HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

ARBEITSRECHT AKTUELL // 13/367

Dis­kri­mi­nie­rung we­gen Kün­di­gung

Ei­ne dis­kri­mi­nie­ren­de Kün­di­gung wäh­rend der Schwan­ger­schaft kann ei­nen An­spruch auf Ent­schä­di­gung nach sich zie­hen: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Ur­teil vom 12.12.2013, 8 AZR 838/12
Auktionshammer bzw. Gerichtshammer auf Geldscheinen Vier Mo­nats­ge­häl­ter für dis­kri­mi­nie­ren­de Kün­di­gung

13.12.2013. Ge­ra­de erst vor zwei Mo­na­ten hat­te das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) ei­nen Fall zu be­ur­tei­len, in dem ei­ne schwan­ge­re Ar­beit­neh­me­rin ge­kün­digt wor­den war und des­halb auf Ent­schä­di­gung we­gen Dis­kri­mi­nie­rung klag­te.

Da­mit hat­te sie kei­nen Er­folg (BAG, Ur­teil vom 17.10.2013, 8 AZR 742/12 - wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 13/299 Kei­ne Dis­kri­mi­nie­rung durch Kün­di­gung bei Schwan­ger­schaft).

Ges­tern ent­schied das BAG in ei­nem ähn­lich ge­la­ger­ten Fall, dass die Kün­di­gung ei­ner Schwan­ge­ren zur Un­zeit ei­ne Dis­kri­mi­nie­rung we­gen des Ge­schlechts sein kann: BAG, Ur­teil vom 12.12.2013, 8 AZR 838/12.

Wann ist ei­ne Kündi­gung ei­ner Schwan­ge­ren ei­ne ge­schlechts­be­ding­te Dis­kri­mi­nie­rung?

Wer we­gen sei­nes Ge­schlechts im Ar­beits­le­ben dis­kri­mi­niert wird, kann gemäß § 15 Abs.1 und 2 All­ge­mei­nes Gleich­be­hand­lungs­ge­setz (AGG) Zah­lung von Scha­dens­er­satz bzw. ei­ne Entschädi­gung ver­lan­gen.

Bei dis­kri­mi­nie­ren­den Ein­stel­lungs- oder Beförde­rungs­ent­schei­dun­gen ist das an­er­kannt. Um­strit­ten ist da­ge­gen, ob die Entschädi­gungs­re­ge­lun­gen des AGG auch auf Kündi­gun­gen an­zu­wen­den sind, die we­gen ih­rer Be­gleit­umstände dis­kri­mi­nie­ren­den Cha­rak­ter ha­ben.

§ 2 Abs.4 AGG scheint sol­che Entschädi­gungs­ansprüche nämlich aus­zu­sch­ließen, heißt es hier doch, dass für Kündi­gun­gen "aus­sch­ließlich die Be­stim­mun­gen zum all­ge­mei­nen und be­son­de­ren Kündi­gungs­schutz" gel­ten.

In der Ver­gan­gen­heit ha­ben nur ei­ni­ge we­ni­ge Ge­richts­ent­schei­dun­gen die Möglich­keit ei­ner Gel­dentschädi­gung bei dis­kri­mi­nie­ren­den Kündi­gun­gen an­er­kannt (wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 11/242 Kündi­gung und Dis­kri­mi­nie­rung und in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 10/161 Gel­dentschädi­gung für dis­kri­mi­nie­ren­de Kündi­gung).

Das BAG hat die­se Fra­ge bis­her aus­drück­lich of­fen ge­las­sen (BAG, Ur­teil vom 28.4.2011, 8 AZR 515/10) und konn­te das auch in sei­ner oben erwähn­ten Ent­schei­dung vom Ok­to­ber 2013 tun, weil die Kläge­rin hier im Er­geb­nis kei­nen An­spruch hat­te (BAG, Ur­teil vom 17.10.2013, 8 AZR 742/12). Jetzt muss­te das BAG al­ler­dings erst­mals ei­nen Fall ent­schei­den, in dem ei­ne dis­kri­mi­nie­ren­de Kündi­gung ei­nen Entschädi­gungs­an­spruch zur Fol­ge hat­te.

Der Fall des BAG: Kündi­gung ei­ner Schwan­ge­ren un­mit­tel­bar nach Kennt­nis des Ar­beit­ge­ber vom Ab­ster­ben der Lei­bes­frucht

Im Streit­fall war ei­ne Ar­beit­neh­me­rin in ei­nem Klein­be­trieb beschäftigt, so dass sie kei­nen Kündi­gungs­schutz nach dem Kündi­gungs­schutz­ge­setz (KSchG) in An­spruch neh­men konn­te. Al­ler­dings war sie im Som­mer 2011 schwan­ger, so dass Kündi­gungs­schutz gemäß § 9 MuSchG be­stand. Sie ver­dien­te bei 30 St­un­den in der Wo­che 750,00 EUR brut­to.

