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Whistleblowing, Anzeige gegen den Arbeitgeber
Auf dieser Seite finden Sie Informationen zu der Frage, was man unter Whistleblowing versteht und unter welchen Voraussetzungen Arbeitnehmer Anzeige gegen ihren Arbeitgeber oder gegen Kollegen erstatten dürfen, wenn sie den Verdacht haben, dass ihr Arbeitgeber und/oder ihre Kollegen Straftaten oder andere Rechtsverstöße begehen.
Außerdem finden Sie Hinweise dazu, unter welchen Voraussetzungen Arbeitnehmern bei Straftaten im Betrieb der Versuch einer innerbetrieblichen Klärung zuzumuten ist, ob der Betriebsrat bei Regelungen zum Thema Whistleblowing ein Mitbestimmungsrecht hat und welche rechtlichen Auswirkungen das Heinisch-Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte hat.
von Rechtsanwalt Dr. Martin Hensche, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Berlin
- Was versteht man unter Whistleblowing?
- Dürfen Arbeitnehmer Gesetzesverstöße im Betrieb den Aufsichtsbehörden oder der Polizei melden?
- Dürfen Arbeitnehmer Rechtsverstöße anzeigen, die keine Straftaten sind?
- Wann dürfen Arbeitnehmer bei Straftaten die Polizei oder Staatsanwaltschaft einschalten?
- Wann ist der Versuch einer innerbetrieblichen Klärung nicht nötig?
- Hängt die Berechtigung zur Strafanzeige vom Ergebnis des Strafverfahrens ab?
- Wann müssen Arbeitnehmer wegen einer Strafanzeige auf jeden Fall mit einer Kündigung rechnen?
- Welche Folgen haben leichtfertige Strafanzeigen gegen Kollegen oder Vorgesetzte?
- Hat der Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht bei Regelungen zum Thema Whistleblowing?
- Hat sich die Rechtslage für Hinweisgeber durch das Heinisch-Urteil des EGMR verbessert?
- Welche gesetzlichen Regelungen könnten Hinweisgebern helfen?
- Wo finden Sie mehr zum Thema Whistleblowing, Anzeige gegen den Arbeitgeber?
- Was können wir für Sie tun?
Was versteht man unter Whistleblowing?
Das englische Wort „Whistleblowing“ heißt so viel wie verpfeifen oder Alarm schlagen.
Gemeint sind Enthüllungen von Gesetzesverstößen, von Korruption oder von unethischem Verhalten in Unternehmen und Behörden. Dabei wendet sich ein Insider, d.h. ein Arbeitnehmer oder Beamter, mit solchen brisanten Informationen an die Polizei, an eine Aufsichtsbehörde oder an die Öffentlichkeit.
Ein Arbeitnehmer oder Beamter, der solche Informationen weitergibt, wird als Whistleblower oder Hinweisgeber bezeichnet.
Dürfen Arbeitnehmer Gesetzesverstöße im Betrieb den Aufsichtsbehörden oder der Polizei melden?
Diese Frage kann man nicht allgemein mit ja oder mit nein beantworten.
Denn hier kommt es darauf an, ob die innerbetrieblichen Missstände Straftaten sind oder „nur“ Verstöße gegen firmeninterne Ethikrichtlinien oder gegen Rechtsvorschriften außerhalb des Strafrechts.
Dürfen Arbeitnehmer Rechtsverstöße anzeigen, die keine Straftaten sind?
Wenn die vom Hinweisgeber beanstandeten Vorfälle offensichtlich („auf den ersten Blick“) keine Straftaten sind, sondern „nur“ Verstöße gegen firmeninterne Ethikrichtlinien oder gegen Rechtsvorschriften außerhalb des Strafrechts, muss der Hinweisgeber im Allgemeinen erst einmal seine(n) Vorgesetzte(n) oder die Geschäftsleitung informieren.
Wer in solchen Fällen sofort an die Öffentlichkeit geht oder eine Aufsichtsbehörde oder gar die Polizei oder Staatsanwaltschaft einschaltet, verstößt gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten. Zu diesen Pflichten gehört es nämlich, als Arbeitnehmer Rücksicht auf die geschäftlichen Interessen und den Ruf seines Arbeitgebers zu nehmen.
