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Reform der Grundordnung für den kirchlichen Dienst
29.05.2015. In den vergangenen Jahren sorgte das Arbeitsrecht der katholischen Kirche immer wieder für Schlagzeilen, weil die Arbeitsgerichte über Kündigungen von Kirchenmitarbeitern zu entscheiden hatten, die gegen den kirchlichen Glauben oder die kirchliche Sittenlehre verstoßen hatten.
Auch wenn diese Prozesse zum Teil für die katholischen Arbeitgeber ausgingen, zeigte die öffentliche Diskussion doch, dass die Kirche mit ihren Anforderungen an die Lebensführung ihrer Arbeitnehmer kaum mehr auf Verständnis stößt.
Ende April dieses Jahres hat die deutsche Bischofskonferenz daher das katholische Kirchenarbeitsrecht liberalisiert: Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse, in der Fassung vom 27.04.2015.
- Dritter Weg und Grundordnung des kirchlichen Dienstes
- Änderungen bei den Loyalitätsobliegenheiten
- Definition der "schwerwiegenden" Loyalitätspflichtverstöße
- Schwerwiegende Loyalitätsverstöße, die von allen Arbeitnehmern begangen werden können
- Schwerwiegende Loyalitätsverstöße, die nur von katholischen Arbeitnehmern begangen werden können
- Vorgaben zur Abwägung in Kündigungsfällen
- Zentrale Stelle zur Vorab-Beurteilung von geplanten Kündigungen
- Zutrittsrecht der Gewerkschaften zu kirchlichen Betrieben
- Fazit: Substantielle Liberalisierungen des Kirchenarbeitsrechts
Dritter Weg und Grundordnung des kirchlichen Dienstes
Wer als Gemeindehelfer oder Kirchenmusiker bei der katholischen Kirche oder als Erzieherin, Krankenschwester oder Arzt in einer Einrichtung der katholischen Caritas arbeitet, hat eine spezielle arbeitsrechtliche Stellung.
Denn das Arbeitsverhältnis eines Kirchenmitarbeiters richtet sich
- einerseits nach den von der Kirche vorgegebenen Grundsätzen des Glaubens und der privaten Lebensführung,
- andererseits aber auch nach dem für alle Arbeitnehmer in Deutschland geltenden "normalen" Arbeitsrecht.
Grundlage dieser arbeitsrechtlichen Sonderregeln ist der sog. dritte Weg, den die katholische (wie auch die evangelische) Kirche in Deutschland bei der Ausgestaltung ihres Arbeitsrechts gewählt hat.
Dritter Weg heißt: Die arbeitsrechtlichen Beziehungen zwischen der Kirche bzw. zwischen karitativen kirchlichen Einrichtungen (Kindergärten, Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen) als "Dienstgeber" und dem "Dienstnehmer" werden
- weder - wie im Beamtenrecht - durch einseitig von der Kirche vorgegebene Rechtsregeln bestimmt (erster Weg)
- noch durch das normale, für alle Arbeitnehmer geltende Arbeitsrecht einschließlich der Anwendung von Tarifverträgen (zweiter Weg),
sondern durch eigenständige Rechtsregeln zur Mitarbeitervertretung und zum Individualarbeitsrecht, die von kirchlichen Gremien, den Arbeitsvertragskommissionen, unter Beteiligung der Dienstgeber- und der Dienstnehmerseite erstellt werden. Leitbild dieser arbeitsrechtlichen Regelungen ist die "christliche Dienstgemeinschaft".
Der dritte Weg beruht verfassungsrechtlich auf Art. 4 Grundgesetz (GG), der die Religionsfreiheit gewährleistet, und auf dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht, das die Religionsfreiheit absichert und durch Art. 140 GG in Verbindung mit Art.137 Abs. 3 Weimarer Rechtsverfassung (WRV) garantiert wird.
Im Rahmen des dritten Wegs verpflichten die katholische Kirche und die Einrichtungen der Caritas ihre Arbeitnehmer per Arbeitsvertrag auf die Beachtung der sog. "Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse". Dieses Regelwerk umfasst zehn Artikel und definiert sog. Loyalitätspflichten, die Arbeitnehmer katholischer Arbeitgeber bei der privaten Lebensführung und in Glaubensfragen beachten müssen.
