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Verschlechterung des Arbeitsvertrags per Betriebsvereinbarung?
12.04.2018. Vor einigen Jahren hat der Erste Senat des Bundesarbeitsgerichts (BAG) klargestellt, dass Rentenaltersklauseln, die zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Renteneintrittsalter führen, auch in Betriebsvereinbarungen enthalten sein können.
Obwohl es in dem damals entschiedenen Streitfall gar nicht darauf ankam, äußerte der Erste Senat beiläufig die Meinung, dass arbeitsvertragliche Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) im Allgemeinen „betriebsvereinbarungsoffen“ sind, falls es um Regelungen mit „kollektivem Bezug“ geht (BAG, Urteil vom 05.03.2013, 1 AZR 417/12, wir berichteten in Arbeitsrecht aktuell: 13/055 Entlassung mit 65 aufgrund Betriebsvereinbarung).
In einer gestern ergangenen Entscheidung hat sich der Vierte BAG-Senat von dieser Rechtsprechung distanziert: BAG, Urteil vom 11.04.2018, 4 AZR 119/17 (Pressemeldung des Gerichts).
- Wann sind Arbeitsverträge offen gegenüber späteren Betriebsvereinbarungen, mit denen Vertragsregelungen (auch) zulasten des Arbeitgebers geändert werden können?
- Der Fall des BAG: Arbeitsvertragliche Zusicherung der Bezahlung nach Tarif wird durch spätere Betriebsvereinbarung beseitigt
- Vierter BAG-Senat lässt die Frage ausdrücklich offen, ob arbeitsvertragliche AGB durch Betriebsvereinbarungen auch zu Ungunsten des Arbeitnehmers ersetzt werden können
Wann sind Arbeitsverträge offen gegenüber späteren Betriebsvereinbarungen, mit denen Vertragsregelungen (auch) zulasten des Arbeitgebers geändert werden können?
Arbeitsverträge enthalten oft Bezugnahmen auf Tarifverträge, d.h. Regelungen, denen zufolge die Tarifverträge einer bestimmten Branche und/oder einer bestimmten Gewerkschaft auf das Arbeitsverhältnis anwendbar sein sollen. Meist sind solche Bezugnahmeklauseln „dynamisch“, d.h. die in der Klausel erwähnten Tarifverträge sollen „in ihrer jeweiligen Fassung“ gelten. Dadurch kommen dem Arbeitnehmer künftige Lohnerhöhungen zugute, aber es kann auch sein, dass tarifliche Vergünstigungen wegfallen.
Arbeitsverträge können auch dynamische Bezugnahmen auf Betriebsvereinbarungen enthalten, beispielsweise auf Betriebsvereinbarungen zu den Themen Überstunden, Bonusregelungen oder Betriebsrente. Mit einer solchen Klausel legt der Arbeitnehmer die weitere Gestaltung seiner arbeitsvertraglichen Rechte und Pflichten in die Hand der Betriebsparteien. Er muss daher künftige Betriebsvereinbarungen in ihrer jeweiligen Gestalt akzeptieren, also auch dann, wenn diese aus seiner Sicht ungünstiger sind als die ursprünglich geltenden Regelungen.
Mit dem oben genannten Urteil vom 05.03.2013 (1 AZR 417/12) hat der Erste BAG-Senat die „Betriebsvereinbarungsoffenheit“ von Arbeitsverträgen erheblich ausgeweitet. Denn dieser Entscheidung zufolge sollen arbeitsvertragliche Regelungen schon dann durch Betriebsvereinbarungen abgelöst bzw. (aus Arbeitnehmersicht) verschlechtert werden können, wenn der Vertragsgegenstand in AGB enthalten ist und einen „kollektiven Bezug“ hat.
Diese Aussage ist unter Arbeitsrechtlern umstritten. Kritiker des Ersten BAG-Senats wenden ein, dass die meisten Arbeitsverträge AGB beinhalten, die wiederum stets generelle Regelungen enthalten, d.h. nicht speziell für diesen oder jenen (einzelnen) Arbeitnehmer gedacht sind. Demzufolge haben praktisch alle Arbeitsverträge (bzw. arbeitsvertragliche AGB) einen sog. „kollektiven Bezug“ und können, so jedenfalls der Erste BAG-Senat, durch Betriebsvereinbarungen geändert werden.
