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ARBEITSRECHT AKTUELL // 11/198

Al­ters­gren­ze für hes­si­sche Be­am­te ist kei­ne Al­ters­dis­kri­mi­nie­rung

Hes­si­sche Be­am­te müs­sen mit 65 Jah­ren aus dem Dienst aus­schei­den, doch ist das kei­ne Al­ters­dis­kri­mi­nie­rung: Eu­ro­päi­scher Ge­richts­hof, Ur­teil vom 21.07.2011, C-159/10 und C-160/10 (Fuchs)
Europafahne Ei­ne Al­ters­gren­ze ist nicht im­mer ei­ne Al­ters­dis­kri­mi­nie­rung
12.10.2011. Die Richt­li­nie 2000/78/EG des Ra­tes vom 27.11.2000 zur Fest­le­gung ei­nes all­ge­mei­nen Rah­mens für die Ver­wirk­li­chung der Gleich­be­hand­lung in Be­schäf­ti­gung und Be­ruf (RL 2000/78) soll Al­ters­dis­kri­mi­nie­run­gen im Er­werbs­le­ben ver­hin­dert wer­den. Doch nicht je­de Be­nach­tei­li­gung we­gen des Al­ters ist ei­ne Dis­kri­mi­nie­rung.

So liegt nach Art. 6 RL 2000/78 und § 10 AGG kei­ne Dis­kri­mi­nie­rung vor, wenn die Schlech­ter­stel­lung "ob­jek­tiv und an­ge­mes­sen" und durch "le­gi­ti­me Zie­le" ge­recht­fer­tigt ist. Sol­che Zie­le kön­nen aus den Be­rei­chen Be­schäf­ti­gungs­po­li­tik, Ar­beits­markt und be­ruf­li­che Bil­dung stam­men. Au­ßer­dem müs­sen die Mit­tel, mit de­nen die­se Zie­le er­reicht wer­den sol­len, "an­ge­mes­sen und er­for­der­lich" sein.

Die­se schwam­mi­gen Vor­ga­ben ha­ben in den letz­ten Jah­ren im­mer wie­der zu Pro­zes­sen ge­führt. Ein En­de ist nicht ab­seh­bar, wie die Kla­gen zwei­er "zwangs­pen­sio­nier­ter" Ober­staats­an­wäl­te aus Hes­sen zei­gen, zu de­nen der Eu­ro­päi­sche Ge­richts­hof (EuGH) vor kur­zem Stel­lung be­zog: EuGH, Ur­teil vom 21.07.2011, C-159/10 und C-160/10 (Fuchs).

Ist die ge­setz­li­che Zwangs­pen­sio­nie­rung von Hes­si­schen Be­am­ten ei­ne Al­ters­dis­kri­mi­nie­rung?

Nicht nur vie­le Ar­beits- und Ta­rif­verträge, son­dern auch Be­am­ten­ge­set­ze se­hen vor, dass das ak­ti­ve Dienst­verhält­nis ei­nes Be­am­ten au­to­ma­tisch mit dem Ren­ten- bzw. Pen­si­ons­al­ter en­det. Ei­ne sol­che "Zwangs­ver­ren­tung" von Ar­beit­neh­mern bzw. "Zwangs­pen­sio­nie­rung" von Be­am­ten wirft die Fra­ge auf, ob die Be­trof­fe­nen nicht we­gen ih­res fort­ge­schrit­te­nen Al­ters dis­kri­mi­niert wer­den.

Die Schlech­ter­stel­lung älte­rer Er­werbstäti­ger ge­genüber jünge­ren durch den al­ters­be­ding­ten Ar­beits­platz­ver­lust ist aber nach der Recht­spre­chung des EuGH leicht zu recht­fer­ti­gen. Der EuGH ge­steht dem Ge­setz­ge­ber nämlich ei­nen wei­ten Spiel­raum bei der Wahl der Mit­tel zu, mit de­nen er sei­ne "le­gi­ti­men Zie­le" ver­fol­gen möch­te. So können Zwangs­pen­sio­nie­run­gen schon dann ge­recht­fer­tigt sein, wenn sie ei­ner "aus­ge­wo­ge­nen" Al­ters­struk­tur, ei­ner ef­fek­ti­ven Per­so­nal­pla­nung und da­mit der "Leis­tungsfähig­keit" der Ver­wal­tung die­nen sol­len.

