HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

ARBEITSRECHT AKTUELL // 13/314

Al­ters­dis­kri­mi­nie­rung beim Über­gang in den Ru­he­stand

Be­am­te kön­nen trotz Pen­si­ons­be­rech­ti­gung ge­halts­er­set­zen­de Über­gangs­leis­tun­gen be­an­spru­chen, wenn sie nicht in Ren­te ge­hen wol­len: Eu­ro­päi­scher Ge­richts­hof, Ur­teil vom 26.09.2013, Rechts­sa­che C-546/11 (Dansk Ju­rist)
Europafahne

31.10.2013. Der Eu­ro­päi­sche Ge­richts­hof (EuGH) hat in den ver­gan­ge­nen Jah­ren im­mer wie­der be­tont, dass Ren­ten­al­ter­sklau­seln mit dem Eu­ro­pa­recht ver­ein­bar sind, d.h. kei­ne ver­bo­te­ne Al­ters­dis­kri­mi­nie­rung der "zwangs­pen­sio­nier­ten" Ar­beit­neh­mer und Be­am­ten sind.

An­de­rer­seits nimmt der EuGH den Wunsch ren­ten­na­her Ar­beit­neh­mer, noch ei­ni­ge Jah­re wei­ter er­werbs­tä­tig zu sein, sehr ernst. Wenn der Ar­beit­ge­ber oder der Staat ent­las­se­ne Ar­beit­neh­mer mit Über­gangs­re­ge­lun­gen bei der Su­che nach ei­ner neu­en Ar­beits­stel­le un­ter­stützt, dür­fen ren­ten­na­he Ar­beit­neh­mer da­von nicht aus­ge­nom­men wer­den.

Die­se Li­nie hat der Ge­richts­hof in ei­ner Ent­schei­dung vom Sep­tem­ber 2013 be­stä­tigt: EuGH, Ur­teil vom 26.09.2013, Rechts­sa­che C-546/11 (Dansk Ju­rist).

Können ren­ten­na­he Ar­beit­neh­mer nach be­triebs­be­ding­ten Ent­las­sun­gen von Über­g­angs­leis­tun­gen aus­ge­nom­men wer­den, die der Su­che nach ei­ner Fol­ge­beschäfti­gung die­nen?

Das Eu­ro­pa­recht ver­bie­tet al­ters­be­ding­te Un­gleich­be­hand­lun­gen im Be­ruf (Re­gel), wenn sie nicht sach­lich ge­recht­fer­tigt sind (Aus­nah­me). Das Ver­bot der al­ters­be­ding­ten Be­nach­tei­li­gun­gen er­gibt sich aus Art.1, Art.2 Abs.1 und Art.3 Abs.1 der Richt­li­nie 2000/78/EG des Ra­tes vom 27.11.2000, die al­ters­be­ding­te Schlech­ter­stel­lun­gen un­ter be­stimm­ten sach­li­chen Vor­aus­set­zun­gen aus­drück­lich er­laubt (Art.4 Abs.1, Art.6).

Auf der Grund­la­ge der Richt­li­nie 2000/78/EG sieht das All­ge­mei­ne Gleich­be­hand­lungs­ge­setz (AGG) da­her vor, dass al­ters­be­ding­te Schlech­ter­stel­lun­gen zulässig sind, wenn sie „durch ein le­gi­ti­mes Ziel ge­recht­fer­tigt“ so­wie „ob­jek­tiv und an­ge­mes­sen“ und wenn die Mit­tel zur Er­rei­chung ei­nes sol­chen Ziels „an­ge­mes­sen und er­for­der­lich“ sind, § 10 Satz 1 und 2 AGG.

Der EuGH hat vor die­sem Hin­ter­grund in den letz­ten Jah­ren klar­ge­stellt, dass es kei­ne ver­bo­te­ne, son­dern ei­ne sach­lich ge­recht­fer­tig­te Be­nach­tei­li­gung älte­rer Ar­beit­neh­mer und Be­am­ter ist, wenn die­se in­fol­ge von ge­setz­li­chen, ta­rif­li­chen oder ar­beits­ver­trag­li­chen Ren­ten­al­ter­sklau­seln "zwangs­pen­sio­niert" wer­den (EuGH, Ur­teil vom 12.10.2010, C-45/09 - Ro­sen­bladt gg. Oel­ler­king, wir be­rich­te­ten darüber in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 10/217 EuGH erklärt in Ta­rif­verträgen ent­hal­te­ne Ren­ten­al­ter­sklau­seln für rech­tens).

