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ARBEITSRECHT AKTUELL // 15/294

Ver­wei­ge­rung der An­nah­me ei­ner Kün­di­gung

Ein Kün­di­gungs­schrei­ben ist im Per­so­nal­ge­spräch wirk­sam über­reicht, wenn der Ge­kün­dig­te es ent­ge­gen­nimmt oder wenn es ne­ben ihn auf den Tisch ge­legt wird: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Ur­teil vom 26.03.2015, 2 AZR 483/14
Aufhebungsvertrag Personalsachbearbeiter

20.10.2015. Ar­beit­neh­mer, die ei­ne Kün­di­gung er­hal­ten ha­ben und da­ge­gen Kün­di­gungs­schutz­kla­ge er­he­ben wol­len, müs­sen er sich be­ei­len. Sie ha­ben näm­lich nur drei Wo­chen Zeit zur Kla­ge­er­he­bung, sonst ist die Kün­di­gung recht­lich was­ser­dicht.

Die Drei-Wo­chen-Frist wird meist mit dem "Zu­gang" der (schrift­li­chen) Kün­di­gung aus­ge­löst, d.h. durch den Ein­wurf des Kün­di­gungs­schrei­bens in den Brief­kas­ten des Ar­beit­neh­mers zu den ge­wöhn­li­chen Post­zu­stel­lungs­zei­ten.

Bei der Über­ga­be ei­nes Kün­di­gungs­schrei­bens im Be­trieb wird die Frist da­ge­gen durch die Ent­ge­gen­nah­me des Schrei­bens aus­ge­löst. In ei­nem ak­tu­el­len Fall hat das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) deut­lich ge­macht, was das im Ein­zel­nen be­deu­tet: BAG, Ur­teil vom 26.03.2015, 2 AZR 483/14.

Wann ist Kündi­gungs­schrei­ben un­ter An­we­sen­den rechts­wirk­sam über­reicht?

Die Ar­beits­ge­rich­te muss­ten in der Ver­gan­gen­heit recht häufig über Fälle ent­schei­den, in de­nen die Par­tei­en darüber strit­ten, wann ein Kündi­gungs­schrei­ben per Post oder Bo­ten "zu­ge­gan­gen" war. Denn vom Tag des Zu­gangs der Kündi­gung in der Woh­nung bzw. im Brief­kas­ten des Ar­beit­neh­mers hängt der Be­ginn der ge­setz­li­chen Drei­wo­chen­frist zur Er­he­bung ei­ner Kündi­gungs­schutz­kla­ge gemäß § 4 Satz 1 Kündi­gungs­schutz­ge­setz (KSchG) in Verb. mit § 7 KSchG ab.

Nicht so oft kommt es vor, dass die Umstände der Über­rei­chung ei­ner Kündi­gung in ei­nem Per­so­nal­gespräch um­strit­ten sind und aus die­sem Grund un­klar ist, ob ei­ne ge­gen En­de der Drei­wo­chen­frist ein­ge­reich­te Kündi­gungs­schutz­kla­ge ge­ra­de noch recht­zei­tig oder ver­spätet er­ho­ben wur­de.

Die ge­setz­li­che Re­ge­lung, die sol­che Fra­gen be­trifft, ist in § 130 Abs.1 Satz 1 Bürger­li­ches Ge­setz­buch (BGB) ent­hal­ten und gilt nur für verkörper­te Erklärun­gen "un­ter Ab­we­sen­den", d.h. für ei­nen per Post oder Bo­ten zu­ge­stell­ten Brief, ei­ne E-Mail oder ein Fax. Sie lau­tet:

"Ei­ne Wil­lens­erklärung, die ei­nem an­de­ren ge­genüber ab­zu­ge­ben ist, wird, wenn sie in des­sen Ab­we­sen­heit ab­ge­ge­ben wird, in dem Zeit­punkt wirk­sam, in wel­chem sie ihm zu­geht."

Un­ter "Zu­gang" ist zu ver­ste­hen, dass das rechts­er­heb­li­che Schrei­ben in den "Macht­be­reich" des Empfängers ge­langt und dass die­ser "un­ter gewöhn­li­chen Umständen" von ihm Kennt­nis neh­men kann, d.h. dass ein Le­sen des Schrei­bens möglich ist.

Ei­ne um 22:00 Uhr in den Brief­kas­ten ein­ge­wor­fe­ne Kündi­gung geht da­her erst am nächs­ten Tag zu, denn sie ist zwar schon am Tag des Ein­wurfs in den Macht­be­reich (= Brief­kas­ten) des Gekündig­ten ge­langt, aber da um die­se Uhr­zeit gewöhn­lich nie­mand mehr sei­nen Brief­kas­ten checkt, be­steht die Möglich­keit der Kennt­nis­nah­me (= Öff­nen und Le­sen des Schrei­bens) erst am nächs­ten Tag.

