HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

 

EuGH, Ur­teil vom 18.11.2010, C-356/09 - Kleist

   
Schlagworte: Gleichbehandlung
   
Gericht: Europäischer Gerichtshof
Aktenzeichen: C-356/09
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 18.11.2010
   
Leitsätze: Art. 3 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen in der durch die Richtlinie 2002/73/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. September 2002 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass eine nationale Regelung, die einem Arbeitgeber erlaubt, zur Förderung des Zugangs jüngerer Menschen zur Beschäftigung Arbeitnehmer zu kündigen, die einen Anspruch auf Alterspension erworben haben, eine von dieser Richtlinie verbotene unmittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts darstellt, wenn Frauen diesen Anspruch in einem Alter erwerben, das fünf Jahre niedriger ist als das Alter, in dem der Anspruch für Männer entsteht.
Vorinstanzen:
   

UR­TEIL DES GERICH­TSHOFS (Zwei­te Kam­mer)

18. No­vem­ber 2010(*)

„So­zi­al­po­li­tik – Gleich­be­hand­lung von Männern und Frau­en in Ar­beits- und Beschäfti­gungs­fra­gen – Richt­li­nie 76/207/EWG – Art. 3 Abs. 1 Buchst. c – Na­tio­na­le Re­ge­lung, die die Kündi­gung von Ar­beit­neh­mern er­leich­tert, die ei­nen An­spruch auf Al­ters­pen­si­on er­wor­ben ha­ben – Ziel der Förde­rung der Beschäfti­gung jünge­rer Men­schen – Na­tio­na­le Re­ge­lung, die das Pen­si­ons­al­ter für Frau­en auf 60 Jah­re und für Männer auf 65 Jah­re fest­legt“

In der Rechts­sa­che C-356/09

be­tref­fend ein Vor­ab­ent­schei­dungs­er­su­chen nach Art. 234 EG, ein­ge­reicht vom Obers­ten Ge­richts­hof (Öster­reich) mit Ent­schei­dung vom 4. Au­gust 2009, beim Ge­richts­hof ein­ge­gan­gen am 4. Sep­tem­ber 2009, in dem Ver­fah­ren

Pen­si­ons­ver­si­che­rungs­an­stalt

ge­gen

Chris­ti­ne Kleist

erlässt

DER GERICH­TSHOF (Zwei­te Kam­mer)

un­ter Mit­wir­kung des Kam­mer­präsi­den­ten J. N. Cun­ha Ro­d­ri­gues so­wie der Rich­ter A. Ara­b­ad­jiev (Be­richt­er­stat­ter), A. Ro­sas, U. Lõhmus und A. Ó Cao­imh,

Ge­ne­ral­anwältin: J. Ko­kott,

Kanz­ler: B. Fülöp, Ver­wal­tungs­rat,

auf­grund des schrift­li­chen Ver­fah­rens und auf die münd­li­che Ver­hand­lung vom 2. Sep­tem­ber 2010,

un­ter Berück­sich­ti­gung der Erklärun­gen

– der Pen­si­ons­ver­si­che­rungs­an­stalt, ver­tre­ten durch Rechts­an­walt A. Ehm,

– von Frau Kleist, ver­tre­ten durch Rechts­an­walt H. For­cher-Mayr,

– der Eu­ropäischen Kom­mis­si­on, ver­tre­ten durch V. Kreu­schitz und M. van Beek als Be­vollmäch­tig­te,

nach Anhörung der Schluss­anträge der Ge­ne­ral­anwältin in der Sit­zung vom 16. Sep­tem­ber 2010

fol­gen­des

Ur­teil



1 Das Vor­ab­ent­schei­dungs­er­su­chen be­trifft die Aus­le­gung der Richt­li­nie 76/207/EWG des Ra­tes vom 9. Fe­bru­ar 1976 zur Ver­wirk­li­chung des Grund­sat­zes der Gleich­be­hand­lung von Männern und Frau­en hin­sicht­lich des Zu­gangs zur Beschäfti­gung, zur Be­rufs­bil­dung und zum be­ruf­li­chen Auf­stieg so­wie in Be­zug auf die Ar­beits­be­din­gun­gen (ABl. L 39, S. 40) in der durch die Richt­li­nie 2002/73/EG des Eu­ropäischen Par­la­ments und des Ra­tes vom 23. Sep­tem­ber 2002 (ABl. L 269, S. 15) geänder­ten Fas­sung (im Fol­gen­den: Richt­li­nie 76/207).
2

Die­ses Er­su­chen er­geht im Rah­men ei­nes Rechts­streits zwi­schen Frau Kleist und ih­rem Ar­beit­ge­ber, der Pen­si­ons­ver­si­che­rungs­an­stalt, über die Be­din­gun­gen für die Be­en­di­gung ih­res Ar­beits­ver­trags.

Recht­li­cher Rah­men

Uni­ons­recht

3 Die Richt­li­nie 76/207, die durch die Richt­li­nie 2006/54/EG des Eu­ropäischen Par­la­ments und des Ra­tes vom 5. Ju­li 2006 zur Ver­wirk­li­chung des Grund­sat­zes der Chan­cen­gleich­heit und Gleich­be­hand­lung von Männern und Frau­en in Ar­beits- und Beschäfti­gungs­fra­gen (Neu­fas­sung) (ABl. L 204, S. 23) mit Wir­kung vom 15. Au­gust 2009 auf­ge­ho­ben wur­de, sah in Art. 2 vor:

„(1) Der Grund­satz der Gleich­be­hand­lung im Sin­ne der nach­ste­hen­den Be­stim­mun­gen be­inhal­tet, dass kei­ne un­mit­tel­ba­re oder mit­tel­ba­re Dis­kri­mi­nie­rung auf Grund des Ge­schlechts – ins­be­son­de­re un­ter Be­zug­nah­me auf den Ehe- oder Fa­mi­li­en­stand – er­fol­gen darf.

