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ARBEITSRECHT AKTUELL // 12/278

Kün­di­gungs­schutz­kla­ge nach Ab­lauf der Kla­ge­frist

Ei­ne Kün­di­gungs­schutz­kla­ge kann ana­log § 6 KSchG nach Ab­lauf der Kla­ge­frist zu­läs­sig sein, wenn der Ar­beit­neh­mer am sel­ben Tag zwei Kün­di­gun­gen er­hal­ten und nur ge­gen ei­ne ge­klagt hat: Hes­si­sches Lan­des­ar­beits­ge­richt, Ur­teil vom 10.01.2012, 12 Sa 673/11
Sanduhr mit rotem Sand Wer ei­ne Kün­di­gung er­hält und kla­gen möch­te, muss sich be­ei­len

13.08.2012. Ar­beit­neh­mer, die vom Ar­beit­ge­ber ei­ne Kün­di­gung er­hal­ten ha­ben, dür­fen sich ge­mäß § 4 Satz 1 Kün­di­gungs­schutz­ge­setz (KSchG) mit ei­ner Kün­di­gungs­schutz­kla­ge nur drei Wo­chen Zeit las­sen, denn nach Ab­lauf die­ser Kla­ge­frist ist die Kün­di­gung als rechts­wirk­sam an­zu­se­hen, und zwar end­gül­tig (§ 7 KSchG).

Die Mög­lich­keit, ei­ne ver­spä­te­te Kla­ge nach­träg­lich zu­zu­las­sen, be­steht nach § 5 KSchG nur dann, wenn der Ar­beit­neh­mer trotz al­ler ihm zu­zu­mu­ten­den Sorg­falt an der Ein­hal­tung der Kla­ge­frist ge­hin­dert war. Das kommt aber prak­tisch kaum vor.

Im­mer­hin sind Ar­beit­neh­mer nicht ver­pflich­tet, in­ner­halb der Drei­wo­chen­frist al­le mög­li­chen Ar­gu­men­te ge­gen die Wirk­sam­keit der Kün­di­gung vor­zu­brin­gen. Denn § 6 KSchG er­laubt es ih­nen, sich im Rah­men ei­ner be­reits lau­fen­den Kün­di­gungs­schutz­kla­ge auch noch nach Ab­lauf der Kla­ge­frist auf Un­wirk­sam­keits­grün­de zu be­ru­fen, von de­nen in der Kla­ge zu­nächst nicht die Re­de war.

Bei der An­wen­dung von § 6 KSchG sind die Ge­rich­te groß­zü­gi­ger als bei § 5 KSchG. So wird § 6 KSchG z.B. sinn­ge­mäß ("ana­log") zu­guns­ten des Ar­beit­neh­mers an­ge­wandt, wenn die­ser in­ner­halb der Drei­wo­chen­frist ei­ne Lohn­kla­ge er­ho­ben hat und dar­in sei­nen Lohn für die Zeit nach ei­ner frist­lo­sen Kün­di­gung ver­langt. Denn da­mit macht er deut­lich, dass er die frist­lo­se Kün­di­gung nicht gel­ten las­sen will, und da­her kann er sei­ne Lohn­kla­ge noch nach Ab­lauf der Drei­wo­chen­frist um ei­nen An­trag er­wei­tern, mit dem er die frist­lo­se Kün­di­gung an­greift.

Auf die­ser Li­nie hat das Hes­si­sche Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) ei­nen ak­tu­el­len Fall ent­schie­den, in dem es um zwei au­ßer­or­dent­li­che Kün­di­gun­gen ging, von de­nen der Ar­beit­neh­mer nur ei­ne in­ner­halb der Drei­wo­chen­frist mit ei­ner Kün­di­gungs­schutz­kla­ge an­ge­grif­fen hat­te: Hes­si­sches LAG, Ur­teil vom 10.01.2012, 12 Sa 673/11.

Wann kann man ei­ne Kündi­gungs­schutz­kla­ge auch noch nach Ab­lauf der dreiwöchi­gen Kla­ge­frist er­he­ben?

In al­ler Re­gel ist ei­ne schrift­li­che Ar­beit­ge­berkündi­gung nach drei Wo­chen recht­lich was­ser­dicht, denn ei­ne Kündi­gungs­schutz­kla­ge kann gemäß § 5 KSchG nur in ex­tre­men Aus­nah­mefällen nachträglich zu­ge­las­sen wer­den. Ei­ne länge­re Ur­laubs­ab­we­sen­heit genügt dafür z.B. nicht. Viel­mehr muss es den gekündig­ten Ar­beit­neh­mer schon mas­siv "ge­beu­telt" ha­ben, z.B. durch ei­ne nicht vor­her­seh­ba­re schwe­re Er­kran­kung.

Ver­späte­te Kla­gen können da­her öfter als auf § 5 KSchG auf § 6 KSchG gestützt wer­den. Über sei­nen Wort­laut hin­aus lässt sich die­sem Pa­ra­gra­phen das all­ge­mei­ne Prin­zip ent­neh­men, dass Kündi­gungs­schutz­kla­gen noch „rech­zei­tig“ sein sol­len, wenn der gekündig­te Ar­beit­neh­mer vor Ab­lauf von drei Wo­chen zwar nicht ge­gen die Kündi­gung klagt, aber in an­de­rer Wei­se deut­lich macht, dass er die Kündi­gung bzw. die dar­aus fol­gen­de Be­en­di­gung sei­nes Ar­beits­verhält­nis­ses nicht ak­zep­tie­ren will.

