem Be­triebs­rat nach § 14 Abs. 3 Satz 2 AÜG außer­dem die schrift­li­che Erklärung des Ver­lei­hers nach § 12 Abs. 1 Satz 2 AÜG - al­so die Erklärung, ob der Ver­lei­her die Er­laub­nis nach § 1 AÜG be­sitzt - vor­zu­le­gen. Der Ar­beit­ge­ber hat im Zu­stim­mungs­ver­fah­ren den Be­triebs­rat so zu un­ter­rich­ten, dass die­ser auf­grund der mit­ge­teil­ten Tat­sa­chen in die La­ge ver­setzt wird zu prüfen, ob ei­ner der in § 99 Abs. 2 Be­trVG ge­nann­ten Zu­stim­mungs­ver­wei­ge­rungs­gründe vor­liegt. Wenn die vom Ar­beit­ge­ber ge­mach­ten An­ga­ben nicht of­fen­kun­dig un­vollständig sind, kann der Ar­beit­ge­ber da­von aus­ge­hen, den Be­triebs­rat vollständig un­ter­rich­tet zu ha­ben, so­weit der Be­triebs­rat kei­ne wei­ter­ge­hen­de Un­ter­rich­tung ver­langt (vgl. BAG 1. Ju­ni 2011 - 7 ABR 117/09 - Rn. 17 ff.).

bb) Die Ar­beit­ge­be­rin hat den Be­triebs­rat in die­sem Sin­ne aus­rei­chend un­ter­rich­tet. Sie hat ihn über die Per­son der An­ge­stell­ten S so­wie über den Ar­beits­platz, auf dem Frau S ein­ge­setzt wer­den soll, in­for­miert. Gleich­zei­tig hat sie das Be­wer­bungs­schrei­ben vor­ge­legt. Im Hin­blick dar­auf, dass Frau S im Be­trieb schon tätig war, konn­te die Ar­beit­ge­be­rin da­von aus­ge­hen, den Be­triebs­rat aus­rei­chend un­ter­rich­tet zu ha­ben. Dem Be­triebs­rat lag auch die Ge­neh­mi­gung der D nach dem AÜG vor. Über die­se Punk­te stim­men die Be­tei­lig­ten übe­rein.

b) Die Zu­stim­mung des Be­triebs­rats zur Ein­stel­lung gilt nicht et­wa nach § 99 Abs. 3 Satz 2 Be­trVG als er­teilt.


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aa) Nach § 99 Abs. 3 Satz 2 Be­trVG gilt die Zu­stim­mung des Be­triebs­rats zu ei­ner per­so­nel­len Ein­zel­maßnah­me als er­teilt, wenn er sei­ne Zu­stim­mungs­ver­wei­ge­rung dem Ar­beit­ge­ber nicht in­ner­halb ei­ner Wo­che nach ord­nungs­gemäßer Un­ter­rich­tung un­ter An­ga­be von Gründen schrift­lich mit­teilt. Ver­wei­gert der Be­triebs­rat sei­ne Zu­stim­mung nicht frist­gemäß mit be­acht­li­cher Be­gründung, so ist auf den Zu­stim­mungs­er­set­zungs­an­trag des Ar­beit­ge­bers hin aus­zu­spre­chen, dass die Zu­stim­mung als er­teilt gilt. Der Be­triebs­rat genügt der ge­setz­li­chen Be­gründungs­pflicht, wenn es als möglich er­scheint, dass mit sei­ner schrift­lich ge­ge­be­nen Be­gründung ei­ner der in § 99 Abs. 2 Be­trVG auf­geführ­ten Ver­wei­ge­rungs­gründe gel­tend ge­macht wird. Ei­ne Be­gründung, die of­fen­sicht­lich auf kei­nen der ge­setz­li­chen Ver­wei­ge­rungs­gründe Be­zug nimmt, ist da­ge­gen un­be­acht­lich. Die Be­gründung des Be­triebs­rats braucht nicht schlüssig zu sein. Kon­kre­te Tat­sa­chen und Gründe müssen nur für die auf § 99 Abs. 2 Nr. 3 und Nr. 6 Be­trVG gestütz­te Ver­wei­ge­rung an­ge­ge­ben wer­den (vgl. BAG 10. Ok­to­ber 2012 - 7 ABR 42/11 - Rn. 50).

bb) Hier ist die Zu­stim­mungs­ver­wei­ge­rung des Be­triebs­rats der Ar­beit­ge­be­rin am 21. April 2011 und da­mit in­ner­halb ei­ner Wo­che nach der am 18. April 2011 er­folg­ten Un­ter­rich­tung zu­ge­gan­gen. Die Be­gründung ist aus­rei­chend. Der Be­triebs­rat hat an­geführt, der dau­er­haf­te Ein­satz von Leih­ar­beit­neh­mern wi­der­spre­che Ab­sicht, Sinn und Zweck des AÜG. Er hat ge­meint, die Aushöhlung der bei der Ar­beit­ge­be­rin gel­ten­den Ta­rif­verträge ver­s­toße ge­gen Art. 9 Abs. 3 GG. Außer­dem hat er sich dar­auf be­ru­fen, die Ar­beit­ge­be­rin un­ter­lau­fe das Mit­be­stim­mungs­recht des Be­triebs­rats nach § 95 Be­trVG, weil das Un­ter-neh­men ein­sei­tig ent­schie­den ha­be, bei frei­wer­den­den Stel­len sei die per­so­nel­le Aus­wahl auf Leih­ar­beit­neh­mer be­schränkt. Da­mit hat der Be­triebs­rat hin­sicht­lich der ge­nann­ten Rechts­vor­schrif­ten in hin­rei­chen­der Wei­se den Zu­stim­mungs­ver­wei­ge­rungs­grund „Ver­s­toß ei­ner Maßnah­me ge­gen ein Ge­setz“ nach § 99 Abs. 2 Nr. 1 Be­trVG in An­spruch ge­nom­men.

c) Die vom Be­triebs­rat ver­wei­ger­te Zu­stim­mung ist nicht ge­richt­lich zu er­set­zen, da die be­ab­sich­tig­te Ein­stel­lung iSv. § 99 Abs. 2 Nr. 1 Be­trVG ge­gen ein Ge­setz verstößt. Das ge­richt­li­che Prüfpro­gramm im Zu­stim­mungs­er­set-

