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ARBEITSRECHT AKTUELL // 18/267

Einst­wei­li­ger Rechts­schutz ge­gen Frei­stel­lung

Einst­wei­li­ger Rechts­schutz zur Si­che­rung des Be­schäf­ti­gungs­an­spruchs setzt kein be­son­de­res ide­el­les In­ter­es­se des Ar­beit­neh­mers vor­aus: Lan­des­ar­beits­ge­richt Nie­der­sach­sen, Be­schluss vom 08.10.2018, 12 Ta 279/18
Kündigung älterer Geschäftsführer, Altersgrenze, Altersdiskriminierung

02.11.2018. Be­reits im Au­gust 2017 hat­te das Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Ham­burg Ar­beit­neh­mern die ra­sche ge­richt­li­che Durch­set­zung ih­res An­spruchs auf Be­schäf­ti­gung we­sent­lich er­leich­tert (LAG Ham­burg, Ur­teil vom 23.08.2017, 5 Sa­Ga 2/17, wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 18/102 LAG Ham­burg stärkt Be­schäf­ti­gungs­an­spruch).

Möch­te ein frei­ge­stell­ter Ar­beit­neh­mer sei­nen Be­schäf­ti­gungs­an­spruch näm­lich im ge­richt­li­chen Eil­ver­fah­ren durch­set­zen, stellt sich die Fra­ge, ob die fort­lau­fen­de Ver­wei­ge­rung der Be­schäf­ti­gung aus­reicht, da­mit der Streit­fall als be­son­ders eil­be­dürf­tig an­zu­se­hen ist. Die­se Fra­ge hat­te das LAG Ham­burg 2017 zu­guns­ten der Ar­beit­neh­mer­sei­te mit ja be­ant­wor­tet.

Die­ser Sicht­wei­se hat sich jetzt das LAG Nie­der­sach­sen an­ge­schlos­sen: LAG Nie­der­sach­sen, Be­schluss vom 08.10.2018, 12 Ta 279/18.

Genügt es für die Eil­bedürf­tig­keit ei­ner Ge­richts­ent­schei­dung über ei­ne ver­trags­wid­ri­ge Frei­stel­lung, dass der An­spruch auf Beschäfti­gung tagtäglich zu­nich­te ge­macht wird?

Ar­beit­neh­mer können nicht nur Lohn­zah­lung ver­lan­gen, son­dern auch die In­an­spruch­nah­me ih­rer Ar­beits­leis­tung, d.h. Beschäfti­gung durch den Ar­beit­ge­ber. Und wie man zur Durch­set­zung ei­nes of­fe­nen Lo­h­an­spruchs ei­ne Lohn­kla­ge er­he­ben kann, kann ge­gen ei­ne un­be­rech­tig­te Frei­stel­lung im We­ge ei­ner Kla­ge auf Beschäfti­gung vor­ge­hen.

Ei­ne Kla­ge auf Beschäfti­gung kann sich aber be­reits in der ers­ten In­stanz, d.h. bis zu ei­nem ar­beits­ge­richt­li­chen Ur­teil, sechs bis zwölf Mo­na­te (oder länger) hin­zie­hen. Da­her ist ein ef­fek­ti­ver Rechts­schutz für zu Un­recht frei­ge­stell­te Ar­beit­neh­mer nur durch ein ar­beits­ge­richt­li­ches Eil­ver­fah­ren möglich. Und das geht so: Der Ar­beit­neh­mer er­hebt ei­ner­seits ei­ne re­guläre Kla­ge auf Beschäfti­gung (im sog. "Haupt­sa­che­ver­fah­ren"), reicht da­ne­ben aber noch ei­nen An­trag auf Er­lass ei­ner einst­wei­li­gen Verfügung ein. Über die­sen muss das Ar­beits­ge­richt vor­ab und möglichst rasch ent­schei­den.

