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ARBEITSRECHT AKTUELL // 14/178

Zu­gang ei­ner Kün­di­gung bei Haft

Ei­ne Kün­di­gung geht durch Ein­wurf in den Haus­brief­kas­ten auch dann zu, wenn der Ar­beit­neh­mer im Ge­fäng­nis sitzt: Lan­des­ar­beits­ge­richt Schles­wig-Hol­stein, Ur­teil vom 19.03.2014, 6 Sa 297/13
Verhaftung Mann

15.05.2014. Wer vom Ar­beit­ge­ber ei­ne Kün­di­gung er­hal­ten hat und Kün­di­gungs­schutz­kla­ge er­he­ben will, hat da­zu nur drei Wo­chen Zeit, sonst ist die Kün­di­gung recht­lich was­ser­dicht.

Die Frist be­ginnt mit dem Zu­gang der (schrift­li­chen) Kün­di­gung, im All­ge­mei­nen al­so mit Ab­lauf des Ta­ges, an dem der Ar­beit­neh­mer das Kün­di­gungs­schrei­ben im Be­trieb er­hal­ten hat oder es in sei­nem Brief­kas­ten liegt.

In ei­nem ak­tu­el­len Fall hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Schles­wig-Hol­stein ent­schie­den, dass ei­ne Kün­di­gung auch dann durch Ein­wurf in den Haus­brief­kas­ten des Ar­beit­neh­mers zu­geht (und die Drei­wo­chen­frist ab die­sem Zeit­punkt läuft), wenn der Ar­beit­neh­mer im Ge­fäng­nis sitzt: LAG Schles­wig-Hol­stein, Ur­teil vom 19.03.2014, 6 Sa 297/13.

Geht ein Kündi­gungs­schrei­ben durch Ein­wurf in den Haus­brief­kas­ten auch dann zu, wenn der gekündig­te Ar­beit­neh­mer in­haf­tiert ist?

Gemäß § 4 Satz 1 Kündi­gungs­schutz­ge­setz (KSchG) ha­ben gekündig­te Ar­beit­neh­mer nur drei Wo­chen Zeit für die Er­he­bung ei­ner Kündi­gungs­schutz­kla­ge, denn da­nach ist die Kündi­gung endgültig als rechts­wirk­sam an­zu­se­hen (§ 7 KSchG).

Die Frist be­ginnt mit Aus­spruch ei­ner (schrift­li­chen) Kündi­gung, in der Re­gel al­so mit dem Zu­gang des Kündi­gungs­schrei­bens im Sin­ne von § 130 Abs.1 Satz 1 Bürger­li­ches Ge­setz­buch (BGB).

Un­ter "Zu­gang" ei­ner schrift­li­chen Erklärung ver­steht man,

  • dass die Erklärung in den Macht­be­reich des Empfängers ge­langt,
  • so dass der Empfänger den In­halt der Erklärung "un­ter gewöhn­li­chen Umständen" zur Kennt­nis neh­men kann (ob er das auch tut, ist recht­lich un­er­heb­lich).

So geht bei­spiels­wei­se ein Kündi­gungs­schrei­ben, das nach 16:00 Uhr in den Brief­kas­ten des Ar­beit­neh­mers ein­ge­wor­fen wird, erst am nächs­ten Tag zu. Denn weil am späten Nach­mit­tag nie­mand mehr mit dem Post­bo­ten rech­net und da­her sei­nen Brief­kas­ten am späten Nach­mit­tag nicht mehr kon­trol­liert, ist ei­ne Kennt­nis­nah­me der Kündi­gung "un­ter gewöhn­li­chen Umständen" erst am nächs­ten Tag möglich (LAG Köln, Ur­teil vom 17.09.2010, 4 Sa 721/10, wir be­rich­te­ten in: Ar­beits­recht ak­tu­ell: 11/023 LAG Köln: Kündi­gung - Zu­gangs­zeit­punkt bei Ein­wurf in Brief­kas­ten).