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zungs­ver­fah­ren ist auf die vom Be­triebs­rat gel­tend ge­mach­ten Zu­stim­mungs­ver­wei­ge­rungs­gründe be­schränkt (vgl. BAG 10. Ok­to­ber 2012 - 7 ABR 42/11 - Rn. 59 mwN). Hier hat der Be­triebs­rat gerügt, die be­ab­sich­tig­te Ein­stel­lung ver­s­toße ge­gen ein Ge­setz. Die­se Rüge ist iSv. § 99 Abs. 2 Nr. 1 Be­trVG nicht be­gründet, so­weit sich der Be­triebs­rat auf ei­nen Ver­s­toß ge­gen Art. 9 Abs. 3 GG und § 95 Be­trVG be­ruft. Da­ge­gen ist sei­ne Rüge, die ge­plan­te per­so­nel­le Ein­zel­maßnah­me ver­s­toße ge­gen das AÜG, nach der in­so­weit maßgeb­li­chen jet­zi­gen Rechts­la­ge be­rech­tigt.

aa) Der Be­triebs­rat kann sei­ne Zu­stim­mung zu ei­ner per­so­nel­len Maßnah­me nach § 99 Abs. 2 Nr. 1 Be­trVG we­gen Ver­s­toßes ua. ge­gen ein Ge­setz nur dann ver­wei­gern, wenn die Maßnah­me selbst ge­gen ein Ge­setz verstößt. Geht es um die Über­nah­me ei­nes Leih­ar­beit­neh­mers in den Be­trieb des Ent­lei­hers und da­mit um ei­ne Ein­stel­lung iSd. § 99 Abs. 1 Satz 1 Be­trVG, muss die­se als sol­che un­ter­sagt sein. Da­zu be­darf es zwar kei­ner Ver­bots­norm im tech­ni­schen Sin­ne, die un­mit­tel­bar die Un­wirk­sam­keit der Maßnah­me her­beiführt. Der Zweck der be­tref­fen­den Norm, die Ein­stel­lung selbst zu ver­hin­dern, muss aber hin­rei­chend deut­lich zum Aus­druck kom­men. Der Zu­stim­mungs­ver­wei­ge­rungs­grund des § 99 Abs. 2 Nr. 1 Be­trVG ist bei Ein­stel­lun­gen le­dig­lich dann ge­ge­ben, wenn der Zweck der Ver­bots­norm nur da­durch er­reicht wer­den kann, dass die Ein­stel­lung ins­ge­samt un­ter­bleibt (BAG 21. Ju­li 2009 - 1 ABR 35/08 - Rn. 21 mwN, BA­GE 131, 250; 23. Ju­ni 2010 - 7 ABR 3/09 - Rn. 23, BA­GE 135, 57; 1. Ju­ni 2011 - 7 ABR 117/09 - Rn. 42; 10. Ok­to­ber 2012 - 7 ABR 42/11 - Rn. 65 mwN).

bb) Die hier­nach er­for­der­li­chen Vor­aus­set­zun­gen für ei­ne be­gründe­te Zu­stim­mungs­ver­wei­ge­rung lie­gen al­ler­dings nicht hin­sicht­lich der gel­tend ge­mach­ten Verstöße ge­gen Art. 9 Abs. 3 GG und ge­gen § 95 Abs. 1 Be­trVG, wohl aber hin­sicht­lich des Ver­s­toßes ge­gen das AÜG vor.´

(1) Die vom Be­triebs­rat gel­tend ge­mach­ten Verstöße ge­gen Art. 9 Abs. 3 GG und § 95 Abs. 1 Be­trVG be­tref­fen kein Ge­setz, das die Ein­stel­lung an sich ver­hin­dern will. Die vom Be­triebs­rat auf Art. 9 Abs. 3 GG gestütz­ten Einwände be­zie­hen sich nicht auf die Ein­stel­lung, son­dern al­lein auf die Fra­ge der Ar-


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beits­be­din­gun­gen der ein­ge­stell­ten Ar­beit­neh­mer. Das Mit­be­stim­mungs­recht nach § 95 Abs. 1 Be­trVG bei der Ge­stal­tung von Aus­wahl­richt­li­ni­en hat nicht den Zweck, die Ein­stel­lung von be­stimm­ten Ar­beit­neh­mern zu ver­hin­dern, son­dern dem Be­triebs­rat bei de­ren Aus­wahl Rech­te zu gewähren. Es be­trifft des­halb nicht die Ein­stel­lung von Ar­beit­neh­mern an sich.

(2) Zu Recht macht der Be­triebs­rat da­ge­gen gel­tend, die be­ab­sich­tig­te Ein­stel­lung von Frau S ver­s­toße ge­gen das AÜG. Maßgeb­lich ist da­bei die zum Zeit­punkt der Ent­schei­dung des Se­nats gel­ten­de Rechts­la­ge und so­mit auch § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG in der seit dem 1. De­zem­ber 2011 gel­ten­den Fas­sung. Die­se Be­stim­mung ver­bie­tet die nicht nur vorüber­ge­hen­de Über­las­sung von Leih­ar­beit­neh­mern. Sie stellt ein Ge­setz iSv. § 99 Abs. 2 Nr. 1 Be­trVG dar, des­sen Zweck nur er­reicht wer­den kann, wenn die Ein­stel­lung un­ter­bleibt. Die be­ab­sich­tig­te Ein­stel­lung von Frau S verstößt ge­gen die­ses Ge­setz; sie rich­tet sich auf ei­ne nicht nur vorüber­ge­hen­de Ar­beit­neh­merüber­las­sung.

(a) § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG wur­de durch Art. 1 Nr. 2 Buchst. a, Buchst. bb des Miss­brauchs­ver­hin­de­rungs­ge­set­zes in das AÜG ein­gefügt. Nach Art. 2 des Miss­brauchs­ver­hin­de­rungs­ge­set­zes trat die Ände­rung am 1. De­zem­ber 2011 und da­mit nach Be­an­tra­gung der Zu­stim­mung des Be­triebs­rats durch die Ar­beit­ge­be­rin und auch nach den Ent­schei­dun­gen der Vor­in­stan­zen in Kraft. Den­noch ist für die Be­ur­tei­lung der Zu­stim­mungs­ver­wei­ge­rungs­gründe des Be­triebs­rats auf die geänder­te, zum Zeit­punkt der Ent­schei­dung des Se­nats gel­ten­de Rechts­la­ge ab­zu­stel­len.