Diese Grundordnung wurde am 27.04.2015 in wesentlichen Punkten liberalisiert: Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse, in der Fassung vom 27.04.2015.
Änderungen bei den Loyalitätsobliegenheiten
Die in Art.4 der Grundordnung festgelegten "Loyalitätsobliegenheiten" unterscheiden wie in der bisherigen Fassung der Grundordnung zwischen
- katholischen Mitarbeitern,
- nicht katholischen christlichen Mitarbeitern, und
- nichtchristlichen Mitarbeitern.
Während von den nichtchristlichen Mitarbeitern nur erwartet wird, dass sie ihre Aufgaben "im Sinne der Kirche" erfüllen, und von den christlichen, aber nicht katholischen Mitarbeitern die Achtung der "Wahrheiten und der Werte des Evangeliums" verlangt wird, sind die Anforderungen an die katholischen Mitarbeiter strenger. Sie müssen "die Grundsätze der katholischen Glaubens- und Sittenlehre anerkennen und beachten".
Noch strenger sind die Anforderungen an Arbeitnehmer, die den katholischen Glauben nach außen hin repräsentieren. Bei diesen Mitarbeitern ist das "persönliche Lebenszeugnis im Sinne der Grundsätze der katholischen Glaubens- und Sittenlehre erforderlich". An dieser Stelle gibt es eine Änderung, denn durch die Neufassung der Grundordnung wird die Zahl dieser Repräsentanten mit Vorbildfunktion begrenzt:
Während ein vorbildlicher katholischer Lebenswandel nach der bisherigen Fassung der Grundordnung unter anderem
- von Arbeitnehmern im erzieherischen Dienst und
- von allen leitenden Mitarbeitern
verlangt wurde, gilt diese Pflicht für diese beiden Arbeitnehmergruppen nach der Neufassung der Grundordnung nur noch "in der Regel". Ob daher auch künftig noch von einer Erzieherin in einem katholischen Kindergarten oder von einem Oberarzt in einem katholischen Krankenhauses ein vorbildlicher Lebenswandel im Sinne eines "persönliche Lebenszeugnisses" verlangt wird, ist eher unwahrscheinlich.
Definition der "schwerwiegenden" Loyalitätspflichtverstöße
Während nach der bisherigen Fassung der Grundordnung die "schwerwiegenden" Verstöße gegen Loyalitätspflichten einheitlich für katholische und andere Mitarbeiter festgelegt waren (wobei bestimmte Pflichtverstöße wie der Kirchenaustritt natürlich nur von katholischen Arbeitnehmern begangen werden konnten), unterscheidet die Neufassung der Grundordnung ausdrücklich zwischen
- Loyalitätspflichtverstößen, die von allen Mitarbeitern begangen werden können, und
- Loyalitätspflichtverstößen, die nur katholische Arbeitnehmer betreffen.
In der Sache selbst wurden die kündigungsrelevanten sog. "schwerwiegenden" Loyalitätsverstöße (Art.5 der Grundordnung) erheblich entschärft bzw. liberalisiert.
Schwerwiegende Loyalitätsverstöße, die von allen Arbeitnehmern begangen werden können
Schwerwiegende Loyalitätspflichtverstöße, die bei allen Mitarbeitern eine Kündigung zur Folge haben können (aber nicht unbedingt müssen), sind nach Art.5 Abs.2 Nr.1 der aktuellen Fassung der Grundordnung:
a) | das öffentliche Eintreten gegen tragende Grundsätze der katholischen Kirche (z. B. die Propagierung der Abtreibung oder von Fremdenhass), |
b) | schwerwiegende persönliche sittliche Verfehlungen, die nach den konkreten Umständen objektiv geeignet sind, ein erhebliches Ärgernis in der Dienstgemeinschaft oder im beruflichen Wirkungskreis zu erregen und die Glaubwürdigkeit der Kirche zu beeinträchtigen, |
c) | das Verunglimpfen oder Verhöhnen von katholischen Glaubensinhalten, Riten oder Gebräuchen; öffentliche Gotteslästerung und Hervorrufen von Hass und Verachtung gegen Religion und Kirche (vgl. c. 1369 CIC); Straftaten gegen die kirchlichen Autoritäten und die Freiheit der Kirche (vgl. cc. 1373, 1374 CIC), |
d) | die Propagierung von religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen, die im Widerspruch zu katholischen Glaubensinhalten stehen, während der Arbeitszeit oder im dienstlichen Zusammenhang, insbesondere die Werbung für andere Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaften. |
Während nach der bislang geltenden Grundordnung "schwerwiegende persönliche sittliche Verfehlungen" wie z.B. ein fortgesetztes ehebrecherisches Verhältnis ohne weiteres bereits als schwerwiegende Pflichtverstöße galten, ist das nach der Neufassung nur noch dann der Fall, wenn die Verfehlungen "nach den konkreten Umständen objektiv geeignet sind, ein erhebliches Ärgernis in der Dienstgemeinschaft oder im beruflichen Wirkungskreis zu erregen und die Glaubwürdigkeit der Kirche zu beeinträchtigen". Damit ist der Ehebruch im Allgemeinen kein ausreichender Grund mehr für eine Kündigung.
