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EuGH ent­schei­det im Düs­sel­dor­fer Chef­arzt-Fall ge­gen die Ca­ri­tas

Ka­tho­li­sche Ein­rich­tun­gen kön­nen von ka­tho­li­schen Füh­rungs­kräf­ten kein kir­chen­treu­es Pri­vat­le­ben ver­lan­gen, wenn sie das von nicht-ka­tho­li­schen Füh­rungs­kräf­ten nicht er­war­ten: Eu­ro­päi­scher Ge­richts­hof, Ur­teil vom 11.09.2018, C-68/17
Gesetzestext mit darauf liegendem Holzkreuz

11.09.2018. Seit Som­mer 2016 liegt ein pro­mi­nen­ter deut­scher Streit­fall beim Eu­ro­päi­schen Ge­richts­hof (EuGH).

In die­sem Pro­zess strei­ten Prof. Ro­mu­ald A., Chef­arzt für In­ne­re Me­di­zin am Düs­sel­dor­fer St. Vin­zenz-Kran­ken­haus, und sein Ar­beit­ge­ber, die ka­tho­li­sche Trä­ger­ge­sell­schaft des St. Vin­zenz-Kran­ken­hau­ses, über ei­ne ar­beit­ge­ber­sei­ti­ge ver­hal­tens­be­ding­te Kün­di­gung. Zu die­ser hat­te sich der Kran­ken­haus­trä­ger ent­schlos­sen, da der Prof. A. in sei­nem Pri­vat­le­ben an­geb­lich ge­gen die Ge­bo­te der ka­tho­li­schen Rechts- und Sit­ten­leh­re ver­sto­ßen hat­te.

In ei­ner heu­te er­gan­ge­nen Ent­schei­dung hat der EuGH, wie nicht an­ders zu er­war­ten war, die Rechts­po­si­ti­on des ka­tho­li­schen Kran­ken­haus­trä­gers als Dis­kri­mi­nie­rung des Chef­arz­tes we­gen sei­ner (ka­tho­li­schen) Re­li­gi­on kri­ti­siert: EuGH, Ur­teil vom 11.09.2018, C-68/17.

Der Düssel­dor­fer Chef­arzt-Fall: Prof. A. vs. St. Vin­zenz-Kran­ken­haus

Seit mitt­ler­wei­le neun Jah­ren strei­ten Prof. Ro­mu­ald A., Chef­arzt für In­ne­re Me­di­zin am Düssel­dor­fer St. Vin­zenz-Kran­ken­haus, und sein Ar­beit­ge­ber, der ka­tho­li­sche Träger des St. Vin­zenz-Kran­ken­hau­ses, vor Ge­richt über ei­ne Kündi­gung, die der Kran­ken­haus­träger im März 2009 aus­ge­spro­chen hat­te.

Die Kündi­gung wur­de da­mit be­gründet, dass Prof. A., der der ka­tho­li­schen Kir­che an­gehört und sich 2005 von sei­ner da­ma­li­gen Ehe­frau ge­trennt hat­te, ei­ni­ge Jah­re später sei­ne Le­bens­gefähr­tin stan­des­amt­lich hei­ra­te­te, nach­dem die zu­vor be­ste­hen­de Ehe nach staat­li­chem Recht ge­schie­den wor­den war. Nach kirch­li­chem bzw. ka­tho­li­schem Recht war die ers­te Ehe aber zum Zeit­punkt der Wie­der­ver­hei­ra­tung noch nicht an­nul­liert wor­den, d.h. sie war nach wie vor gültig.

Auf­grund die­ses Ver­s­toßes ge­gen die ka­tho­li­sche Sit­ten­leh­re sprach der ka­tho­li­sche Kran­ken­haus­träger im März 2009 ei­ne or­dent­li­che ver­hal­tens­be­ding­te Kündi­gung aus. Die­se wur­de von der da­mit be­fass­ten Ar­beits­ge­richts­bar­keit über al­le drei In­stan­zen als un­wirk­sam be­wer­tet:

