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ARBEITSRECHT AKTUELL // 14/135

Be­fris­tung von Ar­beits­ver­trä­gen und Miss­brauchs­kon­trol­le

Ket­ten­be­fris­tung in Form von Ar­beit­ge­ber-Ka­rus­sells kann Miss­brauch sein, und dann muss der letz­te Ar­beit­ge­ber in der Ket­te ver­klagt wer­den: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Ur­teil vom 22.01.2014, 7 AZR 243/12
Logo der Bundesagentur für Arbeit, weißes Dreieck auf rotem Hintergrund Zeit­ver­trä­ge bei der Ar­beits­ver­wal­tung hal­ten nicht im­mer

15.04.2014. Nach­dem das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) vor knapp zwei Jah­ren in sei­nem Grund­satz­ur­teil zum Fall der Köl­ner Jus­tiz­an­ge­stell­ten Kü­cük klar­ge­stellt hat, dass Ket­ten­be­fris­tun­gen ei­ner ver­stärk­ten Miss­brauchs­kon­trol­le un­ter­zo­gen wer­den müs­sen, stel­len sich vie­le Fol­ge­fra­gen:

Ab wie vie­len hin­ter­ein­an­der ge­schach­tel­ten Be­fris­tun­gen ist Miss­brauch zu prü­fen? Ab wel­cher Ge­samt­dau­er der Zeit­ver­trä­ge liegt Miss­brauch na­he? Wann liegt Miss­brauch be­fris­te­ter Ar­beits­ver­trä­ge bei im­mer er­neu­tem Aus­tausch des Ar­beit­ge­bers vor, d.h. bei ei­nem Ar­beit­ge­ber-Ka­rus­sell?

Zum Ar­beit­ge­ber­ka­rus­sell hat das BAG jetzt zu ei­nem - wie­der­um in Köln spie­len­den - Streit­fall ent­schie­den, dass der letz­te Ver­trags­ar­beit­ge­ber zu ver­kla­gen ist, d.h. die Miss­brauchs­kon­trol­le rich­tet sich ge­gen ihn: BAG, Ur­teil vom 22.01.2014, 7 AZR 243/12.

Be­fris­tung von Ar­beits­verträgen und Miss­brauch - was tun bei fort­lau­fen­dem Aus­tausch des Ar­beit­ge­bers (Ar­beit­ge­ber­ka­rus­sell)?

Ob­wohl der Eu­ropäische Ge­richts­hof (EuGH) An­fang 2012 ent­schie­den hat­te, dass Be­fris­tun­gen von Ar­beits­verträgen zur Ver­tre­tung eu­ro­pa­recht­lich im Prin­zip oh­ne Zeit­gren­ze, d.h. un­be­grenzt zulässig sind (EuGH, Ur­teil vom 26.01.2012, C-586/10 - Kücük - wir be­rich­te­ten in: Ar­beits­recht ak­tu­ell: 12/043 Eu­ro­pa­recht er­laubt Be­fris­tung zur Ver­tre­tung - auch jah­re­lang), hat­te das BAG im Vor­la­ge­fall Bi­an­ca Kücük trotz­dem zu Guns­ten der Ar­beit­neh­mer­sei­te der end­lo­sen Ket­ten­be­fris­tung von Ar­beits­verträgen Gren­zen ge­setzt:

Gibt es auf­grund der Ge­samt­dau­er der hin­ter­ein­an­der ge­schal­te­ten Zeit­verträge und/oder auf­grund der Viel­zahl der Ver­trags­verlänge­run­gen An­halts­punk­te für ei­ne miss­bräuch­li­che Aus­nut­zung des Be­fris­tungs­rechts, ha­ben die Ar­beits­ge­rich­te in Ent­fris­tungs­kla­gen ei­ne Miss­brauchs­kon­trol­le vor­zu­neh­men, die im Er­geb­nis da­zu führen kann, dass sich der Ar­beit­ge­ber nicht auf die nach den Buch­sta­ben des Ge­set­zes be­ste­hen­de Be­fris­tungsmöglich­keit be­ru­fen kann und die strei­ti­ge - letz­te - Ver­trags­verlänge­rung un­wirk­sam ist (BAG, Ur­teil vom 18.07.2012, 7 AZR 443/09 - Kücük, wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 12/263 Ket­ten­be­fris­tung kann Miss­brauch sein).