(2) Im Sin­ne die­ser Richt­li­nie be­zeich­net der Aus­druck

- ‚un­mit­tel­ba­re Dis­kri­mi­nie­rung‘: wenn ei­ne Per­son auf­grund ih­res Ge­schlechts in ei­ner ver­gleich­ba­ren Si­tua­ti­on ei­ne we­ni­ger güns­ti­ge Be­hand­lung erfährt, als ei­ne an­de­re Per­son erfährt, er­fah­ren hat oder er­fah­ren würde;

- ‚mit­tel­ba­re Dis­kri­mi­nie­rung‘: wenn dem An­schein nach neu­tra­le Vor­schrif­ten, Kri­te­ri­en oder Ver­fah­ren Per­so­nen, die ei­nem Ge­schlecht an­gehören, in be­son­de­rer Wei­se ge­genüber Per­so­nen des an­de­ren Ge­schlechts be­nach­tei­li­gen können, es sei denn, die be­tref­fen­den Vor­schrif­ten, Kri­te­ri­en oder Ver­fah­ren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sach­lich ge­recht­fer­tigt und die Mit­tel sind zur Er­rei­chung die­ses Ziels an­ge­mes­sen und er­for­der­lich;

…“

4 Gemäß Art. 3 Abs. 1 Buchst. c die­ser Richt­li­nie be­deu­tet die „An­wen­dung des Grund­sat­zes der Gleich­be­hand­lung …, dass es im öffent­li­chen und pri­va­ten Be­reich ein­sch­ließlich öffent­li­cher Stel­len … kei­ner­lei un­mit­tel­ba­re oder mit­tel­ba­re Dis­kri­mi­nie­rung auf­grund des Ge­schlechts … [in Be­zug auf] die Beschäfti­gungs- und Ar­beits­be­din­gun­gen ein­sch­ließlich der Ent­las­sungs­be­din­gun­gen so­wie das Ar­beits­ent­gelt nach Maßga­be der Richt­li­nie 75/117/EWG“ des Ra­tes vom 10. Fe­bru­ar 1975 zur An­glei­chung der Rechts­vor­schrif­ten der Mit­glied­staa­ten über die An­wen­dung des Grund­sat­zes des glei­chen Ent­gelts für Männer und Frau­en (ABl. L 45, S. 19) ge­ben darf.
5 Art. 7 Abs. 1 der Richt­li­nie 79/7/EWG des Ra­tes vom 19. De­zem­ber 1978 zur schritt­wei­sen Ver­wirk­li­chung des Grund­sat­zes der Gleich­be­hand­lung von Männern und Frau­en im Be­reich der so­zia­len Si­cher­heit (ABl. 1979, L 6, S. 24) be­stimmt:

„Die­se Richt­li­nie steht nicht der Be­fug­nis der Mit­glied­staa­ten ent­ge­gen, Fol­gen­des von ih­rem An­wen­dungs­be­reich aus­zu­sch­ließen:

a) die Fest­set­zung des Ren­ten­al­ters für die Gewährung der Al­ters­ren­te oder Ru­he­stands­ren­te und et­wai­ge Aus­wir­kun­gen dar­aus auf an­de­re Leis­tun­gen;

…“

Na­tio­na­les Recht

6 Die §§ 1, 2 und 3 des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­set­zes über un­ter­schied­li­che Al­ters­gren­zen von männ­li­chen und weib­li­chen So­zi­al­ver­si­cher­ten vom 29. De­zem­ber 1992 (BGBl 1992/832) lau­ten:

„§ 1. Ge­setz­li­che Re­ge­lun­gen, die un­ter­schied­li­che Al­ters­gren­zen von männ­li­chen und weib­li­chen Ver­si­cher­ten der ge­setz­li­chen So­zi­al­ver­si­che­rung vor­se­hen, sind zulässig.

§ 2. Be­gin­nend mit 1. Jänner 2019 ist für weib­li­che Ver­si­cher­te die Al­ters­gren­ze für die vor­zei­ti­ge Al­ters­pen­si­on jähr­lich bis 2028 mit 1. Jänner um sechs Mo­na­te zu erhöhen.

§ 3. Be­gin­nend mit 1. Jänner 2024 ist für weib­li­che Ver­si­cher­te die Al­ters­gren­ze für die Al­ters­pen­si­on jähr­lich bis 2033 mit 1. Jänner um sechs Mo­na­te zu erhöhen.“

