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BAG, Ur­teil vom 07.12.2006, 2 AZR 400/05

   
Schlagworte: Whistleblowing, Strafanzeige
   
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 2 AZR 400/05
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 07.12.2006
   
Leitsätze:
Vorinstanzen: Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Urteil vom 13.06.2005, 5 Sa 137/02
   


BUN­DES­AR­BEITS­GERICHT


2 AZR 400/05
5 Sa 137/02
Lan­des­ar­beits­ge­richt
Nie­der­sach­sen

 

Im Na­men des Vol­kes!

Verkündet am
7. De­zem­ber 2006

UR­TEIL

Jatz, Ur­kunds­be­am­tin

der Geschäfts­stel­le

In Sa­chen

Be­klag­ter, Be­ru­fungs­be­klag­ter und Re­vi­si­onskläger,

pp.

Kläger, Be­ru­fungskläger und Re­vi­si­ons­be­klag­ter,


hat der Zwei­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts auf Grund der münd­li­chen Ver­hand­lung vom 7. De­zem­ber 2006 durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Prof. Dr. Rost, die Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Dr. Bröhl und Schmitz-Scho­le­mann so­wie die eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Hei­se und Dr. Grim­berg für Recht er­kannt:



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Die Re­vi­si­on des Be­klag­ten ge­gen das Ur­teil des Lan­des­ar­beits­ge­richts Nie­der­sach­sen vom 13. Ju­ni 2005 - 5 Sa 137/02 - wird auf Kos­ten des Be­klag­ten zurück­ge­wie­sen.


Von Rechts we­gen!

Tat­be­stand

Die Par­tei­en strei­ten über die Wirk­sam­keit zwei­er außer­or­dent­li­cher, hilfs­wei­se or­dent­li­cher Kündi­gun­gen, die der Be­klag­te aus Gründen im Ver­hal­ten des Klägers aus­ge­spro­chen hat.


Der Kläger trat 1999 als Kran­ken­wa­gen­fah­rer in die Diens­te des Be­klag­ten. 

Der Be­klag­te ist ein Ver­ein, der nach § 2 sei­ner Sat­zung aus­sch­ließlich und un­mit­tel­bar ge­meinnützi­ge bzw. mildtäti­ge Wohl­fahrts­zwe­cke im Sin­ne des Ab­schnitts „steu­er­begüns­tig­te Zwe­cke“ der Ab­ga­ben­ord­nung ver­folgt. Der Ver­ein wid­met sich der häus­li­chen und pri­va­ten Pfle­ge von al­ten, ge­brech­li­chen und be­hin­der­ten Men­schen so­wie dem Trans­port lie­gen­der Pa­ti­en­ten. Der Ehe­mann der Vor­sit­zen­den war bei dem Be­klag­ten an­ge­stellt und nahm Geschäftsführungs­auf­ga­ben wahr. Zeit­wei­se war er zwei­ter Vor­sit­zen­der.


Ab Ju­ni 2001 zahl­te der Be­klag­te die Löhne und Gehälter nicht pünkt­lich. Der Kläger er­fuhr von der da­ma­li­gen Schatz­meis­te­rin des Ver­eins, es sei­en Un­re­gelmäßig­kei­ten des Vor­stands bei der Ver­wal­tung der Geschäfts­gel­der vor­ge­kom­men. Am 11. Sep­tem­ber 2001 er­stat­te­te der Kläger bei der Staats­an­walt­schaft Lüne­burg ge­gen die Vor­sit­zen­de des Ver­eins und de­ren Ehe­mann Straf­an­zei­ge we­gen Ver­un­treu­ung.