Ge­setz­li­che Be­fris­tungsmöglich­kei­ten können aber auch da­durch miss­bräuch­lich ein­ge­setzt wer­den, dass der Ar­beit­neh­mer im­mer auf dem­sel­ben Ar­beits­platz be­fris­tet beschäftigt wird und da­bei al­le zwei Jah­re ei­nen neu­en Ar­beit­ge­ber vor die Na­se ge­setzt be­kommt. Wenn die an ei­nem sol­chen Ar­beit­ge­ber­tausch be­tei­lig­ten Un­ter­neh­men es ge­schickt an­stel­len, muss so et­was nicht un­be­dingt ein Be­triebsüber­gang im Sin­ne von § 613a Bürger­li­ches Ge­setz­buch (BGB) sein, so dass dem Ar­beit­neh­mer fak­tisch nichts übrig bleibt als al­le zwei Jah­re er­neut ei­nen Zeit­ver­trag mit ei­nem "neu­en" Ar­beit­ge­ber ab­zu­sch­ließen.

Da der Ar­beit­ge­ber bei Neu­ein­stel­lun­gen in den ers­ten zwei Jah­ren kei­nen Sach­grund für ei­ne Be­fris­tung braucht (§ 14 Abs.2 Teil­zeit- und Be­fris­tungs­ge­setz - Tz­B­fG), ist ein sol­ches Ver­trag­sup­date auf den ers­ten Blick aus Ar­beit­ge­ber­sicht "smart", aber eben mögli­cher­wei­se miss­bräuch­lich.

Frag­lich ist, wer von den be­tei­lig­ten Ar­beit­ge­bern zu ver­kla­gen ist, d.h. wem ge­genüber die Miss­brauchs­kon­trol­le vor­zu­neh­men ist.

Kölner Job­cen­ter-Ju­rist haut den Sack (Ar­beits­agen­tur) und meint den Esel (Stadt Köln)

Im Streit­fall war ein Ju­rist zwei Jah­re bei der Agen­tur für Ar­beit oh­ne Sach­grund be­fris­tet beschäftigt und wur­de im Job­cen­ter der Stadt Köln ein­ge­setzt, das wie­der­um ge­mein­sam von der Ar­beits­agen­tur und der Stadt Köln be­trie­ben wur­de.

Der zeit­lich be­fris­te­te Ar­beits­ver­trag dau­er­te zunächst vom 05.05.2008 bis En­de De­zem­ber 2008 und wur­de dann drei­mal verlängert, zu­erst bis En­de Ju­ni 2009, dann bis En­de De­zem­ber 2009 und zu­letzt für die gut vier Mo­na­te von An­fang Ja­nu­ar 2009 bis zum 04.05.2010.

Die letz­te, nur gut vier­mo­na­ti­ge Verlänge­rung war ta­rif­lich zwei­fel­haft, weil die Par­tei­en die Gel­tung der für die Bun­des­agen­tur (BA) gel­ten­den Ta­rif­verträge ver­ein­bart hat­ten, und in § 33 Abs.3 TV BA heißt es:

"Ein be­fris­te­ter Ar­beits­ver­trag oh­ne sach­li­chen Grund soll in der Re­gel zwölf Mo­na­te nicht un­ter­schrei­ten; die Ver­trags­dau­er muss min­des­tens sechs Mo­na­te be­tra­gen."

Vor al­lem aber war der Ju­rist darüber er­bost, dass die Agen­tur für Ar­beit 2010 noch ge­plant hat­te, ihm ei­ne wei­te­re Verlänge­rung des Ver­trags an­zu­bie­ten, die­se Pla­nun­gen aber stopp­te, nach­dem das BAG mit Ur­teil vom 17.03.2010 (7 AZR 843/08) ent­schie­den hat­te, dass sich die Ar­beits­agen­tur nicht auf den Sach­grund der Haus­halts­be­fris­tung gemäß § 14 Abs.1 Satz 2 Nr.7 Tz­B­fG be­ru­fen kann (wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 11/061 Haus­halts­be­fris­tun­gen bei der Bun­des­agen­tur für Ar­beit sind un­wirk­sam).

Statt der ei­gent­lich ge­plan­ten Ver­trags­verlänge­rung mit der Ar­beits­agen­tur wur­de das Ar­beits­verhält­nis des Ju­ris­ten auf die Stadt Köln um­gehängt, d.h. nur mit die­ser konn­te er ei­nen er­neu­ten Zeit­ver­trag ver­ein­ba­ren, dies­mal mit ei­ner Lauf­zeit vom 05.05.2010 bis En­de 2010 und so­dann verlängert bis zum 04.05.2012.