(aa) Streit­ge­gen­stand ei­nes Ver­fah­rens auf Er­set­zung der Zu­stim­mung zu ei­ner Ein­stel­lung nach § 99 Abs. 4 Be­trVG ist die Fra­ge, ob die be­ab­sich­tig­te per­so­nel­le Maßnah­me an­ge­sichts der vor­ge­brach­ten Ver­wei­ge­rungs­gründe ge­genwärtig und zukünf­tig zulässig ist. Ver­fah­rens­ge­gen­stand ist da­ge­gen nicht, ob die Maßnah­me im Zeit­punkt der An­trag­stel­lung zulässig war. Die streit­ge­genständ­li­che Fra­ge ist des­halb nach Maßga­be der Rechts­la­ge zu be­ant­wor­ten, die im Zeit­punkt der ge­richt­li­chen Ent­schei­dung in Kraft ist. Das gilt auch, wenn die Ände­rung der Rechts­la­ge für die vom Be­triebs­rat an­ge­brach­ten Ver­wei­ge­rungs­gründe ei­ne geänder­te recht­li­che Be­ur­tei­lung er­for­dert.


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Dann sind dem Be­triebs­rat kei­ne neu­en Ver­wei­ge­rungs­gründe ent­stan­den, viel­mehr sind die gel­tend ge­mach­ten Ver­wei­ge­rungs­gründe auf ei­ner neu­en recht­li­chen Grund­la­ge zu würdi­gen. Wenn und so­weit dar­in ei­ne Ände­rung des Streit­ge­gen­stan­des und da­mit - trotz gleich­blei­ben­den An­trags­wort­lauts - ei­ne An­tragsände­rung liegt, ist die­se in der Rechts­be­schwer­de­instanz zulässig, wenn der fest­ge­stell­te Sach­ver­halt die recht­li­che Be­ur­tei­lung nach der neu­en Rechts­la­ge ermöglicht, der Streitstoff nicht er­wei­tert wird und die Rech­te der Be­tei­lig­ten nicht verkürzt wer­den (zum Gan­zen BAG 25. Ja­nu­ar 2005 - 1 ABR 61/03 - zu B I der Gründe, BA­GE 113, 218).

(bb) Hier hat der Be­triebs­rat von vorn­her­ein gel­tend ge­macht, die dau­er­haf­te Aus­lei­he von Leih­ar­beit­neh­mern führe zur Um­wand­lung von Stamm­ar­beitsplätzen in Leih­ar­beitsplätze; das wi­der­spre­che dem AÜG. Die­ser Zu­stim­mungs­ver­wei­ge­rungs­grund hat sich nicht verändert. Al­ler­dings ist für sei­ne Be­ur­tei­lung die neue Rechts­la­ge maßgeb­lich. Die Fra­ge, ob die Ab­sicht der Ar­beit­ge­be­rin, Frau S künf­tig oh­ne zeit­li­che Be­gren­zung als Leih­ar­beit­neh­me­rin ein­zu­set­zen, mit dem AÜG ver­ein­bar ist, be­ur­teilt sich nicht nach ei­ner frühe­ren, son­dern nach der der­zei­ti­gen Rechts­la­ge. So­weit mit der Ände­rung der zu be­ach­ten­den Rechts­la­ge zu­gleich ei­ne Ände­rung des Streit­ge­gen­stan­des des Ver­fah­rens in der Rechts­be­schwer­de­instanz ver­bun­den sein soll­te, wäre die­se aus­nahms­wei­se zulässig. Der Sach­ver­halt steht fest. Rech­te der Ar­beit­ge­be­rin wer­den nicht be­ein­träch­tigt. Sie hat zur recht­li­chen Be­deu­tung von § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG im Rechts­be­schwer­de­ver­fah­ren Stel­lung ge­nom­men und die An­sicht ver­tre­ten, die­se Re­ge­lung ste­he der Ein­stel­lung von Frau S nicht ent­ge­gen. Sie hat auch nicht gel­tend ge­macht, dass sie bei ei­nem Ab­stel­len auf die der­zei­ti­ge Rechts­la­ge in ih­rer Rechts­ver­fol­gung be­ein­träch­tigt wer­de.

(b) § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG ver­bie­tet die mehr als nur vorüber­ge­hen­de Über­las­sung von Ar­beit­neh­mern an Ent­lei­her. Die Be­stim­mung de­fi­niert nicht le­dig­lich den An­wen­dungs­be­reich des AÜG; auch stellt sie nicht le­dig­lich ei­ne Be­schrei­bung oder ei­nen un­ver­bind­li­chen Pro­gramm­satz dar (so aber im Er­geb­nis Lembke DB 2011, 414, 415; Lud­wig BB 2013, 1276, 1278; Seel FA 2013, 132; Thüsing/Stie­bert DB 2012, 632, 633). Viel­mehr han­delt es sich um


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ei­ne ver­bind­li­che Rechts­norm, die von den Rechts­un­ter­wor­fe­nen und den Ge­rich­ten zu be­ach­ten ist (so im Er­geb­nis auch Bartl/Ro­ma­now­ski NZA 2012, 845; Brors AuR 2013, 108, 113; Düwell ZESAR 2011, 449, 455; Fit­ting 26. Aufl. § 99 Rn. 192a; Ha­mann RdA 2011, 321, 324; ErfK/Wank 13. Aufl. Einl. AÜG Rn. 12). Das er­gibt die Aus­le­gung der Be­stim­mung.

(aa) Der Wort­laut des § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG ge­bie­tet kein be­stimm­tes Er­geb­nis. Der Um­stand, dass der Ge­setz­ge­ber sprach­lich den in­di­ka­ti­ven Mo­dus („Die Über­las­sung er­folgt vorüber­ge­hend“) gewählt hat, ob­wohl ei­ne im­pe­ra­ti­ve For­mu­lie­rung (zB „hat vorüber­ge­hend zu er­fol­gen“, „muss vorüber-ge­hend sein“, „darf nur vorüber­ge­hend er­fol­gen“) un­schwer möglich ge­we­sen wäre, könn­te al­ler­dings dafür spre­chen, dass die Be­stim­mung le­dig­lich be­schrei­ben­den und kei­nen nor­ma­tiv bin­den­den Cha­rak­ter hat. Zwin­gend ist das je­doch nicht. Viel­mehr ver­wen­det der Ge­setz­ge­ber des Öfte­ren auch für bin­den­de Ge­bo­te den In­di­ka­tiv (vgl. nur Art. 3 Abs. 1 GG, § 26 Abs. 1, § 27 Abs. 1 Satz 1 Be­trVG). Der Wort­laut des § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG lässt da­her oh­ne Wei­te­res auch ein Verständ­nis zu, wo­nach die Ar­beit­neh­merüber­las­sung vorüber­ge­hend zu er­fol­gen hat.