In ei­nem sol­chen Eil­ver­fah­ren kommt es dar­auf an, ob ne­ben dem An­spruch auf Beschäfti­gung auch ein sog. Verfügungs­grund vor­liegt. Ein Verfügungs­grund ist ein recht­lich an­zu­er­ken­nen­der Grund dafür, dass das Ge­richt ra­scher als im Haupt­sa­che­ver­fah­ren ent­schei­det. Im­mer­hin wer­den Eil­anträge meist bin­nen ein bis drei Wo­chen ent­schie­den, manch­mal auch schon we­ni­ge Ta­ge nach Ein­rei­chung des Eil­an­trags. Oh­ne ei­nen Verfügungs­grund ist ei­ne sol­che Ex­press-Jus­tiz nicht zu ha­ben, wie sich aus den Vor­schrif­ten der Zi­vil­pro­zess­ord­nung (ZPO) und des Ar­beits­ge­richts­ge­set­zes (ArbGG) über das Eil­ver­fah­ren er­gibt (§§ 935, 940 ZPO, § 62 Abs.2 Satz 1 ArbGG).

Hier fragt sich, ob ein Verfügungs­grund in Eil­ver­fah­ren über ei­nen Beschäfti­gungs­an­spruch be­reits (im­mer) dann vor­liegt, wenn (bzw. weil) der Beschäfti­gungs­an­spruch mit je­dem Tag der rechts­wid­ri­gen Frei­stel­lung un­wie­der­bring­lich zu­nich­te ge­macht wird. Die­se für Ar­beit­neh­mer güns­ti­ge Mei­nung ver­tre­ten z.B. das Hes­si­sche LAG (Ur­teil vom 28.06.2010, 16 Sa­Ga 811/10, wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 10/191 Recht auf Beschäfti­gung im Eil­ver­fah­ren) und das LAG Ham­burg (Ur­teil vom 23.08.2017, 5 Sa­Ga 2/17, wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 18/102 LAG Ham­burg stärkt Beschäfti­gungs­an­spruch).

Die Ge­gen­mei­nung lau­tet: Ar­beit­neh­mer ha­ben nur dann ei­nen Verfügungs­grund für ei­nen Eil­an­trag auf Beschäfti­gung, wenn sie ein ge­stei­ger­tes be­ruf­li­ches In­ter­es­se an ei­nem wei­te­ren Ar­beits­ein­satz ha­ben, z.B. um ih­re fach­li­che Qua­li­fi­ka­ti­on auf­recht­zu­er­hal­ten, wie das bei Pi­lo­ten oder Chir­ur­gen der Fall ist, oder um beim Pu­bli­kum nicht in Ver­ges­sen­heit zu ge­ra­ten, so z.B. bei Schau­spie­lern oder Fern­seh­mo­de­ra­to­ren.

Dass die Ar­beits- und Lan­des­ar­beits­ge­rich­te in die­ser Fra­ge nicht ein­heit­lich ent­schei­den, liegt vor al­lem dar­an, dass ge­gen Ent­schei­dun­gen des LAG in Eil­ver­fah­ren kein wei­te­res Rechts­mit­tel ge­ge­ben ist, mit dem man den Fall bis zum Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) trei­ben könn­te. Wie die ak­tu­el­le Ent­schei­dung des LAG Nie­der­sach­sen zeigt, setzt sich die für Ar­beit­neh­mer güns­ti­ge An­sicht aber allmählich durch.

Im Streit: Langjährig beschäftig­ter Schul­lei­ter wird mit sie­ben­mo­na­ti­ger Frist gekündigt und vor­erst wei­ter­hin ein­ge­setzt, dann aber plötz­lich frei­ge­stellt

Der langjähri­ge Schul­lei­ter ei­ner Be­rufs­fach­schu­le war im Mai 2018 or­dent­lich zum Jah­res­en­de 2018 gekündigt wor­den. Da­ge­gen reich­te er Kündi­gungs­schutz­kla­ge ein.

En­de Au­gust wur­de er dann oh­ne Be­gründung für den Rest der ver­blei­ben­den Kündi­gungs­frist frei­ge­stellt.