Die­se Ver­schie­bung von der Ar­beits­agen­tur auf die Stadt Köln be­wer­te­te der Ju­rist als miss­bräuch­li­chen Ein­satz des Be­fris­tungs­rechts und ver­klag­te die Ar­beits­agen­tur auf die Fest­stel­lung, dass die zu­letzt bis zum 04.05.2010 ver­ein­bar­te Be­fris­tung un­wirk­sam sei. Die Stadt Köln ver­klag­te er nicht.

Sei­ne Kla­ge wur­de vom Ar­beits­ge­richt Köln (Ur­teil vom 22.06.2010, 6 Ca 4305/10) und auch vom Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Köln ab­ge­wie­sen (Ur­teil vom 02.12.2011, 10 Sa 1229/10).

BAG: Bei miss­bräuch­li­chem (Ket­ten-)Aus­tausch des Ver­trags­ar­beit­ge­bers rich­tet sich die Miss­brauchs­kon­trol­le im­mer ge­gen den letz­ten Ar­beit­ge­ber in der Ket­te

Auch das BAG ent­schied ge­gen den Kläger und wies sei­ne Re­vi­si­on zurück.

Denn ein Ver­s­toß der zu­letzt ver­ein­bar­ten Be­fris­tung ge­gen den TV BA lag nicht vor, so das BAG, weil die Min­dest­zeit­dau­er von sechs Mo­na­ten gemäß § 33 Abs.3 TV BA nur für den (ers­ten) Zeit­ver­trag, nicht aber für die späte­ren Verlänge­rungs­ver­ein­ba­run­gen gilt. Hier war da­her al­les ta­rif­kon­form, weil der ursprüng­li­che Zeit­ver­trag ei­ne Lauf­zeit von mehr als sechs Mo­na­ten hat­te (05.05.2008 bis 31.12.2008), und weil die späte­ren drei Verlänge­run­gen kei­ne sechs­mo­na­ti­ge Min­dest­dau­er ein­hal­ten muss­ten.

Sein ei­gent­li­ches An­lie­gen, nämlich die ge­richt­li­che Über­prüfung ei­ner mögli­cher­wei­se miss­bräuch­li­chen Aus­nut­zung des Be­fris­tungs­rechts durch ein Ar­beit­ge­ber-Ka­rus­sell, hätte der Kläger ge­genüber der Stadt Köln gel­tend ma­chen müssen. Denn es kann zwar Rechts­miss­brauch vor­lie­gen, so die Er­fur­ter Rich­ter,

"wenn meh­re­re recht­lich und tatsächlich ver­bun­de­ne Ver­trags­ar­beit­ge­ber in be­wuss­tem und ge­woll­tem Zu­sam­men­wir­ken auf­ein­an­der­fol­gen­de be­fris­te­te Ar­beits­verträge mit ei­nem Ar­beit­neh­mer aus­sch­ließlich des­halb schließen, um auf die­se Wei­se über die nach § 14 Abs.2 Tz­B­fG vor­ge­se­he­nen Be­fris­tungsmöglich­kei­ten hin­aus sach­grund­lo­se Be­fris­tun­gen an­ein­an­der­rei­hen zu können. Ein sol­cher Rechts­miss­brauch kann je­doch le­dig­lich dem letz­ten Ver­trags­ar­beit­ge­ber des Ar­beit­neh­mers ent­ge­gen­ge­hal­ten wer­den, nicht dem Ar­beit­ge­ber, zu dem der Ar­beit­neh­mer vor­her in ei­nem Ver­trags­verhält­nis stand."

Fa­zit: Ähn­lich wie Be­fris­tungs­ket­ten bei ein und dem­sel­ben Ar­beit­ge­ber im­mer nur durch ei­ne Kla­ge ge­gen die zu­letzt ver­ein­bar­te Be­fris­tung zu über­prüfen sind, ist es auch mit ei­nem Ar­beit­ge­ber-Ka­rus­sell: Der miss­bräuch­li­che Aus­tausch von Ver­trags­ar­beit­ge­bern, die den Ar­beit­neh­mer hin­ter­ein­an­der auf dem­sel­ben Ar­beits­platz je­weils mit sach­grund­los be­fris­te­ten Ar­beits­verträgen ein­set­zen, ist ge­richt­lich zu über­prüfen, in­dem der je­weils letz­te Ver­trags­ar­beit­ge­ber im We­ge der Be­fris­tungs­kon­troll­kla­ge ver­klagt wird.

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Letzte Überarbeitung: 9. Oktober 2020

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