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ARBEITSRECHT AKTUELL // 19/080

Ur­laub nach Be­triebs­zu­ge­hö­rig­keit ist kei­ne Dis­kri­mi­nie­rung

Ein Zu­satz­ur­laub von ei­ner Wo­che nach 25-jäh­ri­ger Be­triebs­zu­ge­hö­rig­keit ist kei­ne Aus­län­der­dis­kri­mi­nie­rung, auch wenn er für In­län­der leich­ter zu er­rei­chen ist: Eu­ro­päi­scher Ge­richts­hof, Ur­teil vom 13.03.2019, C-437/17 (Eu­ro­ther­men Bad Schal­ler­bach)
International, Welt, Globus

29.03.2019. In Zei­ten des Fach­kräf­te­man­gels wird es zu­neh­mend wich­tig, Ar­beit­neh­mer lang­fris­tig an den Be­trieb bzw. an das Un­ter­neh­men zu bin­den.

Ein alt­be­währ­tes Mit­tel sind fi­nan­zi­el­le An­rei­ze wie zu­sätz­li­che Ur­laubs­ta­ge oder Ju­bi­lä­ums­zu­wen­dun­gen, die von ei­ner län­ge­ren Be­triebs­zu­ge­hö­rig­keit ab­hän­gig sind und da­her ein Mo­tiv sein kön­nen, nicht zur Kon­kur­renz ab­zu­wan­dern.

In ei­nem ak­tu­el­len, aus Ös­ter­reich stam­men­den Streit­fall hat der Eu­ro­päi­sche Ge­richts­hof (EuGH) ent­schie­den, dass es kei­ne ver­bo­te­ne Aus­län­der­dis­kri­mi­nie­rung dar­stellt, wenn ös­ter­rei­chi­sche Ar­beit­neh­mer nach 25-jäh­ri­ger Be­triebs­zu­ge­hö­rig­keit beim sel­ben Ar­beit­ge­ber ei­ne zu­sätz­li­che (sechs­te) Wo­che Ur­laub be­kom­men: EuGH, Ur­teil vom 13.03.2019, C-437/17 (Eu­ro­ther­men­Re­sort Bad Schal­ler­bach).

Be­nach­tei­ligt ein einwöchi­ger Zu­satz­ur­laub nach 25 Jah­ren Be­triebs­zu­gehörig­keit ausländi­sche Ar­beit­neh­mer und/oder er­schwert die Freizügig­keit der Ar­beit­neh­mer in der EU?

Nach öster­rei­chi­schem Ar­beits­recht ha­ben Ar­beit­neh­mer pro Jahr ei­nen fünfwöchi­gen ge­setz­li­chen Min­des­t­ur­laub, wo­bei das öster­rei­chi­sche Ur­laubs­ge­setz (Ur­laubsG) wie das deut­sche Bun­des­ur­laubs­ge­setz (BUrlG) den wöchent­li­chen Ur­laub in Form ei­nes Ur­laubs­an­spruchs von sechs Werk­ta­gen gewährt (§ 2 Abs.1 Ur­laubsG). 30 Werk­ta­ge (Mon­tag bis Sams­tag) ent­spre­chen da­bei fünf Wo­chen Ur­laub.

Die­ser fünfwöchi­ge Min­des­t­ur­laub erhöht sich nach ei­ner Dienst­zeit von 25 Jah­ren bei dem­sel­ben Ar­beit­ge­ber auf sechs Wo­chen (§ 2 Abs.1 Satz 2 Ur­laubsG), wo­bei auch Vor­dienst­zei­ten bei an­de­ren Ar­beit­ge­bern an­spruchs­be­gründend sein können, vor­aus­ge­setzt, sie dau­er­ten min­des­tens sechs Mo­na­te (§ 3 Abs.2 Zif­fer 1 Ur­laubsG).

Die­se bei an­de­ren Ar­beit­ge­bern zurück­ge­leg­ten Dienst­zei­ten wer­den al­ler­dings höchs­tens im Um­fang von fünf Jah­ren an­er­kannt (§ 3 Abs.3 Satz 1 Ur­laubsG). Ein Ar­beit­ge­ber­wech­sel führt da­her im Er­geb­nis da­zu, dass der einwöchi­ge Zu­satz­ur­laub schwe­rer zu er­lan­gen ist.

BEISPIEL: Ein Ar­beit­neh­mer in Öster­reich wech­selt nach 15 Jah­ren zu ei­nem an­de­ren Ar­beit­ge­ber. Sei­ne 15-jähri­ge Vor­dienst­zeit wird dort nur im Um­fang von fünf Jah­ren an­er­kannt, so dass er sich bei sei­nem neu­en Ar­beit­ge­ber 20 Jah­re lang ge­dul­den muss, bis er ei­nen Ur­laubs­an­spruch von sechs Wo­chen er­wirbt. Ins­ge­samt muss er in die­sem Bei­spiel für den Zu­satz­ur­laub Dienst­zei­ten von 35 Jah­ren zurück­le­gen, d.h. zehn Jah­re länger war­ten als ver­gleich­ba­re Kol­le­gen bei sei­nem neu­en Ar­beit­ge­ber.