Da ei­ne tatsächli­che Kennt­nis­nah­me des Kündi­gungs­schrei­bens durch den Empfänger, d.h. das Le­sen des Schrei­bens durch den gekündig­ten Ar­beit­neh­mer, für den Zu­gang nicht er­for­der­lich ist, be­ginnt die Drei­wo­chen­frist auch dann zu lau­fen, wenn der Ar­beit­neh­mer vorüber­ge­hend nicht im Haus ist und sei­nen Brief­kas­ten nicht leert. Aber gilt das auch bei ei­nem mehr­mo­na­ti­gen Gefäng­nis­auf­ent­halt?

Der Streit­fall: Ar­beit­neh­mer sitzt mo­na­te­lang in Beu­ge­haft, wird gekündigt und klagt sechs Mo­na­te nach Aus­spruch der Kündi­gung

Ein seit 1991 in ei­nem größeren Ein­kaufs­markt beschäftig­ter Kas­sie­rer saß von En­de Sep­tem­ber 2012 bis En­de März 2013, d.h. fast sechs Mo­na­te lang (!) im Gefäng­nis, al­ler­dings nicht we­gen straf­recht­li­cher Ver­feh­lun­gen, son­dern zur Er­zwin­gung der Ab­ga­be ei­ner ei­des­staat­li­chen Ver­si­che­rung.

Nach­dem er auf­grund der Beu­ge­haft nicht mehr zur Ar­beit ge­kom­men war, sprach der Ar­beit­ge­ber am 05.10.2012 ei­ne Ab­mah­nung aus und we­ni­ge Ta­ge später ei­ne frist­lo­se Kündi­gung. Ab­mah­nung und Kündi­gung wur­den schrift­lich erklärt und in den Woh­nungs­brief­kas­ten des Ar­beit­neh­mers ein­ge­wor­fen.

Da der Ar­beit­neh­mer sei­ne Woh­nung al­lein be­wohn­te und nie­man­den mit der Post­kon­trol­le be­auf­tragt hat­te, er­hob er erst nach sei­ner Haft­ent­las­sung An­fang April 2013 Kündi­gungs­schutz­kla­ge.

Der Ar­beit­neh­mer mein­te, er hätte die Kla­ger­he­bungs­frist ein­ge­hal­ten. Denn die Kündi­gung sei ihm erst nach sei­ner Haft­ent­las­sung En­de März 2013 im Rechts­sin­ne "zu­ge­gan­gen".

Außer­dem sei dem Ar­beit­ge­ber der Gefäng­nis­auf­ent­halt schon vor Aus­spruch von Ab­mah­nung und Kündi­gung be­kannt ge­we­sen, was der Ar­beit­ge­ber be­stritt.

Das Ar­beits­ge­richt Lübeck wies die Kla­ge ab und be­gründe­te das mit dem Ab­lauf der dreiwöchi­gen Kla­ge­frist (Ur­teil vom 16.07.2013, 6 Ca 962/13).

LAG Schles­wig-Hol­stein: Ei­ne Kündi­gung geht durch Ein­wurf in den Haus­brief­kas­ten auch dann zu, wenn der Ar­beit­neh­mer im Gefäng­nis sitzt

Auch in der Be­ru­fung vor dem LAG Schles­wig-Hol­stein hat­te der Ar­beit­neh­mer kein Glück. Das LAG wies sei­ne Be­ru­fung zurück, und zwar we­gen Versäum­ung der ge­setz­li­chen Kla­ge­frist.

Denn die strei­ti­ge Kündi­gung war hier nach An­sicht des LAG am Tag des Ein­wurfs in den Brief­kas­ten zu­ge­gan­gen, d.h. am 11.10.2012, Haft hin oder her. An die­sem Tag war sie nämlich durch Ein­wurf in den Brief­kas­ten in den Macht­be­reich des Ar­beit­neh­mers ein­ge­gan­gen, und un­ter gewöhn­li­chen Umständen konn­te er sie zur Kennt­nis neh­men.

