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ARBEITSRECHT AKTUELL // 09/035

So­zi­al­plä­ne dür­fen nied­ri­ge­re Ab­fin­dun­gen für ren­ten­na­he Ar­beit­neh­mer vor­se­hen

Kei­ne ver­bo­te­ne Al­ters­dis­kri­mi­nie­rung, wenn So­zi­al­plä­ne die künf­ti­gen Er­werbs­min­de­run­gen be­rück­sich­ti­gen, die bei "Ren­ten­na­hen" ge­rin­ger sind: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Ur­teil vom 11.11.2008, 1 AZR 475/07
Handschlag Playmobil So­zi­al­plä­ne müs­sen bei Ab­fin­dun­gen nicht die "Le­bens­leis­tung" ho­no­rie­ren

06.03.2009. En­de letz­ten Jah­res in­for­mier­ten wir über ein Ur­teil des Bun­des­ar­beits­ge­richts (BAG), des­sen In­halt zu­nächst nur über ei­ne ge­richt­li­che Pres­se­mel­dung be­kannt war (Ar­beits­recht ak­tu­ell: 08/134 Dis­kri­mi­nie­rung: Ab­fin­dungs­kür­zung für Ar­beit­neh­mer im ren­ten­na­hen Al­ter).

Ge­strit­ten wur­de in die­sem Fall dar­über, ob es ei­ne ver­bo­te­ne Al­ter­si­dis­kri­mi­nie­rung ist, wenn sog. ren­ten­na­he Ar­beit­neh­mer bei der Fest­set­zung von So­zi­al­plan­ab­fin­dun­gen schlech­ter ge­stellt wer­den als Kol­le­gen, die ei­ni­ge Jah­re jün­ger sind.

Nach An­sicht des BAG liegt ei­ne Dis­kri­mi­nie­rung hier nicht vor. In­zwi­schen hat das BAG sei­ne Ent­schei­dungs­grün­de pu­bli­ziert (BAG, Ur­teil vom 11.11.2008, 1 AZR 475/07). Sie wer­den hier kurz be­spro­chen.

We­ni­ger Ab­fin­dung nach ei­nem So­zi­al­plan für 63jähri­ge als für 57jähri­ge?

Bei ei­ner Be­triebsände­rung, et­wa der Sch­ließung ei­ner Nie­der­las­sung, kann der Be­triebs­rat die Auf­stel­lung ei­nes So­zi­al­pla­nes er­zwin­gen. Da­mit sol­len Nach­tei­le aus­ge­gli­chen oder ab­ge­mil­dert wer­den, die den Ar­beit­neh­mern durch die Be­triebsände­rung für die Zu­kunft ent­ste­hen. Ty­pi­scher­wei­se ge­schieht dies in Form von Ab­fin­dun­gen.

Häufig sol­len da­nach Ar­beit­neh­mer, die kurz vor der Ren­te ste­hen, ei­ne nied­ri­ge­re Ab­fin­dung er­hal­ten. Wel­che Ab­fin­dung an wel­chen Ar­beit­neh­mer aus­ge­zahlt wird, können Be­triebs­rat und Ar­beit­ge­ber an sich frei ent­schei­den. Doch dürfen sie Ar­beit­neh­mer gemäß § 75 Be­triebs­ver­fas­sungs­ge­setz (Be­trVG) so­wie § 1 All­ge­mei­nes Gleich­be­hand­lungs­ge­setz (AGG) un­ter an­de­rem nicht we­gen ih­res Al­ters oh­ne sach­li­chen Grund be­nach­tei­li­gen, da dies ei­ne un­zulässi­ge Dis­kri­mi­nie­rung we­gen des Al­ters wäre.

Frag­lich ist, ob die Ver­ein­ba­rung in So­zi­alplänen, dass ren­ten­na­he Ar­beit­neh­mer ei­ne nied­ri­ge­re Ab­fin­dung auf der Grund­la­ge ei­ner ungüns­ti­ge­ren Be­rech­nungs­for­mel er­hal­ten, ei­ne Dis­kri­mi­nie­rung auf­grund des Al­ters im Hin­blick auf das AGG dar­stel­len.

