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Gesteigerte Loyalitätspflichten christlicher Führungskräfte christlicher Arbeitgeber?
25.07.2018. Seit 2010 haben wir mehrfach über einen prominenten Kündigungsprozess berichtet, der offenbar kein Ende nehmen will. Die Rede ist von dem katholischen Chefarzt eines katholischen Krankenhauses in Düsseldorf, dem im Jahre 2009 gekündigt worden war, weil er erneut geheiratet hatte, ohne seine zuvor bestehende Ehe kirchenrechtlich annullieren zu lassen.
Über den Fall hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) bereits zweimal und das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) einmal entschieden. Nun liegt er beim Europäischen Gerichtshof (EuGH), dessen Generalanwalt Wathelet Ende Mai 2018 seine Stellungnahme veröffentlicht hat: Melchior Wathelet, Schlussanträge vom 31.05.2018, Rs. C-68/17 (katholischer Chefarzt).
- Kann ein katholischer Arbeitgeber von katholischen Führungskärften eine strengere Befolgung der kirchlichen Moralgebote verlangen als von vergleichbaren nicht-katholischen Führungskräften?
- Der Fall des wegen Wiederverheiratung gekündigten katholischen Chefarztes - ein arbeitsrechtlicher Endlos-Prozess
- Generalanwalt Wathelet: Die der Kündigung zugrundeliegende Loyalitätserwartung des kirchlichen Krankenhausträgers lässt sich nicht mit Art.4 der Richtlinie 2000/78/EG rechtfertigen und ist daher eine Diskriminierung wegen der Religion
Kann ein katholischer Arbeitgeber von katholischen Führungskärften eine strengere Befolgung der kirchlichen Moralgebote verlangen als von vergleichbaren nicht-katholischen Führungskräften?
Arbeitnehmer kirchlicher Einrichtungen wie z.B. eines katholischen Kindergartens, Pflegeheims oder Krankenhauses werden zwar auf der Grundlage des für alle Arbeitnehmer geltenden „weltlichen“ Arbeitsrechts eingestellt, doch müssen sie beim Abschluss des Arbeitsvertrages zusagen, sich an die von der Kirche vorgegebenen Regeln der sog. christlichen Dienstgemeinschaft zu halten.
Im Bereich der katholischen Caritas sind diese Regeln in einer „Grundordnung für den kirchlichen Dienst“ festgehalten.
Die für Einrichtungen der katholischen Caritas lange Zeit geltende Grundordnung vom 22.09.1993 sah dabei vor, dass der „Abschluss einer nach dem Glaubensverständnis und der Rechtsordnung der Kirche ungültigen Ehe“ durch einen leitenden Mitarbeiter den Arbeitgeber generell zur Kündigung berechtigte (Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse, vom 22.09.1993, Art.5 Abs.2, zweiter Spiegelstrich, Abs.3 Satz 1).
Mittlerweile hat die katholische Kirche ihre Grundordnung (Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse, vom 27.04.2015) in diesem Punkt wesentlich entschärft bzw. liberalisiert (wir berichteten in Arbeitsrecht aktuell: 15/141 Reform der Grundordnung für den kirchlichen Dienst). Danach sieht die Kirche eine kirchenrechtlich unzulässige Zivilehe nur noch dann als einen schweren, zur Kündigung berechtigenden Loyalitätsverstoß an,
„wenn diese Handlung nach den konkreten Umständen objektiv geeignet ist, ein erhebliches Ärgernis in der Dienstgemeinschaft oder im beruflichen Wirkungskreis zu erregen und die Glaubwürdigkeit der Kirche zu beeinträchtigen; eine solche Eignung wird bei pastoral oder katechetisch tätigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie bei Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die aufgrund einer Missio canonica oder einer sonstigen schriftlich erteilten bischöflichen Beauftragung beschäftigt werden, unwiderlegbar vermutet“ (Grundordnung vom 27.04.2015, Art.5 Punkt 2.) Buchstabe c)).
Im Unterschied dazu konnte einem leitenden katholischen Mitarbeiter einer Einrichtung der Caritas auf der Grundlage der alten Grundordnung vom 22.09.1993 generell verhaltensbedingt gekündigt werden, wenn er nach bürgerlich-rechtlicher Scheidung erneut eine Ehe einging, ohne zuvor die erste Ehe nach kirchlichem bzw. katholischem Recht annulliert zu haben. Denn ohne eine solche kirchenrechtlich wirksame Auflösung der ersten Ehe handelte es sich bei der zweiten Ehe um eine „nach dem Glaubensverständnis und der Rechtsordnung der Kirche ungültigen Ehe“.
