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Befristung zur Vertretung wegen Kinderbetreuung
14.07.2015. Im Juli 2012 hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschieden, dass "sehr lange" Befristungsketten im Einzelfall rechtsmissbräuchlich sein können, was zur Unwirksamkeit der zuletzt vereinbarten Befristung führt (BAG, Urteil vom 18.07.2012, 7 AZR 443/09 - Kücük - wir berichteten in: Arbeitsrecht aktuell: 12/263 Kettenbefristung kann Missbrauch sein).
In einem aktuellen Urteil hat das BAG in die umgekehrte Richtung klargestellt, dass trotz einer "sehr langen" Befristungskette die Umstände des Einzelfalls gegen eine rechtsmissbräuchliche Befristung sprechen können.
Denn bei der Betreuung von Kindern können längere Ausfallzeiten entstehen, die entsprechend lange Kettenbefristungen rechtfertigen: BAG, Urteil vom 29.04.2015, 7 AZR 310/13.
- Ab wann sind hintereinander geschaltete befristete Arbeitsverträge rechtsmissbräuchlich?
- Im Streit: Küchenleiter wehrt sich gegen letzte Befristung
- BAG: Trotz einer Vertragsdauer von 15 Jahren bei mehr als zehn Verträgen hier kein Missbrauch
Ab wann sind hintereinander geschaltete befristete Arbeitsverträge rechtsmissbräuchlich?
Eine endlose Befristung von Arbeitsverträgen kann nicht schrankenlos zulässig sein. Sonst wäre es Arbeitgebern möglich den Kündigungsschutz zu umgehen.
Um die rechtsmissbräuchliche Ausnutzung von Befristungsmöglichkeiten zu verhindern, haben sich Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter auf EU-Ebene 1999 auf eine "Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge" geeinigt, die wesentlicher Inhalt der Richtlinie 1999/70/EG des Rates der EU vom 28.06.1999 wurde.
Die EU-Staaten sind durch die Rahmenvereinbarung verpflichtet,
- Zeitverträge von einem Sachgrund abhängig zu machen (§ 5 Nr. 1a der Rahmenvereinbarung), und/oder
- für aufeinander folgende Zeitverträge eine Höchstdauer vorzusehen (§ 5 Nr. 1 b) der Rahmenvereinbarung), und/oder
- eine Höchstzahl von Befristungen festzuschreiben (§ 5 Nr. 1c) Rahmenvereinbarung).
Die Vorgaben der Rahmenvereinbarung wurden in Deutschland durch das Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) umgesetzt.
Dieses schreibt
- eine Höchstgrenze vor, nämlich von zwei Jahren für sachgrundlos befristete Verträge (§ 14 Abs.2 TzBfG),
- und die Notwendigkeit eines Sachgrundes für die Befristung, nämlich für Arbeitsverhältnisse über einer Gesamtdauer von zwei Jahren (§ 14 Abs.1 TzBfG).
Aus der Möglichkeit der Sachgrundbefristung ergibt sich, dass Befristungen mit Sachgrund grundsätzlich beliebig oft hintereinander geschaltet werden können. Bei der Prüfung der Wirksamkeit der Befristung ist lediglich entscheidend, ob der Arbeitgeber für die jeweils letzte befristete Verlängerung einen sachlichen Grund hat. Ist dies der Fall, ist die (letzte) Befristung wirksam. Eine Entfristungsklage hätte daher keinen Erfolg.
Aufgrund der prinzipiell endlos möglichen Kettenbefristungen "mit Sachgrund" ist aber eine Missbrauchskontrolle nötig: Auch dann, wenn die letzte Befristung des Arbeitsvertrag eigentlich aufgrund eines Sachgrundes zulässig wäre (z.B. durch die Vertretung eines vorübergehend fehlenden anderen Arbeitnehmers), kann sie letztlich doch "rechtsmissbräuchlich" sein
- aufgrund einer großen Gesamtlänge des gesamten Arbeitsverhältnisses und
- aufgrund der großen Anzahl der hintereinander geschalteten Verlängerungen und
- aufgrund der Umstände des Einzelfalls (ununterbrochene Beschäftigung? Betrauung mit denselben Aufgaben? Möglichkeit der unbefristeten Übernahme?).