Dies gilt insbesondere auch dann, wenn sie aus Arbeitnehmersicht ungünstiger als der Arbeitsvertrag sind. Damit hat der Erste BAG-Senat das sog. Günstigkeitsprinzip weitgehend beseitigt. Dieses Prinzip besagt, dass Betriebsvereinbarungen nur dann vom Arbeitsvertrag abweichen können, wenn die Abweichungen für den Arbeitnehmer günstiger sind als der Arbeitsvertrag.
Mit der gestern ergangenen Entscheidung hat der Vierte BAG-Senat signalisiert, dass er diese Rechtsprechung des Ersten Senats kritisch sieht.
Der Fall des BAG: Arbeitsvertragliche Zusicherung der Bezahlung nach Tarif wird durch spätere Betriebsvereinbarung beseitigt
Geklagt hatte ein Masseur, der seit 1991 in einem privaten Senioren- und Pflegezentrum beschäftigt war. Er hatte im Dezember 1992 mit seinem Arbeitgeber eine arbeitsvertragliche Zusatzvereinbarung über die Verringerung seiner Arbeitszeit getroffen. In dieser Vereinbarung heißt es:
„Die Vergütung für die vereinbarte Tätigkeit beträgt monatlich in der Gruppe BAT Vc/3 = DM 2.527,80 brutto.“
Aufgrund der konkreten Angabe einer tariflichen Vergütungsgruppe in dieser Vereinbarung konnte der Arbeitnehmer, auch unter Berücksichtigung der bereits zuvor getroffenen vertraglichen Vereinbarungen, davon ausgehen, dass der Arbeitgeber ihn künftig nach Tarif vergüten wollte.
Kurz darauf, im Februar 1993, vereinbarten Arbeitgeber und Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung, der zufolge in ihrem Anwendungsbereich „analog die für die Angestellten des Bundes und der Länder vereinbarten Bestimmungen des Lohn- und Vergütungstarifvertrages - BAT vom 11. Januar 1961“ gelten sollten. Diese Betriebsvereinbarung sollte „automatisch“ zum Bestandteil der Arbeitsverträge der von ihr betroffenen Arbeitnehmer werden, falls diese Arbeitsverträge vor dem Februar 1993 geschlossen worden waren. Ergänzend sollten die Arbeitnehmer einen entsprechenden Nachtrag zum Arbeitsvertrag erhalten. Einen solchen Nachtrag unterschrieb auch der Masseur, und zwar im März 1993. Später kündigte der Arbeitgeber die Betriebsvereinbarung zum Jahresende 2001.
Im März 2006 vereinbarten die Parteien im Zusammenhang mit einer Arbeitszeiterhöhung eine Gehaltserhöhung „entsprechend der 0,78 Stelle auf 1.933,90 Euro“, wobei „alle übrigen Bestandteile des bestehenden Arbeitsvertrages … unverändert gültig“ bleiben sollten.
Der Arbeitnehmer war der Meinung, er habe aufgrund einer arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel Anspruch auf Bezahlung nach dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst in der für die kommunalen Arbeitgeber geltenden Fassung (TVöD/VKA) bzw. nach dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L). Das sah der Arbeitgeber anders. Das Arbeitsgericht Essen (Urteil vom 25.05.2016, 6 Ca 541/16) und das Landesarbeitsgericht (LAG) Düsseldorf gaben dem Arbeitgeber recht (LAG Düsseldorf, Urteil vom 25.10.2016, 8 Sa 500/16).
Begründung des LAG: Der Arbeitnehmer konnte zwar ursprünglich Bezahlung nach Tarif verlangen, denn das ergab sich aus der arbeitsvertraglichen Vereinbarung vom Dezember 1992. Diese Vereinbarung war allerdings, so das LAG, in Form von AGB getroffen worden, und daher war sie gemäß der Rechtsprechung des Ersten BAG-Senats „betriebsvereinbarungsoffen“. Damit hatte der Arbeitnehmer im Ergebnis Pech gehabt, denn die spätere Betriebsvereinbarung vom Februar 1993 trat an die Stelle dieser arbeitsvertraglichen Regelung, und da sie zum Jahresende 2001 gekündigt worden war, konnte sich der Kläger nicht mehr auf sie berufen. Denn obwohl sie gemäß § 77 Abs.6 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) zugunsten des Arbeitnehmers nachwirkte, half das dem Arbeitnehmer hier nichts, da diese Betriebsvereinbarung auf den mittlerweile ausgelaufenen BAT verwies und eine Auslegung im Sinne eines Verweises auf die Nachfolge-Tarifverträge (TVöD/VKA) hier nicht möglich war, so jedenfalls die Düsseldorfer Richter.