Anstatt externe Stellen zu informieren und damit den Ruf des Arbeitgebers zu schädigen, haben Arbeitnehmer in solchen Fällen die Pflicht, zunächst ihren Vorgesetzten oder die Geschäftsleitung aufzuklären. Denn viele Missstände lassen sich auf diesem Weg beseitigen, und dann ist wieder alles im Lot.
Wann dürfen Arbeitnehmer bei Straftaten die Polizei oder Staatsanwaltschaft einschalten?
Wenn Arbeitnehmer Anhaltspunkte dafür haben, dass Arbeitskollegen, Vorgesetzte oder die Geschäftsleitung Straftaten verüben, sind sie im Prinzip dazu berechtigt, eine Strafanzeige zu erstatten, d.h. die Polizei oder die Staatsanwaltschaft zu informieren.
„Im Prinzip“ heißt, dass Arbeitnehmer in solchen Fällen zwar wie jeder Bürger das Recht zur Strafanzeige haben, dass sie aber als Arbeitnehmer zugleich verpflichtet sind, Rücksicht auf die geschäftlichen Interessen und den Ruf des Arbeitgebers zu nehmen. Daher verlangen die Arbeitsgerichte auch bei Anhaltspunkten für Straftaten im Betrieb, dass der Hinweisgeber eine Strafanzeige nicht leichtfertig erstattet.
Praktisch gesehen läuft diese Rechtsprechung darauf hinaus, dass Arbeitnehmer auch beim Verdacht von Straftaten im Betrieb nicht immer sofort Strafanzeige erstatten dürfen, sondern auch hier in den meisten Fällen erst einmal versuchen müssen, ihren Verdacht im Betrieb zu klären.
BEISPIEL: Ein alkoholisierter Jugendlicher benutzte während der Fahrt die Sicherheitseinrichtung (den „Nothahn“) eines Busses, um die Tür zu öffnen und den Bus zu verlassen. Dabei kam er ums Leben. Ein Busfahrer des Unternehmens, der den Unglücksbus nicht gefahren hatte, teilte daraufhin der Staatsanwaltschaft mit, der Junge könnte noch leben. Denn angeblich hatte ihm ein anderer Angestellter des Busunternehmens mitgeteilt, dass bei den Bussen eine Schaltung entfernt worden sei, die für ein automatisches Bremsen gesorgt hätte. Wie sich später herausstellte, hatte es eine solche Schaltung aber nie gegeben. Das zeigten ein später erstelltes Sachverständigengutachten und die Bedienungsanleitung des Busses. Der Kollege, auf den sich der Whistleblower berufen hatte, bestritt später seine angeblichen Informationen. Der Busfahrer, der der Staatsanwaltschaft den Hinweis auf das angebliche Entfernen der Schaltung gegeben hatte, wurde gekündigt.
Hier bestand zwar für den Whistleblower der Anfangsverdacht von Straftaten, aber schon ein Blick in die Bedienungsanleitung des Busses hätte diesen Verdacht wieder beseitigt. Daher hatte die Kündigungsschutzklage des Whistleblowers vor dem Landesarbeitsgericht (LAG) Köln keinen Erfolg, d.h. der Whistleblower verlor seinen Arbeitsplatz (LAG Köln, Urteil vom 02.02.2012, 6 Sa 304/11, wir berichteten darüber in Arbeitsrecht aktuell 12/187: Fristlose Kündigung wegen Strafanzeige).
Wann ist der Versuch einer innerbetrieblichen Klärung nicht nötig?
Anders ist es aber, wenn ein Versuch der innerbetrieblichen Klärung von vornherein („auf den ersten Blick“) keinen Erfolg verspricht oder dem Arbeitnehmer nicht zugemutet werden kann. Dann kann sich der Arbeitnehmer sofort, d.h. ohne vorherigen Versuch der innerbetrieblichen Klärung, an die Polizei, an die Staatsanwaltschaft oder an eine zuständige Aufsichtsbehörde wenden.
Das ist vor allem der Fall
- bei erheblichen Straftaten,
- bei Straftaten, die seit längerem und wiederholt („systematisch“) begangen wurden,
- bei Straftaten, die von der Geschäftsleitung verübt werden,
- bei Straftaten, an denen sich der Arbeitnehmer beteiligen würde und sich daher selbst strafbar machen würde, falls er nicht die Polizei oder Staatsanwaltschaft informieren würde.
