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ARBEITSRECHT AKTUELL // 15/204

Kün­di­gung we­gen Ren­te durch den Ar­beit­ge­ber

Kün­digt der Ar­beit­ge­ber, weil der Ar­beit­neh­mer Al­ters­ren­te be­an­tra­gen könn­te, ist die Kün­di­gung al­ters­dis­kri­mi­nie­rend und da­her un­wirk­sam - auch im Klein­be­trieb: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Ur­teil vom 23.07.2015, 6 AZR 457/14
Rentnerpaar auf Parkbank

31.07.2015. Wer als Ar­beit­neh­mer ei­ne ge­setz­li­che Al­ters­ren­te be­zie­hen könn­te, ver­liert aus die­sem Grund nicht au­to­ma­tisch bzw. von Ge­set­zes we­gen sein Ar­beits­ver­hält­nis.

Des­halb fin­den sich in vie­len Ta­rif­ver­trä­gen und Ar­beits­ver­trä­gen sog. Ren­ten­al­ter­sklau­seln. Sie be­sa­gen, dass das Ar­beits­ver­hält­nis mit Er­rei­chen des Ren­ten­al­ters au­to­ma­tisch en­det.

Gibt es ei­ne sol­che Klau­sel nicht, muss der Ar­beit­neh­mer, wenn er sein Ar­beits­ver­hält­nis zu­guns­ten ei­ner Ren­te auf­ge­ben möch­te, ei­ne Kün­di­gung er­klä­ren oder ei­nen Auf­he­bungs­ver­trag ab­schlie­ßen.

Dass der Ar­beit­neh­mer we­gen sei­ner Ren­ten­be­rech­ti­gung kün­di­gen kann, heißt aber noch lan­ge nicht, dass das auch der Ar­beit­ge­ber darf: BAG, Ur­teil vom 23.07.2015, 6 AZR 457/14 (Pres­se­mit­tei­lung des BAG).

Dürfen Ar­beit­neh­mer we­gen ih­res An­spruchs auf Al­ters­ren­te gekündigt wer­den?

Da ta­rif­li­che und ar­beits­ver­trag­li­che Ren­ten­al­ter­sklau­seln zu ei­ner au­to­ma­ti­schen Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses mit Er­rei­chen des Ren­ten­al­ters führen, sind sie ei­ne ob­jek­ti­ve Schlech­ter­stel­lung älte­rer Beschäftig­ter im Ver­gleich zu den jünge­ren, denn die­se dürfen ih­ren Job be­hal­ten. Die­se "Zwangs­pen­sio­nie­rung" ist nach der Recht­spre­chung des Eu­ropäischen Ge­richts­hofs (EuGH) und des Bun­des­ar­beits­ge­richts (BAG) aber sach­lich ge­recht­fer­tigt und da­mit im Er­geb­nis zulässig.

Denn das Ziel ei­nes Ge­ne­ra­tio­nen­wech­sels, d.h. dass die Älte­ren Platz für die Jünge­ren ma­chen sol­len, ist ei­ne aus­rei­chen­de sach­li­che Recht­fer­ti­gung für Ren­ten­al­ter­sklau­seln im Sin­ne von Art.6 Abs.1 Satz 1 der Richt­li­nie 2000/78/EG so­wie im Sin­ne von § 10 Sätze 1 und 2, Satz 3 Nr.5 All­ge­mei­nes Gleich­be­hand­lungs­ge­setz (AGG).

Die ta­rif- und/oder ar­beits­ver­trag­li­che Be­fris­tung von Ar­beits­verhält­nis­sen bis zum Er­rei­chen des Ren­ten­al­ters ist da­her „ob­jek­tiv und an­ge­mes­sen“ und durch „le­gi­ti­me Zie­le" ge­recht­fer­tigt und stellt da­her kei­ne Dis­kri­mi­nie­rung we­gen des Al­ters dar (so das Grund­satz­ur­teil des EuGH vom 12.10.2010, C-45/09 (Ro­sen­bladt), wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 10/217 EuGH erklärt in Ta­rif­verträgen ent­hal­te­ne Ren­ten­al­ter­sklau­seln für rech­tens).

