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LAG Hamburg stärkt Beschäftigungsanspruch
24.04.2018. Klagt ein Arbeitnehmer im arbeitsgerichtlichen Eilverfahren auf Beschäftigung durch den Arbeitgeber, muss er nach einer aktuellen Entscheidung des Landesarbeitsgerichts (LAG) Hamburg keine besonderen Umstände vortragen, aus denen sich ein "gesteigertes Beschäftigungsinteresse" ergibt.
Auch ganz "normale" Arbeitnehmer haben daher auf der Grundlage dieses Urteils gute Chancen, gegen sachlich nicht begründete Freistellungen durch den Arbeitgeber rechtlich vorzugehen, indem sie einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung stellen: LAG Hamburg, Urteil vom 23.08.2017, 5 SaGa 2/17.
- Wann hat ein gerichtliches Eilverfahren zur Durchsetzung des Anspruchs auf Beschäftigung Erfolgsaussichten?
- Der Hamburger Streitfall: Langjährig beschäftigte Versicherungsangestellte wird krankheitsbedingt mit langer Frist gekündigt und sofort freigestellt
- LAG Hamburg: Die vorläufige Durchsetzung des Beschäftigungsanspruchs im Eilverfahren ist auch ohne ein gesteigertes Beschäftigungsinteresse des Arbeitnehmers möglich
Wann hat ein gerichtliches Eilverfahren zur Durchsetzung des Anspruchs auf Beschäftigung Erfolgsaussichten?
Während der Dauer des Arbeitsverhältnisses haben Arbeitnehmer nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) nicht nur einen Anspruch auf Lohnzahlung, sondern auch darauf, dass der Arbeitgeber die Arbeitsleistung entgegennimmt, d.h. sie haben einen Anspruch auf Beschäftigung. Dieser Anspruch ist gesetzlich nicht eindeutig geregelt und wird aus den §§ 611, 613 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) in Verbindung mit dem Prinzip von Treu und Glauben (§ 242 BGB) hergeleitet, wobei in die Treu-und-Glauben-Generalklausel das grundrechtlich geschützte Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers "hineingelesen" wird, das wiederum aus Art.1 und 2 Grundgesetz (GG) folgt.
Ist das Arbeitsverhältnis gekündigt, endet der Beschäftigungsanspruch mit dem Ablauf der Kündigungsfrist. Bei einer vom Arbeitgeber ausgesprochenen Kündigung hat der gekündigte Arbeitnehmer aber, wenn er Kündigungsschutzklage erhebt, unter bestimmten Voraussetzungen auch für die Zeit nach Ablauf der Kündigungsfrist einen Anspruch auf vorläufige Weiterbeschäftigung während der Dauer des Prozesses. Dieser Weiterbeschäftigungsanspruch ist etwas anderes als der Beschäftigungsanspruch, und er ist schwächer. Denn weil das Arbeitsverhältnis ja gekündigt und die Kündigungsfrist abgelaufen ist, ist erst einmal nicht klar, ob das Arbeitsverhältnis (und mit ihm der Beschäftigungsanspruch) überhaupt noch besteht.
Der "starke", während der Dauer des Arbeitsverhältnisses bestehende Anspruch auf Beschäftigung kann sowohl im regulären Klageverfahren als auch (ergänzend dazu) im arbeitsgerichtlichen Eilverfahren geltend gemacht werden. Ziel eines Eilverfahrens ist der Erlass einer gerichtlichen einstweiligen Verfügung, die den Arbeitgeber bis zur rechtskräftigen Entscheidung der regulären Beschäftigungsklage (= des "Hauptsacheverfahrens") dazu verpflichtet, den Arbeitnehmer weiter zu beschäftigen.
Voraussetzung für eine solche einstweilige Verfügung ist das Bestehen
- eines Verfügungsanspruchs (dies ist in solchen Verfahren der Beschäftigungsanspruch), und
- eines Verfügungsgrundes.
Mit Verfügungsgrund ist die besondere Eilbedürftigkeit der Angelegenheit gemeint. Denn da das reguläre Klageverfahren die normale Weise der gerichtlichen Rechtsdurchsetzung ist, braucht der Arbeitnehmer einen speziellen Grund dafür, dass das Gericht (viel) schneller als im Hauptsacheverfahren entscheidet, d.h. in der Regel innerhalb von ein bis drei Wochen, im Extremfall sogar binnen weniger Tage. Eine derartige Express-Justiz gibt es nur, wenn der Arbeitnehmer einen Verfügungsgrund hat.
