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ARBEITSRECHT AKTUELL // 13/244

Was tun bei fal­scher Kün­di­gungs­frist?

Lässt sich ei­ne Kün­di­gung mit fal­scher Kün­di­gungs­frist nicht als Kün­di­gung mit rich­ti­ger Frist aus­le­gen, muss der Ge­kün­dig­te bin­nen drei Wo­chen Kla­ge er­he­ben: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Ur­teil vom 15.05.2013, 5 AZR 130/12
Kündigung Wall-Street-Karton mit Frau Wenn schon ge­kün­digt, dann bit­te mit rich­ti­ger Frist

23.08.2013. Vom Ar­beit­ge­ber ge­kün­digt zu wer­den, ist nicht schön. Erst recht nicht, wenn der Ar­beit­ge­ber die Kün­di­gungs­fris­ten falsch be­rech­net hat.

Aber was tun, wenn der in der Kün­di­gung ge­nann­te End­ter­min zu knapp be­rech­net ist, d.h. wenn der Ar­beit­ge­ber die Kün­di­gung erst zu ei­nem spä­te­ren Ter­min hät­te aus­spre­chen kön­nen?

Kann man ei­ne sol­che Kün­di­gung dann als kor­rek­te Kün­di­gung "aus­le­gen", d.h. gilt sie dann trotz des fal­schen End­ter­mins recht­lich als Kün­di­gung mit dem spä­te­ren rich­ti­gen End­ter­min?

Ob ei­ne sol­che Aus­le­gung mög­lich ist oder nicht, hängt "von den Um­stän­den" ab, so das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) in ei­ner ak­tu­el­len Ent­schei­dung: BAG, Ur­teil vom 15.05.2013, 5 AZR 130/12.

Wel­che recht­li­chen Wir­kun­gen hat ei­ne Kündi­gung mit zu kurz be­rech­ne­ter Kündi­gungs­frist?

Dass der Ar­beit­ge­ber bei ei­ner or­dent­li­chen Kündi­gung in sei­nem Kündi­gungs­schrei­ben ei­nen zu frühen End­ter­min nennt und da­mit die ein­zu­hal­ten­de Kündi­gungs­frist falsch be­rech­net, kommt gar nicht so sel­ten vor. Manch­mal wer­den Vor­dienst­zei­ten bei ei­nem frühe­ren Be­triebs­in­ha­ber über­se­hen, mach­mal auch ta­rif­li­che oder ar­beits­ver­trag­li­che Kündi­gungs­fris­ten.

Dann er­gibt sich zwar ei­ner­seits aus dem Kündi­gungs­schrei­ben, dass ei­ne außer­or­dent­li­che bzw. frist­lo­se Kündi­gung nicht ge­wollt war, d.h. der Ar­beit­ge­ber war gut­wil­lig und woll­te die Kündi­gungs­fris­ten ein­hal­ten. Nur dass er das eben nicht ge­tan hat, weil der im Kündi­gungs­schrei­ben an­ge­ge­be­ne End­ter­min recht­lich falsch ist, d.h. ein späte­rer Ter­min wäre rich­tig ge­we­sen.

In sol­chen Fällen gilt nach der Recht­spre­chung des Zwei­ten und des Sechs­ten BAG-Se­nats ei­ne Aus­le­gungs­re­gel, der zu­fol­ge ei­ne or­dent­li­che Kündi­gungs­erklärung "in al­ler Re­gel" als ei­ne Kündi­gung zu ver­ste­hen ist, die zum nächst­zulässi­gen Zeit­punkt gel­ten soll (BAG, Ur­teil vom 15.12.2005, 2 AZR 148/05; BAG, Ur­teil vom 09.02.2006, 6 AZR 283/05).

Wird ei­ne sol­che Kündi­gung da­her nicht bin­nen drei Wo­chen nach Zu­gang mit ei­ner Kündi­gungs­schutz­kla­ge an­ge­grif­fen, ist sie die­sen bei­den BAG-Se­na­ten zu­fol­ge gemäß § 4 Kündi­gungs­schutz­ge­setz (KSchG) in Verb. mit § 7 KSchG als wirk­sam an­zu­se­hen, und zwar mit dem rich­tig be­rech­ne­ten End­ter­min. Will der gekündig­te Ar­beit­neh­mer nur auf Ein­hal­tung sei­ner Kündi­gungs­frist und auf Lohn­zah­lung bis zum rich­ti­gen End­ter­min po­chen, braucht er da­her nicht in­ner­halb der für Kündi­gungs­schutz­kla­gen gel­ten­den Drei­wo­chen­frist vor Ge­richt zu zie­hen, son­dern kann sich mit ei­ner Kla­ge Zeit las­sen.