Außer­dem hat der Ge­richts­hof auch ak­zep­tiert, dass So­zi­alpläne ge­rin­ge­re Ab­fin­dun­gen für ren­ten­na­he Ar­beit­neh­mer vor­se­hen können, weil die­se von ei­ner be­triebs­be­ding­ten Ent­las­sung nicht mehr so hart ge­trof­fen wer­den wie jünge­re Ar­beit­neh­mer. Denn die jünge­ren müssen noch ei­ne länge­re Weg­stre­cke bis zur Be­ren­tung zurück­le­gen (EuGH, Ur­teil vom 06.12.2012, C-152/11 - Odar gg. Bax­ter, Rn.43 ff., wir be­rich­te­ten darüber in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 12/392 So­zi­al­plan-Ab­fin­dung bei Be­hin­de­rung).

An­de­rer­seits hat der EuGH im­mer wie­der be­tont, dass Über­g­angs­leis­tun­gen, die ent­las­se­nen Ar­beit­neh­mern bei der Su­che nach ei­ner neu­en Beschäfti­gung hel­fen sol­len, älte­ren Ar­beit­neh­mern nicht ein­fach mit Ver­weis auf ih­re Ren­tennähe ver­wei­gert wer­den dürfen.

Denn auch wenn man "nur" noch ei­ni­ge Jah­re ar­bei­ten möch­te, ist die­ser Wunsch le­gi­tim und von der Richt­li­nie 2000/78/EG geschützt (EuGH, Ur­teil vom 12.10.2010, C-499/08 - In­ge­niørfo­re­nin­gen, wir be­rich­te­ten darüber in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 11/004 Auch ren­ten­na­he Ar­beit­neh­mer ha­ben ei­nen An­spruch auf Ab­fin­dungs­zah­lung).

In ei­ner ak­tu­el­len, ei­nen däni­sche Streit­fall be­tref­fen­den Ent­schei­dung hat der EuGH bestätigt, dass der Wunsch älte­rer Ar­beit­neh­mer und Be­am­ter, trotz ih­res vor­gerück­ten Al­ters wei­ter ar­bei­ten zu wol­len, ernst zu neh­men ist: EuGH, Ur­teil vom 26.09.2013, Rechts­sa­che C-546/11 (Dansk Ju­rist).

Der Fall des EuGH: Däni­scher Be­am­ter ist pen­si­ons­be­rech­tigt, aber nicht pen­si­ons­ver­pflich­tet und möch­te nach Stel­len­strei­chung ger­ne wei­ter ar­bei­ten

In dem aus Däne­mark stam­men­den Streit­fall ging es um ei­nen aus be­trieb­li­chen Gründen ent­las­se­nen Be­am­ten, Herrn Toft­gaard. Er war Lei­ter ei­ner Kreis­ver­wal­tung, bis er we­gen der Strei­chung sei­ner Stel­le zum Jah­res­en­de 2006 ent­las­sen wur­de.

Da er zum Ent­las­sungs­zeit­punkt schon 65 Jah­re alt war, er­hielt er kein sog. Frei­stel­lungs­ge­halt. Die­ses wird be­triebs­be­dingt ent­las­se­nen däni­schen Be­am­ten drei Jah­re lang ge­zahlt. Während die­ser Zeit müssen sich die Be­am­ten be­reit hal­ten, ei­ne an­der­wei­ti­ge Stel­le an­zu­tre­ten, wenn ihr Dienst­herr das von ih­nen ver­langt. Nach den däni­schen Re­ge­lun­gen zum Frei­stel­lungs­ge­halt wird die­ses Be­am­ten ab Al­ter 65 nicht mehr ge­zahlt, da sie pen­si­ons­be­rech­tigt sind.

Die Al­ters­gren­ze für den ob­li­ga­to­ri­schen Ein­tritt von Be­am­ten in den Ru­he­stand war zu dem Zeit­punkt, als Herr Toft­gaard ent­las­sen wur­de, auf 70 Jah­re fest­ge­setzt. Da er da­mals 65 Jah­re alt war, war er dem­zu­fol­ge zwar be­rech­tigt, aber nicht da­zu ver­pflich­tet, in den Ru­he­stand zu tre­ten.

Das woll­te er nicht und teil­te sei­nen Wunsch nach ei­ner wei­te­ren Beschäfti­gung sei­nem Dienst­herrn mit, ver­bun­den mit der Auf­for­de­rung, ihm das Frei­stel­lungs­ge­halt zu zah­len. Der Dienst­herr wei­ger­te sich, und die Sa­che ging vor Ge­richt.