Die in Punkt d) genannten Handlungen waren bislang als Pflichtverstöße nicht ausdrücklich genannt. Jetzt wird das Werben für andere Religionsgemeinschaften zwar explizit in die Liste von schwerwiegenden Verfehlungen aufgenommen, allerdings mit dem Zusatz, dass dieses Werben "während der Arbeitszeit oder im dienstlichen Zusammenhang" erfolgen muss. Außerhalb der Arbeitszeit bzw. im privaten Bereich ist ein solches Verhalten für den katholischen Arbeitgeber zwar ärgerlich, aber kein kündigungsrelevanter Loyalitätsverstoß.
Schwerwiegende Loyalitätsverstöße, die nur von katholischen Arbeitnehmern begangen werden können
Schwerwiegende Loyalitätspflichtverstöße, die bei katholischen Mitarbeitern eine Kündigung zur Folge haben können (aber nicht unbedingt müssen), sind nach Art.5 Abs.2 Nr.2 der aktuellen Fassung der Grundordnung:
a) | der Austritt aus der katholischen Kirche, |
b) | Handlungen, die kirchenrechtlich als eindeutige Distanzierung von der katholischen Kirche anzusehen sind, vor allem Abfall vom Glauben (Apostasie oder Häresie gemäß c. 1364 § 1 i.V. m. c. 751 CIC), |
c) | der kirchenrechtlich unzulässigen Abschluss einer Zivilehe, wenn diese Handlung nach den konkreten Umständen objektiv geeignet ist, ein erhebliches Ärgernis in der Dienstgemeinschaft oder im beruflichen Wirkungskreis zu erregen und die Glaubwürdigkeit der Kirche zu beeinträchtigen; eine solche Eignung wird bei pastoral oder katechetisch tätigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie bei Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die aufgrund einer Missio canonica oder einer sonstigen schriftlich erteilten bischöflichen Beauftragung beschäftigt werden, unwiderlegbar vermutet, |
d) | das Eingehen einer eingetragenen Lebenspartnerschaft; bei diesem Loyalitätsverstoß findet Ziff. 2c) entsprechende Anwendung. |
Mit den Punkten c) und d) wurde die bisherige Rechtslage erheblich zugunsten der katholischen Beschäftigten geändert.
Denn obwohl der kirchenrechtlich unzulässige Abschluss einer Zivilehe, d.h. die erneute standesamtliche Heirat nach (bloß) zivilrechtlicher Scheidung einer katholischen Ehe, und auch die Eingehung einer homosexuellen eingetragenen Lebenspartnerschaft im Prinzip nach wie vor als schwerwiegender Loyalitätsverstoß angesehen werden können, muss nach der reformierten Fassung der Grundordnung hinzukommen, dass eine solche Ehe bzw. Lebenspartnerschaft "nach den konkreten Umständen objektiv geeignet ist, ein erhebliches Ärgernis in der Dienstgemeinschaft oder im beruflichen Wirkungskreis zu erregen und die Glaubwürdigkeit der Kirche zu beeinträchtigen".
