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ARBEITSRECHT AKTUELL // 17/230

Pac­ta sunt ser­van­da - auch im Ar­beits­recht

Ei­ne ar­beits­ver­trag­li­che Klau­sel, die dy­na­misch auf ei­nen Ta­rif­ver­trag ver­weist, be­hält ih­re Dy­na­mik auch nach ei­nem Be­triebs­über­gang: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Ur­tei­le vom 30.08.2017, 4 AZR 95/14 und 4 AZR 61/14
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05.09.2017. Mit sei­nem As­kle­pios-Ur­teil vom April 2017 hat der Eu­ro­päi­sche Ge­richts­hof (EuGH) die Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts (BAG) zur rechts­be­grün­den­den Wir­kung ar­beits­ver­trag­li­cher Ver­wei­se auf Ta­rif­ver­trä­ge ab­ge­seg­net (wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 17/119 An­spruch auf Ta­rif­lohn­er­hö­hung nach Be­triebs­über­gang).

Da­mit steht fest, dass die ar­beits­ver­trag­li­che Bin­dung des Be­triebs­er­wer­bers an Ver­trags­klau­seln, die dy­na­misch auf be­stimm­te Ta­rif­ver­trä­ge ver­wei­sen, mit dem Eu­ro­pa­recht ver­ein­bar ist.

Auf der Grund­la­ge die­ser eu­ro­pa­recht­li­chen Be­stä­ti­gung sei­ner Recht­spre­chung hat das BAG letz­te Wo­che die bei­den Vor­la­ge­fäl­le (Fel­ja und Graf ge­gen As­kle­pios) zu­guns­ten der kla­gen­den Ar­beit­neh­mer ent­schie­den: BAG, Ur­tei­le vom 30.08.2017, 4 AZR 95/14 und 4 AZR 61/14 (Pres­se­mel­dung des Ge­richts).

Ar­beits­ver­trags­treue con­tra un­ter­neh­me­ri­sche Ge­stal­tungs­frei­heit des Be­triebs­er­wer­bers

Zu den we­sent­li­chen Grundsätzen des deut­schen (Ar­beits-)Rechts gehört, dass ver­trag­li­che Ver­pflich­tun­gen ein­zu­hal­ten sind („pac­ta sunt ser­van­da“). Dem­ent­spre­chend heißt es in § 241 Abs.1 Satz 1 Bürger­li­ches Ge­setz­buch (BGB), dass der Gläubi­ger „kraft des Schuld­verhält­nis­ses (…) be­rech­tigt (ist), von dem Schuld­ner ei­ne Leis­tung zu for­dern.“

Wem ein­zel­ne Klau­seln sei­nes Ar­beits­ver­tra­ges nicht mehr ge­fal­len, muss da­her mit sei­nem Ver­trags­part­ner ei­ne ein­ver­nehm­li­che Ver­tragsände­rung her­beiführen oder not­falls den ge­sam­ten Ver­trag kündi­gen, um ei­ne Ver­trags­fort­set­zung zu geänder­ten Be­din­gun­gen durch­zu­set­zen (falls der gekündig­te Ver­trags­part­ner mit ei­ner sol­chen Fort­set­zung ein­ver­stan­den ist). Oh­ne das OK des Ver­trags­part­ners bleibt ein Ar­beits­ver­trag wie er ist. Und muss von bei­den Par­tei­en erfüllt wer­den.

Vor die­sem Hin­ter­grund soll­te es ei­gent­lich selbst­verständ­lich sein, dass ei­ne ar­beits­ver­trag­li­che Be­zug­nah­me auf ei­nen Ta­rif­ver­trag dem Ar­beit­neh­mer ei­nen dau­er­haf­ten und rechts­si­che­ren An­spruch auf „Be­zah­lung nach Ta­rif“ gewährt. Das gilt ins­be­son­de­re für sog. „dy­na­mi­sche Be­zug­nah­me­klau­seln“, de­nen zu­fol­ge ei­ner oder meh­re­re Ta­rif­verträge ei­ner be­stimm­ten Bran­che „in sei­ner/ih­rer je­weils gülti­gen Fas­sung“ auf das Ar­beits­feld des an­zu­wen­den sind. Denn da Lohn­ta­rif­verträge al­le zwei bis drei Jah­re höhe­re Löhne fest­schrei­ben, be­deu­tet ih­re An­wen­dung „in der je­weils gülti­gen Fas­sung“, dass der Ar­beit­neh­mer ein Recht auf künf­ti­ge ta­rif­li­che Lohn­stei­ge­run­gen hat.