Das in mit dem Fall be­fass­te däni­sche Ge­richt, der Højes­te­ret, leg­te dem EuGH u.a. die Fra­ge vor, ob die Recht­fer­ti­gungs­gründe für Al­ters­gren­zen, die in Art. 6 Abs. 2 der Richt­li­nie 2000/78/EG ge­nannt wer­den, nur für die hier ge­nann­ten Fälle der Al­ters­ren­te oder der In­va­li­ditäts­leis­tun­gen gel­ten, ober ob sich Ar­beit­ge­ber auch bei an­de­ren be­trieb­li­chen So­zi­al­leis­tun­gen auf die­se Vor­schrift be­ru­fen können (was dem Dienst­herrn Herrn Toft­gaards ge­hol­fen hätte, denn er ver­tei­dig­te die Al­ters­gren­ze 65 für die die So­zi­al­leis­tung "Frei­stel­lungs­ge­halt").

EuGH: Be­am­te können trotz Pen­si­ons­be­rech­ti­gung ge­halts­er­set­zen­de Über­g­angs­leis­tun­gen be­an­spru­chen, wenn sie nicht in Ren­te ge­hen wol­len

Der EuGH folgt in sei­nem Ur­teil in vol­lem Um­fang den Ent­schei­dungs­vor­schlägen der Ge­ne­ral­anwältin J. Ko­kott und stellt zunächst klar, dass die in Art. 6 Abs. 2 der Richt­li­nie 2000/78/EG ge­re­gel­te Aus­nah­me­be­fug­nis, bei be­trieb­li­chen Sys­te­men der so­zia­len Si­cher­heit Al­ters­gren­zen für den Be­zug von Al­ters­ren­te und In­va­li­ditäts­leis­tun­gen fest­zu­le­gen, wirk­lich nur für die­se bei­den spe­zi­el­len Leis­tun­gen gilt.

Denn Art. 6 Abs. 2 der Richt­li­nie 2000/78/EG ist ei­ne Aus­nah­me­vor­schrift, und Aus­nah­me­vor­schrif­ten sind eng aus­zu­le­gen, so der EuGH.

Da die Richt­li­nie 2000/78/EG und das in ihr ent­hal­te­ne Ver­bot der Al­ters­dis­kri­mi­nie­rung gemäß Art. 3 Abs. 1 Buch­sta­be a) der Richt­li­nie auch in Be­zug auf die „Ent­las­sungs­be­din­gun­gen“ gilt, war die hier vor­lie­gen­de al­ters­be­ding­te Schlech­ter­stel­lung des Klägers, d.h. sein Aus­schluss vom Be­zug ei­nes dreijähri­gen Frei­stel­lungs­ge­halts, auf der Grund­la­ge des all­ge­mei­nen Recht­fer­ti­gungs­grun­des für (al­ters­be­ding­te) Un­gleich­be­hand­lun­gen zu über­prüfen (Art.2 Abs.2 der Richt­li­nie und Art. 6 Abs.1 der Richt­li­nie) .

Nach Art. 6 Abs.1 der Richt­li­nie stellt ei­ne Un­gleich­be­hand­lung we­gen des Al­ters kei­ne Dis­kri­mi­nie­rung dar,

  • wenn sie "ob­jek­tiv und an­ge­mes­sen" ist,
  • wenn sie im Rah­men des na­tio­na­len Rechts durch ein "le­gi­ti­mes Ziel", wor­un­ter ins­be­son­de­re rechtmäßige Zie­le aus den Be­rei­chen Beschäfti­gungs­po­li­tik, Ar­beits­markt und be­ruf­li­che Bil­dung zu ver­ste­hen sind, ge­recht­fer­tigt ist, und
  • wenn die Mit­tel zur Er­rei­chung die­ses Ziels "an­ge­mes­sen und er­for­der­lich" sind.

Die ers­ten bei­den Vor­aus­set­zun­gen ei­ner sach­lich ge­recht­fer­tig­ten al­ters­be­ding­ten Schlech­ter­stel­lung sah der Ge­richts­hof hier als er­wie­sen an. Denn der däni­sche Staat woll­te mit der Al­ters­gren­ze er­rei­chen, dass das Frei­stel­lungs­ge­halt nur sol­chen Be­am­ten gewährt wird, die die­sen Schutz brau­chen, und das ist bei pen­si­ons­be­rech­tig­ten Be­am­ten nicht der Fall. Das be­wer­te­te der EuGH als ein "le­gi­ti­mes Ziel" und die strei­ti­ge Al­ters­gren­ze 65 als ei­nen "ob­jek­ti­ven und an­ge­mes­se­nen" Weg, die­ses Ziel zu er­rei­chen.