Der Streit­fall: 60jähri­ger be­kommt we­ni­ger So­zi­al­plan­ab­fin­dung als ge­ringfügig jünge­re Kol­le­gen

Im vor­lie­gen­den Fall kündig­te die Ar­beit­ge­be­rin den schwer­be­hin­der­ten Kläger, ei­nen langjährig beschäftig­ten Bau­ma­schi­nenführer, aus be­triebs­be­ding­ten Gründen, nämlich we­gen der Sch­ließung ei­ner ih­rer Nie­der­las­sun­gen. Der Kläger war zu die­sem Zeit­punkt ge­ra­de 60 Jah­re alt ge­wor­den und zur vor­zei­ti­gen In­an­spruch­nah­me von Al­ters­ren­te be­rech­tigt. Nach­dem er in der ers­ten Hälf­te des Jah­res 2006 zunächst Ar­beits­lo­sen­geld I in An­spruch ge­nom­men hat­te, be­zog er seit Au­gust 2006 vor­ge­zo­ge­ne Al­ters­ren­te mit ei­nem Ab­schlag von 7,5 %. Ab De­zem­ber 2008 hat der Kläger An­spruch auf un­ge­min­der­te Al­ters­ren­te.

Ein auf­grund der Nie­der­las­sungs­sch­ließung auf den Kläger an­zu­wen­den­de So­zi­al­plan sieht vor, dass Ar­beit­neh­mer, die in un­mit­tel­ba­rem An­schluss an die Be­en­di­gung ih­res Ar­beits­verhält­nis­ses An­spruch auf ei­ne vor­ge­zo­ge­ne Al­ters­ren­te (ge­setz­lich oder gleich­ge­stellt) mit Ab­schlägen ha­ben, für je­den Mo­nat der vor­zei­ti­gen In­an­spruch­nah­me ei­ner sol­chen Al­ters­ren­te zum Aus­gleich der Ren­tenkürzung ei­ne Ab­fin­dungs­pau­scha­le in Höhe von 160,00 EUR, höchs­tens je­doch 9.600,00 EUR brut­to er­hal­ten sol­len.

Während die nor­ma­le (Re­gel-)Ab­fin­dung für den Kläger auf­grund der Dau­er sei­ner Be­triebs­zu­gehörig­keit, sei­nes Al­ters, sei­ner Schwer­be­hin­de­rung und sei­nes Mo­nats­ein­kom­mens fast 52.000 EUR be­tra­gen hätte, er­hielt der Kläger von der Be­klag­ten un­ter Hin­weis auf die Son­der­re­ge­lung für Ab­fin­dun­gen vor­zei­tig ren­ten­be­rech­tig­ter Ar­beit­neh­mer ei­ne Ab­fin­dung von nur 5.600,00 EUR.

Das Ar­beits­ge­richt wies die Kla­ge durch Ur­teil vom 22.12.2006 (11 Ca 2183/06) ab. Auch die beim Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Köln ein­ge­leg­te Be­ru­fung blieb er­folg­los, d.h. das LAG bestätig­te die Kla­ge­ab­wei­sung durch das Ar­beits­ge­richt (LAG Köln, Ur­teil vom 04.07.2007, 14 Sa 201/07).

BAG: So­zi­alpläne ha­ben ei­ne zu­kunfts­ge­rich­te­te Aus­gleichs- und Über­brückungs­funk­ti­on

Das BAG wies die Re­vi­si­on des Ar­beit­neh­mers eben­falls zurück.

Nach sei­ner An­sicht dürfen die Be­triebs­par­tei­en in So­zi­alplänen für Ar­beit­neh­mer, die An­spruch auf vor­ge­zo­ge­nen Al­ters­ren­te hätten, ge­rin­ge­re Ab­fin­dungs­ansprüche vor­se­hen. We­der der be­triebs­ver­fas­sungs­recht­li­che Gleich­be­hand­lungs­grund­satz noch die Ver­bo­te der Al­ters- oder Be­hin­dertendis­kri­mi­nie­rung ge­bie­ten ei­ne an­de­re Be­ur­tei­lung, so das BAG.

