HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

ARBEITSRECHT AKTUELL // 15/184

Be­fris­tung zur Ver­tre­tung we­gen Kin­der­be­treu­ung

Trotz mehr als zehn be­fris­te­ter Ar­beits­ver­trä­ge über 15 Jah­re hin­weg kann ei­ne Be­fris­tung zur Ver­tre­tung ei­ner we­gen Kin­der­be­treu­ung aus­fal­len­den Ar­beit­neh­me­rin wirk­sam sein: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Ur­teil vom 29.04.2015, 7 AZR 310/13
Sanduhr mit rotem Sand

14.07.2015. Im Ju­li 2012 hat das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) ent­schie­den, dass "sehr lan­ge" Be­fris­tungs­ket­ten im Ein­zel­fall rechts­miss­bräuch­lich sein kön­nen, was zur Un­wirk­sam­keit der zu­letzt ver­ein­bar­ten Be­fris­tung führt (BAG, Ur­teil vom 18.07.2012, 7 AZR 443/09 - Kü­cük - wir be­rich­te­ten in: Ar­beits­recht ak­tu­ell: 12/263 Ket­ten­be­fris­tung kann Miss­brauch sein).

In ei­nem ak­tu­el­len Ur­teil hat das BAG in die um­ge­kehr­te Rich­tung klar­ge­stellt, dass trotz ei­ner "sehr lan­gen" Be­fris­tungs­ket­te die Um­stän­de des Ein­zel­falls ge­gen ei­ne rechts­miss­bräuch­li­che Be­fris­tung spre­chen kön­nen.

Denn bei der Be­treu­ung von Kin­dern kön­nen län­ge­re Aus­fall­zei­ten ent­ste­hen, die ent­spre­chend lan­ge Ket­ten­be­fris­tun­gen recht­fer­ti­gen: BAG, Ur­teil vom 29.04.2015, 7 AZR 310/13.

Ab wann sind hin­ter­ein­an­der ge­schal­te­te be­fris­te­te Ar­beits­verträge rechts­miss­bräuch­lich?

Ei­ne end­lo­se Be­fris­tung von Ar­beits­verträgen kann nicht schran­ken­los zulässig sein. Sonst wäre es Ar­beit­ge­bern möglich den Kündi­gungs­schutz zu um­ge­hen.

Um die rechts­miss­bräuch­li­che Aus­nut­zung von Be­fris­tungsmöglich­kei­ten zu ver­hin­dern, ha­ben sich Ar­beit­ge­ber- und Ar­beit­neh­mer­ver­tre­ter auf EU-Ebe­ne 1999 auf ei­ne "Rah­men­ver­ein­ba­rung über be­fris­te­te Ar­beits­verträge" ge­ei­nigt, die we­sent­li­cher In­halt der Richt­li­nie 1999/70/EG des Ra­tes der EU vom 28.06.1999 wur­de.

Die EU-Staa­ten sind durch die Rah­men­ver­ein­ba­rung ver­pflich­tet,

  • Zeit­verträge von ei­nem Sach­grund abhängig zu ma­chen (§ 5 Nr. 1a der Rah­men­ver­ein­ba­rung), und/oder
  • für auf­ein­an­der fol­gen­de Zeit­verträge ei­ne Höchst­dau­er vor­zu­se­hen (§ 5 Nr. 1 b) der Rah­men­ver­ein­ba­rung), und/oder
  • ei­ne Höchst­zahl von Be­fris­tun­gen fest­zu­schrei­ben (§ 5 Nr. 1c) Rah­men­ver­ein­ba­rung).

Die Vor­ga­ben der Rah­men­ver­ein­ba­rung wur­den in Deutsch­land durch das Teil­zeit- und Be­fris­tungs­ge­setz (Tz­B­fG) um­ge­setzt.