Dabei kam es nach der alten Grundordnung vom 22.09.1993 nicht darauf an, ob eine solche zweite, kirchenrechtlich ungültige Ehe „objektiv geeignet ist, ein erhebliches Ärgernis in der Dienstgemeinschaft oder im beruflichen Wirkungskreis zu erregen und die Glaubwürdigkeit der Kirche zu beeinträchtigen“, wie es nunmehr nach der Grundordnung vom 27.04.2015 erforderlich ist.
Solche Kündigungen waren unter der Geltung der alten Grundordnung vom 22.09.1993 zwar selten, kamen aber vor. Damit handelten sich katholische Arbeitgeber allerdings ein Glaubwürdigkeitsproblem ein, denn die Caritas ist bereits seit vielen Jahren (ebenso wie die Einrichtungen der evangelischen Diakonie) nicht mehr dazu in der Lage, ausreichend viele katholische Führungskräfte einzustellen.
Daher sind z.B. viele Chefärzte katholischer Krankenhäuser keine Katholiken, sondern Protestanten oder konfessionslos. Wenn ein konfessionsloser oder protestantischer Chefarzt aber nach vorheriger weltlicher Scheidung erneut heiratet, kann er mit diesem Verhalten nicht gegen die katholische Grundordnung 1993 verstoßen: Denn weil er nicht katholisch verheiratet ist, betrifft ihn das Gebot einer vorherigen Annullierung seiner ersten Ehe nach kirchlichem bzw. katholischem Recht nicht.
Demzufolge führte die Kündigung eines leitenden Mitarbeiters unter Berufung auf den Kündigungsgrund einer nach katholischem Kirchenrecht ungültigen Ehe gemäß der Grundordnung vom 22.09.1993 zu einer Schlechterstellung von katholischen leitenden Mitarbeitern gegenüber vergleichbaren nicht-katholischen Führungskräften. Diese Schlechterstellung beruhte letztlich auf der katholischen Religion, so dass hier möglicherweise eine verbotene Diskriminierung wegen der Religion oder Weltanschauung vorlag, § 1 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG), § 2 Abs.1 Nr.2 AGG („Entlassungsbedingungen“).
An dieser Stelle kommt § 9 Abs.1 AGG in Spiel, der eine unterschiedliche Behandlung bzw. Schlechterstellung von Arbeitnehmern kirchlicher Einrichtungen wegen der Religion ausdrücklich erlaubt,
„wenn eine bestimmte Religion oder Weltanschauung unter Beachtung des Selbstverständnisses der jeweiligen Religionsgemeinschaft oder Vereinigung im Hinblick auf ihr Selbstbestimmungsrecht oder nach der Art der Tätigkeit eine gerechtfertigte berufliche Anforderung darstellt.“
Diese Vorschrift wird ergänzt durch § 9 Abs.2 AGG, der kirchlichen Arbeitgebern ausdrücklich erlaubt,
„von ihren Beschäftigten ein loyales und aufrichtiges Verhalten im Sinne ihres jeweiligen Selbstverständnisses verlangen zu können.“
Fraglich ist allerdings, was rechtlich vorgeht - das in § 9 AGG anerkannte Selbstbestimmungsrecht katholischer Einrichtungen oder der Schutz katholischer Führungskräfte vor einer religionsbedingten Diskriminierung gegenüber vergleichbaren, nicht katholischen Führungskräften.
Diese Frage lässt sich nur auf der Grundlage der europäischen Antidiskriminierungsrichtlinie klären, d.h. der Richtlinie 2000/78/EG, denn diese Richtlinie soll mit dem AGG in Deutschland umgesetzt werden. Genauer gesagt geht es um Art.4 Abs.2 1. Halbsatz Richtlinie 2000/78/EG, der die Ungleichbehandlung von Arbeitnehmern verschiedener Kirchen beim Thema Loyalitätsanforderungen möglicherweise erlaubt. Der erste Satz dieser Vorschrift lautet:
"Die Mitgliedstaaten können in Bezug auf berufliche Tätigkeiten innerhalb von Kirchen und anderen öffentlichen oder privaten Organisationen, deren Ethos auf religiösen Grundsätzen oder Weltanschauungen beruht, Bestimmungen (...) beibehalten oder (...) vorsehen, (...) wonach eine Ungleichbehandlung wegen der Religion oder Weltanschauung einer Person keine Diskriminierung darstellt, wenn die Religion oder die Weltanschauung dieser Person nach der Art dieser Tätigkeiten oder der Umstände ihrer Ausübung eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts des Ethos der Organisation darstellt."