An­fang Ju­li 2011 sprach ihr Frau­en­arzt ein Beschäfti­gungs­ver­bot nach § 3 Abs.1 MuSchG aus. Dar­auf­hin be­dräng­te der Ar­beit­ge­ber die Ar­beit­neh­me­rin, trotz­dem wei­ter zu ar­bei­ten, was sie nicht tat.

Am 14.07.2011 wur­de fest­ge­stellt, dass die Lei­bes­frucht ab­ge­stor­ben war. Für den da­her er­for­der­li­chen Ein­griff wur­de die Ar­beit­neh­me­rin auf den Fol­ge­tag ins Kran­ken­haus ein­be­stellt. Das teil­te sie dem Ar­beit­ge­ber mit und in­for­mier­te ihn darüber, dass sie nach der Ge­ne­sung wie­der ar­bei­ten könne.

Die Ar­beit­ge­ber sprach dar­auf­hin noch am sel­ben Tag ei­ne frist­gemäße Kündi­gung aus und warf sie in den Brief­kas­ten der Ar­beit­neh­me­rin, die die­se nach ih­rer Rück­kehr aus dem Kran­ken­haus am 16.07.2011 dort vor­fand.

Nach­dem sie dar­auf­hin Kündi­gungs­schutz­kla­ge ein­ge­reicht hat­te, setz­te es am 09.08.2011 die nächs­te or­dent­li­che Kündi­gung, die der Ar­beit­ge­ber auf "be­triebs­be­ding­te Gründe" stütz­te, oh­ne hier­zu et­was Kon­kre­tes zu sa­gen. Auch ge­gen die­se Fol­gekündi­gung klag­te die Ar­beit­neh­me­rin.

Das Ar­beits­ge­richt Zwi­ckau hielt die ers­te Kündi­gung für un­wirk­sam, die Fol­gekündi­gung aber für rech­tens und wies die Kla­ge der Ar­beit­neh­me­rin auf ei­ne Gel­dentschädi­gung von 3.000,00 EUR ab (Ur­teil vom 24.01.2012, 3 Ca 1333/11).

Das Säch­si­sche Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) be­wer­te­te da­ge­gen auch die zwei­te Kündi­gung als treu­wid­rig und da­her als un­wirk­sam und ver­ur­teil­te den Ar­beit­ge­ber zur Zah­lung ei­ner Entschädi­gung von 3.000,00 EUR we­gen ge­schlechts­be­ding­ter Dis­kri­mi­nie­rung. Denn mit der ers­ten Kündi­gung vom 14.07.2011 wur­de die Kläge­rin un­mit­tel­bar we­gen ih­res Ge­schlechts be­nach­tei­ligt, so das LAG. Der Ar­beit­ge­ber hat­te nämlich aus Sicht des LAG gekündigt, weil er über die Wei­ge­rung der Ar­beit­neh­me­rin, trotz des Beschäfti­gungs­ver­bots zu ar­bei­ten, verärgert ge­we­sen war.

Den Hin­ter­grund und den Zeit­punkt der Kündi­gung be­wer­te­te das LAG als "auf mo­ra­lisch un­ters­ter Stu­fe ste­hend", so dass ihm ei­ne Entschädi­gung von vier Mo­nats­gehältern als an­ge­mes­sen er­schien.

BAG: Die un­wirk­sa­me Kündi­gung ei­ner Schwan­ge­ren in Kennt­nis der Schwan­ger­schaft ist ein Dis­kri­mi­nie­rungs­in­diz

Auch das BAG ent­schied zu­guns­ten der Ar­beit­neh­me­rin. In der der­zeit al­lein vor­lie­gen­den Pres­se­mel­dung des BAG heißt es zur Be­gründung:

Kündigt der Ar­beit­ge­ber un­ter Ver­s­toß ge­gen das Mut­ter­schutz­ge­setz ei­ner schwan­ge­ren Ar­beit­neh­me­rin, stellt dies ei­ne Be­nach­tei­li­gung we­gen des Ge­schlechts dar und kann ei­nen An­spruch auf Entschädi­gung auslösen.

Da das BAG erst vor zwei Mo­na­ten klar­ge­stellt hat, dass ei­ne we­gen § 9 Abs.1 Satz 1 MuSchG un­wirk­sa­me Kündi­gung als sol­che noch kei­ne ge­schlechts­be­ding­te Dis­kri­mi­nie­rung dar­stellt, wenn der Ar­beit­ge­ber bei der Kündi­gung die Schwan­ger­schaft nicht kennt (Ur­teil vom 17.10.2013, 8 AZR 742/12), ist mit "Ver­s­toß" hier wohl ein Ver­s­toß ge­gen das Ge­setz in Kennt­nis der Schwan­ger­schaft ge­meint.

Und ver­s­toßen hat­te der Ar­beit­ge­ber ge­gen das Kündi­gungs­ver­bot des § 9 Abs.1 Satz 1 MuSchG, weil Mut­ter und to­tes Kind zum Zeit­punkt der ers­ten Kündi­gung am 14.07.2011 noch nicht ge­trennt wa­ren und da­her noch ei­ne Schwan­ger­schaft im Sin­ne des MuSchG be­stand.