Die­ses schreibt

  • ei­ne Höchst­gren­ze vor, nämlich von zwei Jah­ren für sach­grund­los be­fris­te­te Verträge (§ 14 Abs.2 Tz­B­fG),
  • und die Not­wen­dig­keit ei­nes Sach­grun­des für die Be­fris­tung, nämlich für Ar­beits­verhält­nis­se über ei­ner Ge­samt­dau­er von zwei Jah­ren (§ 14 Abs.1 Tz­B­fG).

Aus der Möglich­keit der Sach­grund­be­fris­tung er­gibt sich, dass Be­fris­tun­gen mit Sach­grund grundsätz­lich be­lie­big oft hin­ter­ein­an­der ge­schal­tet wer­den können. Bei der Prüfung der Wirk­sam­keit der Be­fris­tung ist le­dig­lich ent­schei­dend, ob der Ar­beit­ge­ber für die je­weils letz­te be­fris­te­te Verlänge­rung ei­nen sach­li­chen Grund hat. Ist dies der Fall, ist die (letz­te) Be­fris­tung wirk­sam. Ei­ne Ent­fris­tungs­kla­ge hätte da­her kei­nen Er­folg.

Auf­grund der prin­zi­pi­ell end­los mögli­chen Ket­ten­be­fris­tun­gen "mit Sach­grund" ist aber ei­ne Miss­brauchs­kon­trol­le nötig: Auch dann, wenn die letz­te Be­fris­tung des Ar­beits­ver­trag ei­gent­lich auf­grund ei­nes Sach­grun­des zulässig wäre (z.B. durch die Ver­tre­tung ei­nes vorüber­ge­hend feh­len­den an­de­ren Ar­beit­neh­mers), kann sie letzt­lich doch "rechts­miss­bräuch­lich" sein

  • auf­grund ei­ner großen Ge­samtlänge des ge­sam­ten Ar­beits­verhält­nis­ses und
  • auf­grund der großen An­zahl der hin­ter­ein­an­der ge­schal­te­ten Verlänge­run­gen und
  • auf­grund der Umstände des Ein­zel­falls (un­un­ter­bro­che­ne Beschäfti­gung? Be­trau­ung mit den­sel­ben Auf­ga­ben? Möglich­keit der un­be­fris­te­ten Über­nah­me?).

In der oben an­ge­spro­che­ne Ent­schei­dung des BAG vom Ju­li 2012 wur­de ei­ne Kölner Jus­tiz­an­ge­stell­te, Bi­an­ca Kücük, über elf Jah­re hin­weg auf­grund von ins­ge­samt 13 Zeit­verträgen be­fris­tet beschäftigt (Bun­des­ar­beits­ge­richt, Ur­teil vom 18.07.2012, 7 AZR 443/09 - Kücük). Der Ver­dacht des Rechts­miss­brauchs war hier in­di­ziert. Der Ar­beit­ge­ber hätte den Ver­dacht ent­kräften müssen, was ihm nicht ge­lang.

Man könn­te da­her ver­mu­ten, dass bei ei­ner Ge­samt­ver­trags­dau­er von 15 Jah­ren und bei mehr als zehn be­fris­te­ten Verträgen auch ei­ne rechts­miss­bräuch­li­che Aus­nut­zung der Be­fris­tungsmöglich­keit vor­liegt. Oder?

Im Streit: Küchen­lei­ter wehrt sich ge­gen letz­te Be­fris­tung

Ge­klagt hat­te ein Ar­beit­neh­mer, der vom 01.11.1998 bis zum 31.08.2013, al­so mehr als 15 Jah­re auf­grund von zehn be­fris­te­ten Ar­beits­verträgen als stell­ver­tre­ten­der Lei­ter der Küche bei ei­nem städti­schen Al­ten- und Pfle­ge­heim tätig war. Der Küchen­lei­ter ver­trat je­weils die stell­ver­tre­ten­de Küchen­lei­te­rin, die auf­grund drei­er Ge­bur­ten, schwan­ger­schafts­be­ding­ter Er­kran­kun­gen, Mut­ter­schutz, Er­zie­hungs­ur­laub, bzw. El­tern­zeit und Son­der­ur­laub aus­fiel.