An dieser Stelle ist die Rechtsprechung der Arbeits- und der Landesarbeitsgerichte (LAG) nicht einheitlich: Unter welchen Voraussetzungen sich Arbeitnehmer im Eilverfahren auf die besondere Dringlichkeit der Durchsetzung ihres Beschäftigungsanspruchs berufen können, wird von Arbeitsrichtern unterschiedlich gesehen.
Die meisten Gerichte verlangen hier ein besonderes bzw. gesteigertes berufliches Interesse an der Durchsetzung der Beschäftigung, wie es z.B. Schauspieler oder Fernsehmoderatoren haben, um nicht beim Publikum in Vergessenheit zu geraten. Andere Gerichte lassen es schon ausreichen, dass der Beschäftigungsanspruch mit jedem Tag einer rechtswidrigen Freistellung unwiederbringlich verloren geht (so z.B. Hessisches LAG, Urteil vom 28.06.2010, 16 SaGa 811/10, wir berichteten in Arbeitsrecht aktuell: 10/191 Recht auf Beschäftigung im Eilverfahren).
In einem aktuellen Fall hat sich das LAG Hamburg dieser arbeitnehmerfreundlichen Meinung angeschlossen.
Der Hamburger Streitfall: Langjährig beschäftigte Versicherungsangestellte wird krankheitsbedingt mit langer Frist gekündigt und sofort freigestellt
Im Fall des LAG Hamburg war eine 1961 geborene Angestellte fast 30 Jahre lang bei einem großen Versicherungsunternehmen beschäftigt, als sie Ende April 2017 aus krankheitsbedingten Gründen gekündigt wurde. Da sie aufgrund tariflicher Regelungen ordentlich unkündbar war, sprach der Arbeitgeber die Kündigung als außerordentliche Kündigung aus und gewährte dabei eine sog. Auslauffrist von acht Monaten bis zum 31.12.2017.
Zugleich mit der Kündigung stellte der Arbeitgeber die Angestellte von der Arbeit frei, und zwar zunächst unwiderruflich für die Dauer offener Urlaubs- oder Freizeitausgleichsansprüche und für die Zeit danach widerruflich, falls im Rahmen der Abwicklung des Arbeitsverhältnisses noch Fragen auftauchen sollten oder falls eine vorübergehende Tätigkeit aus betrieblichen Gründen notwendig werden sollte. Eine Freistellungsklausel enthielt der Arbeitsvertrag nicht.
Die Arbeitnehmerin verlangte daraufhin postwendend über einen Anwalt die Rücknahme der Freistellung. Außerdem erhob sie binnen zwei Wochen Kündigungsschutzklage und beantragte ergänzend den Erlass einer einstweiligen Verfügung zur Durchsetzung des Beschäftigungsanspruchs bis zum Ablauf der Kündigungsfrist (31.12.2017).
Der Arbeitgeber berief sich darauf, dass er die Angestellte angeblich nicht mehr wie bisher im Kundenkontakt arbeiten lassen könnte. Dabei äußerte er die Befürchtung, die Arbeitnehmerin könnte bei einer weiteren Beschäftigung ihren Unmut über die Kündigung gegenüber Kunden zum Ausdruck bringen oder unsorgfältig arbeiten. Letztlich müsste man jede einzelne Arbeitsleistung der Angestellten durch eine Zweitperson überprüfen, auch um einen möglichen Missbrauch des Zugangs zur EDV auszuschließen.
Das Arbeitsgericht Hamburg gab dem Arbeitgeber Recht, d.h. es wies den Eilantrag ab (Arbeitsgericht Hamburg, Urteil vom 06.06.2017, 15 Ga 7/17).
LAG Hamburg: Die vorläufige Durchsetzung des Beschäftigungsanspruchs im Eilverfahren ist auch ohne ein gesteigertes Beschäftigungsinteresse des Arbeitnehmers möglich
In der Berufung vor dem LAG Hamburg zog der Arbeitgeber den Kürzeren. Dabei erklärte das LAG, dass es seine bisherige Rechtsprechung ändern wolle.