Auch der Ver­such des Ar­beit­ge­bers, die Ar­beit­neh­me­rin zur Ar­beit trotz des Beschäfti­gungs­ver­bo­tes zu be­we­gen und der übe­reil­te Aus­spruch der Kündi­gung noch vor der künst­lich ein­zu­lei­ten­den Fehl­ge­burt sind nach An­sicht des BAG ein In­diz für ei­ne Be­nach­tei­li­gung der Ar­beit­neh­me­rin we­gen ih­rer Schwan­ger­schaft.

Im Er­geb­nis be­stand da­her ein Entschädi­gungs­an­spruch we­gen ge­schlechts­be­ding­ter Dis­kri­mi­nie­rung gemäß § 15 Abs.2 AGG. Al­ler­dings ist die­ses Er­geb­nis, so das BAG, "un­abhängig von der Fra­ge zu se­hen, ob und in­wie­weit Kündi­gun­gen auch nach den Be­stim­mun­gen des AGG zum Schutz vor Dis­kri­mi­nie­run­gen zu be­ur­tei­len sind".

An­schei­nend möch­te sich das BAG auch mit die­sem Ur­teil im­mer noch nicht fest­le­gen, ob dis­kri­mi­nie­ren­de Kündi­gun­gen Entschädi­gungs­ansprüche nach dem AGG zur Fol­ge ha­ben können. Ob das BAG wirk­lich ein sol­ches Aus­weich­manöver durchführen möch­te, wird man erst den Ur­teils­gründen ent­neh­men können.

Im übri­gen dürf­te die ei­gent­li­che Dis­kri­mi­nie­rung hier im Streit­fall nicht dar­in lie­gen, dass der Ar­beit­ge­ber in Kennt­nis der Schwan­ger­schaft ge­gen § 9 Abs.1 Satz 1 MuSchG ver­s­toßen hat. Denn der Ar­beit­ge­ber hat­te bei sei­ner ers­ten Kündi­gung ja of­fen­bar (irrtümlich) ge­glaubt, dass we­gen des Ab­ster­bens der Lei­bes­frucht kei­ne Schwan­ger­schaft mehr be­stand.

Dis­kri­mi­nie­rend war hier nicht so sehr der for­mal-ju­ris­ti­sche Ver­s­toß ge­gen § 9 Abs.1 Satz 1 MuSchG, son­dern die kalt­schnäuzi­ge Rück­sichts­lo­sig­keit, mit der der Ar­beit­ge­ber auf ei­nen schwan­ger­schafts­be­ding­ten Ar­beits­aus­fall durch ei­ne möglichst ra­sche Kündi­gung re­agier­te.

Fa­zit: Nicht ei­ne Kündi­gung als sol­che, aber ih­re dis­kri­mi­nie­ren­den Be­gleit­umstände können Gel­dentschädi­gun­gen nach dem AGG zur Fol­ge ha­ben.

Nähe­re In­for­ma­tio­nen fin­den Sie hier:

Hin­weis: In der Zwi­schen­zeit, d.h. nach Er­stel­lung die­ses Ar­ti­kels, hat das BAG sei­ne Ent­schei­dungs­gründe veröffent­licht. Das vollständig be­gründe­te Ur­teil des BAG fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 31. August 2018

Weitere Auskünfte erteilen Ihnen gern:

Dr. Martin Hensche
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hensche@hensche.de
Christoph Hildebrandt
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hildebrandt@hensche.de
Nina Wesemann
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Arbeitsrecht

Kontakt:
040 / 69 20 68 04
wesemann@hensche.de

Bewertung:

Auf Facebook teilen Auf Google+ teilen Ihren XING-Kontakten zeigen Beitrag twittern

 

Für Personaler, betriebliche Arbeitnehmervertretungen und andere Arbeitsrechtsprofis: "Update Arbeitsrecht" bringt Sie regelmäßig auf den neusten Stand der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung. Informationen zu den Abo-Bedingungen und ein kostenloses Ansichtsexemplar finden Sie hier:

Alle vierzehn Tage alles Wichtige
verständlich / aktuell / praxisnah

HINWEIS: Sämtliche Texte dieser Internetpräsenz mit Ausnahme der Gesetzestexte und Gerichtsentscheidungen sind urheberrechtlich geschützt. Urheber im Sinne des Gesetzes über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (UrhG) ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Martin Hensche, Lützowstraße 32, 10785 Berlin.

Wörtliche oder sinngemäße Zitate sind nur mit vorheriger schriftlicher Genehmigung des Urhebers bzw. bei ausdrücklichem Hinweis auf die fremde Urheberschaft (Quellenangabe iSv. § 63 UrhG) rechtlich zulässig. Verstöße hiergegen werden gerichtlich verfolgt.

© 1997 - 2024:
Rechtsanwalt Dr. Martin Hensche, Berlin
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Lützowstraße 32, 10785 Berlin
Telefon: 030 - 26 39 62 0
Telefax: 030 - 26 39 62 499
E-mail: hensche@hensche.de