Die­ser ur­laubs­recht­li­che Blei­be-An­reiz führt da­zu, dass auch Ar­beit­neh­mer, die aus dem Aus­land nach Öster­reich kom­men, schlech­ter fah­ren als ver­gleich­ba­re alt­ein­ge­ses­se­ne Kol­le­gen. Dar­aus er­gibt sich - zu­min­dest mit­tel­bar - ei­ne Be­nach­tei­li­gung von Ar­beit­neh­mern aus dem eu­ropäischen Aus­land.

Denn wenn ein EU-Ausländer zum Ar­bei­ten nach Öster­reich kommt, kann er in al­ler Re­gel kei­ne oder nur kur­ze Vor­dienst­zei­ten bei dem­sel­ben öster­rei­chi­schen Ar­beit­ge­ber vor­wei­sen. Das ist bei öster­rei­chi­schen Ar­beit­neh­mern an­ders, je­den­falls dann, wenn sie im­mer "brav" bei ih­rem Ar­beit­ge­ber ge­ar­bei­tet ha­ben.

Das verstößt mögli­cher­wei­se ge­gen Art.45 Abs.1 des Ver­trags über die Ar­beits­wei­se der Eu­ropäischen Uni­on (AEUV). Die­se Vor­schrift gewährt Ar­beit­neh­mern Freizügig­keit in­ner­halb der EU. Da­zu gehört gemäß Art.45 Abs.2 AEUV auch die

„Ab­schaf­fung je­der auf der Staats­an­gehörig­keit be­ru­hen­den un­ter­schied­li­chen Be­hand­lung der Ar­beit­neh­mer der Mit­glied­staa­ten in Be­zug auf Beschäfti­gung, Ent­loh­nung und sons­ti­ge Ar­beits­be­din­gun­gen“

Darüber hin­aus schreibt die Ver­ord­nung (EU) 492/2011 vom 05.04.2011 über die Freizügig­keit der Ar­beit­neh­mer in­ner­halb der Uni­on in ih­rem Art.7 Fol­gen­des vor:

„Al­le Be­stim­mun­gen in Ta­rif- oder Ein­zel­ar­beits­verträgen oder sons­ti­gen Kol­lek­tiv­ver­ein­ba­run­gen be­tref­fend Zu­gang zur Beschäfti­gung, Ent­loh­nung und sons­ti­ge Ar­beits- und Kündi­gungs­be­din­gun­gen sind von Rechts we­gen nich­tig, so­weit sie für Ar­beit­neh­mer, die Staats­an­gehöri­ge an­de­rer Mit­glied­staa­ten sind, dis­kri­mi­nie­ren­de Be­din­gun­gen vor­se­hen oder zu­las­sen.“

Vor die­sem Hin­ter­grund fragt sich, ob die ur­laubs­recht­li­che Pri­vi­le­gie­rung von alt­ge­dien­ten Ar­beit­neh­mern mit ei­ner Be­triebs­zu­gehörig­keit von mehr als 25 Jah­ren bei dem­sel­ben öster­rei­chi­schen Ar­beit­ge­ber ge­gen das Eu­ro­pa­recht verstößt, kon­kret ge­gen Art.45 AEUV und/oder ge­gen Art.7 der Ver­ord­nung (EU) 492/2011.

Der öster­rei­chi­sche Streit­fall: Tou­ris­tik-Un­ter­neh­men strei­tet mit sei­nem Be­triebs­rat über Ur­laubs­ansprüche von Ar­beit­neh­mern, die sich auf Vor­dienst­zei­ten im Aus­land be­ru­fen können

Im Streit­fall lag ein Öster­rei­chi­sches Un­ter­neh­men der Tou­ris­mus­bran­che mit Sitz in Bad Schal­ler­bach mit sei­nem Be­triebs­rat darüber im Streit, ob der einwöchi­ge Zu­satz­ur­laub nach § 2 Abs.1 Satz 2 Ur­laubsG mögli­cher­wei­se auch sol­chen Ar­beit­neh­mern zu­steht, die ent­spre­chend lan­ge Vor­dienst­zei­ten bei Ar­beit­ge­bern im Aus­land vor­wei­sen konn­ten.

Der Be­triebs­rat zog vor Ge­richt und un­ter­lag mit sei­ner Kla­ge so­wohl in der ers­ten In­stanz vor dem Lan­des­ge­richt Wels als auch in der Be­ru­fungs­in­stanz vor dem Ober­lan­des­ge­richt Linz. Der in der Re­vi­si­on mit dem Fall be­fass­te Obers­te Ge­richts­hof setz­te dar­auf­hin das Ver­fah­ren aus und leg­te dem EuGH die Fra­ge vor, ob die mit­tel­ba­re Be­nach­tei­li­gung von Ar­beit­neh­mern mit lan­ger Dienst­zeit bei nicht-öster­rei­chi­schen Ar­beit­ge­bern mit dem Eu­ro­pa­recht ver­ein­bar ist.