(bb) Die Ge­set­zes­sys­te­ma­tik spricht für den nor­ma­ti­ven, ver­bind­li­chen Cha­rak­ter des § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG. Nach der zwei­fels­frei ver­bind­li­chen Re­ge­lung in § 1 Abs. 1 Satz 1 AÜG bedürfen Ar­beit­ge­ber, die als Ver­lei­her Drit­ten (Ent­lei­hern) Ar­beit­neh­mer (Leih­ar­beit­neh­mer) im Rah­men ih­rer wirt­schaft­li­chen Tätig­keit zur Ar­beits­leis­tung über­las­sen wol­len, der Er­laub­nis. Die Vor­schrift be­stimmt, wann er­laub­nis­pflich­ti­ge Ar­beit­neh­merüber­las­sung iSd. AÜG vor­liegt. Die nach­fol­gen­de Be­stim­mung des § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG schränkt das nicht ein, son­dern bringt zum Aus­druck, dass ei­ne der Er­laub­nis zugäng­li­che Ar­beit­neh­merüber­las­sung nur vorüber­ge­hend er­fol­gen darf.

(cc) Für den nor­ma­ti­ven, ver­bind­li­chen Cha­rak­ter des § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG spre­chen ent­schei­dend der Cha­rak­ter so­wie der Sinn und Zweck der Re­ge­lung. Im Re­gel­fall ist da­von aus­zu­ge­hen, dass sich ge­setz­li­che Re­ge­lun­gen nicht in fol­gen­lo­sen Be­schrei­bun­gen erschöpfen. Das gilt auch für § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG. Die Re­ge­lung verlöre ih­ren Sinn als ge­setz­li­che Norm,


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wenn sie im Fal­le des Vor­lie­gens ei­ner nicht mehr vorüber­ge­hen­den Ar­beit­neh­merüber­las­sung kei­ne Be­deu­tung hätte. Wenn aber da­von aus­zu­ge­hen ist, dass mit die­ser Be­stim­mung, wie auch sonst bei Ge­set­zen, die über bloße De­fi­ni­tio­nen oder Fik­tio­nen hin­aus­ge­hen, über­haupt et­was ge­re­gelt wer­den soll, so be­steht der Re­ge­lungs­in­halt dar­in, dass die nicht mehr nur vorüber­ge­hen­de Ar­beit­neh­merüber­las­sung un­ter­bun­den wer­den soll. Ent­ge­gen der von der Ar­beit­ge­be­rin in der Anhörung vor dem Se­nat ver­tre­te­nen Auf­fas­sung kann die Re­ge­lung auch nicht et­wa da­hin ver­stan­den wer­den, Ar­beit­neh­merüber­las­sung sei im­mer als vorüber­ge­hend an­zu­se­hen. Dar­in läge ei­ne ge­setz­li­che Fik­ti­on. Ge­setz­li­che Fik­tio­nen wer­den re­gelmäßig durch die Ver­wen­dung der Wor­te „gilt“ oder „gel­ten“ aus­ge­drückt. Die­ser all­ge­mein übli­chen Re­ge­lungs­tech­nik hat sich der Ge­setz­ge­ber hier nicht be­dient.

(dd) Auch der aus den Ge­set­zes­ma­te­ria­li­en er­kenn­ba­re Wil­le des Ge­setz­ge­bers ging da­hin, die nicht mehr vorüber­ge­hen­de Ar­beit­neh­merüber­las­sung un­abhängig von der bei In­kraft­tre­ten des Miss­brauchs­ver­hin­de­rungs­ge­set­zes gel­ten­den Rechts­la­ge zu ver­bie­ten. Der Ge­setz­ge­ber woll­te mit dem Miss­brauchs­ver­hin­de­rungs­ge­setz und da­mit auch mit der Einfügung von § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG Uni­ons­recht „vollständig, eins zu eins“ um­set­zen (so die Ausführung der zuständi­gen Bun­des­mi­nis­te­rin in der ab­sch­ließen­den Ple­nar­be­ra­tung des Deut­schen Bun­des­ta­ges, BT-Ple­nar­pro­to­koll 17. Wahl­pe­ri­ode S. 11366 (B)). Da­bei ist er da­von aus­ge­gan­gen, die Um­set­zung der Richt­li­nie 2008/104/EG des Eu­ropäischen Par­la­ments und des Ra­tes vom 19. No­vem­ber 2008 über Leih­ar­beit (ABl. EU L 327 vom 5. De­zem­ber 2008 S. 9 - künf­tig: Leih­ar­beits­richt­li­nie) er­for­de­re Ände­run­gen im Ar­beit­neh­merüber­las­sungs­ge­setz, weil sie Ar­beit­neh­merüber­las­sung als vorüber­ge­hend de­fi­nie­re (vgl. den Re­gie­rungs­ent­wurf zum Miss­brauchs­ver­hin­de­rungs­ge­setz: BT-Drucks. 17/4804 S. 1). Vor die­sem Hin­ter­grund hat er mit § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG ei­ne Re­ge­lung ein­gefügt, die „der Klar­stel­lung“ dient, „dass das deut­sche Mo­dell der Ar­beit­neh­merüber­las­sung“ die­sen Vor­ga­ben ent­spre­che. Das be­deu­tet nach den Vor­stel­lun­gen des Ge­setz­ge­bers: „Das Ar­beit­neh­merüber­las­sungs­ge­setz re­gelt ein auf vorüber­ge­hen­de Über­las­sun­gen an­ge­leg­tes Mo­dell der Ar­beit­neh­merüber­las­sung, bei dem die Über­las­sung an den je­wei­li-


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gen Ent­lei­her ... vorüber­ge­hend ist“ (BT-Drucks. 17/4804 S. 8). Es soll­te al­so ei­ne ge­setz­li­che Re­ge­lung ge­schaf­fen wer­den, die mehr als vorüber­ge­hen­de Ar­beit­neh­merüber­las­sung aus­sch­ließt. Dass die­se Re­ge­lung der Klar­stel­lung dient, ändert dar­an nichts (so aber Staats­se­kretär Brauk­sie­pe in ei­ner Ant­wort auf die An­fra­ge der Ab­ge­ord­ne­ten Krell­mann BT-Drucks. 17/8829 S. 24). Oh­ne ei­ne nor­ma­ti­ve Wir­kung der Neu­re­ge­lung lie­fe ei­ne der­ar­ti­ge Klar­stel­lung ins Lee­re.