Nach­dem die Staats­an­walt­schaft Lüne­burg die auf Grund der An­zei­ge ein­ge­lei­te­ten Er­mitt­lungs­ver­fah­ren ge­gen die Vor­sit­zen­de des Be­klag­ten und ih­ren Ehe­mann zunächst ein­ge­stellt hat­te, nahm sie auf Bit­ten der Ge­ne­ral­staats­an­walt­schaft Cel­le im Mai 2003 die Er­mitt­lun­gen wie­der auf und er­hob An­kla­ge. Durch Ur­teil des Amts­ge­richts Lüne­burg vom 20. Ja­nu­ar 2005 wur­de die - im Straf­ver­fah­ren nun­mehr geständi­ge - Vor­sit­zen­de des Be­klag­ten we­gen Un­treue in 30 Fällen (un­be­rech­tig­te Ent­nah­men aus dem Ver­eins­vermögen zur Be­glei­chung von Pri­vat­rech­nun­gen - dar­un­ter ei­ne Ur­laubs­rei­se nach Bo­ra-Bo­ra - im Ge­samt­be­trag von über 55.000,00 DM) zu ei­ner Ge-
 


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samt­frei­heits­stra­fe von 6 Mo­na­ten (auf Bewährung) rechts­kräftig ver­ur­teilt. Das Ver­fah­ren ge­gen ih­ren Ehe­mann wur­de nach § 154 St­PO ein­ge­stellt.


We­gen der Straf­an­zei­ge kündig­te der Be­klag­te das Ar­beits­verhält­nis mit Schrei­ben vom 29. No­vem­ber 2001 frist­los, hilfs­wei­se frist­ge­recht. An die­sem Tag hat­te der Kläger bei zwei Pa­ti­en­ten den sog. Ei­gen­an­teil von je 25,00 DM kas­siert und die ent­spre­chen­de Quit­tung bei dem Be­klag­ten ab­ge­ge­ben, wo­bei un­klar ist, ob und wann die ent­spre­chen­den Beträge an den Be­klag­ten ge­zahlt oder ver­rech­net wur­den.


Ei­ne wei­te­re frist­lo­se und hilfs­wei­se frist­ge­rech­te Kündi­gung vom 3. Ja­nu­ar 2002 be­gründe­te der Be­klag­te da­mit, dass der Kläger am 19. No­vem­ber 2001 am Ki­osk ei­nes Kran­ken­hau­ses in Cop­pen­brügge ei­ne Bock­wurst ge­ges­sen und sich die Kos­ten in Höhe von 7,50 DM von der da­ma­li­gen Schatz­meis­te­rin des Ver­eins ge­gen Be­leg hat­te er­stat­ten las­sen.

Der Kläger hält bei­de Kündi­gun­gen für un­wirk­sam. Auf Grund des Zah­lungs­ver­zugs für die Löhne und Gehälter im Ju­ni 2001 ha­be es sich bei der Straf­an­zei­ge um das letz­te Mit­tel ge­han­delt, um wei­te­ren Scha­den von dem Be­klag­ten ab­zu­wen­den. Die Vorwürfe sei­en mehr­fach Ge­gen­stand von Gesprächen ge­we­sen, in de­nen ua. der Ehe­mann der Ver­eins­vor­sit­zen­den auf die Rechts­wid­rig­keit sei­nes Tuns hin­ge­wie­sen wor­den sei. Auch die Er­stat­tung von Ver­zehr­kos­ten (Bock­wurst) recht­fer­ti­ge die Kündi­gun­gen nicht. Bei länge­ren Fahr­ten hätten die Mit­ar­bei­ter übli­cher­wei­se et­was auf Kos­ten des Be­klag­ten ver­zeh­ren dürfen. Die von Pa­ti­en­ten ge­zahl­ten Ei­gen­an­tei­le ha­be er, so hat der Kläger zunächst vor­ge­tra­gen, des­halb zurück­be­hal­ten, weil ihm Kos­ten für Ver­zehr, ei­ne Te­le­fon­kar­te und ihm zu­ste­hen­des Trink­geld nicht er­stat­tet wor­den sei­en. Zu­letzt hat der Kläger be­haup­tet, er ha­be die Beträge an den Be­klag­ten ab­geführt.


Der Kläger hat, so­weit von In­ter­es­se, be­an­tragt, 


fest­zu­stel­len, dass das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en we­der durch die Kündi­gung des Be­klag­ten vom 29. No­vem­ber 2001 noch durch die Kündi­gung vom 3. Ja­nu­ar 2002 be­en­det wor­den ist.

Der Be­klag­te hat be­an­tragt, die Kla­ge ab­zu­wei­sen. 