Ar­beits­ver­trag­lich fest­ge­schrie­be­ne Ansprüche sind be­son­ders wich­tig, wenn es zu ei­nem Be­triebsüber­gang kommt. Denn für die­sen Fall schreibt § 613a Abs.1 Satz 1 BGB vor, dass der Be­triebs­er­wer­ber bzw. neue In­ha­ber au­to­ma­tisch in die Rech­te und Pflich­ten aus den Ar­beits­verträgen ein­tritt, die im Zeit­punkt des Über­gangs be­stan­den ha­ben.

Wer da­her z.B. den Si­cher­heits­ser­vice (= Be­triebs­teil) ei­nes me­tall­ver­ar­bei­ten­den Be­triebs über­neh­men möch­te, soll­te zu­vor die Ar­beits­verträge der be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mer über­prüfen, da dort mit großer Wahr­schein­lich­keit auf die Ta­rif­verträge der Me­tall­bran­che Be­zug ge­nom­men wird. Ob sich die da­mit ver­bun­de­nen (ho­hen) Lohn­kos­ten rech­nen, muss sich der Be­triebs­er­wer­ber vor­ab gut über­le­gen. Denn die per Be­triebsüber­gang über­nom­me­nen Ar­beit­neh­mer müssen es sich nicht ge­fal­len las­sen, nach den (we­ni­ger güns­ti­gen) Ta­rif­verträgen be­zahlt wer­den, an die der Be­triebs­er­wer­ber ge­bun­den ist.

Die­se Rechts­la­ge gilt nach der Recht­spre­chung des BAG seit 2007. Denn seit­dem in­ter­pre­tiert das BAG ar­beits­ver­trag­li­che Be­zug­nah­me­klau­seln als rechts­be­gründen­de Ver­ein­ba­run­gen, die den Ar­beit­neh­mern un­abhängig von ih­rer Ge­werk­schafts­zu­gehörig­keit klag­ba­re ver­trag­li­che Ansprüche auf Be­zah­lung nach Ta­rif ver­schaf­fen (Ar­beits­recht ak­tu­ell: 07/54 Ab­schied von der Gleich­stel­lungs­ab­re­de - Teil II).

Die seit 2007 be­ste­hen­de BAG-Rechts­bre­chung wur­de al­ler­dings 2013 durch ein über­ra­schen­des EuGH-Ur­teil in­fra­ge ge­stellt (EuGH, Ur­teil vom 18.07.2013, C-426/11 - Alemo-Her­ron, wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 13/218 Be­triebsüber­gang und ar­beits­ver­trag­lich in Be­zug ge­nom­me­ner Ta­rif­ver­trag), so dass das BAG im Jah­re 2015 vom EuGH wis­sen woll­te, wel­che Wir­kun­gen ar­beits­ver­trag­li­che Ta­rif­bin­dungs­klau­seln bei ei­nem Be­triebsüber­gang ha­ben (BAG, Be­schluss vom 17.06.2015, 4 AZR 61/14 (A), wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 15/159 Dy­na­mi­sche Ta­rif­an­bin­dung und Be­triebsüber­gang). Zwei Jah­re später kam die Ant­wort des Ge­richts­hofs, der die BAG-Recht­spre­chung zum rechts­be­gründen­den Cha­rak­ter dy­na­mi­scher Be­zug­nah­me­klau­seln ab­seg­ne­te (EuGH, Ur­teil vom 27.04.2017, C-680/15 und C-681/15 - As­kle­pios, wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 17/119 An­spruch auf Ta­rif­loh­nerhöhung nach Be­triebsüber­gang).

