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Abfindung für "rentennahe" Arbeitnehmer und Europarecht
11.04.20132. "Rentennahe" Arbeitnehmer erhalten bei Massenentlassungen gemäß Sozialplan oft geringere Abfindungen als jüngere Kollegen. Denn die meisten Sozialpläne erhalten zwei verschiedene Abfindungsformeln:
Nach der Standardformel steigt die Abfindung mit der Dauer der Beschäftigung, d.h. die Abfindung wird vergangenheitsbezogen berechnet. Dagegen wird die Abfindung für "rentennahe" Arbeitnehmer gemäß einer zukunftsbezogenen Sonderformel so berechnet, dass die Einkommensverluste bis zum Rentenbeginn maßgeblich sind. Daraus ergeben sich oft nur Mini-Abfindungen.
Sonderformeln für Rentennahe sind zwar keine verbotene Altersdiskriminierung beim Thema Abfindung bzw. rechtlich zulässig, aber es fragt sich, ob auch ein vorgezogener Rentenbeginn dazu führen darf, dass man schon als "rentennaher" Arbeitnehmer eingestuft wird und eine geringere Abfindung erhält. Diese Zweifel ergeben sich aus einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 12.10.2010 (C-499/08 - Andersen).
In einem aktuellen Urteil hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) trotz dieses EuGH-Urteils entschieden, dass auch eine vorgezogene Altersrente mit Rentenabschlägen dazu führen kann, dass man als "rentennah" eingestuft wird: BAG, Urteil vom 26.03.2013, 1 AZR 813/11.
- Dürfen Abfindungen auf die Zeit bis zum frühestmöglichen Renteneintritt begrenzt werden, auch wenn Arbeitnehmer die Rente nur mit einer Kürzung beanspruchen können?
- Der Streitfall: 5.000 EUR Abfindung wegen "Rentennähe" oder 240.000 EUR?
- BAG: Vorgezogene Rentenansprüche können auch dann bei Sozialplan-Abfindungen berücksichtigt werden, wenn sie mit Rentenabschlägen verbunden sind
Dürfen Abfindungen auf die Zeit bis zum frühestmöglichen Renteneintritt begrenzt werden, auch wenn Arbeitnehmer die Rente nur mit einer Kürzung beanspruchen können?
Nicht jede altersbedingte Ungleichbehandlung ist bereits eine Diskriminierung. Gibt es eine sachliche Rechtfertigung, sind Ungleichbehandlungen wegen des Alters erlaubt. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) stellt im Anschluss an die EU-Richtlinie 2000/78/EG klar, dass altersbedingte Schlechterstellungen zulässig sind, wenn sie „durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt“ sowie „objektiv und angemessen“ und wenn die Mittel zur Erreichung eines solchen Ziels „angemessen und erforderlich“ sind (§ 10 Satz 1 und 2 AGG).
Ein solcher Fall für eine erlaubte altersbedingte Schlechterstellung ist § 10 Satz 3 Nr. 6 AGG: Danach dürfen rentennahe Arbeitnehmer, die aufgrund einer Betriebsänderung entlassen werden, von Sozialplanabfindungen vollständig ausgenommen (!) werden, falls Betriebsrat und Arbeitgeber das in einem Sozialplan so festgelegt haben.
Allerdings hat der EuGH im Oktober 2010 entschieden, dass eine in Dänemark bestehende gesetzliche Abfindungsregelung nicht dazu führen darf, dass rentennahe Arbeitnehmer von jeder Abfindungszahlung ausgeschlossen werden, d.h. auch dann, wenn ihre Rentenberechtigung mit Rentenabschlägen verbunden ist (EuGH, Urteil vom 12.10.2010, C-499/08 - Andersen - wir berichteten in: Arbeitsrecht aktuell: 11/004 Auch rentennahe Arbeitnehmer haben einen Anspruch auf Abfindungszahlung). Ein solcher Ausschluss von Abfindungszahlungen ist laut EuGH für diejenigen rentenberechtigten Arbeitnehmer unzumutbar, die statt vorzeitig mit Abschlägen in Rente zu gehen lieber nach einem anderen Job suchen.