Nach­dem der Be­klag­te bis zur Ver­ur­tei­lung sei­ner Vor­sit­zen­den durch das Amts­ge­richt be­haup­tet hat­te, die vom Kläger er­ho­be­nen Vorwürfe sei­en „völlig aus der Luft ge­grif­fen“, die Vor­sit­zen­de und ihr Ehe­mann hätten sich nicht be­rei­chert, son­dern dem Ver­ein Dar­le­hen gewährt und wie­der zurück­geführt, macht der Be­klag­te nun­mehr

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gel­tend, die Vor­sit­zen­de des Be­klag­ten fühle sich un­ge­ach­tet der rechts­kräfti­gen Ver­ur­tei­lung nach wie vor un­schul­dig. Ihr Geständ­nis sei auf ei­ne durch das Straf­ver­fah­ren be­wirk­te Zermürbung zurück­zuführen. Der Kläger sei je­den­falls nicht zur Er­stat­tung der Straf­an­zei­ge be­rech­tigt ge­we­sen. Er ha­be ver­su­chen müssen, die Vorwürfe be­triebs­in­tern zu klären, zu­mal nie­mand auf die Idee kom­men würde, ihn als „schlich­ten Kraft­fah­rer“ für an­geb­li­che Un­re­gelmäßig­kei­ten ver­ant­wort­lich zu ma­chen. Dem Kläger sei auch nicht ge­stat­tet ge­we­sen, sich Ver­zehr aus der Kas­se er­stat­ten zu las­sen. Außer­dem ha­be der Kläger am 29. No­vem­ber 2001 in zwei Fällen Ei­gen­an­tei­le in Höhe von je­weils 25,00 DM in bar kas­siert und un­ter­schla­gen.


Das Ar­beits­ge­richt hat die Kla­ge ab­ge­wie­sen. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat - nach­dem es den Rechts­streit für die Dau­er des Straf­ver­fah­rens aus­ge­setzt hat­te - nach dem Kla­ge­an­trag er­kannt. Mit der vom Lan­des­ar­beits­ge­richt zu­ge­las­se­nen Re­vi­si­on er­strebt der Be­klag­te die Wie­der­her­stel­lung des ar­beits­ge­richt­li­chen Ur­teils. Ei­ne wei­te­re vom Be­klag­ten am 16. März 2005 aus­ge­spro­che­ne außer­or­dent­li­che Kündi­gung ist Ge­gen­stand ei­nes noch beim Ar­beits­ge­richt Lüne­burg anhängi­gen Rechts­streits.

Ent­schei­dungs­gründe


Die Re­vi­si­on ist un­be­gründet. 


A. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat an­ge­nom­men, die Kündi­gun­gen sei­en we­der als or­dent­li­che Kündi­gun­gen nach § 1 Abs. 2 KSchG so­zi­al ge­recht­fer­tigt noch lie­ge ein wich­ti­ger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB vor. In der Straf­an­zei­ge vom 11. Sep­tem­ber 2001 lie­ge kei­ne rechts­wid­ri­ge und schuld­haf­te Pflicht­ver­let­zung. Dem Kläger sei es nicht dar­auf an­ge­kom­men, den Be­klag­ten, des­sen Vor­sit­zen­de oder de­ren Ehe­mann zu schädi­gen. Er ha­be viel­mehr die Aufklärung fi­nan­zi­el­ler Un­re­gelmäßig­kei­ten be­zweckt. Hier­an ha­be er ein be­rech­tig­tes In­ter­es­se, da er als Ar­beit­neh­mer auf re­gelmäßige Ent­gelt­zah­lun­gen an­ge­wie­sen sei. Der Kläger ha­be die Vorwürfe nicht leicht­fer­tig er­ho­ben. Ent­schei­dend sei die letzt­lich er­folg­te Ver­ur­tei­lung der Vor­sit­zen­den. Im Ge­gen­satz zur Auf­fas­sung des Be­klag­ten sei­en sei­ne staatsbürger­li­chen Rech­te nicht durch den Um­stand ein­ge­schränkt, dass er „schlich­ter Kran­ken­wa­gen­fah­rer“ sei. Ei­ne in­ner­be­trieb­li­che Klärung sei nicht er­folg­ver­spre­chend ge­we­sen, da hier­zu die Be­reit­schaft der Vor­sit­zen­den und ih­res Ehe­man­nes gehört hätte, die Vermögens­de­lik­te ge-
 