Zwar muss der Staat bzw. der Dienst­ge­ber bei Be­fris­tungs­strei­tig­kei­ten be­wei­sen, dass die Zwangs­pen­sio­nie­rung als Mit­tel für sol­che Zie­le "an­ge­mes­sen und er­for­der­lich" ist. Aber wie kon­kret muss der Ge­setz­ge­ber hier ar­gu­men­tie­ren? Die­se Fra­ge stell­te das Ver­wal­tungs­ge­richt (VG) Frank­furt in ei­nem Kla­ge­ver­fah­ren, das zwei pen­sio­nier­te Staats­anwälte an­ge­strengt hat­ten. Dar­auf ant­wor­te­te jetzt der EuGH (Ur­teil vom 20.07.2011, C-159/10 und C-160/10 - Fuchs).

EuGH: Das na­tio­na­le Ge­richt muss selbst be­ur­tei­len, ob be­wie­sen wur­de, dass die Zwangs­pen­sio­nie­rung "nicht un­vernünf­tig" ist

Die Staats­anwälte Herr Fuchs und Herr Köhler hiel­ten ih­re Zwangs­pen­sio­nie­rung mit 65 Jah­ren gemäß dem Hes­si­schen Be­am­ten­ge­setz für dis­kri­mi­nie­rend. Das VG bestätig­te die­se Sicht­wei­se im ge­richt­li­chen Eil­ver­fah­ren, doch wur­de sei­ne pro Staats­anwälte er­gan­ge­ne einst­wei­li­ge Verfügung vom Hes­si­schen Ver­wal­tungs­ge­richts­hof (VGH) gleich wie­der auf­ge­ho­ben (Ur­teil vom 28.09.2009, 1 B 2487/09). In dem wei­ter be­trie­be­nen Haupt­sa­che­ver­fah­ren blieb das VG aber bei sei­ner Mei­nung und frag­te den EuGH nach Kri­te­ri­en für die Recht­fer­ti­gung von Al­ters­gren­zen­re­ge­lun­gen.

Der EuGH bestätig­te nun, dass das von Hes­sen ver­folg­te Ziel le­gi­tim ist, ein Gleich­ge­wicht zwi­schen den Ge­ne­ra­tio­nen zu schaf­fen. Das da­ne­ben viel­leicht auch Spar­zie­le ei­ne Rol­le spie­len, hält er für un­be­denk­lich. Die Zwangs­pen­sio­nie­rung ist aber nur dann kei­ne Dis­kri­mi­nie­rung, wenn sie mit Blick auf die­se Zie­le "nicht un­vernünf­tig" ist und wenn das nach An­sicht des na­tio­na­len Ge­richts nach­ge­wie­sen wur­de.

Fa­zit: Als Be­weis­mit­tel nennt der EuGH bei­spiel­haft "vor­han­de­ne und nach­prüfba­re Da­ten", al­so et­wa Sta­tis­ti­ken, so­wie Pro­gno­sen des Ge­setz­ge­bers. Da das VG be­reits an­zwei­fel­te, dass die vor­lie­gen­den In­for­ma­tio­nen aus­rei­chen, wird es wohl bei sei­ner Mei­nung blei­ben und pro Staats­anwälte ent­schei­den. Die­se kri­ti­sche Hal­tung ist eh­ren­wert und gut be­gründet, aber die meis­ten Ge­rich­te und vor al­lem die obers­ten In­stan­zen se­hen das an­ders: Ih­nen zu­fol­ge muss der Ge­setz­ge­ber so gut wie gar kei­nen Be­gründungs­auf­wand trei­ben, um Zwangs­pen­sio­nie­run­gen als "vernünf­ti­ges" Mit­tel zum Zweck zu recht­fer­ti­gen.

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Letzte Überarbeitung: 21. März 2018

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