7 Das All­ge­mei­ne So­zi­al­ver­si­che­rungs­ge­setz (ASVG) vom 9. Sep­tem­ber 1955 (BGBl 189/1955) in geänder­ter Fas­sung gilt nach sei­nem § 270 so­wohl für Ar­bei­ter als auch für An­ge­stell­te. § 253 Abs. 1 ASVG sieht vor, dass die Ver­si­cher­ten nach Voll­endung des Re­gel­pen­si­ons­al­ters, das 65 Jah­re für Männer und 60 Jah­re für Frau­en beträgt, An­spruch auf Al­ters­pen­si­on ha­ben, wenn die War­te­zeit nach § 236 ASVG erfüllt ist.
8 Aus dem Vor­la­ge­be­schluss geht her­vor, dass die (nach dem ASVG gewähr­te) ge­setz­li­che Al­ters­pen­si­on nach öster­rei­chi­schem Recht aus Gründen des wei­ter auf­rech­ten Be­stands ei­nes Ar­beits­verhält­nis­ses oder der Ausübung ei­ner selbständi­gen Tätig­keit über das Al­ter hin­aus, von dem an ein An­spruch auf die­se Pen­si­on be­steht, nicht gekürzt wer­den darf.
9 Der Kol­lek­tiv­ver­trag, der auf den vor­lie­gen­den Fall An­wen­dung fin­det, ist die Dienst­ord­nung B für die Ärz­te und Den­tis­ten bei den So­zi­al­ver­si­che­rungs­trägern Öster­reichs (im Fol­gen­den: DO.B). Die­ser Kol­lek­tiv­ver­trag schafft ei­ne be­son­de­re Kündi­gungs­re­ge­lung, wo­nach die Beschäftig­ten, de­ren Be­triebs­zu­gehörig­keit zehn Jah­re oder mehr beträgt, nur aus be­stimm­ten Gründen gekündigt wer­den dürfen.
10 § 134 DO.B sieht vor:

„…

(2) Unkünd­ba­re Ärz­te ha­ben An­spruch auf Ver­set­zung in den Ru­he­stand, wenn

2. An­spruch auf Al­ters­pen­si­on gemäß § 253 ASVG … be­steht …

(4) Der Vor­stand kann ei­nen unkünd­ba­ren Arzt in den Ru­he­stand ver­set­zen, wenn der Arzt

1. die Vor­aus­set­zun­gen nach Abs. 2 Z … 2 … erfüllt …

…“

Aus­gangs­ver­fah­ren und Vor­la­ge­fra­gen

11 Frau Kleist, ge­bo­ren im Fe­bru­ar 1948, war bei der Pen­si­ons­ver­si­che­rungs­an­stalt als lei­ten­de Ärz­tin an­ge­stellt.
12 Die Pen­si­ons­ver­si­che­rungs­an­stalt hat den Be­schluss ge­fasst, al­le Mit­ar­bei­ter und Mit­ar­bei­te­rin­nen, die die Vor­aus­set­zun­gen für ei­ne Ver­set­zung in den Ru­he­stand nach der DO.B erfüllen, zu kündi­gen. Frau Kleist teil­te ih­rem Ar­beit­ge­ber mit Schrei­ben vom 9. Jänner 2007 mit, dass sie nicht die Ab­sicht ha­be, nach Voll­endung des 60. Le­bens­jahrs in Pen­si­on zu ge­hen, son­dern bis 65 wei­ter ar­bei­ten wol­le. Der Ar­beit­ge­ber teil­te ihr dar­auf­hin mit Schrei­ben vom 6. De­zem­ber 2007 mit, dass er ih­re Ver­set­zung in den Ru­he­stand zum 1. Ju­li 2008 be­schlos­sen ha­be.
13 Frau Kleist focht ih­re Kündi­gung vor dem Lan­des­ge­richt Inns­bruck an. Des­sen klags­ab­wei­sen­des Ur­teil vom 14. März 2008 wur­de vom Ober­lan­des­ge­richt Inns­bruck als Be­ru­fungs­ge­richt in Ar­beits- und So­zi­al­rechts­sa­chen mit Ur­teil vom 22. Au­gust 2008 ab­geändert. Dar­auf­hin leg­te die Pen­si­ons­ver­si­che­rungs­an­stalt Re­vi­si­on beim Obers­ten Ge­richts­hof ein.
14 Der Obers­te Ge­richts­hof be­tont, dass das durch die DO.B ein­ge­rich­te­te Kündi­gungs­sys­tem vom all­ge­mei­nen Sys­tem nach öster­rei­chi­schem Recht ab­weicht, da Letz­te­res vor­sieht, dass ei­ne Kündi­gung im All­ge­mei­nen kei­nes Grun­des be­darf. Er weist je­doch dar­auf hin, dass da­durch die An­wen­dung des all­ge­mei­nen Kündi­gungs­schut­zes ge­gen miss­bräuch­li­che Kündi­gun­gen nicht aus­ge­schlos­sen ist, der nach öster­rei­chi­schem Recht un­ter be­stimm­ten Vor­aus­set­zun­gen gilt, wenn durch die­se Kündi­gung we­sent­li­che In­ter­es­sen des Ar­beit­neh­mers be­ein­träch­tigt wer­den und der Ar­beit­ge­ber die Kündi­gung nicht durch be­trieb­li­che Gründe oder Gründe in der Per­son des Ar­beit­neh­mers recht­fer­ti­gen kann.
15 Im Rah­men der Be­ur­tei­lung der Fra­ge, ob die Kündi­gung we­sent­li­che In­ter­es­sen des Ar­beit­neh­mers be­ein­träch­tigt, wird sei­ne so­zia­le Ab­si­che­rung, ins­be­son­de­re durch den Be­zug ei­ner Al­ters­pen­si­on, berück­sich­tigt. Die­ses Kri­te­ri­um wird auch im Rah­men der im Aus­gangs­ver­fah­ren in Re­de ste­hen­den Be­stim­mung der DO.B her­an­ge­zo­gen, die dem Ar­beit­ge­ber ge­stat­tet, den im Ver­gleich zu der ge­setz­li­chen Re­ge­lung verstärk­ten Kündi­gungs­schutz ge­genüber Ar­beit­neh­mern, die über ei­ne Al­ters­pen­si­on verfügen, nicht an­zu­wen­den, und da­mit die Ein­stel­lung jünge­rer Ar­beit­neh­mer ermöglicht.
16 Der Obers­te Ge­richts­hof stellt sich die Fra­ge, ob das Kri­te­ri­um der so­zia­len Si­tua­ti­on des Ar­beit­neh­mers, auf das das öster­rei­chi­sche Kündi­gungs­recht ver­wei­se, bei der Be­ur­tei­lung der Ver­gleich­bar­keit der Si­tua­ti­on der Ar­beit­neh­mer nicht eben­so zu berück­sich­ti­gen sei wie das Al­ters­kri­te­ri­um. Männer und Frau­en sei­en in­so­fern gleich­ge­stellt, als sie, wenn sie über ei­ne so­zia­le Ab­si­che­rung verfügten, den verstärk­ten Kündi­gungs­schutz der DO.B verlören.
17