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genüber dem Kläger zu­zu­ge­ben. Das ha­be an­ge­sichts der Viel­zahl und Schwe­re der De­lik­te nicht er­war­tet wer­den können. Die Kündi­gun­gen sei­en auch nicht we­gen der wei­te­ren von dem Be­klag­ten an­geführ­ten Gründe ge­recht­fer­tigt. Der Kläger ha­be nicht ver­sucht, sich ei­nen rechts­wid­ri­gen Vermögens­vor­teil zu ver­schaf­fen. Es han­de­le sich viel­mehr um vom Kläger of­fen­ge­leg­te Vorgänge, die mit dem Aus­spruch der Kündi­gung zu­sam­men­ge­fal­len sei­en und des­halb nicht mehr hätten geklärt wer­den können.

B. Dem stimmt der Se­nat so­wohl im Er­geb­nis als auch in wei­ten Tei­len der Be­gründung zu. Die Kla­ge ist be­gründet. Die Kündi­gun­gen vom 29. No­vem­ber 2001 und vom 3. Ja­nu­ar 2002 ha­ben das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en nicht auf­gelöst. Ein wich­ti­ger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB liegt nicht vor. Die Kündi­gun­gen sind auch so­zi­al un­ge­recht­fer­tigt iSd. § 1 Abs. 2 KSchG.

I. Die Würdi­gung des Lan­des­ar­beits­ge­richts, der Kläger ha­be durch die Er­stat­tung der Straf­an­zei­ge ge­gen die Vor­sit­zen­de des Be­klag­ten und ih­ren Ehe­mann sei­ne ar­beits­ver­trag­li­chen Pflich­ten nicht ver­letzt und des­halb durch die­ses Ver­hal­ten we­der Grund zu ei­ner or­dent­li­chen noch gar zu ei­ner außer­or­dent­li­chen Kündi­gung ge­ge­ben, ist nicht zu be­an­stan­den.

1. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat sei­nen Ausführun­gen die vom Se­nat in der Ent­schei­dung vom 3. Ju­li 2003 (- 2 AZR 235/02 - BA­GE 107, 36) ent­wi­ckel­ten Maßstäbe zu­grun­de ge­legt, die im Schrift­tum über­wie­gend auf Zu­stim­mung ge­trof­fen sind (vgl. mit Ab­wei­chun­gen im Ein­zel­nen: Bo­den­stedt EWiR 2004, 613; St­ein BB 2004, 1961; Pe­ter Ar­buR 2004, 429; Ot­to AP KSchG 1969 § 1 Ver­hal­tens­be­ding­te Kündi­gung Nr. 45 An­mer­kung; Wen­de­ling-Schröder RdA 2004, 374; Her­bert NZA 2005, 193; Gänßle FA 2005, 66; Sau­er DÖD 2005, 121). Es hat die­se Grundsätze in re­vi­si­ons­recht­lich nicht zu be­an­stan­den­der Wei­se auf den Fall an­ge­wandt.

a) Ent­ge­gen der von der Re­vi­si­on ver­tre­te­nen Auf­fas­sung war der Kläger nicht ver­pflich­tet, vor Er­stat­tung der Straf­an­zei­ge ei­ne in­ner­be­trieb­li­che Klärung zu ver­su­chen. Ob, wie der Kläger be­haup­tet, im Ju­li 2001 meh­re­re Gespräche in die­ser Rich­tung geführt wur­den, kann des­halb da­hin­ste­hen. Die Würdi­gung des Lan­des­ar­beits­ge­richts, es ha­be sich bei den an­ge­zeig­ten Un­re­gelmäßig­kei­ten um schwer­wie­gen­de Vorfälle ge­han­delt, ist nicht zu be­an­stan­den. Die Vor­sit­zen­de des Be­klag­ten hat durch 30 Ein­zel­ta­ten über meh­re­re Jah­re hin­weg Beträge von ins­ge­samt über 50.000,00 DM ver­un­treut. Die Straf­tat der Un­treue ist nach § 266 Abs. 1 StGB mit ei­ner Frei­heits­stra­fe von bis zu fünf Jah­ren be­droht und da­mit kei­nes­wegs ein Ba­ga­tell­de­likt. Hin­zu kommt,
 