Im Ergebnis heißt das, dass
- die zivilrechtliche Wiederverheiratung ohne vorherige kirchenrechtliche Annullierung einer katholisch geschlossenen Ehe, und
- die homosexuelle Lebenspartnerschaft
im Allgemeinen bzw. ohne weitere besondere Umstände kein Grund mehr sind, einen bei der Kirche oder Caritas beschäftigten katholischen Mitarbeiter zu kündigen (so ausdrücklich die Pressemeldung der deutschen Bischofskonferenz vom 05.05.2015).
Auf der Grundlage dieser Rechtsänderungen wäre der bekannte Streitfall des wegen Wiederverheiratung gekündigten Chefarztes eines katholischen Krankenhauses, der mit seiner Kündigungsschutzklage in allen drei Instanzen bis hin zum Bundesarbeitsgericht (BAG) Erfolg hatte, dann allerdings eine Aufhebung des BAG-Urteils durch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hinnehmen musste (wir berichteten in Arbeitsrecht aktuell: 14/388 Kündigung durch kirchliche Arbeitgeber aus sittlich-moralischen Gründen), heute wohl eindeutig zugunsten des Chefarztes zu lösen. Denn da ein konkretes Ärgernis in der Dienstgemeinschaft (= Krankenhaus) nicht vorlag, hätte dem Chefarzt von vornherein nicht der Vorwurf gemacht werden können, in einer schwerwiegenden bzw. kündigungsrelevanten Weise gegen seine Loyalitätspflichten verstoßen zu haben.
Vorgaben zur Abwägung in Kündigungsfällen
Wie das staatliche Arbeitsrecht so sieht auch die Grundordnung vor, dass ein schwerwiegender Pflichtverstoß als solcher noch nicht automatisch eine Kündigung nach sich ziehen muss, sondern dass hierzu immer die Umstände des Einzelfalls umfassend zu würdigen bzw. gegeneinander abzuwägen sind. Es gab und gibt nach der Grundordnung keinen Kündigungsautomatismus.
Bislang lautete die allgemeine Vorgabe, die die Grundordnung dem Rechtsanwender für die Abwägung des kirchlichen Beendigungswunsches gegen das Fortsetzungsinteresse des Mitarbeiters machte, so (bisherige Fassung der Grundordnung, Art.5 Abs.4):
"Wird eine Weiterbeschäftigung nicht bereits nach Abs.3 ausgeschlossen, so hängt im übrigen die Möglichkeit einer Weiterbeschäftigung von den Einzelfallumständen ab, insbesondere vom Ausmaß einer Gefährdung der Glaubwürdigkeit von Kirche und kirchlicher Einrichtung, von der Belastung der kirchlichen Dienstgemeinschaft, der Art der Einrichtung, dem Charakter der übertragenen Aufgabe, deren Nähe zum kirchlichen Verkündigungsauftrag, von der Stellung der Mitarbeiterin oder des Mitarbeiters in der Einrichtung sowie von der Art und dem Gewicht der Obliegenheitsverletzung. Dabei ist auch zu berücksichtigen, ob eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter die Lehre der Kirche bekämpft oder sie anerkennt, aber im konkreten Fall versagt."
Im Unterschied zu diesen Abwägungsgesichtspunkten, die bis auf Satz 2 dieser Vorschrift allesamt auf die Kirche als den kündigenden Dienstgeber bezogen sind, lautet die entsprechende Regelung (Art.5 Abs.3) der aktuellen Grundordnung:
"Liegt ein schwerwiegender Loyalitätsverstoß nach Absatz 2 vor, so hängt die Möglichkeit der Weiterbeschäftigung von der Abwägung der Einzelfallumstände ab. Dem Selbstverständnis der Kirche ist dabei ein besonderes Gewicht beizumessen, ohne dass die Interessen der Kirche die Belange des Arbeitnehmers dabei prinzipiell überwiegen. Angemessen zu berücksichtigen sind unter anderem das Bewusstsein der Mitarbeiterin oder des Mitarbeiters für die begangene Loyalitätspflichtverletzung, das Interesse an der Wahrung des Arbeitsplatzes, das Alter, die Beschäftigungsdauer und die Aussichten auf eine neue Beschäftigung. Bei Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die pastoral, katechetisch, aufgrund einer Missio canonica oder einer sonstigen schriftlich erteilten bischöflichen Beauftragung beschäftigt werden, schließt das Vorliegen eines schwerwiegenden Loyalitätsverstoßes nach Absatz 2 die Möglichkeit der Weiterbeschäftigung in der Regel aus. Von einer Kündigung kann in diesen Fällen ausnahmsweise abgesehen werden, wenn schwerwiegende Gründe des Einzelfalles diese als unangemessen erscheinen lassen. Gleiches gilt für den Austritt einer Mitarbeiterin oder eines Mitarbeiters aus der katholischen Kirche."
