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ARBEITSRECHT AKTUELL // 13/055

Ent­las­sung mit 65 auf­grund Be­triebs­ver­ein­ba­rung

BAG seg­net Zwangs­ru­he­stand mit Al­ter 65 auf­grund ei­ner be­trieb­li­chen Re­ge­lung ab: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Ur­teil vom 05.03.2013, 1 AZR 417/12
Nicht je­der freut sich über sei­nen Ru­he­stand

07.03.2013. Vie­le Ar­beit­neh­mer freu­en sich über ih­ren Ein­tritt in den Ru­he­stand, man­che aber auch nicht.

Für die Ren­ten­muf­fel stellt sich die Fra­ge nach den recht­li­chen Grund­la­gen ih­rer "Zwangs­pen­sio­nie­rung", die meist in Ta­rif­ver­trä­gen, aber auch in Ge­set­zen oder Ar­beits­ver­trä­gen ent­hal­ten sind.

Die Fra­ge der Zu­läs­sig­keit sol­cher Ren­ten­al­ter­sklau­seln ist in den letz­ten Jah­ren vom Eu­ro­päi­schen Ge­richts­hof (EuGH) im­mer wie­der deut­lich mit "ja" be­ant­wor­tet wor­den, zu­letzt mit Ur­teil vom 05.07.2012, C-141/11 - Hörn­feldt. (wir be­rich­te­ten in: Ar­beits­recht ak­tu­ell: 12/321 Zwangs­pen­sio­nie­rung ist auch bei ge­rin­ge­rer Ren­te kei­ne ver­bo­te­ne Dis­kri­mi­nie­rung). Ren­ten­al­ter­sklau­seln ent­hal­ten meis­tens kei­ne ver­bo­te­ne Dis­kri­mi­nie­rung we­gen des Al­ters, so der EuGH.

Aber kann ei­ne von den be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mern nicht ge­wünsch­te, "zwangs­wei­se" Be­ren­tung auch in ei­ner Be­triebs­ver­ein­ba­rung ent­hal­ten sein? Da­zu hat das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) in ei­ner Ent­schei­dung vom Diens­tag die­ser Wo­che Stel­lung ge­nom­men: BAG, Ur­teil vom 05.03.2013, 1 AZR 417/12.

Können Be­triebs­ver­ein­ba­run­gen Ren­ten­al­ter­sklau­seln ent­hal­ten?

Ar­beit­neh­mer dürfen we­der we­gen ih­res ju­gend­li­chen noch we­gen ih­res fort­ge­schrit­te­nen Al­ters dis­kri­mi­niert wer­den. Schlech­ter­stel­lun­gen we­gen des Al­ters sind aber rech­tens, wenn sie durch sach­li­che Gründe ger­recht­fer­tigt sind. Das folgt aus der Richt­li­nie 2000/78/EG des Ra­tes vom 27.11.2000 zur Fest­le­gung ei­nes all­ge­mei­nen Rah­mens für die Ver­wirk­li­chung der Gleich­be­hand­lung in Beschäfti­gung und Be­ruf und aus dem All­ge­mei­nen Gleich­be­hand­lungs­ge­setz (AGG).

Kon­kret er­lau­ben Art.6 Abs.1 Satz 1 der Richt­li­nie 2000/78/EG und § 10 Sätze 1 und 2 AGG al­ters­be­ding­te Un­gleich­be­hand­lun­gen, wenn sie „ob­jek­tiv und an­ge­mes­sen“, durch ein le­gi­ti­mes Ziel aus den Be­rei­chen Beschäfti­gungs­po­li­tik, Ar­beits­markt und be­ruf­li­che Bil­dung ge­recht­fer­tigt und wenn auch die Mit­tel zur Er­rei­chung die­ses Ziels „an­ge­mes­sen und er­for­der­lich“ sind.

Wer­den Ar­beit­neh­mer oh­ne Kündi­gung oder Auf­he­bungs­ver­trag mit 65 Jah­ren "in die Ren­te ge­schickt", weil das in ei­nem Ta­rif- oder Ar­beits­ver­trag oder in ei­nem Ge­setz so vor­ge­se­hen ist, liegt zwar ei­ne Schlech­ter­stel­lung der Be­trof­fe­nen vor, weil sie ja al­lein we­gen ih­res Al­ters ih­ren Job ver­lie­ren. Die­se Zwangs­pen­sio­nie­rung hat der EuGH aber be­reits vor ei­ni­gen Jah­ren ab­ge­seg­net, wo­bei er die (ziem­lich ne­bulöse) ar­beits­markt­po­li­ti­schen Stan­dard-Be­gründung aus­rei­chen lässt, dass die älte­ren Ar­beit­neh­mer Platz ma­chen sol­len für die jünge­ren (EuGH, Ur­teil vom 12.10.2010, C-45/09 - Ro­sen­bladt, wir be­rich­te­ten in: Ar­beits­recht ak­tu­ell: 10/217 EuGH erklärt in Ta­rif­verträgen ent­hal­te­ne Ren­ten­al­ter­sklau­seln für rech­tens).