Ins­be­son­de­re im Hin­blick auf die Be­deu­tung des Spiel­raums der Mit­glied­staa­ten bei der Aus­ge­stal­tung beschäfti­gungs­po­li­ti­scher Maßnah­men sei­en die durch das Aus­gangs­ver­fah­ren auf­ge­wor­fe­nen Rechts­fra­gen durch die Recht­spre­chung des Ge­richts­hofs nicht aus­rei­chend erläutert wor­den, um dem vor­le­gen­den Ge­richt den Er­lass ei­ner Ent­schei­dung zu ermögli­chen.

18 In die­sem Zu­sam­men­hang hat der Obers­te Ge­richts­hof das Ver­fah­ren aus­ge­setzt und dem Ge­richts­hof fol­gen­de Fra­gen zur Vor­ab­ent­schei­dung vor­ge­legt:

1. Ist Art. 3 Abs. 1 Buchst. c der Richt­li­nie 76/207 da­hin aus­zu­le­gen, dass er – im Rah­men ei­nes Ar­beits­rechts­sys­tems, das beim all­ge­mei­nen Kündi­gungs­schutz der Ar­beit­neh­mer auf de­ren so­zia­le (fi­nan­zi­el­le) An­ge­wie­sen­heit auf den Ar­beits­platz ab­stellt – der Be­stim­mung ei­nes Kol­lek­tiv­ver­trags ent­ge­gen­steht, die ei­nen über den ge­setz­li­chen all­ge­mei­nen Kündi­gungs­schutz hin­aus­ge­hen­den be­son­de­ren Kündi­gungs­schutz nur bis zu je­nem Zeit­punkt vor­sieht, in dem ty­pi­scher­wei­se ei­ne so­zia­le (fi­nan­zi­el­le) Ab­si­che­rung durch die Leis­tung ei­ner Al­ters­pen­si­on ge­ge­ben ist, wenn die­se Al­ters­pen­si­on für Männer und Frau­en zu un­ter­schied­li­chen Zeit­punk­ten anfällt?

2. Steht Art. 3 Abs. 1 Buchst. c der Richt­li­nie 76/207 im Rah­men des dar­ge­stell­ten Ar­beits­rechts­sys­tems der Ent­schei­dung ei­nes öffent­li­chen Ar­beit­ge­bers ent­ge­gen, der ei­ne Ar­beit­neh­me­rin we­ni­ge Mo­na­te nach dem Zeit­punkt kündigt, in dem sie ei­ne Ab­si­che­rung durch ei­ne Al­ters­pen­si­on hat, um neue am Ar­beits­markt be­reits an­drängen­de Ar­beit­neh­mer ein­zu­stel­len?

Zu den Vor­la­ge­fra­gen

19 Mit sei­nen Fra­gen, die zu­sam­men zu prüfen sind, möch­te das vor­le­gen­de Ge­richt im We­sent­li­chen wis­sen, ob Art. 3 Abs. 1 Buchst. c der Richt­li­nie 76/207 da­hin aus­zu­le­gen ist, dass ei­ne na­tio­na­le Re­ge­lung, die ei­nem öffent­li­chen Ar­beit­ge­ber zur Förde­rung des Zu­gangs jünge­rer Men­schen zur Beschäfti­gung er­laubt, Ar­beit­neh­mer zu kündi­gen, die ei­nen An­spruch auf Al­ters­pen­si­on er­wor­ben ha­ben, wenn Frau­en die­sen An­spruch in ei­nem Al­ter er­wer­ben, das fünf Jah­re nied­ri­ger ist als das Al­ter, in dem der An­spruch für Männer ent­steht, ei­ne von die­ser Richt­li­nie ver­bo­te­ne Dis­kri­mi­nie­rung auf­grund des Ge­schlechts dar­stellt.