Von daher fragt sich, ob die in Deutschland verbreitete Sozialplanpraxis europarechtskonform ist, der zufolge auch solche "rentennahen" Arbeitnehmer extrem kleine Abfindungen erhalten, deren "Rentennähe" sich nur daraus ergibt, dass sie mit Abschlägen vorzeitig in Rente gehen können. Möglicherweise muss § 10 Satz 3 Nr. 6 AGG aufgrund der Richtlinie 2000/78/EG so ausgelegt werden, dass geringere Sozialplan-Abfindungen für rentennahe Jahrgänge zwar möglich sind, dass dabei aber das reguläre bzw. abschlagsfreie Renteneintrittsalter maßgeblich ist.
Der Streitfall: 5.000 EUR Abfindung wegen "Rentennähe" oder 240.000 EUR?
In dem vom BAG entschiedenen Fall ging es um eine Entlassungswelle, die Sozialplanabfindungen für die betroffenen Arbeitnehmer zur Folge hatte. Gemäß dem Sozialplan berechnete sich die Abfindung im Allgemeinen nach dem Bruttoentgelt, der Betriebszugehörigkeit und dem Lebensalter (Standardformel), was zu hohen Abfindungen führte.
Davon waren nach einer Sonderformel allerdings Arbeitnehmer ab 58. Jahren ausgenommen. Sie erhielten nur eine kleine Abfindung, mit der die Differenz zwischen dem entgangenen Gehalt nach der Entlassung und dem Arbeitslosengeld ausgeglichen wurde, und auch das nur bis zum frühestmöglichen Eintritt in die gesetzliche Altersrente.
Einer der betroffenen Arbeitnehmer war bei seiner Entlassung am 31.03.2011 bereits 62 Jahre und fiel daher unter die ungünstige Abfindungsformel. Er hätte nach Ausschöpfen des Arbeitslosengeldanspruchs eine vorzeitige Rente in Anspruch nehmen können, was er aber wegen der damit verbundenen Abschläge nicht tat. Seine Abfindung betrug 4.974,62 EUR, wohingegen er nach der besseren Standardformel knapp 240.000,00 EUR erhalten hätte.
Er bewertete das als Altersdiskriminierung und klagte eine weitere Abfindung von mehr als 230.000,00 EUR ein. Damit hatte er vor dem Arbeitsgerichts Düsseldorf keinen Erfolg (Urteil vom 11.04.2011, 12 Ca 5887/10), wohingegen das Landesarbeitsgericht (LAG) Düsseldorf ihm immerhin eine weitere Abfindung von 39.217,95 EUR zusprach (Urteil vom 16.09.2011, 6 Sa 613/11).
Nach Ansicht des LAG sind geringere Abfindungen für rentennahe Arbeitnehmer zwar im Prinzip in Ordnung, doch darf das nicht so weit gehen, dass Arbeitnehmer bereits dann als "rentenah" gelten, wenn sie eine vorzeitige mit Abschlägen in Anspruch nehmen können. Zumindest hätte man dem Kläger die Zeit bis zum regulären Rentenbeginn ausgleichen müssen, so das LAG. Dabei berief sich das LAG auf das Andersen-Urteil des EuGH.
BAG: Vorgezogene Rentenansprüche können auch dann bei Sozialplan-Abfindungen berücksichtigt werden, wenn sie mit Rentenabschlägen verbunden sind
Das BAG hob auf die Revision des Arbeitgebers das LAG-Urteil wieder auf und wies die Klage ab. In der derzeit allein vorliegenden Pressemeldung des BAG heißt es zur Begründung:
Sozialpläne sollen künftige Nachteile ausgleichen, die Arbeitnehmern durch die Entlassung entstehen. Dafür stehen nur begrenzte finanzielle Mittel zur Verfügung. Wegen der Überbrückungsfunktion einer Sozialplanabfindung geht es in Ordnung, so das BAG, wenn bei rentennahen Arbeitnehmern nur die Nachteile ausgeglichen werden, die ihnen bis zum vorzeitigen Renteneintritt entstehen. Auch das EU-Recht zwingt nicht dazu, Sozialpläne an dieser Stelle zugunsten älterer Arbeitnehmer zu korrigieren.