Die Kündi­gungs­schutz­kla­ge Prof. A.s hat­te vor dem Ar­beits­ge­richt Düssel­dorf Er­folg (Ur­teil vom 30.07.2009, 6 Ca 2377/09), so­dann in der Be­ru­fungs­in­stanz vor dem Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Düssel­dorf (LAG Düssel­dorf, Ur­teil vom 01.07.2010, 5 Sa 996/09 - wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell 10/205 Zwei­te Hei­rat als Kündi­gungs­grund?) und schließlich auch vor dem Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG). Denn das BAG be­wer­te­te die Pri­vat­sphäre des gekündig­ten Chef­arz­tes im Rah­men ei­ner In­ter­es­sen­abwägung als vor­ran­gig ge­genüber den kirch­li­chen Mo­ral­vor­stel­lun­gen (BAG, Ur­teil vom 08.09.2011, 2 AZR 543/10 - wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 11/177 Kündi­gung ei­nes Chef­arz­tes we­gen Wie­der­ver­hei­ra­tung?).

Auf­grund die­ses Pro­zess­ver­lau­fes blieb dem Kran­ken­haus­träger kaum et­was an­de­res übrig, als Prof. A. vorläufig wei­ter­hin, d.h. während des noch lau­fen­den Pro­zes­ses, in sei­ner Po­si­ti­on als Chef­arzt zu beschäfti­gen. In die­ser Funk­ti­on ar­bei­tet er bis zum heu­ti­gen Ta­ge.

Im Ok­to­ber 2014 konn­te der ka­tho­li­sche Kran­ken­haus­träger erst­mals ei­nen Er­folg für sich ver­bu­chen, nämlich vor dem Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt (BVerfG). Das BVerfG hob nämlich das BAG-Ur­teil auf und ver­wies den Pro­zess zurück zum BAG nach Er­furt, und zwar mit der Be­gründung, dass das BAG die In­ter­es­sen des kirch­li­chen Ar­beit­ge­bers nicht aus­rei­chend stark ge­wich­tet hat­te. Da­mit hat­te das BAG, so die Karls­ru­her Rich­ter, das ver­fas­sungs­recht­lich geschütz­te Selbst­be­stim­mungs­recht der ka­tho­li­schen Kir­che ver­letzt (BVerfG, Be­schluss vom 22.10.2014, 2 BvR 661/12 - wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 14/388 Kündi­gung durch kirch­li­che Ar­beit­ge­ber aus sitt­lich-mo­ra­li­schen Gründen).

Über die­sen Etap­pen­sieg konn­te sich die Kir­che al­ler­dings nicht lan­ge freu­en, denn das BAG tat dem BVerfG und der ka­tho­li­schen Kir­che nicht den Ge­fal­len, den Streit­fall nun­mehr ab­sch­ließend (und im Sin­ne der Kir­che) zu ent­schei­den. Viel­mehr setz­te das BAG das Ver­fah­ren aus und frag­te den EuGH, ob kirch­li­che Ein­rich­tun­gen bei ih­ren ar­beits­ver­trag­lich ab­ge­si­cher­ten Er­war­tun­gen, dass Führungs­kräfte sich ent­spre­chend der kirch­li­chen Sit­ten­leh­re ver­hal­ten, zwi­schen kirch­lich ge­bun­de­nen und an­de­ren (nicht der Kir­che an­gehören­den) Führungs­kräften un­ter­schei­den können (BAG, Be­schluss vom 28.07.2016, 2 AZR 746/14 (A) - wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 16/249 Kündi­gung we­gen Wie­der­ver­hei­ra­tung als Dis­kri­mi­nie­rung).

En­de Mai die­ses Jah­res sprach sich der Ge­ne­ral­an­walt beim EuGH Mel­chi­or Wa­the­let dafür aus, das Ver­hal­ten des ka­tho­li­schen Kran­ken­haus­trägers als un­zulässi­ge Dis­kri­mi­nie­rung Prof. A.s we­gen sei­ner ka­tho­li­schen Re­li­gi­on zu be­wer­ten (M. Wa­the­let, Schluss­anträge vom 31.05.2018, Rs. C-68/17 - wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 18/181a Ge­stei­ger­te Loya­litäts­pflich­ten christ­li­cher Führungs­kräfte christ­li­cher Ar­beit­ge­ber?). Denn im St. Vin­zenz-Kran­ken­haus, so der Ge­ne­ral­an­walt, ar­bei­ten auch nicht-ka­tho­li­sche Chefärz­te, und von die­sen er­war­tet der ka­tho­li­sche Kran­ken­haus­träger (natürlich) nicht, dass sie die ka­tho­li­sche Sit­ten­leh­re in ih­rem Pri­vat­le­ben be­ach­ten.