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dass die­se schwe­ren und zahl­rei­chen Straf­ta­ten von der ge­setz­li­chen Ver­tre­te­rin des Ar­beit­ge­bers selbst be­gan­gen wur­den. Wie der Se­nat in der Ent­schei­dung vom 3. Ju­li 2003 (- 2 AZR 235/02 - BA­GE 107, 36) aus­geführt hat, muss bei die­ser Kon­stel­la­ti­on die Pflicht des Ar­beit­neh­mers zur Rück­sicht­nah­me re­gelmäßig zurück­ste­hen. Wei­ter durf­te das Lan­des­ar­beits­ge­richt auch berück­sich­ti­gen, dass es be­reits zu Verzöge­run­gen bei der Aus­zah­lung von Ar­beits­vergütun­gen ge­kom­men war. Eben­falls zu Recht hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt die Auf­fas­sung des Be­klag­ten - und des Ar­beits­ge­richts - als un­zu­tref­fend ein­ge­stuft, den Kläger als „schlich­ten Kraft­fah­rer“ beträfen die Un­re­gelmäßig­kei­ten nicht und er ha­be sich des­halb mit Straf­an­zei­gen zurück­zu­hal­ten. Die­se Auf­fas­sung ver­kennt, dass je­der Ar­beit­neh­mer - auch der von ei­nem ge­ho­be­nen Selbst­wert­gefühl als „schlicht“ ein­ge­stuf­te - wenn er ei­ne Straf­an­zei­ge er­stat­tet, ein staatsbürger­li­ches Recht wahr­nimmt, das ihm un­abhängig von sei­ner be­ruf­li­chen Stel­lung und de­ren Be­wer­tung durch den Ar­beit­ge­ber oder Drit­te zu­steht. Des­sen Ausübung lag im vor­lie­gen­den Fall um­so mehr im öffent­li­chen In­ter­es­se und be­durf­te des­halb auch ar­beits­recht­li­chen Schut­zes, als der Be­klag­te auch von Ge­rich­ten in Straf­ver­fah­ren fest­ge­setz­te Bußgel­der ver­ein­nahmt hat. Wei­ter ist es auch nicht zu be­an­stan­den, wenn das Lan­des­ar­beits­ge­richt die Er­folgs­aus­sich­ten ei­nes in­ner­be­trieb­li­chen Klärungs­ver­suchs als ge­ring ein­ge­stuft hat. Die­se Einschätzung des Lan­des­ar­beits­ge­richts hat zu­min­dest durch das - wahr­heits­wid­rig - be­strei­ten­de Pro­zess­ver­hal­ten des Be­klag­ten ei­ne be­red­te Bestäti­gung ge­fun­den. Dass die vom Kläger er­ho­be­nen Vorwürfe im Übri­gen be­rech­tigt wa­ren, steht auf Grund der Ver­ur­tei­lung durch das Amts­ge­richt fest.

b) Da­bei kam es al­ler­dings nicht ent­schei­dend auf den Aus­gang des Straf­ver­fah­rens an. Zwar ist die er­folg­te Ver­ur­tei­lung ein In­diz dafür, dass die An­zei­ge nicht leicht­fer­tig er­ho­ben wur­de. Je­doch wäre die An­nah­me ver­fehlt, ei­ne Straf­an­zei­ge sei nur dann kein Ver­s­toß ge­gen die ar­beits­ver­trag­li­che Rück­sicht­nah­me­pflicht, wenn sie zu ei­ner Ver­ur­tei­lung des An­ge­zeig­ten führt. Zum ei­nen hängen das Er­geb­nis ei­nes Er­mitt­lungs­ver­fah­rens und der Aus­gang ei­nes Straf­ver­fah­rens nicht al­lein da­von ab, ob die er­ho­be­nen Vorwürfe zu­tref­fen. Ei­ne An­kla­ge eben­so wie ei­ne Ver­ur­tei­lung kann aus zahl­rei­chen an­de­ren Gründen un­ter­blei­ben. Außer­dem ist es ge­ra­de der Sinn der Ein­lei­tung ei­nes Er­mitt­lungs­ver­fah­rens und ei­nes Straf­ver­fah­rens, die bei An­zei­ge­er­stat­tung not­wen­di­ger­wei­se of­fe­ne Fra­ge der Tat­be­ge­hung erst zu klären. Des­halb hat der Se­nat auch die Be­rech­ti­gung zur Er­stat­tung ei­ner Straf­an­zei­ge nicht da­von abhängig ge­macht, dass die Be­ge­hung der straf­ba­ren Hand­lung be­reits fest­steht oder später fest­ge­stellt wird, son­dern um­ge­kehrt sie als in der Re­gel nur dann nicht mehr be­rech-