Die­se Grundsätze überträgt die Recht­spre­chung so gut es geht auf die Überg­a­be von rechts­er­heb­li­chen Schrei­ben un­ter An­we­sen­den, al­so z.B. auf die Aushändi­gung ei­nes Kündi­gungs­schrei­bens in ei­nem Per­so­nal­gespräch.

Auch hier kommt es auf das Le­sen des Schrei­bens nicht an, son­dern es genügt die Möglich­keit der Kennt­nis­nah­me. Und da nie­mand ei­nen Brief­kas­ten mit sich her­um­trägt, heißt "Macht­be­reich" in sol­chen Fällen, dass der Gekündig­te das Schrei­ben in sei­nen Händen hält, so dass er es le­sen kann.

Manch­mal kommt es im Ver­lauf ei­nes Kündi­gungs­gesprächs aber zum Streit, so dass der Ar­beit­neh­mer nicht mehr gut­wil­lig da­zu be­reit ist, ein ihm über­reich­tes Schrei­ben ent­ge­gen­zu­neh­men oder gar sei­nen Emp­fang zu quit­tie­ren. Dann fragt sich, ob trotz­dem von ei­nem "rechts­wirk­sa­men" Über­rei­chen ge­spro­chen wer­den kann oder ob der Ar­beit­neh­mer die An­nah­me "treu­wid­rig ver­ei­telt" hat und sich da­her recht­lich so be­han­deln las­sen muss, als hätte er das Schrei­ben ent­ge­gen­ge­nom­men.

Der Streit­fall: Al­ten­pfle­ge­rin wird ein Kündi­gungs­schrei­ben im Per­so­nal­gespräch an­geb­lich hin­ge­hal­ten

Ei­ne Al­ten­pfle­ge­rin war seit über sechs Mo­na­ten in ei­ner Pfle­ge­ein­rich­tung mit mehr als zehn Ar­beit­neh­mern beschäftigt, d.h. sie hat­te Kündi­gungs­schutz nach den Vor­schrif­ten des KSchG.

Am 22.10.2012 (Mon­tag) wur­de sie zu ei­nem Per­so­nal­gespräch ge­be­ten. Der Ver­lauf des Gesprächs blieb zwi­schen den Par­tei­en strei­tig. Nach dem Vor­brin­gen des Ar­beit­ge­bers wur­de der Pfle­ge­rin ein Kündi­gungs­schrei­ben "hin­ge­hal­ten", doch ver­ließ sie den Be­spre­chungs­raum - un­strei­tig - oh­ne Mit­nah­me ei­nes sol­chen Schrei­bens. An­geb­lich soll sie die An­nah­me ver­wei­gert ha­ben.

An sel­ben Tag (Mon­tag) oder am fol­gen­den Diens­tag such­ten zwei Bo­ten des Ar­beit­ge­bers die Pfle­ge­rin in ih­rer Woh­nung auf und spra­chen kurz mit ihr, wo­bei auch das Da­tum und die Ein­zel­hei­ten die­ses Gesprächs um­strit­ten wa­ren. Nach der Ver­si­on des Ar­beit­ge­bers sol­len die bei­den Bo­ten ei­ne Kündi­gung in den Brief­kas­ten wer­fen und ha­ben das auch ge­tan, und zwar nach­dem sie dies der Pfle­ge­rin münd­lich an­gekündigt hat­ten. Nach der Ver­si­on der Pfle­ge­rin war von ei­nem Brief gar nicht die Re­de. Viel­mehr sei sie in Ei­le ge­we­sen und ha­be das Gespräch da­her rasch be­en­det.

Je­den­falls am 24.10.2012 (Mitt­woch) fand die Pfle­ge­rin ein Kündi­gungs­schrei­ben in ih­rem Haus­brief­kas­ten vor und reich­te ge­nau drei Wo­chen später, am 14.11.2012 (Mitt­woch), beim Ar­beits­ge­richt Ham­burg Kündi­gungs­schutz­kla­ge ein.

Das Ar­beits­ge­richt Ham­burg wies die Kla­ge ab, da es von ei­nem Zu­gang der Kündi­gung vor dem 24.10.2012 aus­ging, wo­mit die Kla­ge­schrift zu spät ein­ge­reicht wor­den wäre (Ur­teil vom 12.07.2013, 13 Ca 386/12). Dem­ge­genüber gab das Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Ham­burg der Pfle­ge­rin recht, da es mein­te, die Kündi­gung wäre erst am 24.10.2012 zu­ge­gan­gen. Und da der Ar­beit­ge­ber nichts zur so­zia­len Recht­fer­ti­gung der Kündi­gung im Sin­ne des KSchG vor­ge­bracht hat­te, ver­lor er die Be­ru­fungs­in­stanz.

BAG: Ein Kündi­gungs­schrei­ben ist im Per­so­nal­gespräch wirk­sam über­reicht, wenn der Gekündig­te es ent­ge­gen­nimmt oder wenn es ne­ben ihn auf den Tisch ge­legt wird

Die Re­vi­si­on des Ar­beit­ge­bers hat­te Er­folg. Das BAG hob das Be­ru­fungs­ur­teil auf und ver­wies die Sa­che zur wei­te­ren Aufklärung des Ge­sche­hens und zur Ent­schei­dung an das LAG Ham­burg zurück.