Dass nach den Vor­stel­lun­gen des Ge­setz­ge­bers durch die Einfügung des § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG die Rechts­la­ge geändert wur­de, zeigt sich dar­an, dass die Vor­schrift zu den Be­stim­mun­gen gehört, die nach Art. 2 des Miss­brauchs­ver­hin­de­rungs­ge­set­zes nicht schon ei­nen Tag nach der Verkündung des Ge­set­zes am 29. April 2011, son­dern erst am 1. De­zem­ber 2011 in Kraft tra­ten. Das er­heb­lich späte­re In­kraft­tre­ten be­gründe­te der Ge­setz­ge­ber mit der Erwägung, dies ge­be „den Ver­lei­hern und Ent­lei­hern ... aus­rei­chend Zeit, ih­re ver­trag­li­chen Ver­ein­ba­run­gen und sons­ti­ge Re­ge­lun­gen bei Be­darf an die neue Rechts­la­ge an­zu­pas­sen“ (BT-Drucks. 17/4804 S. 11). Wäre durch § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG in der Neu­fas­sung kei­ner­lei neue, von der vor­he­ri­gen Rechts­la­ge un­abhängi­ge Ver­pflich­tung ent­stan­den, wäre es nicht nötig ge­we­sen, das In­kraft­tre­ten der Be­stim­mung zeit­lich hin­aus­zu­schie­ben.

(ee) Ver­fas­sungs­recht­li­che Vor­ga­ben ste­hen die­ser Aus­le­gung nicht ent­ge­gen. Sie verstößt nicht ge­gen Grund­rech­te.

(aaa) Art. 2 Abs. 1 GG in Ver­bin­dung mit dem Rechts­staats­prin­zip ist nicht des­halb ver­letzt, weil die ge­setz­li­che Re­ge­lung zu un­be­stimmt wäre (aA Seel öAT 2013, 23, 25; Teusch/Ver­ste­ge NZA 2012, 1326, 1328). Beim Be­griff „vorüber­ge­hend“ han­delt es sich um ei­nen un­be­stimm­ten Rechts­be­griff wie er ge­setz­li­chen Re­ge­lun­gen viel­fach zu­grun­de liegt. Dass er sei­ne Kon­kre­ti­sie­rung erst im Zu­ge der An­wen­dung durch die Ge­rich­te fin­den muss, ist dar­in an­ge­legt. Der Ge­setz­ge­ber ist je­den­falls dann be­rech­tigt, un­be­stimm­te Rechts­be­grif­fe zu ver­wen­den, wenn sich die Vor­aus­set­zun­gen der An­wend­bar­keit ei­ner Norm nicht ge­nau­er be­stim­men las­sen und der Be­griff mit Hil­fe der herkömmli­chen ju­ris­ti­schen Me­tho­den zu kon­kre­ti­sie­ren ist (vgl. BVerfG 11. Ja­nu­ar


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1994 - 1 BvR 434/87 - zu C II 2 a der Gründe, BVerfGE 90, 1). § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG erklärt sich vor dem Hin­ter­grund des Ziels des Ge­setz­ge­bers, ei­ne fle­xi­ble Zeit­kom­po­nen­te zu schaf­fen und ins­be­son­de­re auf ge­nau be­stimm­te Höchstüber­las­sungs­fris­ten zu ver­zich­ten (BT-Drucks. 17/4804 S. 8). Ei­ne Kon­kre­ti­sie­rung hat nach den herkömmli­chen ju­ris­ti­schen Me­tho­den zu er­fol­gen und die Vor­ga­ben höher­ran­gi­gen Rechts zu be­ach­ten.

(bbb) Das Grund­recht der Ver­lei­her und Ent­lei­her auf Be­rufs­frei­heit (Art. 12 Abs. 1 GG) steht ei­nem Verständ­nis, wo­nach § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG die nicht mehr vorüber­ge­hen­de Ar­beit­neh­merüber­las­sung ver­bie­tet, eben­falls nicht ent­ge­gen. Zwar han­delt es sich bei die­sem Verständ­nis um ei­nen Ein­griff in die Frei­heit der Be­rufs­ausübung. Die­ser ist aber zulässig.

(aaaa) Re­ge­lun­gen der Be­rufs­ausübung sind zulässig, wenn sie durch hin­rei­chen­de Gründe des Ge­mein­wohls ge­recht­fer­tigt wer­den, das gewähl­te Mit­tel zur Er­rei­chung des ver­folg­ten Zwecks ge­eig­net und auch er­for­der­lich ist so­wie wenn bei ei­ner Ge­samt­abwägung zwi­schen der Schwe­re des Ein­griffs und dem Ge­wicht der ihn recht­fer­ti­gen­den Gründe die Gren­ze des Zu­mut­ba­ren noch ge­wahrt ist (BVerfG 21. De­zem­ber 2009 - 1 BvR 2738/08 - Rn. 37 mwN, BVer-fGK 16, 449).

(bbbb) Das Ver­bot der nicht nur vorüber­ge­hen­den Ar­beit­neh­merüber­las­sung ist durch hin­rei­chen­de Gründe des Ge­mein­wohls ge­recht­fer­tigt. In­dem es ver­hin­dert, dass der Ver­trags­ar­beit­ge­ber des Leih­ar­beit­neh­mers und der­je­ni­ge, der über die Möglich­kei­ten zu des­sen tatsäch­li­cher Beschäfti­gung verfügt, mehr als nur vorüber­ge­hend aus­ein­an­der­fal­len, dient es zum ei­nen dem Schutz der Leih­ar­beit­neh­mer. Zu­gleich be­grenzt es im kol­lek­ti­ven In­ter­es­se der Be­leg­schaft des Ent­lei­her­be­triebs de­ren Spal­tung (vgl. zur Un­ter­schei­dung von volks­wirt­schaft­lich sinn­vol­ler kurz­fris­ti­ger und un­erwünsch­ter lang­fris­ti­ger Ar­beit­neh­merüber­las­sung schon BVerfG 4. April 1967 - 1 BvR 84/65 - BVerfGE 21, 221 und BAG 28. Sep­tem­ber 1988 - 1 ABR 85/87 - zu B II 2 b bb der Gründe, BA­GE 59, 380). Um den mit ei­ner völlig un­be­grenz­ten Ar­beit­neh­merüber­las­sung ver­bun­de­nen Ge­fah­ren zu be­geg­nen, ist das ge­setz­li­che Ver­bot der nicht mehr vorüber­ge­hen­den Ar­beit­neh­merüber­las­sung ein ge­eig­ne­tes, er­for-


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der­li­ches und auch im en­ge­ren Sinn verhält­nismäßiges Mit­tel (aA oh­ne nähe­re Be­gründung Thüsing/Stie­bert DB 2012, 632, 635).