Satz 2 dieser Regelung enthält eine wichtige Angleichung an das allgemeine Arbeitsrecht, weil hier erstmals klargestellt wird, dass bei der Abwägung in einem Kündigungsfall das "Interesse" (sic!) der Kirche nicht prinzipiell vorrangig gegenüber den Belangen des Arbeitnehmers sein soll. Auch werden konkrete, auf den Mitarbeiter bezogene Abwägungsgesichtspunkte, die im staatlichen Kündigungsschutzrecht selbstverständlich sind, ausdrücklich genannt, so das Alter, die Beschäftigungsdauer und die Aussichten auf eine neue Beschäftigung.
Diese Neuregelung ist nicht nur in der Sache bzw. aus Arbeitnehmersicht positiv, sondern dient auch der Rechtssicherheit. Denn bislang war weitgehend unklar, welche Gesichtspunkte bei der Abwägung der widerstreitenden Belange von Arbeitnehmer und kirchlichem Arbeitgeber in Kündigungsfällen überhaupt eine Rolle spielen können bzw. wie sie zu gewichten sind.
Durch die Neuregelung wird erstmals klar gesagt, dass sich auch die kirchlichen Bewertungen der vom Mitarbeiter begangenen Pflichtverstöße eine Relativierung im Prozess der Abwägung gefallen lassen müssen, d.h. dass die Interessenabwägung ergebnisoffen vorzunehmen ist.
Zentrale Stelle zur Vorab-Beurteilung von geplanten Kündigungen
Darüber hinaus sieht die reformierte Grundordnung in ihrem Art.5 Abs.4 vor, dass künftig "zur Sicherstellung einer einheitlichen Rechtsanwendung" eine zentrale Stelle in jeder Diözese oder von mehreren Diözesen gebildet werden soll. Aufgabe dieser Stelle ist es, in Aussicht genommene Kündigungen wegen Loyalitätsverstößen vorab zu beurteilen. Konkret soll dies ein Volljurist tun, der der katholischen Kirche angehört und über fundierte Erfahrungen im kirchlichen und weltlichen Arbeitsrecht verfügt.
Holt der Dienstgeber, der eine loyalitätsbedingte Kündigung aussprechen möchte, keine solche Vorab-Beurteilung ein, führt dies allerdings nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung.
Auch diese Regelung ist zu begrüßen, denn die Rechtsfragen, die mit einer verhaltensbedingten Kündigung wegen angeblicher gravierender Loyalitätspflichtverstöße aufgeworfen werden, sind so kompliziert, dass die Einschaltung eines kündigungsrechtlichen Kompetenzzentrums sinnvoll ist. Wahrscheinlich wird infolge dieser professionellen juristischen Vorab-Beurteilung manche Kündigung nicht ausgesprochen werden.
Zutrittsrecht der Gewerkschaften zu kirchlichen Betrieben
Während es nach der bisherigen Fassung der Grundordnung nur den Mitarbeitern selbst erlaubt war, innerhalb ihrer Einrichtung für den Beitritt zu einer Gewerkschaft zu werben (Art.6 Abs.1 Satz 2 - bisherige Fassung), ist dies nach der Neufassung nunmehr auch den Gewerkschaften selbst erlaubt (Art.6 Abs.2 Grundordnung - Neufassung). Art.6 Abs.2 der reformierten Grundordnung lautet:
"Die Koalitionen sind berechtigt, im Rahmen der verfassungsrechtlichen Grenzen innerhalb der kirchlichen Einrichtung für den Beitritt zu diesen Koalitionen zu werben, über deren Aufgabe zu informieren sowie Koalitionsmitglieder zu betreuen."