Vor diesem Hintergrund legte das BAG im Juli 2016 dem EuGH einen entsprechenden Fall zur Vorabentscheidung vor, d.h. zur Klärung der Frage, was aus der o.g. Vorschrift für die Kündigung katholischer Führungskräfte durch katholische Arbeitgeber folgt, die ihren nicht-katholischen Führungskräfte weniger strenge Loyalitätspflichten auferlegen (BAG, Beschluss vom 28.07.2016, 2 AZR 746/14 (A), wir berichteten in Arbeitsrecht aktuell: 16/249 Kündigung wegen Wiederverheiratung als Diskriminierung).
Der Fall des wegen Wiederverheiratung gekündigten katholischen Chefarztes - ein arbeitsrechtlicher Endlos-Prozess
Ein katholischer Arzt übernahm im Jahre 2000 als Chefarzt die Leitung der Abteilung "Innere Medizin" eines katholischen Krankenhauses. Damals galt noch die o.g. Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse, vom 22.09.1993, zu deren Beachtung er sich arbeitsvertraglich verpflichtete.
Im Jahre 2006 ließ er sich nach weltlichem Recht scheiden und lebte seitdem mit einer neuen Partnerin in eheähnlicher Gemeinschaft. Das wusste der Geschäftsführer des Arbeitgebers frühzeitig, unternahm aber keinen Versuch, den Lebenswandel des Chefarztes im Sinne der Kirche zu beeinflussen. Im September 2008 heiratete der Chefarzt dann seine Lebensgefährtin standesamtlich.
Zu diesem Zeitpunkt war allerdings seine erste Ehe noch nicht nach dem Kirchenrecht annulliert worden. Einen solchen Annullierungsantrag hatte der Chefarzt zwar gestellt, doch war über ihn zum Zeitpunkt der zweiten Heirat noch nicht entschieden. Somit war die zweite Ehe kirchenrechtlich unzulässig. Daher sprach der Arbeitgeber im März 2009 eine ordentliche Kündigung zum 30.09.2009 aus.
Andere, nicht-katholische Chefärzte desselben Krankenhauses hatte der Krankenhausträger unbehelligt gelassen, obwohl auch sie teilweise in nichtehelicher Lebensgemeinschaft lebten oder nach vorheriger Scheidung erneut geheiratet hatten.
Der Chefarzt wehrte sich gegen die Kündigung mit einer Kündigungsschutzklage, die in allen drei Instanzen Erfolg hatte: Vor dem Arbeitsgericht Düsseldorf (Urteil vom 30.07.2009, 6 Ca 2377/09), vor dem Landesarbeitsgericht (LAG) Düsseldorf (Urteil vom 01.07.2010, 5 Sa 996/09 - wir berichteten in Arbeitsrecht aktuell 10/205 Zweite Heirat als Kündigungsgrund?) und zuletzt auch vor dem BAG (BAG, Urteil vom 08.09.2011, 2 AZR 543/10 - wir berichteten in Arbeitsrecht aktuell: 11/177 Kündigung eines Chefarztes wegen Wiederverheiratung?).
Dann allerdings hob das BVerfG das BAG-Urteil auf und verwies den Prozess dorthin zurück. Begründung des BVerfG: Das BAG hatte eine ganz "normale" kündigungsschutzrechtliche Interesseabwägung vorgenommen, nämlich zwischen dem Beendigungsinteresse des Arbeitgebers und dem Fortbestandsinteresse des gekündigten (BVerfG, Beschluss vom 22.10.2014, 2 BvR 661/12 - wir berichteten in Arbeitsrecht aktuell: 14/388 Kündigung durch kirchliche Arbeitgeber aus sittlich-moralischen Gründen). Dabei hatte das BAG, so der Vorwurf des BVerfG, die Interessen des kirchlichen Arbeitgebers nicht ausreichend stark gewichtet bzw. es hatte eine eigene Wertabwägung vorgenommen und damit das kirchliche Selbstbestimmungsrecht verletzt.
Immerhin sah auch das BVerfG, dass der Krankenhausträger hier möglicherweise einen entscheidenden Fehler gemacht hatte: Denn im Arbeitsvertrag des Chefarztes wurden das Leben in kirchlich ungültiger Ehe und das Leben in einer eheähnlichen Gemeinschaft als gleich schwere Verfehlung bzw. als möglicher Kündigungsgrund genannt. Daher konnte der Chefarzt, so die Karlsruher Richter, möglicherweise darauf vertrauen, nicht wegen einer Wiederverheiratung gekündigt zu werden. Denn immerhin hatte die dem Arbeitgeber jahrelang bekannte eheähnliche Gemeinschaft keine Sanktion nach sich gezogen, so das BVerfG.