BEISPIEL: Ein Arbeitnehmer fährt mit seinem Chef, dem Geschäftsinhaber, zu einem Kunden. Der Chef ist alkoholisiert und fährt auf der Fahrt einen Radfahrer an, den er beim Abbiegen nicht gesehen hat. Der Radfahrer bleibt verletzt am Boden liegen, der Chef begeht Fahrerflucht.
In einem solchen Fall darf sich der Arbeitnehmer ohne weiteres an die Polizei wenden und Strafanzeige erstatten. Eine Pflicht zur vorherigen „innerbetrieblichen Klärung“ besteht hier nicht.
Hängt die Berechtigung zur Strafanzeige vom Ergebnis des Strafverfahrens ab?
Nein. Bei der Frage, ob ein Arbeitnehmer leichtfertig eine Strafanzeige erstattet hat oder nicht, kommt es nicht auf das Ergebnis des Strafverfahrens an.
Denn das Ergebnis eines Ermittlungsverfahrens und der Ausgang eines gerichtlichen Strafverfahrens hängen nicht nur davon ab, ob die vom Arbeitnehmer in seiner Strafanzeige erhobenen Vorwürfe zutreffen oder nicht. Oft verzichtet die Staatsanwaltschaft auf eine Anklage, weil das Verfahren gegen Zahlung einer Geldbuße eingestellt werden kann, oder es kommt trotz Anklageerhebung nicht zu einer Verurteilung, weil das Gericht das Verfahren gegen Auflagen einstellt.
Außerdem ist es ja gerade der Sinn eines Ermittlungs- und eines Strafverfahrens, die bei Anzeigeerstattung zunächst einmal offene Frage der Tatbegehung zu klären.
Dies hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) in einer Entscheidung aus dem Jahre 2006 ausdrücklich klargestellt (BAG, Urteil vom 07.12.2006, 2 AZR 400/05). In diesem Fall hatte ein angestellter Kraftfahrer eines gemeinnützigen Vereins Strafanzeige gegen die Vereinsvorsitzende und gegen deren Ehemann erstattet, weil diese in vielen Fällen unberechtigte Entnahmen aus dem Vereinsvermögen zur Begleichung von Privatrechnungen getätigt hatten. Wie sich dann in dem Strafverfahren herausstellte, ging es um einen Gesamtbetrag von über 55.000,00 DM. Anlass für die Strafanzeige des Kraftfahrers waren Lohnrückstände, die durch die unberechtigten Privatentnahmen verursacht worden waren.
Wann müssen Arbeitnehmer wegen einer Strafanzeige auf jeden Fall mit einer Kündigung rechnen?
Arbeitnehmer müssen auf jeden Fall mit einer (wirksamen) verhaltensbedingten Kündigung rechnen, wenn sie eine wissentlich falsche Strafanzeige erstatten und/oder eine unbegründete Strafanzeige, deren Zweck allein in der Schädigung desjenigen besteht, gegen den sie erhoben wurde.
BEISPIEL: Ein über 16 Jahre lang beschäftigter Maschinenhelfer hatte nach langen Streitereien mit Kollegen und Vorgesetzten zwei Abmahnungen erhalten, ließ sich davon aber nicht beeindrucken und forderte auch danach noch die Entlassung eines seiner Vorgesetzten. Außerdem hatte er gegen einen weiteren Vorgesetzten eine ergebnislose Strafanzeige erstattet vor dem Arbeitsgericht die Versetzung zweier weiterer Vorgesetzter eingeklagt. Auch nachdem das Arbeitsgericht in der Güteverhandlung die Klage eindeutig als aussichtslos einschätzte, betrieb er das Verfahren weiter. Daraufhin kündigte ihm sein Arbeitgeber außerordentlich und vorsorglich ordentlich aus verhaltensbedingten Gründen.
Das LAG Nürnberg bewertete die ordentliche Kündigung als wirksam. Denn mit seinen offensichtlich unbegründeten Klagen und der Strafanzeige hatte der Arbeitnehmer gezeigt, dass er Streit suchte und die Auseinandersetzungen immer weiter verschärfen wollte (LAG Nürnberg, Urteil vom 16.09.2011, 4 Sa 297/10 - wir berichteten darüber in Arbeitsrecht aktuell 12/155: Kündigung wegen Meckerns).