Beim Ge­richts­hof ein­ge­reich­te Erklärun­gen

20 Nach An­sicht von Frau Kleist stellt die im Aus­gangs­ver­fah­ren strei­ti­ge Re­ge­lung ei­ne Dis­kri­mi­nie­rung auf­grund des Ge­schlechts dar, da sie ei­nem Ar­beit­ge­ber ge­stat­te, ei­ne Ar­beit­neh­me­rin zwangs­wei­se in den Ru­he­stand zu ver­set­zen, wenn sie das Al­ter er­rei­che, ab dem sie An­spruch auf ei­ne Al­ters­pen­si­on ha­be, nämlich 60 Jah­re, ob­wohl der An­spruch auf ei­ne sol­che Pen­si­on zu ver­schie­de­nen Zeit­punk­ten er­wor­ben wer­de, je nach­dem, ob es sich bei dem Ar­beit­neh­mer um ei­nen Mann oder um ei­ne Frau han­de­le. Art. 3 Abs. 1 Buchst. c der Richt­li­nie 76/207 müsse da­hin aus­ge­legt wer­den, dass er ei­ner sol­chen Re­ge­lung ent­ge­gen­ste­he.
21 Frau Kleist er­sucht den Ge­richts­hof, sich auch zur Aus­le­gung der Richt­li­nie 2000/78/EG des Ra­tes vom 27. No­vem­ber 2000 zur Fest­le­gung ei­nes all­ge­mei­nen Rah­mens für die Ver­wirk­li­chung der Gleich­be­hand­lung in Beschäfti­gung und Be­ruf (ABl. L 303, S. 16) zu äußern. Sie trägt vor, dass die Richt­li­nie ei­ner na­tio­na­len Re­ge­lung wie der im Aus­gangs­ver­fah­ren strei­ti­gen ent­ge­gen­ste­he, weil sie über­dies zu ei­ner un­mit­tel­ba­ren Dis­kri­mi­nie­rung we­gen des Al­ters führe.
22 Die Pen­si­ons­ver­si­che­rungs­an­stalt macht gel­tend, dass die im Aus­gangs­ver­fah­ren strei­ti­ge Re­ge­lung ei­ne mit­tel­bar auf dem Ge­schlecht be­ru­hen­de un­ter­schied­li­che Be­hand­lung fest­set­ze, die im Hin­blick auf das Ziel, die Beschäfti­gung jünge­rer Men­schen zu fördern, ge­recht­fer­tigt sei und dem­nach kei­ne un­zulässi­ge Dis­kri­mi­nie­rung dar­stel­le. Außer­dem müsse ei­ne Si­tua­ti­on ver­mie­den wer­den, in der Frau­en ei­nen Dop­pel­be­zug von Ak­tiv­ge­halt und ASVG-Pen­si­on lu­krie­ren könn­ten, während Männer die­se Möglich­keit nicht hätten.
23 Die Eu­ropäische Kom­mis­si­on ist der An­sicht, dass Art. 3 Abs. 1 Buchst. c der Richt­li­nie 76/207 da­hin aus­zu­le­gen sei, dass er der Be­stim­mung ei­nes Kol­lek­tiv­ver­trags ent­ge­gen­ste­he, die ei­nen über den ge­setz­li­chen all­ge­mei­nen Kündi­gungs­schutz hin­aus­ge­hen­den be­son­de­ren Kündi­gungs­schutz nur bis zu je­nem Zeit­punkt vor­se­he, in dem der Ar­beit­neh­mer über ei­ne so­zia­le Ab­si­che­rung verfüge, die ihm fi­nan­zi­el­le Mit­tel ver­schaf­fe, was ty­pi­scher­wei­se durch die Leis­tung ei­ner Al­ters­pen­si­on ge­ge­ben sei, wenn der An­spruch auf die­se Pen­si­on für Männer und Frau­en zu un­ter­schied­li­chen Zeit­punk­ten an­fal­le, wo­bei das Ziel, die Beschäfti­gung jünge­rer Men­schen zu fördern, ei­ne sol­che Re­ge­lung nicht recht­fer­ti­gen könne.