(ff) Auch Uni­ons­recht steht ei­ner Aus­le­gung des § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG, wo­nach die­ser die nicht mehr vorüber­ge­hen­de Ar­beit­neh­merüber­las­sung ver­bie­tet, nicht ent­ge­gen. Das gilt zum ei­nen für die Leih­ar­beits­richt­li­nie; da­bei kann da­hin­ste­hen, ob die­se ein sol­ches Verständ­nis nicht so­gar ge­bie­tet. Zum an­de­ren gilt das auch für die in Art. 16 der Char­ta der Grund­rech­te der Eu­ropäischen Uni­on (GRC) an­er­kann­te un­ter­neh­me­ri­sche Frei­heit.

(aaa) Die Leih­ar­beits­richt­li­nie steht dem hier ver­tre­te­nen Verständ­nis zu­min­dest nicht ent­ge­gen.

(aaaa) Nach ih­rem Art. 1 Abs. 1 gilt die Leih­ar­beits­richt­li­nie für Ar­beit­neh­mer, die mit ei­nem Leih­ar­beits­un­ter­neh­men ei­nen Ar­beits­ver­trag ge­schlos­sen ha­ben oder ein Beschäfti­gungs­verhält­nis ein­ge­gan­gen sind und die ent­lei­hen­den Un­ter­neh­men zur Verfügung ge­stellt wer­den, um „vorüber­ge­hend“ un­ter de­ren Auf­sicht und Lei­tung zu ar­bei­ten. „Leih­ar­beits­un­ter­neh­men“ ist nach Art. 3 Abs. 1 Buchst. b der Leih­ar­beits­richt­li­nie ei­ne natürli­che oder ju­ris­ti­sche Per­son, die mit Leih­ar­beit­neh­mern Ar­beits­verträge oder Beschäfti­gungs­verhält­nis­se ein­geht, um sie ent­lei­hen­den Un­ter­neh­men zu über­las­sen, da­mit sie dort un­ter Auf­sicht und Lei­tung „vorüber­ge­hend“ ar­bei­ten. Nach Art. 3 Abs. 1 Buchst. c Leih­ar­beits­richt­li­nie ist „Leih­ar­beit­neh­mer“ ein Ar­beit­neh­mer, der mit ei­nem Leih­ar­beits­un­ter­neh­men ei­nen Ar­beits­ver­trag ge­schlos­sen hat oder ein Beschäfti­gungs­verhält­nis ein­ge­gan­gen ist, um ei­nem ent­lei­hen­den Un­ter­neh­men über­las­sen zu wer­den und dort un­ter des­sen Auf­sicht und Lei­tung „vorüber­ge­hend“ zu ar­bei­ten. Art. 3 Abs. 1 Buchst. d der Leih­ar­beits­richt­li­nie de­fi­niert als „ent­lei­hen­des Un­ter­neh­men“ ei­ne natürli­che oder ju­ris­ti­sche Per­son, in de­ren Auf­trag und un­ter de­ren Auf­sicht und Lei­tung ein Leih­ar­beit­neh­mer „vorüber­ge­hend“ ar­bei­tet. Sch­ließlich ist „Über­las­sung“ im Sin­ne der Richt­li­nie nach Art. 3 Abs. 1 Buchst. e Leih­ar­beits­richt­li­nie der Zeit­raum, während des­sen der Leih­ar­beit­neh­mer dem ent­lei­hen­den Un­ter­neh­men zur Verfügung ge­stellt wird, um dort un­ter des­sen Auf­sicht und Lei­tung „vorüber­ge­hend“ zu ar­bei­ten.

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(bbbb) Ob die Richt­li­nie nicht nur vorüber­ge­hen­de Ar­beit­neh­merüber­las­sung ver­bie­tet oder mit die­sen Re­ge­lun­gen le­dig­lich der An­wen­dungs­be­reich der Richt­li­nie fest­ge­legt wird, ist strei­tig (für ein Ver­bot zB: Ha­mann Eu­ZA 2009, 287, 311; Zim­mer AuR 2012, 422, 423; Düwell ZESAR 2011, 449, 450 f.; ge­gen ein Ver­bot zB: Rieb­le/Viel­mei­er Eu­ZA 2011, 474, 487 ff.; Thüsing/Stie­bert DB 2012, 632, 633 f.; Bo­em­ke RIW 2009, 177, 179). Hier kann die Fra­ge da­hin­ste­hen. Falls die Richt­li­nie ein von den Mit­glied­staa­ten um­zu­set­zen­des Ver­bot der nicht nur vorüber­ge­hen­den Ar­beit­neh­merüber­las­sung ent­hiel­te, müss­te § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG be­reits we­gen des Ge­bots der uni­ons­rechts­kon-for­men Aus­le­gung im hier ver­tre­te­nen Sinn aus­ge­legt wer­den. Aber auch wenn die Richt­li­nie ein sol­ches Ver­bot nicht ver­lan­gen soll­te, kann ihr je­den­falls auch nicht ent­nom­men wer­den, dass der na­tio­na­le Ge­setz­ge­ber dar­an ge­hin­dert wäre, die nicht nur vorüber­ge­hen­de Ar­beit­neh­merüber­las­sung zu ver­bie­ten.

(bbb) Es un­ter­liegt auch kei­nem Zwei­fel, dass die un­ter­neh­me­ri­sche Frei­heit, die nach Art. 16 GRC „nach dem Ge­mein­schafts­recht und den ein­zel­staat­li­chen Rechts­vor­schrif­ten und Ge­pflo­gen­hei­ten an­er­kannt“ ist, ei­nem Ver­bot der nicht nur vorüber­ge­hen­den Ar­beit­neh­merüber­las­sung nicht ent­ge­gen­steht. Da­bei kann da­hin­ge­stellt blei­ben, ob die Leih­ar­beits­richt­li­nie ei­ne Re­ge­lung zur nicht nur vorüber­ge­hen­den Ar­beit­neh­merüber­las­sung enthält und da­mit den für die An­wen­dung der GRC not­wen­di­gen uni­ons­recht­li­chen Be­zug nach Art. 51 Abs. 1 GRC her­stellt. Je­den­falls wird durch ein sol­ches Ver­bot die durch Art. 16 GRC ins­be­son­de­re geschütz­te Ver­trags­frei­heit nicht in ei­nem Um­fang ein­ge­schränkt, der ge­eig­net wäre, von ei­ner Be­ein­träch­ti­gung des We­sens­ge­halts des Rechts auf un­ter­neh­me­ri­sche Frei­heit zu spre­chen. Viel­mehr ach­tet der ge­setz­lich vor­ge­se­he­ne, aus Gründen des Ge­mein­wohls er­fol­gen­de und den Grundsätzen der Verhält­nismäßig­keit genügen­de ge­ringfügi­ge Ein­griff iSv. Art. 52 Abs. 1 Sätze 1 und 2 GRC den we­sent­li­chen Ge­halt der un­ter­neh­me­ri­schen Frei­heit. Zu­dem dient das Ver­bot dem durch Art. 31 Abs. 1 GRC geschütz­ten Recht der Ar­beit­neh­me­rin­nen und Ar­beit­neh­mer auf ge­sun­de, si­che­re und würdi­ge Ar­beits­be­din­gun­gen und da­mit dem Schutz der Rech­te An­de­rer. Hier­nach ist der deut­sche Ge­setz­ge­ber be­fugt, die mehr als vorüber­ge­hen­de Ar­beit­neh­merüber-


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las­sung zu ver­bie­ten (aA, oh­ne dies mit Ar­gu­men­ten zu un­ter­le­gen, Thüsing/Stie­bert DB 2012, 632, 634).