Bis­lang noch nicht höchst­rich­ter­lich ent­schie­den ist bis­lang die Fra­ge, ob auch Be­triebs­ver­ein­ba­run­gen Ren­ten­al­ter­sklau­seln ent­hal­ten können. Zu die­ser Fra­ge hat sich vor­ges­tern das BAG geäußert.

Der Streit­fall: Lan­ge beschäftig­ter Ar­beit­neh­mer möch­te nicht oh­ne Ab­fin­dung auf­grund ei­ner Be­triebs­ver­ein­ba­rung in die Ren­te ge­schickt wer­den

Ein im Jahr 1942 ge­bo­re­ner Ar­beit­neh­mer wur­de im Au­gust 2007 nach über 26-jähri­ger Be­triebs­zu­gehörig­keit in ei­nem Großun­ter­neh­men ent­las­sen, weil er das re­guläre Ren­ten­al­ter in der ge­setz­li­chen Ren­ten­ver­si­che­rung er­reicht hat­te.

Das Ar­beits­verhält­nis war zwar auf der Grund­la­ge der bei der Ein­stel­lung aus­ge­fer­tig­ten „Ein­stel­lungs­mit­tei­lung“ auf un­be­stimm­te Zeit ge­schlos­sen, doch sah ei­ne Ge­samt­be­triebs­ver­ein­ba­rung aus dem Jahr 1976 die au­to­ma­ti­sche Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses mit Er­rei­chen des 65. Le­bens­jah­res vor. Und da der Ar­beit­neh­mer die­ses Al­ter im Au­gust 2007 er­reich­te, wur­de er un­ter Ver­weis auf die Ge­samt­be­triebs­ver­ein­ba­rung ent­las­sen.

Das war für den Ar­beit­neh­mer des­halb ärger­lich, weil ihm durch sei­ne Ent­las­sung auf der Grund­la­ge der Ge­samt­be­triebs­ver­ein­ba­rung die Chan­ce auf ei­ne Ab­fin­dung durch die Lap­pen ge­gan­gen war. Denn der Ar­beit­ge­ber konn­te auf­grund ta­rif­li­cher Ver­pflich­tung bis En­de 2011 kei­ne be­triebs­be­ding­ten Kündi­gun­gen aus­spre­chen und bot des­halb al­len Ar­beit­neh­mern, die 1952 oder später ge­bo­ren wa­ren, seit Mit­te 2006 er­heb­li­che Ab­fin­dun­gen an, al­ler­dings un­ter dem Vor­be­halt der "dop­pel­ten Frei­wil­lig­keit": Kein Ar­beit­neh­mer muss­te ge­gen Ab­fin­dung aus­schei­den und auch der Ar­beit­ge­ber be­hielt sich vor, An­ge­bo­te von Ar­beit­neh­mern auf ein Aus­schei­den ab­zu­leh­nen.

Mit Hil­fe die­ses Ab­fin­dungs­pro­gramms konn­te das Un­ter­neh­men knapp 6.000 Auf­he­bungs­verträge mit jünge­ren Ar­beit­neh­mern ab­sch­ließen. Darüber hin­aus er­hiel­ten auch 24 älte­re Ar­beit­neh­mer Auf­he­bungs­verträge, d.h. Ar­beit­neh­mer, die vor dem 01.01.1952 ge­bo­ren wa­ren. In die­ser Wei­se, d.h. per Auf­he­bungs­ver­trag ge­gen Ab­fin­dung, woll­te auch der im Streit­fall be­trof­fe­ne Ar­beit­neh­mer aus­schei­den, doch mach­te der Ar­beit­ge­ber hier nicht mit.

Da­her zog der Ar­beit­neh­mer im Som­mer 2007 vor Ge­richt und klag­te auf Ab­schluss ei­nen Auf­he­bungs­ver­trags mit ei­ner Ab­fin­dung von 117.720,00 EUR, hilfs­wei­se auf die ge­richt­li­che Fest­stel­lung, dass sein Ar­beits­verhält­nis wei­ter fort­be­steht. Da­mit hat­te er we­der vor dem Ar­beits­ge­richt Han­no­ver (Ur­teil vom 06.04.2011, 8 Ca 320/07) noch vor dem Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Nie­der­sach­sen Er­folg (LAG Nie­der­sach­sen, Ur­teil vom 07.03.2012, 16 Sa 809/11).