Ant­wort des Ge­richts­hofs

24 Zunächst ist fest­zu­stel­len, dass die Fra­ge nach den Be­din­gun­gen für die Gewährung ei­ner Al­ters­pen­si­on und die nach den Be­din­gun­gen für die Be­en­di­gung ei­nes Ar­beits­verhält­nis­ses un­ter­schied­lich sind (vgl. in die­sem Sin­ne Ur­teil vom 26. Fe­bru­ar 1986, Mar­shall, 152/84, Slg. 1986, 723, Rand­nr. 32).
25 Was die Be­din­gun­gen für die Be­en­di­gung ei­nes Ar­beits­verhält­nis­ses be­trifft, sieht Art. 3 Abs. 1 Buchst. c der Richt­li­nie 76/207 vor, dass die An­wen­dung des Grund­sat­zes der Gleich­be­hand­lung hin­sicht­lich der Ent­las­sungs­be­din­gun­gen be­deu­tet, dass es im öffent­li­chen und pri­va­ten Be­reich ein­sch­ließlich öffent­li­cher Stel­len kei­ner­lei un­mit­tel­ba­re oder mit­tel­ba­re Dis­kri­mi­nie­rung auf­grund des Ge­schlechts ge­ben darf.
26 In die­sem Zu­sam­men­hang fällt ei­ne Al­ters­gren­ze für das ob­li­ga­to­ri­sche Aus­schei­den der Ar­beit­neh­mer im Rah­men ei­ner all­ge­mei­nen Pen­sio­nie­rungs­po­li­tik ei­nes Ar­beit­ge­bers un­ter den - weit aus­zu­le­gen­den - Be­griff der Ent­las­sung in die­ser Be­stim­mung, auch wenn die­ses Aus­schei­den die Gewährung ei­ner Al­ters­ren­te mit sich bringt (vgl. ent­spre­chend Ur­tei­le vom 26. Fe­bru­ar 1986, Mar­shall, Rand­nr. 34, und Beets-Pro­per, 262/84, Slg. 1986, 773, Rand­nr. 36).
27 Dar­aus folgt, dass das Aus­gangs­ver­fah­ren Ent­las­sungs­be­din­gun­gen im Sin­ne von Art. 3 Abs. 1 Buchst. c der Richt­li­nie 76/207 be­trifft, da Frau Kleist von ih­rem Ar­beit­ge­ber ent­spre­chend des­sen Ent­schei­dung, al­le Ar­beit­neh­mer zu kündi­gen, die ei­nen An­spruch auf Al­ters­pen­si­on er­wor­ben ha­ben, zwangs­wei­se in den Ru­he­stand ver­setzt wur­de.
28 Es ist zunächst dar­auf hin­zu­wei­sen, dass der Ge­richts­hof ent­schie­den hat, dass ei­ne all­ge­mei­ne Ent­las­sungs­po­li­tik, wo­nach ei­ne Ar­beit­neh­me­rin nur aus dem Grund ent­las­sen wird, weil sie das Al­ter er­reicht oder über­schrit­ten hat, in dem sie An­spruch auf ei­ne Al­ters­ren­te er­wirbt und das nach den na­tio­na­len Rechts­vor­schrif­ten für Männer und Frau­en un­ter­schied­lich ist, ei­ne durch die Richt­li­nie 76/207/EWG ver­bo­te­ne Dis­kri­mi­nie­rung auf­grund des Ge­schlechts dar­stellt (vgl. in die­sem Sin­ne Ur­teil Mar­shall, Rand­nr. 38).
29 Da­zu ist, ers­tens, fest­zu­stel­len, dass ei­ne un­mit­tel­ba­re Dis­kri­mi­nie­rung nach Art. 2 Abs. 2 ers­ter Ge­dan­ken­strich der Richt­li­nie 76/207 vor­liegt, wenn ei­ne Per­son auf­grund ih­res Ge­schlechts in ei­ner ver­gleich­ba­ren Si­tua­ti­on ei­ne we­ni­ger güns­ti­ge Be­hand­lung erfährt, als ei­ne an­de­re Per­son erfährt, er­fah­ren hat oder er­fah­ren würde.
30 Im vor­lie­gen­den Fall geht aus § 134 Abs. 2 Z 2 und Abs. 4 Z 1 der DO.B her­vor, dass unkünd­ba­re Ärz­te doch gekündigt wer­den dürfen, wenn sie ei­nen An­spruch auf Al­ters­pen­si­on gemäß § 253 ASVG er­wor­ben ha­ben. Nach § 253 Abs. 1 ASVG ha­ben Männer die­sen An­spruch, wenn sie das Al­ter von 65 Jah­ren, und Frau­en, wenn sie das Al­ter von 60 Jah­ren er­reicht ha­ben. Folg­lich dürfen Ar­beit­neh­mer weib­li­chen Ge­schlechts gekündigt wer­den, wenn sie das Al­ter von 60 Jah­ren er­reicht ha­ben, während Ar­beit­neh­mer männ­li­chen Ge­schlechts erst im Al­ter von 65 Jah­ren gekündigt wer­den dürfen.
31 Da das von die­sen Be­stim­mun­gen ver­wen­de­te Kri­te­ri­um vom Ge­schlecht der Ar­beit­neh­mer nicht zu tren­nen ist, liegt dem­nach ent­ge­gen dem Vor­brin­gen der Pen­si­ons­ver­si­che­rungs­an­stalt ei­ne Un­gleich­be­hand­lung vor, die un­mit­tel­bar auf das Ge­schlecht gestützt ist.
32 Es ist, zwei­tens, zu prüfen, ob sich die Ar­beit­neh­mer weib­li­chen Ge­schlechts im Al­ter von 60 bis 65 Jah­ren in ei­nem sol­chen Zu­sam­men­hang, wie er von die­sen Be­stim­mun­gen ge­re­gelt wird, in ei­ner Si­tua­ti­on be­fin­den, die mit der der Ar­beit­neh­mer männ­li­chen Ge­schlechts der­sel­ben Al­ters­grup­pe im Sin­ne von Art. 2 Abs. 2 ers­ter Ge­dan­ken­strich der Richt­li­nie 76/207 ver­gleich­bar ist.
33 Hier­zu stellt sich das vor­le­gen­de Ge­richt im We­sent­li­chen die Fra­ge, ob der Um­stand, dass die Ar­beit­neh­mer weib­li­chen Ge­schlechts im Al­ter von 60 bis 65 Jah­ren über ei­ne so­zia­le Ab­si­che­rung in Form der ge­setz­li­chen Al­ters­pen­si­on verfügen, der Si­tua­ti­on die­ser Ar­beit­neh­mer im Ver­gleich zu der Si­tua­ti­on von Ar­beit­neh­mern männ­li­chen Ge­schlechts der­sel­ben Al­ters­grup­pe, die nicht über ei­ne sol­che Ab­si­che­rung verfügen, nicht ei­nen be­son­de­ren Cha­rak­ter ver­lei­hen kann.
34 Die Ver­gleich­bar­keit sol­cher Si­tua­tio­nen ist u. a. im Hin­blick auf das Ziel der Re­ge­lung zu prüfen, die die Un­gleich­be­hand­lung fest­setzt (vgl. in die­sem Sin­ne Ur­tei­le vom 9. De­zem­ber 2004, Hlo­zek, C-19/02, Slg. 2004, I-11491, Rand­nr. 46, und ent­spre­chend vom 16. De­zem­ber 2008, Ar­celor At­lan­tique et Lor­rai­ne u. a., C-127/07, Slg. 2008, I-9895, Rand­nr. 26).
35 Die Re­ge­lung, die im Aus­gangs­ver­fah­ren die strei­ti­ge Un­gleich­be­hand­lung fest­setzt, soll die Be­din­gun­gen fest­le­gen, un­ter de­nen die Ar­beit­neh­mer ih­re Beschäfti­gung ver­lie­ren können.
36 Im Aus­gangs­ver­fah­ren steht im Ge­gen­satz zu den Rechts­sa­chen, in de­nen die Ur­tei­le vom 9. No­vem­ber 1993, Ro­berts (C-132/92, Slg. 1993, I-5579, Rand­nr. 20), und Hlo­zek (Rand­nr. 48) er­gan­gen sind, der Vor­teil der weib­li­chen Ar­beit­neh­mer, der dar­in be­steht, dass sie ih­re Al­ters­pen­si­on in ei­nem Al­ter be­an­spru­chen können, das fünf Jah­re un­ter dem für männ­li­che Ar­beit­neh­mer fest­ge­leg­ten Al­ter liegt, in kei­nem un­mit­tel­ba­ren Zu­sam­men­hang mit dem Ziel der Re­ge­lung, die ei­ne Un­gleich­be­hand­lung fest­setzt.