Um sei­ne Beschäfti­gung im zwar gekündig­ten, aber noch be­ste­hen­den Ar­beits­verhält­nis durch­zu­set­zen, be­an­trag­te er beim Ar­beits­ge­richt Han­no­ver den Er­lass ei­ner einst­wei­li­gen Verfügung. Das Ar­beits­ge­richt wies den An­trag zurück. Be­gründung des Ge­richts: Der Schul­lei­ter hätte ein be­son­de­res Beschäfti­gungs­in­ter­es­se dar­le­gen müssen. Das hat­te er nicht ge­tan, so dass der An­trag nach An­sicht des Ar­beits­ge­richts zurück­zu­wei­sen war.

LAG Nie­der­sach­sen: Der Beschäfti­gungs­an­spruch im be­ste­hen­den Ar­beits­verhält­nis kann im Eil­ver­fah­ren durch­ge­setzt wer­den, oh­ne dass der Ar­beit­neh­mer ein be­son­de­res Beschäfti­gungs­in­ter­es­se be­le­gen muss

In der zwei­ten In­stanz vor dem LAG Nie­der­sach­sen hat­te der Schul­lei­ter Er­folg (LAG Nie­der­sach­sen, Be­schluss vom 08.10.2018, 12 Ta 279/18). Das LAG ver­pflich­te­te den Ar­beit­ge­ber, ihn bis zum 31.12.2018 zu beschäfti­gen.

Zur Be­gründung stütz­te sich das LAG Nie­der­sach­sen auf das Ur­teil des LAG Ham­burg vom 23.08.2017 (5 Sa­Ga 2/17). Wei­ter­hin heißt es in der Ent­schei­dung des LAG Nie­der­sach­sen:

Der Beschäfti­gungs­an­spruch im be­ste­hen­den Ar­beits­verhält­nis folgt aus den §§ 611, 613 Bürger­li­ches Ge­setz­buch (BGB) in Ver­bin­dung mit dem Prin­zip von Treu und Glau­ben (§ 242 BGB), in das wie­der­um das grund­recht­lich geschütz­te Persönlich­keits­recht des Ar­beit­neh­mers "hin­ein­ge­le­sen" wird (Art.1 und Art.2 Grund­ge­setz - GG). Be­ruft sich der Ar­beit­ge­ber im Pro­zess über die Beschäfti­gungs­pflicht auf (an­geb­lich) ent­ge­gen­ste­hen­de In­ter­es­sen (z.B. auf ei­nen Ver­trau­ens­ver­lust oder auf die Befürch­tung des Ver­rats von Geschäfts­ge­heim­nis­sen), muss das Ge­richt die bei­der­sei­ti­gen In­ter­es­sen ge­gen­ein­an­der abwägen.

Weil aber der Beschäfti­gungs­an­spruch erst ein­mal als ju­ris­ti­sche Re­gel ein­deu­tig be­steht, ist es die Auf­ga­be des Ar­beit­ge­bers, das Ge­richt da­von zu über­zeu­gen, dass das Ar­beit­ge­ber-In­ter­es­se an ei­ner Nicht-Beschäfti­gung über­wiegt. Oh­ne ei­nen sol­chen Vor­trag ist die ge­richt­li­che Wert­abwägung kurz und muss zu­las­ten des Ar­beit­ge­bers aus­ge­hen.

Das heißt im Er­geb­nis: Es ist nicht Auf­ga­be des für sei­ne Beschäfti­gung strei­ten­den Ar­beit­neh­mers, ein ge­stei­ger­tes Beschäfti­gungs­in­ter­es­se im Ein­zel­fall aus­drück­lich zu be­gründen. Denn der Beschäfti­gungs­an­spruch be­steht erst ein­mal oh­ne Wei­te­res, weil er aus dem Ar­beits­verhält­nis folgt. Auf ein be­son­ders ge­stei­ger­tes Beschäfti­gungs­in­ter­es­se kommt es erst dann an, wenn der Ar­beit­ge­ber sei­ner­seits "vor­legt" und kon­kre­te Tat­sa­chen glaub­haft macht, die ihm die Beschäfti­gung unmöglich und/oder un­zu­mut­bar ma­chen. Dann erst kommt es auf ein ge­stei­ger­tes Beschäfti­gungs­in­ter­es­se des Ar­beit­neh­mers an, denn oh­ne ei­ne sol­ches In­ter­es­se würden sich die In­ter­es­sen des Ar­beit­ge­bers bei der Abwägung durch­set­zen.