(c) § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG ist ein Ver­bots­ge­setz iSv. § 99 Abs. 2 Nr. 1 Be­trVG, des­sen Ver­let­zung den Be­triebs­rat zur Ver­wei­ge­rung der Zu­stim­mung zur Ein­stel­lung be­rech­tigt (so auch Bartl/Ro­ma­now­ski NZA 2012, 845, 846; Brors AuR 2013, 108, 113; Düwell ZESAR 2011, 449, 455; Fit­ting 26. Aufl. § 99 Rn. 192a; Ha­mann RdA 2011, 321, 327; ders. NZA 2011, 70, 75; Ul­ber AiB 2011, 351, 352; Zim­mer AuR 2012, 422, 425 f.). Der Zweck der Re­ge­lung kann nur er­reicht wer­den, wenn die Ein­stel­lung ins­ge­samt un­ter­bleibt.

(aa) Der Zu­stim­mungs­ver­wei­ge­rungs­grund des § 99 Abs. 2 Nr. 1 Be­trVG ist bei Ein­stel­lun­gen und Ver­set­zun­gen nur ge­ge­ben, wenn das Ziel der Norm al­lein da­durch er­reicht wer­den kann, dass die per­so­nel­le Maßnah­me ins­ge­samt un­ter­bleibt (s. da­zu oben B I 2 c aa). Bei Ein­stel­lun­gen ist das der Fall, wenn durch die be­tref­fen­de Norm im Sin­ne ei­ner „Ab­sperr­tech­nik“ ver­hin­dert wer­den soll, dass be­stimm­te Ar­beit­neh­mer über­haupt in den Be­trieb auf­ge­nom­men wer­den (BAG 28. Ju­ni 1994 - 1 ABR 59/93 - zu B II 1 c und 2 a der Gründe, BA­GE 77, 165). Das in Be­tracht kom­men­de Ge­setz muss den Zweck ha­ben, die Or­ga­ni­sa­ti­ons­ge­walt des Ar­beit­ge­bers im Hin­blick auf ei­ne be­stimm­te Zu­sam­men­set­zung der Be­leg­schaft zu be­schränken (vgl. BAG 28. Ju­ni 1994 - 1 ABR 59/93 - zu B II 2 a der Gründe, aaO). Dem­ent­spre­chend kommt das Zu­stim­mungs­ver­wei­ge­rungs­recht ins­be­son­de­re dann in Be­tracht, wenn mit der be­tref­fen­den Rechts­norm auch die kol­lek­ti­ven In­ter­es­sen der be­trof­fe­nen Be­leg­schaft ge­wahrt wer­den sol­len (vgl. BAG 28. Sep­tem­ber 1988 - 1 ABR 85/87 - zu B II 2 c der Gründe, BA­GE 59, 380).

(bb) Da­nach ist das Ver­bot der nicht mehr vorüber­ge­hen­den Ar­beit­neh­merüber­las­sung in § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG ein Ver­bots­ge­setz, das den Be­triebs­rat zur Zu­stim­mungs­ver­wei­ge­rung be­rech­tigt. Denn es dient je­den­falls auch den kol­lek­ti­ven In­ter­es­sen der be­trof­fe­nen Be­leg­schaft. Es soll im In­ter­es­se auch der Stamm­ar­beit­neh­mer ei­ne Spal­tung der Be­leg­schaft be­grenzt und die Ge­fahr ein­ge­schränkt wer­den, dass zu­min­dest fak­tisch auf de­ren Ar­beits­platz­si­cher­heit und die Qua­lität ih­rer Ar­beits­be­din­gun­gen Druck aus­geübt wird. Im


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Rah­men die­ser Be­gren­zung wird die Or­ga­ni­sa­ti­ons­ge­walt des Ar­beit­ge­bers, die Be­leg­schaft in be­stimm­ter Wei­se zu­sam­men­zu­set­zen, ein­ge­schränkt. Dem­gemäß war in der Recht­spre­chung des BAG be­reits für die früher gel­ten­de zeit­li­che Höchst­be­gren­zung der Ar­beit­neh­merüber­las­sung an­er­kannt, dass ein Ver­s­toß da­ge­gen das Zu­stim­mungs­ver­wei­ge­rungs­recht des Be­triebs­rats nach § 99 Abs. 2 Nr. 1 Be­trVG auslöste (grund­le­gend: BAG 28. Sep­tem­ber 1988 - 1 ABR 85/87 - zu B II 2 c der Gründe, BA­GE 59, 380).

(cc) Un­er­heb­lich ist, ob in Fällen der nicht mehr nur vorüber­ge­hen­den Ar­beit­neh­merüber­las­sung ein Ar­beits­verhält­nis zwi­schen dem Ent­lei­her und dem Leih­ar­beit­neh­mer ent­steht (be­ja­hend in­so­weit zB LAG Ber­lin-Bran­den­burg 9. Ja­nu­ar 2013 - 15 Sa 1635/12 -; ver­nei­nend zB LAG Ber­lin-Bran­den­burg 16. Ok­to­ber 2012 - 7 Sa 1182/12 -). Auch wenn das un­ter be­stimm­ten Umständen der Fall sein soll­te, stünde das ei­nem Zu­stim­mungs­ver­wei­ge­rungs­recht des Be­triebs­rats im Ent­lei­her­be­trieb nicht ent­ge­gen. Wie sich aus § 14 Abs. 3 Satz 2 AÜG er­gibt, soll der Be­triebs­rat des Ent­lei­her­be­triebs bei der Ein­stel­lung ei­nes Leih­ar­beit­neh­mers auch prüfen können, ob der Ver­lei­her über die er­for­der­li­che Er­laub­nis zur Ar­beit­neh­merüber­las­sung verfügt. Fehlt es dar­an, kann er - wie sich aus die­ser Re­ge­lung so­mit eben­falls er­gibt - sei­ne Zu­stim­mung zur Ein­stel­lung nach § 99 Abs. 2 Nr. 1 Be­trVG ver­wei­gern. Das gilt, ob­wohl in ei­nem sol­chen Fall nach § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG iVm. § 9 Nr. 1 AÜG zwei­fels­frei ein Ar­beits­verhält­nis zwi­schen dem Ent­lei­her und dem Leih­ar­beit­neh­mer ent­steht. Falls bei ei­ner nicht mehr vorüber­ge­hen­den Ar­beit­neh­merüber­las­sung eben­falls ein Ar­beits­verhält­nis zwi­schen Ent­lei­her und Leih­ar­beit­neh­mer ent­ste­hen soll­te, kann hin­sicht­lich der Zu­stim­mungs­ver­wei­ge­rung des Be­triebs­rats nichts an­de­res gel­ten. Un­er­heb­lich ist auch, wel­che sons­ti­gen Rech­te des Leih­ar­beit­neh­mers ge­gen den Ent­lei­her im Fal­le der nicht mehr vorüber­ge­hen­den Über­las­sung ent­ste­hen könn­ten.