Welche Folgen haben leichtfertige Strafanzeigen gegen Kollegen oder Vorgesetzte?
Eine Kündigung droht nicht nur bei einer leichtfertigen Strafanzeige gegen den Arbeitgeber. Auch eine Anzeige, die ohne Grund bzw. leichtfertig gegen Vorgesetzte oder Arbeitskollegen erhoben wird, kann eine verhaltensbedingte Kündigung zur Folge haben.
BEISPIEL: Ein Arbeitnehmer beschuldigt Vorgesetzte und Arbeitskollegen bei der Polizei, ihn über einen längeren Zeitraum immer wieder massiv beleidigt zu haben. Außerdem behauptete er, sein Schichtleiter habe ihn in einen Schockfroster einsperren und die Kühlung einschalten wollen. Er habe sich nur in letzter Sekunde vor dem drohenden Kältetod retten können. Vor Gericht stellt sich heraus, dass die angeschwärzten Kollegen den Arbeitnehmer nie beleidigt hatten, und dieser konnte sich seinerseits an keine konkreten Vorfälle mehr erinnern. Außerdem entpuppte sich der angebliche „Schockfroster“ als eine harmlose Kühlhaube, in der Plusgrade herrschten.
Der Arbeitgeber reagierte in diesem Fall mit einer verhaltensbedingten Kündigung, die er wegen der tariflichen Unkündbarkeit des Arbeitnehmers als außerordentliche Kündigung aussprach. Dabei gewährte er allerdings, um den Arbeitnehmer nicht übermäßig zu belasten, eine Auslauffrist, die der Kündigungsfrist entsprach, die er bei ordentlicher Kündbarkeit des Arbeitnehmers hätte einhalten müssen. Das Hessisches LAG bewertete diese Kündigung als wirksam (Hessisches LAG, Urteil vom 26.10.2011, 8 Sa 1554/10 - wir berichteten darüber in Arbeitsrecht aktuell 12/141: Kündigung wegen unberechtigter Strafanzeige).
Hat der Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht bei Regelungen zum Thema Whistleblowing?
In vielen Großunternehmen sind im Laufe der letzten Jahre Ethikrichtlinien eingeführt worden, die Arbeitnehmer unter anderem dazu verpflichten, den Arbeitgeber über unerwünschtes Verhalten von Mitarbeitern zu informieren. Solche "Whistleblower"-Regelungen in Ethikrichtlinien betreffen das sog. Ordnungsverhalten der Arbeitnehmer und sind daher gemäß § 87 Abs.1 Nr.1 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) mitbestimmungspflichtig.
Das hat das BAG 2008 entschieden (BAG, Beschluss vom 22.07.2008, 1 ABR 40/07 - wir berichteten darüber in Arbeitsrecht aktuell 08/092: Regelungen zum Schutz von Hinweisgebern ("Whistleblower") unterliegen der Mitbestimmung). Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei der Einführung von Whistleblowing-Regelungen bedeutet, dass der Arbeitgeber solche Regelungen nur zusammen mit dem Betriebsrat einführen, ändern oder aufheben kann.
Allerdings führt dieses Mitbestimmungsrecht beim Thema Whistleblowing nicht dazu, dass alle betrieblichen Ethik-Richtlinien in vollem Umfang mitbestimmungspflichtig wären. Denn Ethik-Richtlinien können auch Vorschriften enthalten, die das Ordnungsverhalten der Arbeitnehmer nicht betreffen und/oder nur wiederholen, was sich ohnehin bereits aus gesetzlichen Regelungen ergibt.
Hat sich die Rechtslage für Hinweisgeber durch das Heinisch-Urteil des EGMR verbessert?
Wie die obigen Beispielsfälle zeigen, ist die Rechtsprechung der deutschen Arbeitsgerichte beim Thema Whistleblowing ziemlich arbeitgeberfreundlich.