Mit "gewöhn­li­chen Umständen" sind nämlich ge­ra­de nicht die in­di­vi­du­el­len Verhält­nis­se des Kündi­gungs­adres­sa­ten ge­meint. Ist der Ar­beit­neh­mer

  • durch Krank­heit,
  • durch Ur­laub,
  • durch Haft
  • oder durch an­de­re be­son­de­re Umstände

vorüber­ge­hend nicht in der La­ge, die Kündi­gung zu le­sen, ändert das recht­lich am Zu­gang der Kündi­gung nichts, so das Ge­richt un­ter Hin­weis auf die Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts (BAG). Das gilt selbst dann, wenn dem Ar­beit­ge­ber be­kannt ist, dass der Ar­beit­neh­mer in Haft oder im Aus­land ist, denn er kann ja dafür sor­gen, dass je­mand für ihn nach der Post sieht.

Im vor­lie­gen­den Streit­fall und in ähn­li­chen Fällen muss der Ar­beit­neh­mer zu­sam­men mit sei­ner Kündi­gungs­schutz­kla­ge ei­nen An­trag auf nachträgli­che Kla­ge­zu­las­sung gemäß § 5 KSchG stel­len. Ein sol­cher An­trag hat Er­folg, wenn der gekündig­te Ar­beit­neh­mer

"nach er­folg­ter Kündi­gung trotz An­wen­dung al­ler ihm nach La­ge der Umstände zu­zu­mu­ten­den Sorg­falt ver­hin­dert (ist), die Kla­ge in­ner­halb von drei Wo­chen nach Zu­gang der schrift­li­chen Kündi­gung zu er­he­ben"

Da der Ar­beit­neh­mer im vor­lie­gen­den Fall ei­nen sol­chen An­trag nicht ge­stellt hat­te, konn­te ihm das LAG auch nicht hel­fen. Auf­grund die­ser pro­zes­sua­len Un­ter­las­sungssünde konn­te das LAG hier

  • we­der ent­schei­den, ob die Kla­ge nachträglich zu­zu­las­sen war (denn der Ar­beit­neh­mer hat­te kei­nen An­trag auf nachträgli­che Kla­ge­zu­las­sung ge­stellt),
  • noch über­prüfen, ob der Ar­beit­ge­ber ei­nen wich­ti­gen Grund für sei­ne frist­lo­se Kündi­gung hat­te (denn man­gels nachträgli­cher Kla­ge­zu­las­sung war die Kündi­gung nach Ab­lauf der Kla­ge­frist gemäß § 7 KSchG als wirk­sam an­zu­se­hen).

Das ist aus Sicht des Ar­beit­neh­mers ärger­lich, denn an­ge­sichts der lan­gen Beschäfti­gungs­zeit von über 20 Jah­ren hätte die frist­lo­se Kündi­gung hier schon auf den Prüfstand ge­stellt wer­den sol­len.

Fa­zit: Ein Haft­auf­ent­halt schützt vor Kündi­gung nicht. Sitzt ein Ar­beit­neh­mer ein, muss er dafür sor­gen, dass je­mand sei­nen Haus­brief­kas­ten kon­trol­liert. Das wäre hier im Streit­fall ver­mut­lich möglich ge­we­sen, denn der Kläger wur­de ja nicht über­ra­schend in Un­ter­su­chungs­haft ge­nom­men oder lag plötz­lich auf der In­ten­siv­sta­ti­on, son­dern hat­te ei­ne Beu­ge­haft zur Er­zwin­gung ei­ner ei­des­staat­li­chen Ver­si­che­rung ab­zu­sit­zen. Ei­ne sol­che Haft hat aber in der Re­gel ei­nen lan­gen Vor­lauf.

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Letzte Überarbeitung: 5. Oktober 2016

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