Lau­tet das Er­geb­nis ei­ner sol­chen In­ter­es­sen­abwägung, dass der Ar­beit­neh­mer ei­nen Beschäfti­gungs­an­spruch hat, ge­gen den der Ar­beit­ge­ber kei­ne durch­grei­fen­den Einwände er­he­ben kann, steht der Verfügungs­an­spruch fest. Da­mit hat der Eil­an­trag auch im Er­geb­nis in der Re­gel Er­folg, denn der Verfügungs­grund (d.h. der Grund für die be­son­de­re Eil­bedürf­tig­keit) er­gibt sich dann dar­aus, dass der Beschäfti­gungs­an­spruch in­fol­ge (fort­ge­setz­ter) rechts­wid­ri­ger Erfüllungs­ver­wei­ge­rung durch den Ar­beit­ge­ber je­den Tag er­neut un­ter­geht. Da­zu das LAG Nie­der­sach­sen (Be­schluss, S.5 f.):

"Der Verfügungs­grund folgt in die­sen Fällen be­reits aus dem Um­stand, dass der im Rah­men der Prüfung des Verfügungs­an­spruchs an­ge­nom­me­ne Beschäfti­gungs­an­spruch mit je­dem Tag der Nicht­beschäfti­gung des Ar­beit­neh­mers we­gen Zeit­ab­laufs je­weils nicht nach­hol­bar ist und da­mit endgültig un­ter­geht."

Fa­zit: Mit der hier be­spro­che­nen Ent­schei­dung folgt das LAG Nie­der­sach­sen dem Ur­teil des LAG Ham­burg vom 23.08.2017 (5 Sa­Ga 2/17) und er­leich­tert da­mit die ef­fek­ti­ve ge­richt­li­che Durch­set­zung des Beschäfti­gungs­an­spruchs im be­ste­hen­den Ar­beits­verhält­nis. Will der Ar­beit­ge­ber trotz ei­ner ge­gen ihn er­gan­ge­nen einst­wei­li­gen Verfügung die Beschäfti­gung wei­ter­hin par­tout ver­hin­dern, bleibt ihm im gekündig­ten Ar­beits­verhält­nis kurz­fris­tig oft nur die Möglich­keit, ei­ne wei­te­re Kündi­gung nach­zu­schie­ben. Das geht aber nicht so leicht oder ist mit Dar­stel­lungs­pro­ble­men ver­bun­den, falls es ei­nen Be­triebs­rat oder Per­so­nal­rat gibt, der vor­ab zu be­tei­li­gen ist.

Der hier vom LAG Nie­der­sach­sen gestärk­te An­spruch auf Beschäfti­gung während ei­nes un­strei­tig (noch) be­ste­hen­den Ar­beits­verhält­nis­ses ist übri­gens nicht zu ver­wech­seln mit dem (schwäche­ren) An­spruch auf Wei­ter­beschäfti­gung, den gekündig­te Ar­beit­neh­mer (erst) für die Zeit nach Ab­lauf der Kündi­gungs­frist gel­tend ma­chen können. An­ders als der Beschäfti­gungs­an­spruch kommt der Wei­ter­beschäfti­gungs­an­spruch erst nach Ab­lauf der Kündi­gungs­frist zum Tra­gen, al­so dann, wenn das Ar­beits­verhält­nis zu­min­dest aus Sicht des Ar­beit­ge­bers be­reits be­en­det ist. In der Re­gel setzt ei­ne Wei­ter­beschäfti­gung vor­aus, dass der Ar­beit­neh­mer mit ei­ner Kündi­gungs­schutz­kla­ge in der ers­ten In­stanz (vor dem Ar­beits­ge­richt) er­folg­reich war.

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Letzte Überarbeitung: 16. November 2020

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