37 Die­ser Vor­teil kann die weib­li­chen Ar­beit­neh­mer nämlich nicht in ei­ne be­son­de­re Si­tua­ti­on im Ver­gleich zu den männ­li­chen Ar­beit­neh­mern brin­gen, da sich Männer und Frau­en hin­sicht­lich der Be­din­gun­gen für die Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses in der glei­chen Si­tua­ti­on be­fin­den (vgl. in die­sem Sin­ne Ur­teil vom 26. Fe­bru­ar 1986, Ro­berts, 151/84, Slg. 1986, 703, Rand­nr. 36).
38 Wie aus dem Vor­la­ge­be­schluss her­vor­geht, er­gibt sich außer­dem der in Rand­nr. 33 des vor­lie­gen­den Ur­teils ge­nann­te Um­stand dar­aus, dass die Re­pu­blik Öster­reich gemäß der in Art. 7 Abs. 1 Buchst. a der Richt­li­nie 79/7 vor­ge­se­he­nen Aus­nah­me vom Grund­satz der Gleich­be­hand­lung ein Sys­tem ein­rich­ten woll­te, das ei­nen Un­ter­schied in Be­zug auf das ge­setz­li­che Pen­si­ons­al­ter für Männer und Frau­en vor­sieht, um die ge­sell­schaft­li­che, fa­mi­liäre und öko­no­mi­sche Be­nach­tei­li­gung der Frau­en aus­zu­glei­chen.
39 Der Ge­richts­hof hat aber wie­der­holt ent­schie­den, dass die in die­ser Be­stim­mung ent­hal­te­ne Aus­nah­me vom Ver­bot der Dis­kri­mi­nie­rung auf­grund des Ge­schlechts an­ge­sichts der grund­le­gen­den Be­deu­tung des Grund­sat­zes der Gleich­be­hand­lung in dem Sin­ne eng aus­zu­le­gen ist, dass sie nur für die Fest­set­zung des Ren­ten­al­ters für die Gewährung der Al­ters- oder Ru­he­stands­ren­te und et­wai­ge Aus­wir­kun­gen dar­aus auf an­de­re Leis­tun­gen der so­zia­len Si­cher­heit gel­ten kann (vgl. in die­sem Sin­ne Ur­tei­le Mar­shall, Rand­nr. 36, vom 21. Ju­li 2005, Ver­ga­ni, C-207/04, Slg. 2005, I-7453, Rand­nr. 33, und vom 27. April 2006, Ri­chards, C-423/04, Slg. 2006, I-3585, Rand­nr. 36).
40 Da die im Aus­gangs­ver­fah­ren strei­ti­ge Re­ge­lung, wie sich aus Rand­nr. 27 des vor­lie­gen­den Ur­teils er­gibt, den Be­reich der Ent­las­sung im Sin­ne von Art. 3 Abs. 1 Buchst. c der Richt­li­nie 76/207 und nicht die in Art. 7 Abs. 1 Buchst. a der Richt­li­nie 79/7 ge­nann­ten Aus­wir­kun­gen be­trifft, gilt die Aus­nah­me nicht für die­se Re­ge­lung.
41 Drit­tens trifft die Richt­li­nie 76/207 ei­ne Un­ter­schei­dung zwi­schen der un­mit­tel­ba­ren Dis­kri­mi­nie­rung auf­grund des Ge­schlechts und der so­ge­nann­ten „mit­tel­ba­ren“ Dis­kri­mi­nie­rung da­hin, dass nach ih­rem Art. 2 Abs. 2 zwei­ter Ge­dan­ken­strich nur die Vor­schrif­ten, Kri­te­ri­en oder Ver­fah­ren, die ei­ne mit­tel­ba­re Dis­kri­mi­nie­rung dar­stel­len können, der Ein­stu­fung als Dis­kri­mi­nie­rung ent­ge­hen können, wenn sie „durch ein rechtmäßiges Ziel sach­lich ge­recht­fer­tigt und die Mit­tel … zur Er­rei­chung die­ses Ziels an­ge­mes­sen und er­for­der­lich [sind]“. Ei­ne sol­che Möglich­keit ist hin­ge­gen für Un­gleich­be­hand­lun­gen, die ei­ne un­mit­tel­ba­re Dis­kri­mi­nie­rung im Sin­ne von Art. 2 Abs. 2 ers­ter Ge­dan­ken­strich die­ser Richt­li­nie dar­stel­len können, nicht vor­ge­se­hen.
42 Da zum ei­nen die Un­gleich­be­hand­lung, die durch ei­ne Re­ge­lung wie die im Aus­gangs­ver­fah­ren strei­ti­ge ge­schaf­fen wur­de, un­mit­tel­bar auf dem Ge­schlecht be­ruht, ob­wohl, wie aus Rand­nr. 37 des vor­lie­gen­den Ur­teils her­vor­geht, die Si­tua­ti­on von Frau­en und Männern im vor­lie­gen­den Fall gleich ist, und zum an­de­ren die Richt­li­nie 76/207 kei­ne im vor­lie­gen­den Fall an­wend­ba­re Aus­nah­me vom Grund­satz der Gleich­be­hand­lung enthält, ist die­se Un­gleich­be­hand­lung un­ter die­sen Umständen als un­mit­tel­ba­re Dis­kri­mi­nie­rung auf­grund des Ge­schlechts an­zu­se­hen (vgl. in die­sem Sin­ne Ur­teil Ver­ga­ni, Rand­nr. 34).
43 Die­se Un­gleich­be­hand­lung kann da­her nicht, wie die Pen­si­ons­ver­si­che­rungs­an­stalt gel­tend macht, durch das Ziel ge­recht­fer­tigt wer­den, die Beschäfti­gung jünge­rer Men­schen zu fördern.
44 Was schließlich ei­ne even­tu­el­le Dis­kri­mi­nie­rung auf­grund des Al­ters im Sin­ne der Richt­li­nie 2000/78 an­geht, ist dar­auf hin­zu­wei­sen, dass in ei­nem Ver­fah­ren nach Art. 234 EG das mit dem Rechts­streit be­fass­te na­tio­na­le Ge­richt, in des­sen Ver­ant­wor­tungs­be­reich die zu er­las­sen­de ge­richt­li­che Ent­schei­dung fällt, im Hin­blick auf die Be­son­der­hei­ten der Rechts­sa­che so­wohl die Er­for­der­lich­keit ei­ner Vor­ab­ent­schei­dung für den Er­lass sei­nes Ur­teils als auch die Er­heb­lich­keit der dem Ge­richts­hof vor­zu­le­gen­den Fra­gen zu be­ur­tei­len hat (vgl. u. a. Ur­teil vom 12. Ok­to­ber 2010, Ro­sen­bladt, C-45/09, noch nicht in der amt­li­chen Samm­lung veröffent­licht, Rand­nr. 32).
45 Da das vor­le­gen­de Ge­richt den Ge­richts­hof nicht nach der Aus­le­gung die­ser Richt­li­nie ge­fragt hat und aus dem Vor­la­ge­be­schluss auch nicht her­vor­geht, dass das Vor­lie­gen ei­ner sol­chen Dis­kri­mi­nie­rung im Rah­men des Aus­gangs­ver­fah­rens be­haup­tet wur­de, er­scheint die Prüfung die­ser Fra­ge­stel­lung für die Ent­schei­dung im Aus­gangs­ver­fah­ren nicht sach­dien­lich.
46 Auf die Vor­la­ge­fra­gen ist da­her zu ant­wor­ten, dass Art. 3 Abs. 1 Buchst. c der Richt­li­nie 76/207 da­hin aus­zu­le­gen ist, dass ei­ne na­tio­na­le Re­ge­lung, die ei­nem Ar­beit­ge­ber er­laubt, zur Förde­rung des Zu­gangs jünge­rer Men­schen zur Beschäfti­gung Ar­beit­neh­mer zu kündi­gen, die ei­nen An­spruch auf Al­ters­pen­si­on er­wor­ben ha­ben, ei­ne von die­ser Richt­li­nie ver­bo­te­ne un­mit­tel­ba­re Dis­kri­mi­nie­rung auf­grund des Ge­schlechts dar­stellt, wenn Frau­en die­sen An­spruch in ei­nem Al­ter er­wer­ben, das fünf Jah­re nied­ri­ger ist als das Al­ter, in dem der An­spruch für Männer ent­steht.