Denn So­zi­alpläne ha­ben nach der Recht­spre­chung des BAG ei­ne zu­kunfts­ge­rich­te­te Aus­gleichs- und Über­brückungs­funk­ti­on, d.h. sie soll­ten die künf­ti­gen Nach­tei­le aus­glei­chen, die den Ar­beit­neh­mern durch die Be­triebsände­rung ent­ste­hen könn­ten. Da So­zi­alpläne, falls möglich, schon vor der Be­triebsände­rung ge­schlos­sen wer­den soll­ten, sei es un­umgäng­lich, den Be­triebs­par­tei­en bei der Einschätzung der wirt­schaft­li­chen Nach­tei­le ei­nen er­heb­li­chen Be­ur­tei­lungs­spiel­raum ein­zuräum­en. Die­ser ge­stat­te ei­ne pau­scha­li­sie­ren­de und ty­pi­sie­ren­de Be­trach­tung.

Je­den­falls bei ty­pi­sie­ren­der Be­trach­tung han­de­le es sich bei der An­nah­me, ren­ten­be­rech­tig­te oder ren­ten­na­he Ar­beit­neh­mer sei­en im Re­gel­fall wirt­schaft­li­che stärker ab­ge­si­chert als ren­ten­fer­ne Ar­beit­neh­mer, nicht um ei­ne rea­litäts­fer­ne Be­ur­tei­lung, son­dern um ei­nen den Be­triebs­par­tei­en im Rah­men ih­res Be­ur­tei­lungs­spiel­raums zu­ste­hen­de tatsächli­che Einschätzung.

Der be­triebs­ver­fas­sungs­recht­li­che Gleich­be­hand­lungs­grund­satz und die ge­setz­li­chen Dis­kri­mi­nie­rungs­ver­bo­te sei­en bei der Einschätzung der den Ar­beit­neh­mern ent­ste­hen­den wirt­schaft­li­chen Nach­tei­le un­be­acht­lich. Es han­de­le sich in­so­weit um ei­ne tatsächli­che Be­ur­tei­lung, nicht um nor­ma­ti­ve Ge­stal­tung. Die Be­triebs­par­tei­en dürf­ten des­halb bei der Abschätzung der den Ar­beit­neh­mern aus der Be­triebsände­rung ent­ste­hen­den Nach­tei­le auch berück­sich­ti­gen, ob die­se bei be­stimm­ten Per­so­nen­grup­pen schon durch so­zi­al­ver­si­che­rungs­recht­li­che Ansprüche ge­mil­dert würden.

Den Be­triebs­par­tei­en sei die durch die Ren­tennähe ge­ge­be­ne fi­nan­zi­el­le Bes­ser­stel­lung von Ar­beit­neh­mern vor­ge­ge­ben, so dass sie die­se nach § 112 Be­trVG auch bei der So­zi­al­plan­ge­stal­tung berück­sich­ti­gen dürf­ten. Der Ge­stal­tungs­spiel­raum der Be­triebs­par­tei­en beträfe die Fra­ge, ob, in wel­chem Um­fang und wie sie die pro­gnos­ti­zier­ten wirt­schaft­li­chen Nach­tei­le aus­gli­chen oder ab­mil­der­ten.

Die Be­triebs­par­tei­en hätten in dem vor­lie­gen­den So­zi­al­plan zahl­rei­che Grup­pen und Un­ter­grup­pen ge­bil­det. Nur die Un­ver­ein­bar­keit der Grup­pen­bil­dung mit dem be­triebs­ver­fas­sungs­recht­li­chen Gleich­be­hand­lungs­grund­satz oder den Dis­kri­mi­nie­rungs­ver­bo­ten könne über­haupt ei­nen An­spruch des Klägers auf Gleich­be­hand­lung mit im So­zi­al­plan bes­ser ge­stell­ten Grup­pen be­gründen Die­se Grup­pen­bil­dung ver­s­toße aber nicht ge­gen den Gleich­be­hand­lungs­grund­satz.

Die ge­rin­ge­re Ab­fin­dung für ren­ten­na­he Ar­beit­neh­mer be­ru­he nämlich auf der Er­kennt­nis, dass die­se durch die Ren­ten­zah­lung ty­pi­scher­wei­se we­sent­lich ge­rin­ge­re wirt­schaft­li­che Nach­tei­le er­lei­den als die­je­ni­gen, die kei­nen sol­chen An­spruch hätten. Auch die Einschätzung, dass Ar­beit­neh­mer, die un­mit­tel­bar nach Be­en­di­gung ih­res Ar­beits­verhält­nis­ses Ren­te bezögen, we­ni­ger wirt­schaft­li­che Nach­tei­le er­lit­ten als die­je­ni­gen, die vor Be­zug der Ren­te zunächst Ar­beits­lo­sen­geld er­hiel­ten, be­we­ge sich in­ner­halb des Einschätzungs­spiel­rau­mes. Das glei­che gel­te für die Be­ur­tei­lung bezüglich der Ar­beit­neh­mer, die wie der Kläger Ab­schläge bei ei­ner vor­ge­zo­ge­nen Ren­te hin­neh­men müss­ten.