Denn Arbeitnehmer, die sich für eine Anzeige entscheiden, riskieren die außerordentliche Kündigung und müssen dann im Kündigungsschutzprozess nachweisen, dass sie den Arbeitgeber vorher vergeblich auf Missstände hingewiesen hatten und dass ihre Anzeige auf konkreten Tatsachen beruhte und nicht auf „leichtfertigen“ Missverständnissen.
Daher sorgte ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) aus dem Jahr 2011 für Aufsehen (EGMR, Urteil vom 21.07.2011, 28274/08 - Heinisch). In diesem Fall ging es um eine Berliner Altenpflegerin, Frau Brigitte Heinisch, die 2003 und 2004 ebenso wie der Medizinische Dienst der Krankenkassen ihren Arbeitgeber, ein Seniorenpflegeheim, ohne Erfolg zur Beseitigung von Pflegemängeln aufgefordert hatte. Schließlich erstattete sie Strafanzeige gegen ihren Arbeitgeber und wurde daraufhin fristlos gekündigt.
Nachdem sie sich vergeblich durch alle Instanzen gegen die Kündigung gewehrt hatte (BAG, Beschluss vom 06.06.2007, 4 AZN 487/06) und zuletzt sogar ohne Erfolg Verfassungsbeschwerde eingelegt hatte, sprach ihr der EGMR wegen Verletzung des Rechts auf freie Meinungsäußerung eine Entschädigung von 15.000 EUR zu (EGMR, Urteil vom 21.07.2011, 28274/08 - wir berichteten in Arbeitsrecht aktuell 11/175: Verpfeifen / Whistleblowing ohne Risiko einer Kündigung?).
Viele Juristen und Journalisten bewerten das Heinisch-Urteil des EGMR als eine Aufforderung an den deutschen Gesetzgeber und an die deutschen Arbeitsgerichte, die rechtliche Lage von Whistleblowern in Deutschland zu verbessern. Tatsächlich enthält das Heinisch-Urteil aber keine allgemeinen Aussagen, die dem deutschen Gesetzesrecht oder der deutschen Rechtsprechung widersprechen. Vielmehr hat der EGMR nur einen besonders bekannten Einzelfall anders als die deutschen Gerichte beurteilt. Denn der EGMR meinte, Frau Heinisch hätte sich ausreichend um innerbetriebliche Abhilfe bemüht und in der Anzeige nicht leichtfertig falsche Angaben gemacht hatte (obwohl sie ihre Anschuldigungen vor Gericht nicht beweisen konnte).
Immerhin hat das Heinisch-Urteil des EGMR dazu geführt, dass die rechtlichen Gefahren für Hinweisgeber in der Öffentlichkeit zunehmend kritisch gesehen werden und es mittlerweile Vorschläge für eine gesetzliche Verbesserung der Rechtssituation von Whistleblowern gibt.
Welche gesetzlichen Regelungen könnten Hinweisgebern helfen?
Da das „Verpfeifen“ des Arbeitgebers für Arbeitnehmer nach wie vor sehr riskant ist, gibt es mittlerweile einen Gesetzesentwurf der SPD zum Schutz von Hinweisgebern (Hinweisgeberschutzgesetz - HinwGebSchG), vom 07.02.2012 (wir berichteten darüber in Arbeitsrecht aktuell 12/188: Gesetzesentwurf für Whistleblower-Schutzgesetz).
Der Gesetzentwurf sieht vor, dass sich Arbeitnehmer bei betrieblichen Missständen künftig „sofort an eine externe Stelle“ wenden dürfen, d.h. ohne vorherige Information des Arbeitgebers und ohne vorheriges innerbetriebliches Verlangen nach einer „Abhilfe“. Allerdings behält auch der Entwurf die Einschränkung bei, dass der Arbeitnehmer bei einer „sofortigen“ Anzeige nicht „leichtfertig“ handeln darf, so dass nicht klar ist, ob ein solches Gesetz wirklich eine Verbesserung der Rechtslage bewirken würde.
Darüber hinaus enthält der Gesetzentwurf ein Kündigungsverbot, wonach „Kündigungen auf Grund rechtmäßiger Hinweise ... ausgeschlossen“ sind. Aber auch hier besteht die Einschränkung, dass der vom Arbeitnehmer an externe Stellen gegebene Hinweis „rechtmäßig“ gewesen sein muss. Und das ist er nur, wenn der nach außen getragene Missstand entweder objektiv vorliegt oder wenn der Arbeitnehmer ihn annehmen durfte, ohne leichtfertig zu sein (§ 6 Abs.3 des Entwurfes).