Auf der Grund­la­ge die­ses EuGH-Ur­teils muss­te das BAG die bei­den Vor­la­gefälle ent­schei­den.

Fel­ja und Graf ver­sus As­kle­pios

In den bei­den Streitfällen hat­ten zwei Ar­beit­neh­mer ei­nes ursprüng­lich kom­mu­na­len Kran­ken­hau­ses nach meh­re­ren Be­triebsübergängen auf pri­va­te Be­trei­ber ih­ren letz­ten (pri­va­ten) Ver­trags­ar­beit­ge­ber mit dem Ziel ver­klagt, ih­re wei­te­re Be­zah­lung nach den Ta­rif­verträgen des öffent­li­chen Diens­tes durch­zu­set­zen. Ei­ner der Kläger war der seit 1978 als Haus­ar­bei­ter/Gärt­ner ar­bei­ten­de Herr Fel­ja (BAG, Be­schluss vom 17.06.2015, 4 AZR 61/14 (A), EuGH: C-680/15). Sei­ne Mit­strei­te­rin war die seit 1986 als Sta­ti­ons­hel­fe­rin täti­ge Frau Graf (BAG, Be­schluss vom 17.06.2015, 4 AZR 95/14 (A), EuGH: C-681/15).

Die ar­beits­ver­trag­li­che Be­zug­nah­me auf die Ta­rif­verträge des öffent­li­chen Diens­tes war in die­sen bei­den Fällen et­was spe­zi­ell, denn hier kam es nicht auf die Ar­beits­verträge aus den Jah­ren 1978 bzw. 1986 an, son­dern auf ei­ne vom Be­triebs­rat im Jah­re 1997 ge­trof­fe­ne Per­so­nalüber­lei­tungs­ver­ein­ba­rung (PÜV). Die PÜV si­cher­te den Ar­beit­neh­mern an­ge­sichts ei­nes be­vor­ste­hen­den Be­triebsüber­gangs auf ei­nen pri­va­ten Ar­beit­ge­ber, der nicht im Ver­band kom­mu­na­ler Ar­beit­ge­ber (VKA) or­ga­ni­siert war, die wei­te­re dy­na­mi­sche An­wen­dung des BMT-G II und künf­ti­ger, ihn er­set­zen­der Ta­rif­verträge zu. Die­se PÜV-Zu­si­che­rung wur­de 1997 of­fi­zi­ell zum Be­stand­teil der Ar­beits­verträge der be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mer ge­macht.

Auf die­ser ver­trag­li­chen Grund­la­ge klag­ten Herr Fel­ja und Frau Graf auf Be­zah­lung gemäß den Ta­rif­verträgen, die mitt­ler­wei­le für die ge­werb­li­chen Ar­beit­neh­mer kom­mu­na­ler Ar­beit­ge­ber gel­ten. Das sind der Ta­rif­ver­trag für den öffent­li­chen Dienst (TVöD) für den VKA-Be­reich (TVöD-VKA) und ein ergänzen­der Über­lei­tungs­ta­rif, der TVÜ-VKA.

Nach­dem Herr Fel­ja und Frau Graf im Jah­re 2013 vor dem Ar­beits­ge­richt Of­fen­bach Er­folg hat­ten (Ur­tei­le vom 12.03.2013, 9 Ca 350/12 - Fel­ja, 9 Ca 353/12 - Graf) und auch in der Be­ru­fung vor dem Hes­si­schen Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) als Sie­ger vom Platz gin­gen (Ur­tei­le vom 10.12.2013, 8 Sa 538/13 - Fel­ja, 8 Sa 512/13 - Graf ), muss­ten sie sich auf­grund der EuGH-An­fra­ge des BAG (wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 15/159 Dy­na­mi­sche Ta­rif­an­bin­dung und Be­triebsüber­gang) bzw. dem zwi­schen­zeit­li­chen EuGH-Ur­teil (wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 17/119 An­spruch auf Ta­rif­loh­nerhöhung nach Be­triebsüber­gang) vier wei­te­re Jah­re ge­dul­den, bis ih­re Fälle end­lich ent­schie­den wur­den.