Die Ver­trags­lauf­zei­ten der be­fris­tet ab­ge­schlos­se­nen Verträge ent­spra­chen da­bei dem vom Ar­beit­ge­ber pro­gnos­ti­zier­ten Ar­beits­aus­fall der zu ver­tre­ten­den Küchen­lei­te­rin.

Der letz­te be­fris­te­te Ar­beits­ver­trag wur­de für den Zeit­raum vom 01.09.2011 bis zum 31.08.2013 ge­schlos­sen. In die­ser Zeit hat­te die stell­ver­tre­ten­de Küchen­lei­te­rin ta­rif­li­chen Son­der­ur­laub für die Be­treu­ung ih­rer drei Kin­der be­an­tragt.

Der Küchen­lei­ter er­hob frist­ge­recht Be­fris­tungs­kon­troll­kla­ge. Im Pro­zess be­rief sich der Ar­beit­ge­ber dar­auf, dass als Sach­grund für die letz­te Be­fris­tung ein vorüber­ge­hen­der Ver­tre­tungs­be­darf be­stan­den hätte, und zwar auf der Grund­la­ge von § 14 Abs.1 Satz 2 Nr.3 Tz­B­fG in Ver­bin­dung mit § 21 Abs. 1 Bun­des­el­tern­zeit- und El­tern­geld­ge­setz BEEG.

Das Ar­beits­ge­richt Heil­bronn (Ur­teil vom 02.02.2012, 1 Ca 448/11) und das Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Ba­den-Würt­tem­berg (Ur­teil vom 14.08.2012, 14 Sa 53/12) ga­ben dem Ar­beit­ge­ber Recht. Aus ih­rer Sicht war die Be­fris­tung wirk­sam. Da­ge­gen leg­te der Ar­beit­neh­mer Re­vi­si­on zum BAG ein.

BAG: Trotz ei­ner Ver­trags­dau­er von 15 Jah­ren bei mehr als zehn Verträgen hier kein Miss­brauch

Das BAG folg­te der Mei­nung der Vor­in­stan­zen und wies die Re­vi­si­on zurück.

Zur Be­gründung be­rief sich das BAG zunächst auf § 14 Abs.1 Satz 2 Nr.3 Tz­B­fG und auf § 21 Abs. 1 BEEG. Da­nach liegt ein sach­li­cher Grund zur Be­fris­tung vor, wenn ein Ar­beit­neh­mer oder ei­ne Ar­beit­neh­me­rin zur Ver­tre­tung ei­nes an­de­ren Ar­beit­neh­mers oder ei­ner an­de­ren Ar­beit­neh­me­rin für die Dau­er ei­nes Beschäfti­gungs­ver­bo­tes nach dem Mut­ter­schutz­ge­setz, ei­ner El­tern­zeit, ei­ner auf Ta­rif­ver­trag, Be­triebs­ver­ein­ba­rung oder ein­zel­ver­trag­li­cher Ver­ein­ba­rung be­ru­hen­den Ar­beits­frei­stel­lung zur Be­treu­ung ei­nes Kin­des ein­ge­stellt wird.

Ent­schei­dend bei der Be­ur­tei­lung ei­nes Ver­tre­tungs­be­darfs ist nach dem Ur­teil des BAG, dass der Ar­beit­ge­ber mit der Rück­kehr des aus­fal­len­den Ar­beit­neh­mers rech­nen muss. Es muss von vorn­her­ein ein le­dig­lich zeit­lich be­grenz­tes Bedürf­nis für die Ver­tre­tung be­ste­hen und der Ein­satz des be­fris­tet beschäftig­ten Ar­beit­neh­mers muss we­gen des Ar­beits­aus­falls des Ver­tre­te­nen er­fol­gen.