Fazit: Nach Ansicht des BAG können vorgezogene Renten auch dann bei Sozialplan-Abfindungen berücksichtigt werden, wenn sie mit Rentenabschlägen verbunden sind.
Das ist allerdings nicht überzeugend, weil dies den "Rentennahen" nicht zuzumuten ist, jedenfalls dann nicht, wenn jüngere extrem hohe Abfindungen erhalten. Und eben mit Zumutbarkeitsargumenten hatte der EuGH ja sein Andersen-Urteil begründet.
Außerdem hat der EuGH vor kurzem klargestellt, dass er die Möglichkeit einer vorgezogenen Rente aufgrund einer Behinderung nicht als ausreichenden Grund dafür ansieht, schwerbehinderten Arbeitnehmern geringere Abfindungen zu zahlen (EuGH, Urteil vom 06.12.2012, C-152/11, Odar gg. Baxter - wir berichteten in: Arbeitsrecht aktuell 12/392 Sozialplan-Abfindung bei Behinderung).
Vor diesem Hintergrund hätte das BAG besser dem EuGH den Fall vorgelegt. Aber was das BAG hier nicht tun wollte, können ja andere Arbeitsgerichte machen. Daher ist älteren Arbeitnehmern trotz dieses BAG-Urteils zu raten, geringe Sozialplanabfindungen gerichtlich überprüfen zu lassen, wenn diese Abfindungen noch nicht einmal einen Ausgleich für die Einbußen bis zur regulären Berentung beinhalten.
Nähere Informationen finden Sie hier:
- Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 26.03.2013, 1 AZR 813/11 (Pressemeldung Nr.23/13 des BAG)
- Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Urteil vom 16.09.2011, 6 Sa 613/11
- Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 06.12.2012, C-152/11 - Odar gg. Baxter
- Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 18.11.2010, C-356/09 - Kleist
- Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 12.10.2010, C-499/08 - Andersen
- Arbeitsgericht München, Beschluss vom 17.02.2011, 22 Ca 8260/10
- Handbuch Arbeitsrecht: Abfindung
- Handbuch Arbeitsrecht: Abfindung und Diskriminierung
- Handbuch Arbeitsrecht: Abfindung und Diskriminierung - Alter
- Handbuch Arbeitsrecht: Betriebsänderung
- Handbuch Arbeitsrecht: Diskriminierungsverbote - Behinderung
- Handbuch Arbeitsrecht: Kündigung - betriebsbedingte Kündigung
- Handbuch Arbeitsrecht: Schwerbehinderung, schwerbehinderter Mensch
- Handbuch Arbeitsrecht: Sozialplan
- Arbeitsrecht aktuell: 20/056 Einigungsstelle kann Rentennahe von Sozialplanleistungen ausschließen
- Arbeitsrecht aktuell: 15/327 Benachteiligung wegen Behinderung bei Sozialplanabfindung
- Arbeitsrecht aktuell: 12/392 Sozialplan-Abfindung bei Behinderung
- Arbeitsrecht aktuell: 11/130 Keine Diskriminierung aufgrund geringerer Abfindung bei Erwerbsminderungsrente
- Arbeitsrecht aktuell: 11/107 Tarifvertragliche Altersgrenze kann Diskriminierung von Frauen sein
- Arbeitsrecht aktuell: 11/004 Auch rentennahe Arbeitnehmer haben einen Anspruch auf Abfindungszahlung
- Arbeitsrecht aktuell: 10/045 Aufhebungsvertrag mit Abfindung: Ältere Arbeitnehmer dürfen ausgenommen werden
- Arbeitsrecht aktuell: 09/149 Lebensalter und Betriebszugehörigkeit dürfen bei Sozialplanabfindung den Ausschlag geben
- Arbeitsrecht aktuell: 09/035 Sozialpläne dürfen niedrigere Abfindungen für rentennahe Arbeitnehmer vorsehen
Hinweis: In der Zwischenzeit, d.h. nach Erstellung dieses Artikels, hat das Gericht seine Entscheidungsgründe schriftlich abgefasst und veröffentlicht. Die Entscheidungsgründe im Volltext finden Sie hier:
Letzte Überarbeitung: 4. Mai 2020
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