Ob der SPD-Gesetzentwurf eines Hinweisgeberschutzgesetzes daher letztlich die rechtliche Situation von Hinweisgebern verbessern würde, ist zweifelhaft.
Besser wäre es, wenn ein Gesetz klare Verfahrensregeln aufstellen würde, die ein Hinweisgeber bei einem ersten Schritt der innerbetrieblichen Klärung beachten muss, um später auf der sicheren Seite zu stehen.
So könnte man z.B. daran denken, Arbeitgebern die Pflicht aufzuerlegen, eine „neutrale“ innerbetriebliche Anlaufstelle für die Meldung von Rechtsverstößen einzurichten. Wenn ein Betriebsrat besteht, müsste er hier vertreten sein. Die mangelnde Umsetzung dieser Pflicht, eine Anlaufstelle einzurichten, könnte dann Rechtsnachteile für den Arbeitgeber zur Folge haben, so z.B. das Recht des Arbeitnehmer, ohne einen vorherigen Versuch der innerbetrieblichen Abhilfe externe Stellen zu informieren.
Ein Gesetz zum Thema Whistleblowing könnte aber auch Fristen enthalten und z.B. konkret festlegen, dass der Arbeitnehmer eine Woche nach der Information der innerbetrieblichen Anlaufstelle bei Untätigkeit externe Stellen einschalten darf, falls ein früheres Handeln nicht aufgrund einer im Einzelfall bestehenden Gefahr für Leib und Leben geboten ist.
Wo finden Sie mehr zum Thema Whistleblowing, Anzeige gegen den Arbeitgeber?
Weitere Informationen, die Sie im Zusammenhang mit dem Thema Whistleblowing, Anzeige gegen den Arbeitgeber interessieren könnten, finden Sie hier:
- Handbuch Arbeitsrecht: Datenschutz im Arbeitsrecht
- Handbuch Arbeitsrecht: Kündigung - Außerordentliche Kündigung
- Handbuch Arbeitsrecht: Kündigung - Fristlose Kündigung
- Handbuch Arbeitsrecht: Kündigung - Verhaltensbedingte Kündigung
- Übersicht Handbuch Arbeitsrecht
- Musterschreiben: Auskunftsverlangen des Arbeitnehmers gemäß Art.15 DS-GVO
- Musterschreiben: Informationen zur Arbeitnehmer-Datenverarbeitung gemäß DS-GVO
Kommentare unseres Anwaltsteams zu aktuellen Fragen rund um das Thema Whistleblowing, Anzeige gegen den Arbeitgeber finden Sie hier:
- Arbeitsrecht aktuell: 19/178 Schutz von Hinweisgebern im Antidiskriminierungsrecht
- Arbeitsrecht aktuell: 19/159 Kündigung wegen übler Nachrede per WhatsApp
- Arbeitsrecht aktuell: 19/082 EU-Richtlinie zum Schutz von Whistleblowern
- Arbeitsrecht aktuell: 13/005 Kündigung wegen Anzeige gegen den Arbeitgeber
- Arbeitsrecht aktuell: 12/188 Gesetzesentwurf für Whistleblower-Schutzgesetz
- Arbeitsrecht aktuell: 12/187 Fristlose Kündigung wegen Strafanzeige
- Arbeitsrecht aktuell: 12/155 Kündigung wegen Meckerns
- Arbeitsrecht aktuell: 12/141 Kündigung wegen unberechtigter Strafanzeige
- Arbeitsrecht aktuell: 11/175 Verpfeifen / Whistleblowing ohne Risiko einer Kündigung?
- Arbeitsrecht aktuell: 11/019 Behauptung "menschenverachtenden Umgangs" wird durch Meinungsfreiheit geschützt
- Arbeitsrecht aktuell: 10/137 Keine Kündigung wegen „Verpfeifens“ des Arbeitgebers
- Arbeitsrecht aktuell: 08/092 Regelungen zum Schutz von Hinweisgebern ("Whistleblower") unterliegen der Mitbestimmung.
Letzte Überarbeitung: 3. August 2019
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