An­ders hat das al­ler­dings der Fünf­te Se­nat des BAG vor drei Jah­ren ge­se­hen (BAG, Ur­teil vom 01.09.2010, 5 AZR 700/09 - wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 10/201 Zeit­druck bei falsch be­rech­ne­ter Kündi­gungs­frist).

Nach An­sicht des Fünf­ten BAG-Se­nats hängt die Aus­le­gung ei­ner Kündi­gung mit zu kurz be­rech­ne­ter Frist von den Umständen des Ein­zel­falls ab und ist da­her ei­ne of­fe­ne Fra­ge. Und gibt es nur ei­ne mögli­che Aus­le­gung im Sin­ne des falsch be­rech­ne­ten End­ter­mins, wird die Kündi­gung mit die­sem un­rich­ti­gen End­ter­min wirk­sam, wenn der Ar­beit­neh­mer nicht bin­nen drei Wo­chen nach Zu­gang Kla­ge er­hebt.

Die­se Auf­fas­sung hat der Fünf­te Se­nat vor kur­zem be­kräftigt.

Der Fall des BAG: Kraft­fah­rer wird nach 18 Jah­ren Beschäfti­gung "frist­gemäß" mit nur drei Mo­na­ten Kündi­gungs­frist gekündigt

Im Streit­fall händig­te der Ar­beit­ge­ber ei­nem seit 18 Jah­ren beschäftig­ten Kraft­fah­rer En­de Ju­ni 2009 ei­ne Kündi­gung mit fol­gen­dem Wort­laut aus:

"Sehr ge­ehr­ter Herr Sch,

hier­mit kündi­gen wir Ih­nen frist­gemäß zum 30.09.09.

Die Kündi­gung er­folgt aus be­triebs­be­ding­ten Gründen.

Mit freund­li­chen Grüßen

(Un­ter­schrift)“

Der Kraft­fah­rer sah die Kündi­gung durch und sprach sei­nen Chef dar­auf an, dass er ei­ne außer­or­dent­li­che Kündi­gung ver­mei­den wol­le. Der erklärte dar­auf­hin, er ha­be dies ge­prüft. Die ord­nungs­gemäße Frist zum 30. Sep­tem­ber 2009 sei wie das Wort „frist­gemäß“ aus­drück­lich im Kündi­gungs­schrei­ben ent­hal­ten.

Erst En­de Ok­to­ber 2009 er­hob der Kraft­fah­rer Kündi­gungs­schutz­kla­ge. Da­bei be­an­trag­te er we­gen der mitt­ler­wei­le ver­stri­che­nen Drei­wo­chen­frist nachträgli­che Zu­las­sung sei­ner Kla­ge, und zwar mit der Be­gründung, er sei im An­schluss an die Überg­a­be des Kündi­gungs­schrei­bens schwer er­krankt und da­her we­der pro­zess- noch geschäftsfähig ge­we­sen, so dass er sich erst ge­gen En­de Ok­to­ber 2009 zur Kla­ge ha­be ent­schließen können.

Im Pro­zess ging es dann im we­sent­li­chen nur um den Ok­to­ber­lohn von 2.200,00 EUR brut­to, den der Ar­beit­ge­ber nicht zah­len woll­te, weil er ja erst En­de Ok­to­ber durch die Kla­ge da­von er­fah­ren hat­te, dass der Ar­beit­neh­mer die per En­de Sep­tem­ber aus­ge­spro­che­ne Kündi­gung nicht gel­ten las­se woll­te.

Das Ar­beits­ge­richt Nürn­berg (Ur­teil vom 04.03.2010, 4 Ca 8208/09) und Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Nürn­berg spra­chen dem Kraft­fah­rer den Ok­to­ber­lohn zu (LAG Nürn­berg, Ur­teil vom 08.06.2011, 4 Sa 252/10).