Im Übri­gen ma­ni­fes­tie­re sich bei Ar­beit­neh­mern, die bei der Be­en­di­gung ih­res Ar­beits­verhält­nis­ses kurz vor oder kurz nach Voll­endung des 60. Le­bens­jah­res stünden und des­we­gen ge­ra­de noch oder ge­ra­de nicht mehr An­spruch auf die höhe­re Ab­fin­dung hätten, das Pro­blem je­der Stich­tags­re­ge­lung. Mit Stich­tags­re­ge­lun­gen sei­en häufig Härten ver­bun­den. Die­se müss­ten im In­ter­es­se der Rechts­si­cher­heit hin­ge­nom­men wer­den, wenn sich, so wie hier, die Wahl des Zeit­punkts am ge­ge­be­nen Sach­ver­halt ori­en­tiert und da­mit sach­lich ver­tret­bar sei und das auch auf die zwi­schen den Grup­pen ge­zo­ge­nen Gren­zen zu­träfe.

Sch­ließlich stel­len die ge­trof­fe­nen Re­ge­lun­gen, so das BAG, auch kei­ne Dis­kri­mi­nie­rung nach dem AGG auf­grund der Be­hin­de­rung des Klägers dar. Aus den oben ge­nann­ten Gründen be­ste­he ein sach­li­cher Grund für die Un­gleich­be­hand­lung.

Fa­zit: Ar­beit­ge­ber und Be­triebsräte können frei ent­schei­den, ob ren­ten­na­he Ar­beit­neh­mern ge­rin­ge­re Ab­fin­dun­gen er­hal­ten sol­len

Das Bun­des­ar­beits­ge­richt hat zu­recht klar­ge­stellt, dass die Be­triebs­par­tei­en in So­zi­alplänen für ren­ten­na­he Ar­beit­neh­mer nied­ri­ge­re Ab­fin­dun­gen ver­ein­ba­ren können.

Dies er­gibt sich nicht nur aus der bis­he­ri­gen Recht­spre­chung des BAG zum Er­mes­sen­spiel­raum der Be­triebs­part­ner bei der Ge­stal­tung von So­zi­alplänen, son­dern seit In­kraft­tre­ten des AGG auch aus des­sen § 10 Satz 3 Nr.6. Hier­in ist nämlich aus­drück­lich die Be­rech­ti­gung von Ar­beit­ge­ber und Be­triebs­rat an­er­kannt, ren­ten­na­he Ar­beit­neh­mer gänz­lich (!) von der Be­rech­ti­gung zum Be­zug ei­ner So­zi­al­plan­ab­fin­dung aus­zu­neh­men.

Auch die Ver­ein­bar­keit mit der Richt­li­nie 2000/78/EG des Ra­tes vom 27.11.2000 zur Fest­le­gung ei­nes all­ge­mei­nen Rah­mens für die Ver­wirk­li­chung der Gleich­be­hand­lung in Beschäfti­gung und Be­ruf (Richt­li­nie 2000/78/EG) kann kaum in Zwei­fel ge­zo­gen wer­den, da de­ren Art. 6 recht ähn­li­che, in § 10 Satz 3 Nr. 6 AGG teil­wei­se nur wie­der­hol­te Er­laub­nis­se für ei­ne al­ters­be­ding­te Un­gleich­be­hand­lung im Er­werbs­le­ben enthält.

Letzt­lich er­lei­den Ar­beit­neh­mer in ren­ten­na­hem Al­ter ty­pi­scher­wei­se we­ni­ger Nach­tei­le als jünge­re Ar­beit­neh­mer. Dass es je nach Aus­ge­stal­tung des So­zi­al­plans zu Härten kom­men kann, da ei­ne ge­rin­ge Al­ters­dif­fe­renz zu er­heb­li­chen Un­ter­schie­den bei den Ab­fin­dungs­ansprüchen führt, ist nach An­sicht des BAG hin­zu­neh­men.

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Letzte Überarbeitung: 4. Mai 2020

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