BAG: Ei­ne ar­beits­ver­trag­li­che dy­na­mi­sche Be­zug­nah­me­klau­sel behält ih­re dy­na­mi­sche Wir­kung auch nach ei­nem Be­triebsüber­gang

Wie nicht an­ders zu er­war­ten war, ent­schied das BAG am 30.08.2017 die bei­den Streitfälle Fel­ja und Graf zu­guns­ten der kla­gen­den Ar­beit­neh­mer. In der der­zeit al­lein vor­lie­gen­den Pres­se­mel­dung des BAG heißt es zur Be­gründung:

Ei­ne zwi­schen dem Be­triebs­veräußerer und dem Ar­beit­neh­mer ein­zel­ver­trag­lich ver­ein­bar­te Klau­sel, der zu­fol­ge be­stimm­te Ta­rif­verträge in ih­rer je­wei­li­gen Fas­sung an­zu­wen­den sind, gilt auch für den Be­triebs­er­wer­ber als dy­na­mi­schen Be­zug­nah­me­klau­sel.

Da der EuGH in sei­nem Ur­teil be­tont hat­te, dass die Über­lei­tung ei­ner dy­na­mi­schen Ta­rif­an­bin­dung auf ei­nen Be­triebs­er­wer­ber für die­sen nur zu­mut­bar ist, wenn er die Möglich­keit zur Ver­trags­an­pas­sung hat, stellt das BAG klar, dass sol­che Ände­rungsmöglich­kei­ten nach deut­schem Ar­beits­recht be­ste­hen:

Ein Be­triebs­er­wer­ber kann nämlich, so das BAG, 

die aus sei­ner Sicht er­for­der­li­chen An­pas­sun­gen der Ar­beits­verträge vor­neh­men. Den aus Ar­beit­ge­ber­sicht na­he­lie­gen­den Ein­wand, dass ei­ne be­triebs­be­ding­te Ände­rungskündi­gung zum Zwe­cke der Ge­halts­ab­sen­kung kaum je­mals vor Ge­richt Er­folg ha­ben wird, las­sen die Er­fur­ter Rich­ter nicht gel­ten.

Fa­zit: Pac­ta sunt ser­van­da, und das gilt auch für ar­beits­ver­trag­li­che Be­zug­nah­me­klau­seln. Ar­beit­ge­ber, die ih­ren Ar­beit­neh­mern per Ar­beits­ver­trag ta­rif­li­che Leis­tun­gen zu­sa­gen, sind an die­se Zu­sa­gen ge­bun­den. Denn als das rechts­ver­bind­li­che Ver­spre­chen der dau­er­haf­ten Zah­lung ta­rif­lich fest­ge­setz­ter Löhne wer­den sol­che Zu­sa­gen ver­stan­den und ver­ein­bart.

Trif­ti­ge Gründe, Be­triebs­er­wer­ber von die­ser ver­trag­li­chen Bin­dung aus­zu­neh­men, sind nicht er­kenn­bar. Denn das Prin­zip „Pac­ta sunt ser­van­da“ be­ruht auf der Ver­trags­frei­heit: Wer frei­wil­lig ver­trag­li­che Leis­tungs­zu­sa­gen über­nimmt, soll auch an sie ge­bun­den sein. Und da nie­mand ge­zwun­gen wird, per Ver­trag ei­nen Be­trieb oder Be­triebs­teil zu über­neh­men, ist es Be­triebs­er­wer­bern zu­mut­bar, die Ar­beits­verträge der über­nom­me­nen Ar­beit­neh­mer wei­ter­hin zu erfüllen.

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Letzte Überarbeitung: 29. Juni 2020

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