(d) Die von der Ar­beit­ge­be­rin be­ab­sich­tig­te Ein­stel­lung von Frau S ist nicht nur vorüber­ge­hend iSv. § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG und verstößt des­halb ge­gen das in die­ser Vor­schrift ent­hal­te­ne Ver­bot.


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(aa) Da der Ge­setz­ge­ber auf die Fest­le­gung be­stimm­ter Höchstüber­las­sungs­fris­ten ver­zich­tet hat (vgl. BT-Drucks. 17/4804 S. 8), be­darf der Be­griff „vorüber­ge­hend“ in § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG der im We­ge der Aus­le­gung vor­zu­neh­men­den Kon­kre­ti­sie­rung. Wie die­se zu er­fol­gen hat, ist im Schrift­tum um­strit­ten. So wird die An­sicht ver­tre­ten, „vorüber­ge­hend“ sei das Ge­genstück zu dau­er­haft und wei­ter­ge­hen­de - sach­li­che - Ein­schränkun­gen sei­en nicht ge­recht­fer­tigt (Thüsing/Stie­bert DB 2012, 632 ff.). Dem­ge­genüber wird vor­ge­schla­gen, auf den kon­kre­ten Ein­satz ei­nes Leih­ar­beit­neh­mers ab­zu­stel­len und zu prüfen, ob die Ent­schei­dung für den Ein­satz als Leih­ar­beit­neh­mer statt ei­ner un­mit­tel­ba­ren Ein­stel­lung of­fen­sicht­lich un­sach­lich, un­vernünf­tig oder willkürlich er­folgt, es dafür al­so kei­nen an­er­ken­nens­wer­ten Grund gibt (Ha­mann RdA 2011, 321, 326). Da­bei wird teil­wei­se in An­leh­nung an das Be­fris­tungs­recht dar­auf ab­ge­stellt, ob der Ar­beit­neh­mer beim Ent­lei­her Dau­er­auf­ga­ben wahr­nimmt; nicht aus­rei­chen soll es da­nach, dass le­dig­lich die vor­ge­se­he­ne Ent­leih­dau­er kürzer ist als der Ar­beits­ver­trag zum Ver­lei­her (Düwell ZESAR 2011, 449, 453 f.). Fer­ner wird die Auf­fas­sung ver­tre­ten, es kom­me so­wohl ar­beit­neh­mer­be­zo­gen auf die Dau­er des Ein­sat­zes des Leih­ar­beit­neh­mers beim Ent­lei­her als auch ar­beits­platz­be­zo­gen auf den beim Ent­lei­her zu be­set­zen­den Ar­beits­platz an. Ar­beit­neh­merüber­las­sung sei nur dann vorüber­ge­hend, wenn es ar­beits­platz­be­zo­gen ei­nen erhöhten Per­so­nal­be­darf und ar­beit­neh­mer­be­zo­gen ei­ne zeit­li­che Be­fris­tung gibt. Zu­dem sei­en Ket­ten­be­fris­tun­gen - mehr­fa­cher Ein­satz ver­schie­de­ner Leih­ar­beit­neh­mer - un­zulässig (Ul­ber/Ul­ber 4. Aufl. § 1 AÜG Rn. 230u ff.). Teil­wei­se wird auch auf die Leih­ar­beits­richt­li­nie ab­ge­stellt. In die­sem Zu­sam­men­hang wird ver­tre­ten, aus der Aus­le­gung der Leih­ar­beits­richt­li­nie er­ge­be sich, dass der Ent­lei­her ein be­rech­tig­tes Fle­xi­bi­li­sie­rungs­in­ter­es­se ha­ben müsse (Brors AuR 2013, 108, 112).

(bb) Hier kann da­hin­ge­stellt blei­ben, wel­chem die­ser Ansätze zu fol­gen oder wie der Be­griff „vorüber­ge­hend“ sonst zu kon­kre­ti­sie­ren ist. Je­den­falls bei der vor­lie­gen­den Fall­ge­stal­tung liegt kei­ne „vorüber­ge­hen­de“ Ar­beit­neh­merüber­las­sung mehr vor. Der Be­griff „vorüber­ge­hend“ in § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG wäre sinn­ent­leert, wenn ei­ne oh­ne jeg­li­che zeit­li­che Be­gren­zung vor­ge­nom­me­ne Ar­beit­neh­merüber­las­sung, bei der der Leih­ar­beit­neh­mer an­stel­le ei­nes Stamm-


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ar­beit­neh­mers ein­ge­setzt wer­den soll, noch als vorüber­ge­hend an­zu­se­hen wäre. Um ei­nen der­ar­ti­gen Fall han­delt es sich hier.

3. Ei­ne Pflicht zur Vor­la­ge an den Ge­richts­hof der Eu­ropäischen Uni­on nach Art. 267 AEUV be­steht nicht. So­weit der Se­nat vor­ste­hend Ausführun­gen zum Uni­ons­recht ge­macht hat, ist des­sen Aus­le­gung auf­grund von Wort­laut und Sys­te­ma­tik der maßgeb­li­chen Re­ge­lun­gen des Uni­ons­rechts hin­rei­chend klar (vgl. EuGH 6. Ok­to­ber 1982 - Rs. 283/81 - [C.I.L.F.I.T.] Slg. 1982, 3415).

II. Nach­dem über den Zu­stim­mungs­er­set­zungs­an­trag rechts­kräftig ent­schie­den ist, fällt der Fest­stel­lungs­an­trag nicht mehr zur Ent­schei­dung an.

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