EuGH: Die Be­fol­gung des ka­tho­li­schen Ehe­verständ­nis­ses ist kei­ne we­sent­li­che und ge­recht­fer­tig­te An­for­de­rung für den Be­ruf des Chef­arz­tes ei­nes ka­tho­li­schen Kran­ken­hau­ses

In sei­nem Ur­teil vom heu­ti­gen Ta­ge hat der EuGH im Sin­ne der Schluss­anträge sei­nes Ge­ne­ral­an­wal­tes Wa­the­let ent­schie­den und klar­ge­stellt, dass die Be­fol­gung des ka­tho­li­schen Ehe­verständ­nis­ses durch ei­nen Chef­arzt ei­nes ka­tho­li­schen Kran­ken­hau­ses wohl kei­ne „we­sent­li­che und ge­recht­fer­tig­te“ be­ruf­li­che An­for­de­rung dar­stellt, und zwar auch un­ter Berück­sich­ti­gung des „Ethos“ des ka­tho­li­schen Kran­ken­haus­trägers (EuGH, Ur­teil vom 11.09.2018, C-68/17, Rn.58 bis 60). Al­ler­dings muss die­se Fra­ge, so der Ge­richts­hof der gu­ten Ord­nung hal­ber, letzt­ver­bind­lich vom BAG geklärt wer­den.

Ent­schei­dend für die­se Be­wer­tung des EuGH ist die Tat­sa­che, dass in dem ka­tho­li­schen St. Vin­zenz-Kran­ken­haus nicht nur ka­tho­li­sche, son­dern auch nicht-ka­tho­li­sche Chefärz­te ar­bei­ten. Wäre ein strikt an der ka­tho­li­schen Sit­ten­leh­re aus­ge­rich­te­tes Pri­vat­le­ben der Chefärz­te aber für den ka­tho­li­schen Träger der Ein­rich­tung we­sent­lich, dann müss­te er dar­auf ach­ten, dass er nur ka­tho­li­sche Chefärz­te beschäftigt.

Vor die­sem Hin­ter­grund kommt der EuGH zu fol­gen­dem Schluss: Die von dem ka­tho­li­schen Kran­ken­haus­träger ge­stell­te Er­war­tung, Prof. A. müsse als ka­tho­li­scher Chef­arzt in sei­nem Pri­vat­le­ben das ka­tho­li­sche Ehe­verständ­nis der Un­auflöslich­keit der Ehe be­fol­gen, ent­spricht nicht den recht­li­chen Vor­aus­set­zun­gen, un­ter de­nen kirch­li­che Ar­beit­ge­ber aus­nahms­wei­se re­li­giöse An­for­de­run­gen an das Pri­vat­le­ben ih­rer Ar­beit­neh­mer stel­len können. Die­se Vor­aus­set­zun­gen sind in Art.4 Abs.2 Un­ter­ab­satz 2 der Richt­li­nie 2000/78/EG fest­ge­legt. Hier heißt es:

"Die Mit­glied­staa­ten können in Be­zug auf be­ruf­li­che Tätig­kei­ten in­ner­halb von Kir­chen und an­de­ren öffent­li­chen oder pri­va­ten Or­ga­ni­sa­tio­nen, de­ren Ethos auf re­li­giösen Grundsätzen oder Welt­an­schau­un­gen be­ruht, Be­stim­mun­gen (...) bei­be­hal­ten oder (...) vor­se­hen, (...) wo­nach ei­ne Un­gleich­be­hand­lung we­gen der Re­li­gi­on oder Welt­an­schau­ung ei­ner Per­son kei­ne Dis­kri­mi­nie­rung dar­stellt, wenn die Re­li­gi­on oder die Welt­an­schau­ung die­ser Per­son nach der Art die­ser Tätig­kei­ten oder der Umstände ih­rer Ausübung ei­ne we­sent­li­che, rechtmäßige und ge­recht­fer­tig­te be­ruf­li­che An­for­de­rung an­ge­sichts des Ethos der Or­ga­ni­sa­ti­on dar­stellt."