EuGH: Ein einwöchi­ger Zu­satz­ur­laub nach 25 Jah­ren Be­triebs­zu­gehörig­keit beim sel­ben Ar­beit­ge­ber ist kei­ne Ausländer­dis­kri­mi­nie­rung, auch wenn der Zu­satz­ur­laub für Inländer leich­ter zu er­rei­chen ist

Der Ge­richts­hof wies die Rechts­auf­fas­sung des Be­triebs­rats zurück und ent­schied, dass ge­setz­li­che Pri­vi­le­gie­run­gen wie die hier um­strit­te­ne öster­rei­chi­sche Ur­laubs­re­ge­lung mit dem Eu­ro­pa­recht zu ver­ein­ba­ren sind.

Ei­ne un­mit­tel­ba­re Dis­kri­mi­nie­rung we­gen der Staats­an­gehörig­keit lag da­bei oh­ne­hin (un­strei­tig) nicht vor, so dass es nur dar­auf an­kam, ob der Zu­satz­ur­laub zu ei­ner mit­tel­ba­re Dis­kri­mi­nie­rung ausländi­scher Ar­beit­neh­mer führen könn­te (Ur­teil, Rn.23, 24).

Das ist nach An­sicht des Ge­richts­hofs nicht der Fall. Da­bei legt der EuGH die all­ge­mei­ne In­ter­pre­ta­ti­on der strei­ti­gen Ge­set­zes­re­ge­lung zu­grun­de, der zu­fol­ge auch im Aus­land zurück­ge­leg­te Dienst­zei­ten an­spruchs­be­gründend sein können. Ge­gen ei­ne mit­tel­ba­re Ausländer­dis­kri­mi­nie­rung spricht ent­schei­dend, dass ja auch öster­rei­chi­sche Ar­beit­neh­mer oft den Ar­beit­ge­ber wech­seln (können): Es lie­gen kei­ne An­halts­punk­te dafür vor, dass öster­rei­chi­sche Ar­beit­neh­mer übli­cher­wei­se 25 Jah­re lang bei ih­rem Ar­beit­ge­ber blei­ben (Ur­teil, Rn.28).

Auch ei­nen Ver­s­toß ge­gen die Ar­beit­neh­mer­freizügig­keit woll­te der Ge­richts­hof nicht an­er­ken­nen (Ur­teil, Rn.37 bis 42). Denn das EU-Recht kann Ar­beit­neh­mern auf­grund der viel­fach be­ste­hen­den Un­ter­schie­de im Ar­beits- und So­zi­al­recht der Mit­glieds­staa­ten nicht ga­ran­tie­ren, dass sie bei ei­nem Wech­sel von ei­nem EU-Land in ein an­de­res dort die­sel­ben ar­beits- und so­zi­al­recht­li­chen Be­din­gun­gen vor­fin­den. Dies gilt so­wohl für öster­rei­chi­sche Ar­beit­neh­mer, die sich mit dem Ge­dan­ken tra­gen, ins Aus­land zu ge­hen, als auch für Ar­beit­neh­mer aus dem EU-Aus­land, die ei­ne Beschäfti­gung in Öster­reich in Erwägung zie­hen (Ur­teil, Rn.39).

Fa­zit: Der­zeit liegt ein Vor­la­ge­fall des Bun­des­ar­beits­ge­richts (BAG) beim EuGH, in dem es um die ta­rif­ver­trag­lich vor­ge­se­he­ne fi­nan­zi­el­le Be­vor­zu­gung von Ar­beit­neh­mern im öffent­li­chen Dienst in­fol­ge der An­er­ken­nung von Be­rufs­er­fah­rung geht (BAG, Be­schluss vom 18.10.2018, 6 AZR 232/17 (A), wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 18/255 Be­rufs­er­fah­rung bei der TV-L-Stu­fen­zu­ord­nung auch im Aus­land?).

Auch hier stellt sich ei­ne ganz ähn­li­che Fra­ge, nämlich die, ob die ta­rif­li­che An­er­ken­nung von Vor­dienst­zei­ten bzw. Be­rufs­er­fah­run­gen bei dem­sel­ben (öffent­li­chen) Ar­beit­ge­ber ei­ne mit­tel­ba­re Ausländer­dis­kri­mi­nie­rung und/oder ei­ne Ver­let­zung der Ar­beit­neh­mer-Freizügig­keit dar­stellt. Die jetzt er­gan­ge­ne Ent­schei­dung des EuGH lässt ver­mu­ten, dass der Ge­richts­hof wahr­schein­lich auch die deut­schen ta­rif­ver­trag­li­chen Vor­schrif­ten ab­seg­nen wird.

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Letzte Überarbeitung: 28. September 2021

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