Vierter BAG-Senat lässt die Frage ausdrücklich offen, ob arbeitsvertragliche AGB durch Betriebsvereinbarungen auch zu Ungunsten des Arbeitnehmers ersetzt werden können
Die Revision des Arbeitnehmers hatte vor dem Vierten BAG-Senat Erfolg. In der derzeit allein vorliegenden Pressemeldung des BAG heißt es zur Begründung:
Der Arbeitgeber war im Streitfall verpflichtet, den Arbeitnehmer nach der jeweiligen Entgelttabelle des TVöD/VKA zu bezahlen. Denn dem Arbeitnehmer war (im Dezember 1992) die Vergütung nach den jeweils geltenden Regelungen des BAT und nachfolgend des TVöD/VKA arbeitsvertraglich zugesichert worden. Die Betriebsvereinbarung vom Februar 1993 konnte diese Vereinbarung nicht zulasten des Arbeitnehmers ändern. Denn die Vergütungsvereinbarung vom Dezember 1992 war, so das BAG im Unterschied zum Arbeitsgericht Essen und zum LAG Düsseldorf, eine Individualvereinbarung über arbeitsvertragliche Hauptleistungspflichten, d.h. hier lagen gar keine AGB vor.
Deshalb musste die vom LAG aufgeworfene Frage einer - generellen - Betriebsvereinbarungsoffenheit von arbeitsvertraglichen AGB hier im Streitfall nicht entschieden werden, so das BAG.
Fazit: Mit seiner vorliegenden Entscheidung hat der Vierte BAG-Senat deutlich gemacht, dass er die Rechtsprechung des Ersten Senats kritisch sieht, der zufolge Arbeitgeber und Betriebsrat praktisch schrankenlos arbeitsvertraglich festgelegte Ansprüche beseitigen können. Eine so weitgehende Rechtsänderung, die auf eine Abschaffung des Günstigkeitsprinzips hinausläuft, kann ein einzelner Senat des BAG auch nicht beschließen. Dafür bräuchte es eine Grundsatzentscheidung des Großen Senats.
Nähere Informationen finden Sie hier:
- Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 11.04.2018, 4 AZR 119/17 (Pressemeldung des Gerichts)
- Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 11.04.2018, 4 AZR 119/17
- Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 05.03.2013, 1 AZR 417/12
- Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Urteil vom 25.10.2016, 8 Sa 500/16
- Handbuch Arbeitsrecht: Arbeitsvertrag
- Handbuch Arbeitsrecht: Arbeitsvertrag und Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB)
- Handbuch Arbeitsrecht: Arbeitsvertrag und Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) - Bezugnahmeklausel
- Handbuch Arbeitsrecht: Betriebliche Übung
- Handbuch Arbeitsrecht: Betriebsrat
- Handbuch Arbeitsrecht: Betriebsvereinbarung
- Handbuch Arbeitsrecht: Tarifvertrag
- Arbeitsrecht aktuell: 20/074 Nachwirkung von Regelungsabreden
- Arbeitsrecht aktuell: 20/057 Betriebsvereinbarungen können arbeitsvertragliche Verweise auf AVR nicht beseitigen
- Arbeitsrecht aktuell: 17/230 Pacta sunt servanda - auch im Arbeitsrecht
- Arbeitsrecht aktuell: 17/152 LAG Düsseldorf legt Bezugnahmeklausel als Gleichstellungsabrede aus
- Arbeitsrecht aktuell: 16/229 Betriebsrente gemäß Arbeitsvertrag oder Betriebsvereinbarung
- Arbeitsrecht aktuell: 15/096 Günstigkeitsvergleich zwischen Tarifvertrag und Arbeitsvertrag
- Arbeitsrecht aktuell: 13/055 Entlassung mit 65 aufgrund Betriebsvereinbarung
- Arbeitsrecht aktuell: 10/188 Bezugnahmeklauseln beenden Nachwirkung eines Tarifvertrages
Hinweis: In der Zwischenzeit, d.h. nach Erstellung dieses Artikels, hat das BAG seine Entscheidungsgründe veröffentlicht. Das vollständig begründete Urteil des BAG finden Sie hier:
Letzte Überarbeitung: 13. November 2020
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