Im Er­geb­nis läuft die recht­li­che Kri­tik des EuGH an dem Ver­hal­ten des ka­tho­li­schen Kran­ken­haus­trägers dar­auf hin­aus, dass er den gekündig­ten ka­tho­li­schen Chef­arzt we­gen sei­ner ka­tho­li­schen Re­li­gi­on dis­kri­mi­niert hat. Denn wäre Prof. A. nicht ka­tho­li­schen Glau­bens, wäre die Tren­nung von sei­ner Ehe­frau und die an­sch­ließen­de Wie­der­ver­hei­ra­tung für den Ar­beit­ge­ber kein An­lass ge­we­sen, ihm zu kündi­gen.

Aus­wir­kun­gen der EuGH-Ent­schei­dung

Im April 2015 ha­ben die ka­tho­li­sche Kir­che bzw. ih­re ge­meinnützi­ge Or­ga­ni­sa­ti­on, die Ca­ri­tas, ih­re sog. „Grund­ord­nung des kirch­li­chen Diens­tes“ in we­sent­li­chen Punk­ten entschärft bzw. li­be­ra­li­siert.

Da­her würden ka­tho­li­sche Ar­beit­ge­ber ei­ne Kündi­gungs­ent­schei­dung, wie sie heu­te vom EuGH be­ur­teilt wur­de, seit 2015 si­cher nicht noch ein­mal in ei­ner so har­ten Wei­se tref­fen wie 2009 im Fall Prof. A.s (wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 18/181a Ge­stei­ger­te Loya­litäts­pflich­ten christ­li­cher Führungs­kräfte christ­li­cher Ar­beit­ge­ber?, und in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 15/141 Re­form der Grund­ord­nung für den kirch­li­chen Dienst).

Denn nach der heu­te gel­ten­den, li­be­ra­le­ren Grund­ord­nung ist ei­ne kir­chen­recht­lich un­zulässi­ge Zi­vil­ehe nur noch dann ein schwe­rer, zur Kündi­gung be­rech­ti­gen­der Loya­litäts­ver­s­toß, wenn ei­ne sol­che Miss­ach­tung ka­tho­li­scher Moral­ge­bo­te ge­eig­net ist, „ein er­heb­li­ches Ärger­nis in der Dienst­ge­mein­schaft oder im be­ruf­li­chen Wir­kungs­kreis zu er­re­gen und die Glaubwürdig­keit der Kir­che zu be­ein­träch­ti­gen“ (Grund­ord­nung vom 27.04.2015, Art.5 Punkt 2.) Buch­sta­be c)).

Vor die­sem Hin­ter­grund dürf­te sich die heu­ti­ge EuGH-Ent­schei­dung nur we­nig auf die Ar­beits­verhält­nis­se der Beschäftig­ten ka­tho­li­scher Ein­rich­tun­gen in Deutsch­land aus­wir­ken.

Und ganz ab­ge­se­hen von recht­li­chen Fra­gen, d.h. von der mitt­ler­wei­le weit­ge­hend entschärf­ten „Grund­ord­nung“: Auch kirch­li­che Ar­beit­ge­ber müssen für gut aus­ge­bil­de­te Fach­kräfte at­trak­tiv sein, wol­len sie ih­re Nach­wuchs­pro­ble­me lösen. Da­her soll­ten die Kir­chen und ih­re ka­ri­ta­ti­ven Ein­rich­tun­gen in ih­rem ei­ge­nen In­ter­es­se mehr To­le­ranz zei­gen, wenn es um das Pri­vat­le­ben ih­rer Mit­ar­bei­ter geht.

Nähe­re In­for­ma­tio­nen fin­den Sie hier:

Hin­weis: In der Zwi­schen­zeit, d.h. nach Er­stel­lung die­ses Ar­ti­kels, hat das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG), das dem EuGH den Chef­arzt-Fall zur Vor­ab­ent­schei­dung vor­ge­legt hat­te, im Sin­ne des EuGH über den Fall ent­schie­den und hat dem Chef­arzt dem­zu­fol­ge Recht ge­ge­ben. Das BAG-Ur­teil und ei­ne kur­ze Einschätzung fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 2. August 2020

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