Es ist al­ler­dings frag­lich, ob auch ei­ne recht­zei­tig er­ho­be­ne Kündi­gungs­schutz­kla­ge die Frist für ei­ne Kla­ge wahrt, die der Ar­beit­neh­mer ge­gen ei­ne an­de­re Kündi­gung hätte er­he­ben müssen.

Der Streit­fall: Kran­ken­pfle­ger erhält zwei außer­or­dent­li­che Kündi­gun­gen und klagt nur ge­gen ei­ne

Ein Kran­ken­pfle­ger, der auf 20 Jah­re Beschäfti­gung zurück­schau­en konn­te, er­hielt an ei­nem Tag im De­zem­ber 2010 zwei außer­or­dent­li­che Kündi­gun­gen mit iden­ti­scher Be­gründung. Ei­ne der Kündi­gun­gen war frist­los erklärt wor­den, die an­de­re ent­hielt ei­ne Aus­lau­f­rist von sechs Mo­na­ten und soll­te das Ar­beits­verhält­nis da­her erst per En­de Ju­ni 2011 be­en­den. Weil die Kündi­gun­gen an­sons­ten gleich wa­ren, gab der Ar­beit­neh­mer sei­nem An­walt nur die Kündi­gung mit Aus­lauf­frist.

Der An­walt er­hob ge­gen die­se Kündi­gung Kündi­gungs­schutz­kla­ge und er­fuhr dann im Güte­ter­min En­de Ja­nu­ar 2011 von der an­de­ren (frist­lo­sen) Kündi­gung. Ob­wohl die dreiwöchi­ge Kla­ge­frist zu die­sem Zeit­punkt schon lan­ge ab­ge­lau­fen war, klag­te der An­walt auch ge­gen die frist­lo­se Kündi­gung. Da­bei be­an­trag­te er die nachträgli­che Zu­las­sung der Kla­ge gemäß § 5 KSchG und hat­te da­mit vor dem Ar­beits­ge­richt Mar­burg Er­folg (Ur­teil vom 14.04.2011, 1 Ca 39/11).

LAG: Die Kla­ge ge­gen ei­ne von zwei zeit­gleich aus­ge­spro­che­nen Kündi­gun­gen verlängert die Kla­ge­frist ana­log § 6 KSchG

Auch das Hes­si­sche LAG be­wer­te­te die zwei­te Kündi­gungs­schutz­kla­ge als recht­zei­tig. An­ders als das Ar­beits­ge­richt be­rief sich das LAG aber nicht auf sich § 5 KSchG, son­dern auf ei­ne sinn­gemäße ("ana­lo­ge") An­wen­dung von § 6 KSchG. Denn der Ar­beit­neh­mer hat­te durch sei­ne ge­gen die Kündi­gung mit Aus­lauf­frist ge­rich­te­te ers­te Kla­ge zu er­ken­nen ge­ge­ben, dass er auch die zeit­gleich und mit der­sel­ben Be­gründung aus­ge­spro­che­ne frist­lo­se Kündi­gung nicht ak­zep­tie­ren woll­te.

Fa­zit: Das Ur­teil ist von großer prak­ti­scher Be­deu­tung, denn es kommt oft vor, dass der Ar­beit­ge­ber meh­re­re Kündi­gun­gen gleich­zei­tig in ei­nem Kündi­gungs­schrei­ben und/oder am sel­ben Tag in Form meh­re­rer ge­trenn­ter Kündi­gungs­schrei­ben erklärt. Dann ist es auch für Anwälte oft nicht leicht her­aus­zu­fin­den, wie­vie­le Kündi­gun­gen ei­gent­lich erklärt wur­den. Soll­te ein Ar­beit­neh­mer­an­walt in ei­ner sol­chen Si­tua­ti­on ei­ne von meh­re­ren gleich­zei­tig erklärten Kündi­gun­gen über­se­hen und da­her nicht in­ner­halb der Drei­wo­chen­frist zum Ge­gen­stand ei­ner Kündi­gungs­schutz­kla­ge ge­macht ha­ben, kann er das noch in­ner­halb des lau­fen­den Kla­ge­ver­fah­rens in der ers­ten In­stanz nach­ho­len, d.h die Kla­ge ent­spre­chend er­wei­tern.

Ob das LAG-Ur­teil Be­stand ha­ben wird, ist of­fen, da das LAG die Re­vi­si­on zum Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) zu­ge­las­sen hat und der Fall mitt­ler­wei­le beim BAG liegt (Ak­ten­zei­chen 2 AZR 459/12). Bis zu ei­ner Ent­schei­dung des BAG gilt da­her die drin­gen­de Emp­feh­lung für gekündig­te Ar­beit­neh­mer, so­fort nach Er­haltn ei­ner Kündi­gung Rechts­rat ein­zu­ho­len und dem An­walt oder Ge­werk­schafts­se­kretär al­le Schrei­ben vor­zu­le­gen, die ei­ne Kündi­gung ent­hal­ten könn­ten. Und für Ar­beit­neh­mer­ver­tre­ter gilt, dass man bes­ser ei­ne Kündi­gung zu­viel als ei­ne zu we­nig mit ei­ner Kündi­gungs­schutz­kla­ge an­grei­fen soll­te.

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Letzte Überarbeitung: 15. Dezember 2017

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