An­ders als das LAG war das BAG der An­sicht, dass hier mögli­cher­wei­se be­reits am 22.10.2012 die Kündi­gung wirk­sam aus­gehändigt wur­de oder der Kläge­rin ei­ne treu­wid­ri­ge Zu­gangs­ver­ei­te­lung vor­zu­wer­fen ist. Denn im­mer­hin ging auch das LAG da­von aus, dass der Al­ten­pfle­ge­rin am 22.10.2012 ei­ne Kündi­gung mögli­cher­wei­se "hin­ge­hal­ten" wor­den war.

Da­zu stellt das BAG klar, dass ei­ne wirk­sa­me Kündi­gungs-Aushändi­gung bzw. ei­ne Art "Zu­gang im persönli­chen Gespräch" in zwei Va­ri­an­ten möglich ist (Ur­teil, Rand­num­mer 20), nämlich

  • ers­tens durch Ent­ge­gen­nah­me des Schrei­bens durch den Gekündig­ten (wo­bei es auf das Le­sen bzw. Zur-Kennt­nis-Neh­men der Kündi­gung nicht an­kommt), und
  • zwei­tens durch ein Ent­ge­gen­hal­ten des Schrei­bens in der Ab­sicht der Überg­a­be und durch ein an­sch­ließen­des Nie­der­le­gen des Schrei­bens un­mit­tel­bar ne­ben den Gekündig­ten, so dass die­ser oh­ne wei­te­res zu­grei­fen kann.

Nimmt der Kündi­gungs­adres­sat das Schrei­ben da­ge­gen nicht an und behält es der Kündi­gen­de dar­auf­hin bei sich, liegt ei­ne wirk­sa­me Überg­a­be bzw. ei­ne Zu­gang nicht vor, doch ist dann zu prüfen, ob der Kündi­gungs­adres­sat den Zu­gang nicht mögli­cher­wei­se treu­wid­rig ver­ei­telt hat. Auch das lag hier im Streit­fall nach An­sicht des BAG na­he, denn nach der Ver­si­on des Ar­beit­ge­bers hat­te die­ser der Pfle­ge­rin mit­ge­teilt, dass sie jetzt ei­ne Kündi­gung er­hal­ten soll­te.

Ergänzend weist das BAG dar­auf hin, dass auch die zwei­te Un­ter­re­dung (am 22. oder 23.10.) bei der Woh­nung der Pfle­ge­rin auf­geklärt wer­den müss­te, denn auch aus die­sem Vor­gang kann sich er­ge­ben, dass die Kündi­gung schon vor dem 24.10.2012 zu­ge­gan­gen ist. Wenn nämlich die Ver­si­on des Ar­beit­ge­bers stimmt, dass sei­ne Bo­ten die Pfle­ge­rin auf den be­vor­ste­hen­den Ein­wurf ei­nes Kündi­gungs­schrei­bens hin­ge­wie­sen hat­ten, wäre der Zu­gang durch Ein­wurf in den Brief­kas­ten be­reits am 22. oder 23.10.2012 er­folgt, und zwar auch dann, wenn dies erst ge­gen 17:00 Uhr ge­sche­hen sein soll­te. Denn in ei­nem sol­chen Fall käme es we­gen der Vor­ab-In­for­ma­ti­on nicht auf die späte Uhr­zeit an.

Fa­zit: Ar­beit­ge­ber soll­ten den Ab­lauf ei­nes Per­so­nal­gesprächs, in dem ei­ne Kündi­gung über­reicht wer­den soll, ge­nau pla­nen und ex­akt do­ku­men­tie­ren. Denn wenn der Ar­beit­ge­ber die Ab­sicht der Aushändi­gung ei­ner Kündi­gung ein­mal geäußert hat, kann der Ar­beit­neh­mer die An­nah­me der Kündi­gung nicht mehr ver­wei­gern, oh­ne sich den Vor­wurf der "treu­wid­ri­gen Zu­gangs­ver­ei­te­lung" ein­zu­han­deln. Denn ein "Ar­beit­ge­ber darf dar­auf ver­trau­en, ei­nem Ar­beit­neh­mer während ei­ner Be­spre­chung im Be­trieb ei­ne schrift­li­che Wil­lens­erklärung in Be­zug auf das Ar­beits­verhält­nis über­mit­teln zu können", so das BAG (Ur­teil, Rand­num­mer 29).

Und für Ar­beit­neh­mer gilt die Emp­feh­lung, Kündi­gungs­schutz­kla­gen nicht auf den letz­ten Drücker ein­zu­rei­chen. Nichts ist ärger­li­cher als die Ab­wei­sung ei­ner Kündi­gungs­schutz­kla­ge al­lein aus dem oh­ne wei­te­res ver­meid­ba­ren Grund, dass die Drei-Wo­chen-Frist versäumt wur­de.

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Letzte Überarbeitung: 5. Oktober 2016

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