Kos­ten

47 Für die Par­tei­en des Aus­gangs­ver­fah­rens ist das Ver­fah­ren ein Zwi­schen­streit in dem bei dem vor­le­gen­den Ge­richt anhängi­gen Rechts­streit; die Kos­ten­ent­schei­dung ist da­her Sa­che die­ses Ge­richts. Die Aus­la­gen an­de­rer Be­tei­lig­ter für die Ab­ga­be von Erklärun­gen vor dem Ge­richts­hof sind nicht er­stat­tungsfähig.

Aus die­sen Gründen hat der Ge­richts­hof (Zwei­te Kam­mer) für Recht er­kannt:

Art. 3 Abs. 1 Buchst. c der Richt­li­nie 76/207/EWG des Ra­tes vom 9. Fe­bru­ar 1976 zur Ver­wirk­li­chung des Grund­sat­zes der Gleich­be­hand­lung von Männern und Frau­en hin­sicht­lich des Zu­gangs zur Beschäfti­gung, zur Be­rufs­bil­dung und zum be­ruf­li­chen Auf­stieg so­wie in Be­zug auf die Ar­beits­be­din­gun­gen in der durch die Richt­li­nie 2002/73/EG des Eu­ropäischen Par­la­ments und des Ra­tes vom 23. Sep­tem­ber 2002 geänder­ten Fas­sung ist da­hin aus­zu­le­gen, dass ei­ne na­tio­na­le Re­ge­lung, die ei­nem Ar­beit­ge­ber er­laubt, zur Förde­rung des Zu­gangs jünge­rer Men­schen zur Beschäfti­gung Ar­beit­neh­mer zu kündi­gen, die ei­nen An­spruch auf Al­ters­pen­si­on er­wor­ben ha­ben, ei­ne von die­ser Richt­li­nie ver­bo­te­ne un­mit­tel­ba­re Dis­kri­mi­nie­rung auf­grund des Ge­schlechts dar­stellt, wenn Frau­en die­sen An­spruch in ei­nem Al­ter er­wer­ben, das fünf Jah­re nied­ri­ger ist als das Al­ter, in dem der An­spruch für Männer ent­steht.

Un­ter­schrif­ten

* Ver­fah­rens­spra­che: Deutsch.

Quel­le: Ge­richts­hof der Eu­ropäischen Uni­on (EuGH), http://cu­ria.eu­ro­pa.eu

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