In der oben angesprochene Entscheidung des BAG vom Juli 2012 wurde eine Kölner Justizangestellte, Bianca Kücük, über elf Jahre hinweg aufgrund von insgesamt 13 Zeitverträgen befristet beschäftigt (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 18.07.2012, 7 AZR 443/09 - Kücük). Der Verdacht des Rechtsmissbrauchs war hier indiziert. Der Arbeitgeber hätte den Verdacht entkräften müssen, was ihm nicht gelang.
Man könnte daher vermuten, dass bei einer Gesamtvertragsdauer von 15 Jahren und bei mehr als zehn befristeten Verträgen auch eine rechtsmissbräuchliche Ausnutzung der Befristungsmöglichkeit vorliegt. Oder?
Im Streit: Küchenleiter wehrt sich gegen letzte Befristung
Geklagt hatte ein Arbeitnehmer, der vom 01.11.1998 bis zum 31.08.2013, also mehr als 15 Jahre aufgrund von zehn befristeten Arbeitsverträgen als stellvertretender Leiter der Küche bei einem städtischen Alten- und Pflegeheim tätig war. Der Küchenleiter vertrat jeweils die stellvertretende Küchenleiterin, die aufgrund dreier Geburten, schwangerschaftsbedingter Erkrankungen, Mutterschutz, Erziehungsurlaub, bzw. Elternzeit und Sonderurlaub ausfiel.
Die Vertragslaufzeiten der befristet abgeschlossenen Verträge entsprachen dabei dem vom Arbeitgeber prognostizierten Arbeitsausfall der zu vertretenden Küchenleiterin.
Der letzte befristete Arbeitsvertrag wurde für den Zeitraum vom 01.09.2011 bis zum 31.08.2013 geschlossen. In dieser Zeit hatte die stellvertretende Küchenleiterin tariflichen Sonderurlaub für die Betreuung ihrer drei Kinder beantragt.
Der Küchenleiter erhob fristgerecht Befristungskontrollklage. Im Prozess berief sich der Arbeitgeber darauf, dass als Sachgrund für die letzte Befristung ein vorübergehender Vertretungsbedarf bestanden hätte, und zwar auf der Grundlage von § 14 Abs.1 Satz 2 Nr.3 TzBfG in Verbindung mit § 21 Abs. 1 Bundeselternzeit- und Elterngeldgesetz BEEG.
Das Arbeitsgericht Heilbronn (Urteil vom 02.02.2012, 1 Ca 448/11) und das Landesarbeitsgericht (LAG) Baden-Württemberg (Urteil vom 14.08.2012, 14 Sa 53/12) gaben dem Arbeitgeber Recht. Aus ihrer Sicht war die Befristung wirksam. Dagegen legte der Arbeitnehmer Revision zum BAG ein.
BAG: Trotz einer Vertragsdauer von 15 Jahren bei mehr als zehn Verträgen hier kein Missbrauch
Das BAG folgte der Meinung der Vorinstanzen und wies die Revision zurück.
Zur Begründung berief sich das BAG zunächst auf § 14 Abs.1 Satz 2 Nr.3 TzBfG und auf § 21 Abs. 1 BEEG. Danach liegt ein sachlicher Grund zur Befristung vor, wenn ein Arbeitnehmer oder eine Arbeitnehmerin zur Vertretung eines anderen Arbeitnehmers oder einer anderen Arbeitnehmerin für die Dauer eines Beschäftigungsverbotes nach dem Mutterschutzgesetz, einer Elternzeit, einer auf Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung oder einzelvertraglicher Vereinbarung beruhenden Arbeitsfreistellung zur Betreuung eines Kindes eingestellt wird.