BAG: Lässt sich ei­ne Kündi­gung mit zu kur­zer Kündi­gungs­frist nicht als Kündi­gung mit rich­ti­gem End­ter­min aus­le­gen, muss der Ar­beit­neh­mer bin­nen drei Wo­chen kla­gen

Das BAG hob die Ent­schei­dun­gen der Voris­tan­zen auf und wies die Lohn­kla­ge ab. Zur Be­gründung heißt es:

Die Kündi­gung war hier trotz der aus­drück­li­chen An­ga­be des fal­schen End­ter­mins ("zum 30.09.2009") aus­zu­le­gen als ei­ne or­dent­li­che Kündi­gung mit ge­setz­li­cher Frist von sechs Mo­na­ten zum Mo­nats­en­de gemäß § 622 Abs.2 Satz 1 Nr.5 Bürger­li­ches Ge­setz­buch - BGB). Dafür spra­chen die Umstände, un­ter de­nen die Kündi­gung aus­gehändigt wor­den wa­ren, denn der Ar­beit­ge­ber hat­te ja auf Nach­fra­gen be­teu­ert, er wol­le er ein frist­gemäße Kündi­gung aus­spre­chen. Und das stand ja auch im Schrei­ben selbst ("kündi­gen wir Ih­nen frist­gemäß").

Al­ler­dings gab es trotz der Fort­gel­tung des Ar­beits­verhält­nis­ses kei­nen Lohn für Ok­to­ber, denn da­zu hätte der Kraft­fah­rer den Ar­beit­ge­ber in An­nah­me­ver­zug setz­ten müssen (§ 615 BGB). Der An­nah­me­ver­zug schei­ter­te hier letzt­lich dar­an, dass der Kraft­fah­rer an­geb­lich nach sei­nem ei­ge­nen Vor­trag während des Ok­to­ber schwer er­krankt und da­her pro­zess- und geschäfts­unfähig war. Dann aber hätte er kon­kret vor­tra­gen müssen, war­um er gleich­wohl in der La­ge ge­we­sen sein soll­te, sei­ne Ar­beit zu ver­rich­ten.

Fa­zit: Ob ei­ne or­dent­li­che Kündi­gung mit zu kurz be­rech­ne­ter Kündi­gungs­frist als Kündi­gung zum rich­ti­gen End­ter­min gilt oder nicht, hängt nach An­sicht des Fünf­ten BAG-Se­nats vom In­halt des Schrei­bens und von den Umständen ab, d.h. vom Er­geb­nis ei­ner "Aus­le­gung". Das ist für für Ar­beit­ge­ber und Ar­beit­neh­mer glei­cher­maßen mit un­trag­ba­ren Un­si­cher­hei­ten ver­bun­den.

Ar­beit­ge­bern ist da­her zu ra­ten, or­dent­li­che Kündi­gun­gen ent­spre­chend un­se­ren Mus­terkündi­gungs­schrei­ben im­mer nur als "or­dent­li­che Kündi­gun­gen zum nächstmögli­chen Zeit­punkt" aus­zu­spre­chen und die­se Erklärung da­durch zu ergänzen, dass die­ser Zeit­punkt "nach un­se­ren Be­rech­nun­gen" der So­und­so­viel­te ist.

Denn Kündi­gun­gen zum nächstmögli­chen Ter­min sind im All­ge­mei­nen zulässig, wie der Sechs­te BAG-Se­nat vor kur­zem klar­ge­stellt hat (BAG, Ur­teil vom 20.06.2013, 6 AZR 805/11 - wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 13/179 Kündi­gung zum nächstmögli­chen Ter­min). Und auch auf der Ba­sis der Recht­spre­chung des Fünf­ten Se­nats lässt sich ei­ne sol­che Kündi­gung als Kündi­gung zum rich­ti­gen End­ter­min aus­le­gen.

Ar­beit­neh­mern da­ge­gen ist zu ra­ten, Kündi­gungs­erklärun­gen mit zu kurz be­rech­ne­ter Kündi­gungs­frist vor­sorg­lich in­ner­halb von drei Wo­chen nach Er­halt mit ei­ner Kündi­gungs­schutz­kla­ge an­zu­grei­fen. Denn dann hat man genügend Zeit, die Ein­zel­hei­ten der Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses in Ru­he vor Ge­richt zu re­geln.

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Letzte Überarbeitung: 27. Oktober 2017

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