Al­ler­dings mein­te der Ge­richts­hof, dass die däni­sche Re­ge­lung über das zur Er­rei­chung die­ses Ziels Er­for­der­li­che hin­aus­geht und da­her nicht "an­ge­mes­sen" ist. Denn die Al­ters­gren­ze 65 läuft dar­auf hin­aus, ar­beits­wil­li­gen Be­am­ten das Frei­stel­lungs­ge­halt al­lein des­halb vor­zu­ent­hal­ten, weil sie al­ters­be­dingt ei­ne Al­ters­ren­te be­an­spru­chen können.

Und da die trotz ei­nes Pen­si­ons­an­spruchs ar­beits­wil­li­gen däni­schen Be­am­ten wei­te­re Ren­ten­an­wart­schaf­ten er­wer­ben können, wäre der ge­ne­rel­le Aus­schluss al­ler 65jähri­gen oder älte­ren Be­am­ten vom Frei­stel­lungs­ge­halt und der da­mit ver­bun­de­nen wei­te­ren Er­werbsmöglich­kei­ten nicht an­ge­mes­sen.

Hier hätte der däni­sche Staat nach An­sicht des EuGH auch we­ni­ger be­las­ten­de Re­ge­lun­gen tref­fen können, um ei­nen Leis­tungs­miss­brauch durch Be­am­te zu ver­hin­dern, die zwar das Frei­stel­lungs­ge­halt mit­neh­men wol­len, aber nicht da­zu be­reit sind, ei­ne an­der­wei­ti­ge Stel­le an­zu­tre­ten.

Fa­zit: Das vor­lie­gen­de Ur­teil zeigt er­neut, dass der Wunsch ren­ten­na­her (oder so­gar ren­ten­be­rech­tig­ter) Ar­beit­neh­mer, wei­ter zu ar­bei­ten, bei der Über­prüfung von so­zia­len Über­brückungs­leis­tun­gen aus An­lass be­triebs­be­ding­ter Ent­las­sun­gen ernst zu neh­men ist.

Zwar dürfen So­zi­al­plan­ab­fin­dun­gen für "Ren­ten­na­he" ge­rin­ger aus­fal­len als für jünge­re Ar­beit­neh­mer, doch wäre es bei eu­ro­pa­recht­lich ge­bo­te­ner Aus­le­gung von § 10 Satz 1, Satz 2 und Satz 3 Nr.1 AGG un­zulässig, Ar­beit­neh­mer, die vor­ge­zo­ge­ne Al­ters­ren­te be­an­spru­chen können, z.B. von ei­ner Trans­fer­ge­sell­schaft aus­zu­neh­men. Denn das wäre ei­ne al­ters­dis­kri­mi­nie­ren­de Ver­wei­ge­rung des (wei­te­ren) "Zu­gangs zur Beschäfti­gung".

Nähe­re In­for­ma­tio­nen fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 31. Dezember 2018

Weitere Auskünfte erteilen Ihnen gern:

Dr. Martin Hensche
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hensche@hensche.de
Christoph Hildebrandt
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hildebrandt@hensche.de
Nina Wesemann
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Arbeitsrecht

Kontakt:
040 / 69 20 68 04
wesemann@hensche.de

Bewertung:

Auf Facebook teilen Auf Google+ teilen Ihren XING-Kontakten zeigen Beitrag twittern

 

Für Personaler, betriebliche Arbeitnehmervertretungen und andere Arbeitsrechtsprofis: "Update Arbeitsrecht" bringt Sie regelmäßig auf den neusten Stand der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung. Informationen zu den Abo-Bedingungen und ein kostenloses Ansichtsexemplar finden Sie hier:

Alle vierzehn Tage alles Wichtige
verständlich / aktuell / praxisnah

HINWEIS: Sämtliche Texte dieser Internetpräsenz mit Ausnahme der Gesetzestexte und Gerichtsentscheidungen sind urheberrechtlich geschützt. Urheber im Sinne des Gesetzes über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (UrhG) ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Martin Hensche, Lützowstraße 32, 10785 Berlin.

Wörtliche oder sinngemäße Zitate sind nur mit vorheriger schriftlicher Genehmigung des Urhebers bzw. bei ausdrücklichem Hinweis auf die fremde Urheberschaft (Quellenangabe iSv. § 63 UrhG) rechtlich zulässig. Verstöße hiergegen werden gerichtlich verfolgt.

© 1997 - 2024:
Rechtsanwalt Dr. Martin Hensche, Berlin
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Lützowstraße 32, 10785 Berlin
Telefon: 030 - 26 39 62 0
Telefax: 030 - 26 39 62 499
E-mail: hensche@hensche.de