Das war hier der Fall, so die Er­fur­ter Rich­ter. Die ver­tre­te­ne Ar­beit­neh­me­rin hat­te ei­ne Frei­stel­lung zur Be­treu­ung ih­rer drei Kin­der be­an­tragt. Der Küchen­lei­ter wur­de un­mit­tel­bar für die frei­ge­stell­te Ar­beit­neh­me­rin ein­ge­setzt. Auch mit der Rück­kehr der zu ver­tre­ten­den Küchen­lei­te­rin an ih­ren al­ten Ar­beits­platz war zu rech­nen. Ein sach­li­cher Grund für die Be­fris­tung lag so­mit nach An­sicht des BAG vor.

Auch die Miss­brauchs­kon­trol­le fiel zu­las­ten des Ar­beit­neh­mers aus. Zwar spre­chen die Ver­trags­lauf­zeit von 15 Jah­ren und die hin­ter­ein­an­der ge­schlos­se­nen mehr als zehn be­fris­te­ten Verträge grundsätz­lich für ei­nen Miss­brauch. Je­doch ha­ben die Umstände des Ein­zel­falls ei­ne sol­che An­nah­me wi­der­legt. Denn ge­ra­de zur Be­treu­ung von Kin­dern können lan­ge Aus­fall­zei­ten ent­ste­hen, die ei­nen eben­so lan­gen vorüber­ge­hen­den Ver­tre­tungs­be­darf auslösen. Die Verlänge­rung der be­fris­te­ten Ar­beits­verträge war da­her zur De­ckung die­ses Be­darfs not­wen­dig. Dies ent­spricht auch dem Sinn und Zweck des § 21 BEEG Fa­mi­lie und Ar­beit mit­ein­an­der ver­ein­ba­ren zu können.

Fa­zit: Zwar spricht die mehr als zehn­ma­li­ge Verlänge­rung des Ar­beits­ver­trags grundsätz­lich für die An­nah­me ei­nes Miss­brauchs. Je­doch ist die letz­te Be­fris­tung des Ar­beits­ver­trags auf­grund des vorüber­ge­hen­den Ver­tre­tungs­be­darf ge­recht­fer­tigt. Denn zur Be­treu­ung von Kin­dern können lan­ge Aus­fall­zei­ten ent­ste­hen, die durch an­de­re Ar­beits­kräfte kom­pen­siert wer­den müssen. 

Nähe­re In­for­ma­tio­nen fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 7. Januar 2019

Weitere Auskünfte erteilen Ihnen gern:

Dr. Martin Hensche
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hensche@hensche.de
Christoph Hildebrandt
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hildebrandt@hensche.de
Nina Wesemann
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Arbeitsrecht

Kontakt:
040 / 69 20 68 04
wesemann@hensche.de

Bewertung:

Auf Facebook teilen Auf Google+ teilen Ihren XING-Kontakten zeigen Beitrag twittern

 

Für Personaler, betriebliche Arbeitnehmervertretungen und andere Arbeitsrechtsprofis: "Update Arbeitsrecht" bringt Sie regelmäßig auf den neusten Stand der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung. Informationen zu den Abo-Bedingungen und ein kostenloses Ansichtsexemplar finden Sie hier:

Alle vierzehn Tage alles Wichtige
verständlich / aktuell / praxisnah

HINWEIS: Sämtliche Texte dieser Internetpräsenz mit Ausnahme der Gesetzestexte und Gerichtsentscheidungen sind urheberrechtlich geschützt. Urheber im Sinne des Gesetzes über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (UrhG) ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Martin Hensche, Lützowstraße 32, 10785 Berlin.

Wörtliche oder sinngemäße Zitate sind nur mit vorheriger schriftlicher Genehmigung des Urhebers bzw. bei ausdrücklichem Hinweis auf die fremde Urheberschaft (Quellenangabe iSv. § 63 UrhG) rechtlich zulässig. Verstöße hiergegen werden gerichtlich verfolgt.

© 1997 - 2024:
Rechtsanwalt Dr. Martin Hensche, Berlin
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Lützowstraße 32, 10785 Berlin
Telefon: 030 - 26 39 62 0
Telefax: 030 - 26 39 62 499
E-mail: hensche@hensche.de