BAG: Be­triebs­ver­ein­ba­run­gen können die Re­ge­lun­gen über Al­ters­gren­zen ent­hal­ten

Auch das BAG ent­schied ge­gen den Ar­beit­neh­mer, der da­mit in al­len drei In­stan­zen den Kürze­ren zog. In der knapp ge­hal­te­nen Pres­se­mel­dung des BAG heißt zur Be­gründung:

(Ge­samt-)Be­triebs­rat und Ar­beit­ge­ber können in ei­ner frei­wil­li­gen (Ge­samt-)Be­triebs­ver­ein­ba­rung ei­ne fes­te Al­ters­gren­ze für die Be­en­di­gung von Ar­beits­verhält­nis­sen re­geln. Da­bei müssen sie die "Grundsätze von Recht und Bil­lig­keit" im Sin­ne von § 75 Abs. 1 Be­triebs­ver­fas­sungs­ge­setz (Be­trVG) be­ach­ten. Die­se Grundsätze sind aber ge­wahrt (und da­mit auch der ar­beits­recht­li­che Gleich­be­hand­lungs­grund­satz), wenn die Al­ters­gren­ze ei­ne Ent­las­sung zu dem Zeit­punkt vor­sieht, zu dem der Ar­beit­neh­mer ren­ten­be­rech­tigt ist.

Ei­ne sol­che Be­triebs­ver­ein­ba­rung verstößt auch nicht ge­gen das Ver­bot der Al­ters­dis­kri­mi­nie­rung, so das BAG. Und schließlich können be­trof­fe­ne Ar­beit­neh­mer nach An­sicht des BAG auch nicht ar­gu­men­tie­ren, dass die ar­beits­ver­trag­li­che Ver­ein­ba­rung ei­nes un­be­fris­te­ten Ar­beits­verhält­nis­ses güns­ti­ger ist als die Al­ters­gren­zen­re­ge­lung der Ge­samt­be­triebs­ver­ein­ba­rung, so dass der Ar­beits­ver­trag der Be­triebs­ver­ein­ba­rung vor­geht.

Fa­zit: Das BAG hat­te be­reits im Jah­re 2010 ent­schie­den, dass der Ar­beit­ge­ber Auf­he­bungs­verträge mit Ab­fin­dungs­an­ge­bo­ten ge­zielt jünge­ren Ar­beit­neh­mern vor­be­hal­ten kann, d.h. er darf ren­ten­na­he Ar­beit­neh­mer von sol­chen teu­ren Auf­he­bungs­verträgen aus­neh­men (BAG, Ur­teil vom 25.02.2010, 6 AZR 911/08 - wir be­rich­te­ten in: Ar­beits­recht ak­tu­ell: 10/045 Auf­he­bungs­ver­trag mit Ab­fin­dung). An die­ser Ent­schei­dung hat­ten sich Ar­beits­ge­richt und LAG Nie­der­sach­sen ori­en­tiert und die Kla­ge auf Ab­schluss ei­nes lu­kra­ti­ven Auf­he­bungs­ver­trags ab­ge­wie­sen.

Mit dem jetzt er­gan­ge­nen Ur­teil hat das BAG ergänzend klar­ge­stellt, dass älte­re Ar­beit­neh­mer auch kei­ne druck­vol­le Ver­hand­lungs­po­si­ti­on auf­bau­en können, in­dem sich sich ge­gen ihr au­to­ma­ti­sches Aus­schei­den zur Wehr set­zen, das sich aus ei­ner Be­triebs­ver­ein­ba­rung mit Ren­ten­al­ter­sklau­sel er­gibt.

Kri­tisch ist an­zu­mer­ken, dass das BAG in sei­nem Leit­satz 2.) der Ur­teils­gründe der Mei­nung ist, Ar­beit­ge­ber und Be­triebs­rat könn­ten Ar­beits­verträge auch zu Un­guns­ten des Ar­beit­neh­mers per Be­triebs­ver­ein­ba­rung abändern, falls die ar­beits­ver­trag­li­chen Re­ge­lun­gen in All­ge­mei­nen Geschäfts­be­din­gun­gen (AGB) ent­hal­ten sind und ei­nen "kol­lek­ti­ven Be­zug" auf­wei­sen. Die­se Aus­sa­ge ist zu weit­ge­hend, da die meis­ten Ar­beits­verträge in Form von AGB ver­ein­bart wer­den und AGB wie­der­um kei­ne Ein­zelab­re­den sind, son­dern für vie­le Ar­beits­verträge bzw. Ar­beit­neh­mer gel­ten sol­len, so dass man ih­nen im­mer ei­nen "kol­lek­ti­ven Be­zug" at­tes­tie­ren kann. Im Er­geb­nis hebt der Ers­te BAG-Se­nat da­mit das Güns­tig­keits­prin­zip im Verhält­nis von Ar­beits­ver­trag und Be­triebs­ver­ein­ba­rung aus den An­geln.

Nähe­re In­for­ma­tio­nen fin­den Sie hier:

Hin­weis: In der Zwi­schen­zeit, d.h. nach Er­stel­lung die­ses Bei­trags, hat das BAG die Ur­teils­gründe veröffent­licht. Das vollständig be­gründe­te Ur­teil fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 4. Mai 2020

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