Entscheidend bei der Beurteilung eines Vertretungsbedarfs ist nach dem Urteil des BAG, dass der Arbeitgeber mit der Rückkehr des ausfallenden Arbeitnehmers rechnen muss. Es muss von vornherein ein lediglich zeitlich begrenztes Bedürfnis für die Vertretung bestehen und der Einsatz des befristet beschäftigten Arbeitnehmers muss wegen des Arbeitsausfalls des Vertretenen erfolgen.
Das war hier der Fall, so die Erfurter Richter. Die vertretene Arbeitnehmerin hatte eine Freistellung zur Betreuung ihrer drei Kinder beantragt. Der Küchenleiter wurde unmittelbar für die freigestellte Arbeitnehmerin eingesetzt. Auch mit der Rückkehr der zu vertretenden Küchenleiterin an ihren alten Arbeitsplatz war zu rechnen. Ein sachlicher Grund für die Befristung lag somit nach Ansicht des BAG vor.
Auch die Missbrauchskontrolle fiel zulasten des Arbeitnehmers aus. Zwar sprechen die Vertragslaufzeit von 15 Jahren und die hintereinander geschlossenen mehr als zehn befristeten Verträge grundsätzlich für einen Missbrauch. Jedoch haben die Umstände des Einzelfalls eine solche Annahme widerlegt. Denn gerade zur Betreuung von Kindern können lange Ausfallzeiten entstehen, die einen ebenso langen vorübergehenden Vertretungsbedarf auslösen. Die Verlängerung der befristeten Arbeitsverträge war daher zur Deckung dieses Bedarfs notwendig. Dies entspricht auch dem Sinn und Zweck des § 21 BEEG Familie und Arbeit miteinander vereinbaren zu können.
Fazit: Zwar spricht die mehr als zehnmalige Verlängerung des Arbeitsvertrags grundsätzlich für die Annahme eines Missbrauchs. Jedoch ist die letzte Befristung des Arbeitsvertrags aufgrund des vorübergehenden Vertretungsbedarf gerechtfertigt. Denn zur Betreuung von Kindern können lange Ausfallzeiten entstehen, die durch andere Arbeitskräfte kompensiert werden müssen.
Nähere Informationen finden Sie hier:
- Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 29.04.2015, 7 AZR 310/13
- Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 13.02.2013, 7 AZR 225/11
- Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 18.07.2012, 7 AZR 443/09 (Kücük)
- Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 18.07.2012, 7 AZR 783/10
- Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 26.01.2012, Rs. C-586/10 (Kücük)
- Handbuch Arbeitsrecht: Befristung des Arbeitsvertrags (befristeter Arbeitsvertrag, Zeitvertrag)
- Handbuch Arbeitsrecht: Klage gegen Befristung (Befristungskontrollklage, Entfristungsklage)
- Mustervertrag: Mit Sachgrund befristeter Arbeitsvertrag
- Arbeitsrecht aktuell: 19/005 Keine schrankenlose Befristung bei Ballett und Oper
- Arbeitsrecht aktuell: 17/138 Wann sind Sachgrundbefristungen missbräuchlich?
- Arbeitsrecht aktuell: 17/020 Verlängerung von befristeten Verträgen bei der Zeitarbeit
- Arbeitsrecht aktuell: 16/307 Keine Befristung bei dauerhaftem Personalbedarf
- Arbeitsrecht aktuell: 15/083 EuGH begrenzt Befristungen in der Kulturbranche
- Arbeitsrecht aktuell: 15/005 Befristete Arbeitsverträge an Schulen
- Arbeitsrecht aktuell: 14/135 Befristung von Arbeitsverträgen und Missbrauchskontrolle
- Arbeitsrecht aktuell: 12/263 Kettenbefristung kann Missbrauch sein
- Arbeitsrecht aktuell: 12/043 Europarecht erlaubt Befristung zur Vertretung - auch jahrelang.
Letzte Überarbeitung: 7. Januar 2019
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