Wie die Pressemeldung der deutschen Bischofskonferenz vom 05.05.2015 klarstellt, ist diese Neuregelung als selbständiges Zutrittsrecht der Gewerkschaften zu verstehen, die demzufolge auch solche Gewerkschaftsfunktionäre zu Werbezwecken in die kirchlichen Einrichtungen schicken dürfen, die nicht in kirchlichen Diensten stehen.
Durch diese Regelung zieht das katholische Kirchenarbeitsrecht mit dem staatlichen Arbeitsrecht gleich, das mittlerweile auch ein Werbezwecken dienendes Zutrittsrecht von Gewerkschaften zu Betrieben beinhaltet, und zwar mit der Maßgabe, dass die Gewerkschaft über die Person des entsandten Gewerkschaftsfunktionärs entscheidet und dass dieser nicht im Betrieb beschäftigt sein muss.
Fazit: Substantielle Liberalisierungen des Kirchenarbeitsrechts
Die von der Bischofskonferenz beschlossenen Änderungen der Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse beinhalten substantielle Liberalisierungen und sind daher kein bloßes "Reförmchen".
Am wichtigsten ist dabei die Neubewertung einer kirchlich ungültigen Ehe und einer homosexuellen Lebenspartnerschaft, d.h. die Abschaffung der bisherigen kirchenrechtlichen Regel, dass solche "Verfehlungen" praktisch immer eine Kündigung zur Folge hatten.
Aber auch die ergänzenden Regelungen, insbesondere zur Abwägung in Kündigungsfällen und zur Vorab-Beurteilung geplanter Kündigungen, zeigen, dass es die katholische Kirche offenbar ernst meint mit der Annäherung ihrer Grundordnung an das staatliche Arbeitsrecht.
Nähere Informationen finden Sie hier:
- Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse, in der Fassung vom 27.04.2015
- Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse, in der Fassung der Änderungen vom 20.06.2011
- Pressemeldung der deutschen Bischofskonferenz vom 05.05.2015: Änderung des Kirchlichen Arbeitsrechts
- Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 22.10.2014, 2 BvR 661/12
- Handbuch Arbeitsrecht: Arbeitsvertrag
- Handbuch Arbeitsrecht: Arbeitsvertragsrichtlinien (AVR)
- Handbuch Arbeitsrecht: Chefarzt
- Handbuch Arbeitsrecht: Kündigung des Arbeitsvertrags (Überblick)
- Handbuch Arbeitsrecht: Kündigung - Verhaltensbedingte Kündigung
- Handbuch Arbeitsrecht: Kündigungsschutz
- Handbuch Arbeitsrecht: Kündigungsschutzklage
- Arbeitsrecht aktuell: 20/063 Ausschlussfristen in Arbeitsvertragsrichtlinien (AVR) gekippt
- Arbeitsrecht aktuell: 19/049 BAG setzt Chefarzt-Urteil des EuGH um
- Arbeitsrecht aktuell: 18/224 EuGH entscheidet im Düsseldorfer Chefarzt-Fall gegen die Caritas
- Arbeitsrecht aktuell: 18/181 Gesteigerte Loyalitätspflichten christlicher Führungskräfte christlicher Arbeitgeber?
- Arbeitsrecht aktuell: 18/127 Arbeitsvertragsrichtlinien sind nicht zwingend
- Arbeitsrecht aktuell: 16/249 Kündigung wegen Wiederverheiratung als Diskriminierung
- Arbeitsrecht aktuell: 16/045 Kein Anspruch auf Wiedereinstellung unmittelbar aus der Menschenrechtskonvention
- Arbeitsrecht aktuell: 14/388 Kündigung durch kirchliche Arbeitgeber aus sittlich-moralischen Gründen
- Arbeitsrecht aktuell: 14/182 Außerordentliche Kündigung und Zweiwochenfrist
- Arbeitsrecht aktuell: 13/359 Kündigung wegen Ehebruchs
- Arbeitsrecht aktuell: 13/122 Kündigung nach Kirchenaustritt
- Arbeitsrecht aktuell: 12/235 Kündigung einer lesbischen Erzieherin
- Arbeitsrecht aktuell: 11/177 Kündigung eines Chefarztes wegen Wiederverheiratung?
- Arbeitsrecht aktuell: 10/205 Zweite Heirat als Kündigungsgrund?
Letzte Überarbeitung: 13. November 2020
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