Anstatt auf dieser Grundlage dem Chefarzt erneut, aber diesmal mit verfassungsrechtlich korrekter Begründung Recht zu geben, legte das BAG wie erwähnt dem EuGH den Fall vor (BAG, Beschluss vom 28.07.2016, 2 AZR 746/14 (A), wir berichteten in Arbeitsrecht aktuell: 16/249 Kündigung wegen Wiederverheiratung als Diskriminierung).
Generalanwalt Wathelet: Die der Kündigung zugrundeliegende Loyalitätserwartung des kirchlichen Krankenhausträgers lässt sich nicht mit Art.4 der Richtlinie 2000/78/EG rechtfertigen und ist daher eine Diskriminierung wegen der Religion
Der Generalanwalt kommt mit einer ziemlich kurzen Begründung zu dem Ergebnis, dass sich der Krankenhausträger hier nicht auf Art.4 Abs.2, 1. Halbsatz Richtlinie 2000/78/EG berufen konnte und daher im Unrecht war.
Dabei stützt sich der Generalanwalt im Wesentlichen auf das erst vor kurzem ergangene EuGH-Urteil vom 17.04.2018 in Sachen Egenberger (C-414/16), das die Christen bevorzugende Einstellungspraxis der protestantischen Diakonie als diskriminierend bewertet (wir berichteten in Arbeitsrecht aktuell: 18/096 Konfession als Voraussetzung der Einstellung?).
Auf der Grundlage dieses Urteils stellt der Generalanwalt zunächst klar, dass von dem Chefarzt hier die Zustimmung zu einem bestimmten Eheverständnis der katholischen Kirche verlangt wurde, und dass diese spezielle katholische Ehe-Moral "im vorliegenden Fall keine berufliche Anforderung und erst recht keine wesentliche und gerechtfertigte berufliche Anforderung darstellt" (Schlussanträge, Rn.66).
Denn eine solche Anforderung steht in keinem Zusammenhang zu der beruflichen bzw. ärztlichen Tätigkeit als Chefarzt, so der Generalanwalt. Das wird dadurch belegt, das noch nicht einmal die Zugehörigkeit zur katholischen Kirche vom Krankenhausträger als Voraussetzung für die Besetzung von Chefarztstellen verlangt wurde, da ja andere Chefärzte desselben Krankenhauses konfessionslos waren oder einer anderen Konfession angehörten (Schlussanträge, Rn.67). Die hier vom Krankenhaus geforderte Einstellung zur katholischen Ehe-Moral hatte wegen ihrer Ausrichtung auf das Privat- und Familienleben keinerlei Bezug zu den ärztlichen Aufgaben und den Verwaltungsaufgaben, die der Kläger als Chefarzt erfüllen musste.
"Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass es bei Patienten oder Kollegen keine vorgefasste Meinung dahin gibt, dass der Chefarzt der Abteilung „Innere Medizin“ katholisch ist, und erst recht nicht dahin, dass er keine Ehe eingegangen ist, die nach der Lehre und dem kanonischen Recht der katholischen Kirche ungültig ist. Für sie zählen vielmehr Qualifikationen und seine medizinischen Fähigkeiten sowie seine Managementqualitäten. (Schlussanträge, Rn.68)"
Vor diesem Hintergrund konnte sich das Krankenhaus nicht auf Art.4 Abs.2 1. Halbsatz Richtlinie 2000/78/EG berufen, denn die vom Chefarzt geforderte Einstellung zur Ehe war offensichtlich keine "wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung" im Sinne dieser Vorschrift.
Fazit: Wie man den Streitfall auch dreht und wendet, die hier streitige Kündigung ist offenkundig unwirksam. Dabei kommt es auf die jetzt vor dem EuGH diskutierten Grundsatzfragen noch nicht einmal an, denn die Kündigung war auch auf der Grundlage der alten Grundordnung aus dem Jahre 1993 unverhältnismäßig.So hätte der Krankenhausträger z.B. eine Abmahnung aussprechen können und/oder er hätte das Ergebnis der vom Chefarzt angestrengten Annullierung seiner ersten Ehe abwarten können. Ein milderes Mittel wäre auch der Entzug der Chefarztposition (per Änderungskündigung oder Versetzung) gewesen, denn dann wäre der Verstoß gegen das Zweitehen-Verbot kein genereller Kündigungsgrund mehr gewesen (Schlussanträge, Rn.69). Darüber hinaus war die Kündigung wegen widersprüchlichen Verhaltens des Arbeitgebers treuwidrig (§ 242 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB) und auch daher unwirksam, denn Arbeitgeber hatte die nichteheliche Lebensgemeinschaft (und damit einen klaren Verstoß gegen die schriftlich festgehaltenen Vertragspflichten) jahrelang stillschweigend hingenommen.