Aber gilt das auch für Kündi­gun­gen, die der Ar­beit­ge­ber ei­nem zur Al­ters­ren­te be­rech­tig­ten Ar­beit­neh­mer erklärt? Da­ge­gen spricht, dass in § 10 Satz 3 Nr.5 AGG nur von ei­ner "Ver­ein­ba­rung" über ein ren­ten­al­ters­be­ding­te Ver­trags­be­en­di­gung "oh­ne Kündi­gung" die Re­de ist. Die­se Re­ge­le­gung deckt da­her zunächst ein­mal nur ein­zel- oder kol­lek­tiv­ver­trag­lich ver­ein­bar­te Ren­ten­al­ter­sklau­seln ab, aber kei­ne ein­sei­ti­ge Ver­trags­be­en­di­gung wie ei­ne vom Ar­beit­ge­ber aus­ge­spro­che­ne Kündi­gung.

Der Streit­fall: Kündi­gung ei­ner 63jähri­gen me­di­zi­nisch-tech­ni­schen As­sis­ten­tin in ei­nem Klein­be­trieb

Der Fall des BAG be­traf ei­ne am 20.01.1950 ge­bo­re­ne me­di­zi­nisch-tech­ni­sche As­sis­ten­tin (MTA), die seit 1991 in ei­ner Ge­mein­schafts­pra­xis mit ins­ge­samt nur fünf Ar­beit­neh­me­rin­nen als Arzt­hel­fe­rin beschäftigt war. Zu­letzt wur­de die MTA über­wie­gend im La­bor ein­ge­setzt.

We­gen ge­plan­ter Verände­run­gen im La­bor­be­reich und da­mit ver­bun­de­ner Um­struk­tu­rie­run­gen kündig­te die Pra­xis das Ar­beits­verhält­nis im Mai 2013 or­dent­lich zum Jah­res­en­de 2013. Im Kündi­gungs­schrei­ben war da­von die Re­de, dass die 63jähri­ge MTA „in­zwi­schen pen­si­ons­be­rech­tigt“ sei. Die an­de­ren, al­le­samt deut­lich jünge­ren An­ge­stell­ten be­ka­men kei­ne Kündi­gung.

Dar­auf­hin er­hob die MTA Kündi­gungs­schutz­kla­ge und Kla­ge auf Zah­lung ei­ner Gel­dentschädi­gung we­gen der er­lit­te­nen Al­ters­dis­kri­mi­nie­rung auf der Grund­la­ge von § 15 AGG. Da­bei be­rief sich auf die Erwähnung der Pen­si­ons­be­rech­ti­gung im Kündi­gungs­schrei­ben, die sie als In­diz für ei­ne Dis­kri­mi­nie­rung we­gen ih­res Al­ters im Sin­ne von § 22 AGG an­sah. Auf den all­ge­mei­nen Kündi­gungs­schutz nach dem Kündi­gungs­schutz­ge­setz (KSchG) konn­te sie sich nicht be­ru­fen, da der Be­trieb mit nur fünf Ar­beit­neh­me­rin­nen ein Klein­be­trieb im Sin­ne von § 23 Abs.1 KSchG war.

Die ver­klag­te Arzt­pra­xis hielt dem ent­ge­gen, man ha­be die Kündi­gung doch nur "freund­lich und ver­bind­lich" for­mu­lie­ren wol­len. Außer­dem sei die Kündi­gung sach­lich be­gründet, denn es sei da­mit zu rech­nen, dass 70 bis 80 Pro­zent der ab­re­chen­ba­ren La­bor­leis­tun­gen ent­fal­len würden. Und da die MTA schlech­ter als die übri­gen Arzt­hel­fe­rin­nen qua­li­fi­ziert sei, sei eben ihr gekündigt wor­den.