In den Urteilsgründen stellen die Hamburger Richter klar, dass der Arbeitgeber bei Beschäftigungsklagen konkrete Tatsachen vortragen muss, die es ihm unmöglich und/oder unzumutbar machen, den Arbeitnehmer zu beschäftigen. Solche Tatsachen hatte das Versicherungsunternehmen hier im Streitfall nicht vorgetragen, sondern vielmehr abstrakte Vermutungen darüber angestellt, dass sich die gekündigte Arbeitnehmerin möglicherweise geschäftsschädigend verhalten könnte. Diese ins Blaue hinein geäußerten Spekulationen ließ das LAG (zurecht) nicht ausreichen, um den Beschäftigungsanspruch (= Verfügungsanspruch) zu Fall zu bringen.
Darüber hinaus schließt sich das LAG der Meinung an, der zufolge es für die besondere Eilbedürftigkeit der Durchsetzung des Beschäftigungsanspruchs im Eilverfahren (d.h. für den Verfügungsgrund) ausreicht, dass der Beschäftigungsanspruch mit jedem Tag der rechtswidrigen Erfüllungsverweigerung durch den Arbeitgeber endgültig untergeht (Urteil, II. 3. b) aa) der Gründe).
Hier lässt das Gericht das oft vorgebrachte Argument nicht gelten, dass diese Endgültigkeit auch für die Belastung des Arbeitgebers mit einem (möglicherweise zu Unrecht ergehenden) Beschäftigungsurteil gilt. Denn, so das LAG: "Einstweiliger Rechtsschutz darf nicht deshalb verweigert werden, weil er notwendig eine Partei endgültig begünstigt und die Gegenpartei endgültig belastet." (Urteil, II. 3. b) aa) der Gründe)
Zusammengefasst lautet der Leitsatz 3.) der Entscheidung:
"Die vorläufige Durchsetzung des Beschäftigungsanspruchs im Wege einstweiligen Rechtsschutzes erfordert beim Verfügungsgrund weder ein gesteigertes Beschäftigungsinteresse des Arbeitnehmers noch eine Abwägung der Interessen beider Vertragsparteien. Die faktische Vorwegnahme der Hauptsache ist dabei unvermeidlich und sogar verfassungsrechtlich geboten. Ihre gegenteilige Rechtsprechung (LAG Hamburg, Urteil vom 24. Juli 2013 - 5 SaGa 1/13 -, Rn. 38, juris) gibt die Kammer für Fälle, in denen der Arbeitgeber eine Beschäftigung des Arbeitnehmers während der Zeit des unstreitigen Bestehens des Arbeitsverhältnisses überhaupt und insgesamt ablehnt, ausdrücklich auf."
Fazit: Das Urteil des LAG Hamburg stärkt die Position des Arbeitnehmers beim Streit über sachlich nicht begründete Freistellungen in einem unstreitig bestehenden Arbeitsverhältnis. Derartige Freistellungen sind letztlich kalte Kündigungen, auch wenn der Lohn fortgezahlt wird. Denn Arbeitnehmer werden durch solche Freistellungen von heute auf morgen aus ihrem Arbeitsalltag herausgerissen und müssen sich dann notgedrungen nach einer anderen Stelle umsehen.
In solchen Fällen strengen betroffene Arbeitnehmer häufig arbeitsgerichtliche Eilverfahren an. Dabei haben sie künftig bessere Chancen als bisher, jedenfalls in Hamburg.
Nähere Informationen finden Sie hier:
- Landesarbeitsgericht Hamburg, Urteil vom 23.08.2017, 5 SaGa 2/17
- Handbuch Arbeitsrecht: Annahmeverzug des Arbeitgebers
- Handbuch Arbeitsrecht: Arbeitsvertrag
- Handbuch Arbeitsrecht: Arbeitsvertrag und allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) - Freistellungsklausel
- Handbuch Arbeitsrecht: Beschäftigung, Beschäftigungsanspruch
- Handbuch Arbeitsrecht: Freistellung, Suspendierung
- Handbuch Arbeitsrecht: Kündigung - Außerordentliche Kündigung
- Handbuch Arbeitsrecht: Kündigung - Kündigung wegen Krankheit
- Handbuch Arbeitsrecht: Kündigungsschutzklage
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- Handbuch Arbeitsrecht: Weiterbeschäftigung
- Tipps und Tricks: Was tun bei Versetzung?
- Arbeitsrecht aktuell: 18/267 Einstweiliger Rechtsschutz gegen Freistellung
- Arbeitsrecht aktuell: 18/082 Durchsetzung der Beschäftigung trotz Wegfall des Arbeitsplatzes
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- Arbeitsrecht aktuell: 17/061 Weiterbeschäftigung im Kündigungsschutzverfahren und Freistellung
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Letzte Überarbeitung: 29. November 2018
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