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tigt an­ge­se­hen, wenn der Ar­beit­neh­mer schon bei Er­stat­tung der An­zei­ge weiß, dass der er­ho­be­ne Vor­wurf nicht zu­trifft oder dies je­den­falls leicht er­ken­nen kann oder ei­nen un­verhält­nismäßigen Ge­brauch von sei­nem Recht macht. Der in Fällen des „Whist­leb­lo­wing“ in Re­de ste­hen­de Vor­wurf be­sagt, dass die Ausübung des be­ste­hen­den staatsbürger­li­chen Rechts zur Er­stat­tung ei­ner Straf­an­zei­ge nicht zu un­verhält­nismäßigen Re­ak­tio­nen bis hin zur Schädi­gung des ar­beits­recht­li­chen Ver­trags­part­ners führen darf. Es geht al­so um die Ver­let­zung zi­vil­recht­lich be­gründe­ter Pflich­ten ge­genüber dem Ver­trags­part­ner. Ei­ne der­ar­ti­ge un­verhält­nismäßige Re­ak­ti­on kann ei­ner­seits auch dann vor­lie­gen, wenn ei­ne Straf­tat tatsächlich be­gan­gen wur­de und ei­ne Ver­ur­tei­lung er­folgt. Sie kann an­de­rer­seits auch dann zu ver­nei­nen sein, wenn ei­ne Straf­tat in Wahr­heit nicht vor­liegt oder je­den­falls kei­ne Ver­ur­tei­lung er­folgt.


2. Die Dar­stel­lung der Re­vi­si­on, dem Kläger sei es dar­um ge­gan­gen, die Führung des Ver­eins an sich zu brin­gen, ist durch die vom Lan­des­ar­beits­ge­richt fest­ge­stell­ten Tat­sa­chen nicht be­leg­bar. Zulässi­ge und be­gründe­te Ver­fah­rensrügen hat die Re­vi­si­on nicht er­ho­ben.


II. Auch die wei­te­re Würdi­gung des Be­ru­fungs­ge­richts, wo­nach we­der die Vorgänge um den Ver­zehr der Bock­wurst noch um den Ein­be­halt der vom Kläger kas­sier­ten Ei­gen­an­tei­le die Kündi­gun­gen nach § 1 Abs. 2 KSchG oder § 626 Abs. 1 BGB zu recht­fer­ti­gen vermögen, hal­ten der re­vi­si­ons­recht­li­chen Über­prüfung stand.

1. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt ist von der ständi­gen Recht­spre­chung des Se­nats aus­ge­gan­gen, nach der vom Ar­beit­neh­mer be­gan­ge­ne Vermögensschädi­gun­gen zu Las­ten des Ar­beit­ge­bers auch dann ge­eig­net sind, ei­nen wich­ti­gen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB zu bil­den oder ei­ne or­dent­li­che Kündi­gung nach § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG zu recht­fer­ti­gen, wenn nur ein ge­ringfügi­ger Wert be­trof­fen ist.

2. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat aber den Her­gang der hier be­trof­fe­nen Er­eig­nis­se da­hin­ge­hend gewürdigt, dass ein sol­cher Sach­ver­halt nicht vor­lag und der Kläger kei­ner­lei Ab­sicht hat­te, das Vermögen des Be­klag­ten zu schädi­gen. Die­se Würdi­gung ist ent­ge­gen der von der Re­vi­si­on gel­tend ge­mach­ten Auf­fas­sung nicht zu be­an­stan­den.
 