Das Ar­beits­ge­richt Leip­zig (Ur­teil vom 01.10.2013, 9 Ca 2137/13) und das Säch­si­sche Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) wie­sen die Kla­ge ab (Ur­teil vom 09.05.2014, 3 Sa 695/13). Das LAG mein­te, die Kündi­gung sei zwar ei­ne ob­jek­ti­ve al­ters­be­ding­te Schlech­ter­stel­lung der Kläge­rin, doch war die­se Schlech­ter­stel­lung nach An­sicht des LAG sach­lich ge­recht­fer­tigt, da die Kündi­gung die Kläge­rin in­fol­ge ih­res An­spruchs auf Al­ters­ren­te nicht so hart tref­fe wie ih­re Kol­le­gin­nen.

BAG: Kündigt der Ar­beit­ge­ber, weil der Ar­beit­neh­mer An­spruch auf Al­ters­ren­te hat, ist die Kündi­gung al­ters­dis­kri­mi­nie­rend und da­her un­wirk­sam - auch im Klein­be­trieb

Vor dem BAG hat­te die Kläge­rin mit ih­rer Re­vi­si­on Er­folg. So­weit dies der der­zeit al­lein vor­lie­gen­den Pres­se­mel­dung des Ge­richts ent­nom­men wer­den kann, stützt sich das BAG auf fol­gen­de Über­le­gun­gen:

Das BAG hielt die Kündi­gung für un­wirk­sam, weil hier ein Ver­s­toß ge­gen das Ver­bot der Al­ters­dis­kri­mi­nie­rung im Sin­ne von § 7 Abs.1 AGG vor­lag. Denn die be­klag­te Pra­xis hat­te nach An­sicht der Er­fur­ter Rich­ter "kei­nen aus­rei­chen­den Be­weis dafür an­ge­bo­ten, dass die we­gen der Erwähnung der >Pen­si­ons­be­rech­ti­gung< zu ver­mu­ten­de Al­ters­dis­kri­mi­nie­rung nicht vor­liegt". Un­ter sol­chen Umständen ist ei­ne dis­kri­mi­nie­ren­de Kündi­gung, so das BAG, "auch im Klein­be­trieb un­wirk­sam".

Da das LAG jetzt noch über die Höhe des Entschädi­gungs­an­spruchs ent­schei­den muss, wur­de der Pro­zess in die­sem Um­fang an das LAG zurück­ver­wie­sen.

Fa­zit: We­gen ei­nes al­ters­be­dingt ein­ge­tre­te­nen Ren­ten­an­spruchs kann nur der Ar­beit­neh­mer das Ar­beits­verhält­nis kündi­gen, nicht aber der Ar­beit­ge­ber. Denn ei­ne Kündi­gung des Ar­beit­ge­bers auf­grund ei­ner Be­rech­ti­gung zum Be­zug von Al­ters­ren­te ist al­ters­dis­kri­mi­nie­rend. Und ei­ne dis­kri­mi­nie­ren­de Kündi­gung ist (trotz § 2 Abs.4 AGG) so­wohl un­wirk­sam als auch entschädi­gungs­pflich­tig gemäß § 15 Abs.2 AGG.

Die­se Grundsätze gel­ten auch in Klein­be­trie­ben im Sin­ne von § 23 Abs.1 KSchG, denn der Dis­kri­mi­nie­rungs­schutz ist vom Kündi­gungs­schutz nach dem KSchG un­abhängig.

Nähe­re In­for­ma­tio­nen fin­den Sie hier:

Hin­weis: In der Zwi­schen­zeit, d.h. nach Er­stel­lung die­ses Ar­ti­kels, hat das BAG sei­ne Ent­schei­dungs­gründe veröffent­licht. Das vollständig be­gründe­te Ur­teil des BAG fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 11. Juni 2019

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