Das starre Festhalten des Krankenhausträgers an einer Kündigung, die von allen mit dem Fall befassten Gerichten als unwirksam oder zumindest als sehr zweifelhaft (so das BVerfG) bewertet wurde, wird die katholische Kirche voraussichtlich teuer zu stehen kommen. Denn wenn der EuGH, was kaum zweifelhaft ist, dem Entscheidungsvorschlag seines Generalanwaltes folgt, bleibt von dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht bei der Ausgestaltung des Arbeitsrechts in karitativen Einrichtungen (gemäß der bisherigen Rechtsprechung des BVerfG) wohl nicht viel übrig.
Nähere Informationen finden Sie hier:
- Generalanwalt beim EuGH Melchior Wathelet, Schlussanträge vom 31.05.2018, Rs. C-68/17 (katholischer Chefarzt)
- Nach Ansicht von Generalanwalt Wathelet steht das Verbot der Diskriminierung wegen der Religion dem entgegen, dass einem katholischen Chefarzt eines katholischen Krankenhauses aufgrund seiner Scheidung und Wiederheirat gekündigt wird: EuGH, Pressemitteilung Nr.73/18, 31.05.2018, Rs. C-68/17
- Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 09.11.2018, C-68/17
- Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 17.04.2018, C-414/16 (Egenberger)
- Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 28.07.2016, 2 AZR 746/14 (A)
- Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 22.10.2014, 2 BvR 661/12
- Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 08.09.2011, 2 AZR 543/10
- Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Urteil vom 01.07.2010, 5 Sa 996/09
- Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse, vom 27.04.2015
- Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse, vom 22.09.1993
- Handbuch Arbeitsrecht: Arbeitsvertragsrichtlinien (AVR)
- Handbuch Arbeitsrecht: Chefarzt
- Handbuch Arbeitsrecht: Diskriminierungsverbote - Religion oder Weltanschauung
- Handbuch Arbeitsrecht: Gleichbehandlungsgrundsatz
- Handbuch Arbeitsrecht: Kündigung - Verhaltensbedingte Kündigung
- Arbeitsrecht aktuell: 19/049 BAG setzt Chefarzt-Urteil des EuGH um
- Arbeitsrecht aktuell: 18/262 Kirchen dürfen von Bewerbern keine Religionszugehörigkeit verlangen
- Arbeitsrecht aktuell: 18/224 EuGH entscheidet im Düsseldorfer Chefarzt-Fall gegen die Caritas
- Arbeitsrecht aktuell: 18/096 Konfession als Voraussetzung der Einstellung?
- Arbeitsrecht aktuell: 16/249 Kündigung wegen Wiederverheiratung als Diskriminierung
- Arbeitsrecht aktuell: 15/141 Reform der Grundordnung für den kirchlichen Dienst
- Arbeitsrecht aktuell: 14/388 Kündigung durch kirchliche Arbeitgeber aus sittlich-moralischen Gründen
- Arbeitsrecht aktuell: 14/182 Außerordentliche Kündigung und Zweiwochenfrist
- Arbeitsrecht aktuell: 13/359 Kündigung wegen Ehebruchs
- Arbeitsrecht aktuell: 13/122 Kündigung nach Kirchenaustritt
- Arbeitsrecht aktuell: 12/235 Kündigung einer lesbischen Erzieherin
- Arbeitsrecht aktuell: 11/177 Kündigung eines Chefarztes wegen Wiederverheiratung?
- Arbeitsrecht aktuell: 10/205 Zweite Heirat als Kündigungsgrund?
Hinweis: In der Zwischenzeit, d.h. nach Erstellung dieses Artikels, hat der EuGH in dieser Sache entschieden und ist den Anträgen des Generalanwalts gefolgt. Das EuGH-Urteil und eine kurze Bewertung finden Sie hier:
- Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 09.11.2018, C-68/17
- Arbeitsrecht aktuell: 18/224 EuGH entscheidet im Düsseldorfer Chefarzt-Fall gegen die Caritas
Letzte Überarbeitung: 2. August 2020
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