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a) So­weit es um die vom Kläger ver­zehr­te Bock­wurst geht, so kann da­hin­ste­hen, ob der Kläger sich auf ei­ne beim Be­klag­ten herr­schen­de Ge­pflo­gen­heit be­ru­fen könn­te, der zu­fol­ge der Be­klag­te Ver­zehr­kos­ten bei länge­ren Fahr­ten er­setz­te. Der al­len­falls ge­gen den Kläger zu er­he­ben­de Vor­wurf liegt dar­in, dass er ei­nen uU nicht be­ste­hen­den An­spruch ge­gen den Be­klag­ten er­ho­ben hat, des­sen Ab­leh­nung dem Be­klag­ten frei­ge­stan­den hätte. Dass die­ser An­spruch - uU zu Un­recht - erfüllt wur­de, ist je­den­falls so lan­ge nicht dem Kläger zu­zu­rech­nen, als ein kol­lu­si­ves Zu­sam­men­wir­ken mit der Kas­sen­war­tin nicht vor­zu­wer­fen ist. Sol­ches macht aber der Be­klag­te nicht gel­tend. Die Würdi­gung, dass die Er­he­bung ei­nes in Wahr­heit nicht be­ste­hen­den An­spruchs je­den­falls nicht oh­ne wei­te­res als Pflicht­ver­let­zung ge­wer­tet und - falls doch - man­gels an­de­rer An­halts­punk­te durch ei­ne Ab­mah­nung aus­rei­chend ge­ahn­det wer­den kann, ist un­ter Be­ach­tung des tatrich­ter­li­chen Er­mes­sens­spiel­rau­mes nicht zu be­an­stan­den. In die­sem Sin­ne hat der Se­nat be­reits aus­geführt, dass bei ei­ner un­wil­lent­li­chen Ver­ken­nung ver­trag­li­cher Pflich­ten auch im Vermögens­be­reich ei­ne Ab­mah­nung aus­rei­chend sein (vgl. BAG 27. April 2006 - 2 AZR 415/05 - AP BGB § 626 Nr. 203) kann.


b) Im Er­geb­nis eben­falls re­vi­si­ons­recht­lich un­be­denk­lich ist die wei­te­re Würdi­gung des Lan­des­ar­beits­ge­richts, auch der - et­wai­ge - Ein­be­halt von an den Kläger ge­zahl­ten Ei­gen­an­tei­len sei we­der als wich­ti­ger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB noch als ver­hal­tens­be­ding­ter Kündi­gungs­grund iSd. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG zu wer­ten. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat in­so­weit gut nach­voll­zieh­bar dar­auf hin­ge­wie­sen, dass es sich hier - eben­so wie bei den Vorgängen um die Bock­wurst - um ei­nen bei Zu­gang der ers­ten außer­or­dent­li­chen Kündi­gung am 29. No­vem­ber 2001 noch nicht ab­ge­schlos­se­nen, son­dern durch die Kündi­gung ge­wis­ser­maßen ab­ge­bro­che­nen Ge­sche­hens­ab­lauf han­del­te. Es liegt auf der Hand, dass ei­ne Hand­lung nur dann rich­tig ge­wer­tet wer­den kann, wenn sie nicht sinn­wid­rig auf­ge­spal­ten wird. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat fest­ge­stellt, der Kläger ha­be die be­tref­fen­den Beträge ent­ge­gen­ge­nom­men und zunächst noch be­hal­ten, weil die aus sei­ner Sicht not­wen­di­ge Klärung von Ge­gen­ansprüchen we­gen des Da­zwi­schen­tre­tens der Kündi­gung vor­erst un­ter­blieb. Dass der Kläger nichts ver­heim­li­chen und nichts für sich be­hal­ten woll­te, was ihm nicht zu­stand, hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt dar­aus ent­nom­men, dass er die Zah­lungs­be­le­ge über die Beträge bei dem Be­klag­ten ab­gab. Das ist ei­ne le­bens­na­he und gut nach­voll­zieh­ba­re Be­trach­tungs­wei­se.
 


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III. Die Kos­ten der er­folg­los ge­blie­be­nen Re­vi­si­on fal­len dem Be­klag­ten nach § 97 Abs. 1 ZPO zur Last.

Rost 

Bröhl 

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