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ARBEITSRECHT AKTUELL // 20/063

Aus­schluss­fris­ten in Ar­beits­ver­trags­richt­li­ni­en (AVR) ge­kippt

Kirch­li­che Ar­beit­ge­ber müs­sen ih­re Ar­beit­neh­mer über AVR-Aus­schluss­fris­ten durch ei­nen schrift­li­chen Ar­beits­nach­weis im Voll­text in­for­mie­ren: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Ur­teil vom 30.10.2019, 6 AZR 465/18
Arbeitgeber übergibt Arbeitsvertrag zu Unterschrift, Allgemeine Geschäftsbedingungen, vorformulierte Vertragsklauseln

19.05.2020. Ar­beits­ver­trags­richt­li­ni­en (AVR) kirch­li­cher Ar­beit­ge­ber ent­hal­ten ähn­li­che Vor­schrif­ten wie Ta­rif­ver­trä­ge, z.B. über Lohn­grup­pen, St­un­den­löh­ne und Ur­laubs­ta­ge. Sie sind aber kei­ne Ta­rif­ver­trä­ge.

Denn Ta­rif­ver­trä­ge wer­den von frei­en und mäch­ti­gen Ge­werk­schaf­ten aus­ge­han­delt, so dass sie von vie­len Ge­set­zen als fai­rer Kom­pro­miss zwi­schen Ar­beit­ge­ber- und Ar­beit­neh­mer­inter­es­sen an­ge­se­hen wer­den. Dem­ge­gen­über wer­den AVR von kir­chen­in­ter­nen Ar­beits­ver­trags­kom­mis­sio­nen be­schlos­sen, so dass sie recht­lich "nur" als All­ge­mei­ne Ge­schäfts­be­din­gun­gen (AGB) kirch­li­cher Ar­beit­ge­ber gel­ten.

Ar­beit­ge­ber, die Ta­rif­ver­trä­ge an­wen­den, ha­ben es da­her manch­mal leich­ter als kirch­li­che Ar­beit­ge­ber, die ih­re Ar­beit­neh­mer ge­mäß AVR be­schäf­ti­gen, wie ein Ur­teil des Bun­des­ar­beits­ge­richts (BAG) vom Herbst 2019 zeigt: BAG, Ur­teil vom 30.10.2019, 6 AZR 465/18.

Genügt der Ver­weis auf AVR im Ar­beits­ver­trag als Nach­weis für Aus­schluss­fris­ten, die in den AVR ent­hal­ten sind?

Ta­rif­an­wen­den­de Ar­beit­ge­ber können ih­re Pflicht zum schrift­li­chen Nach­weis der Gel­tung vie­ler wich­ti­ger Ver­trags­be­din­gun­gen gemäß § 2 Abs.1 Nach­weis­ge­setz (NachwG) durch ei­ne pau­scha­le Be­zug­nah­me auf die für sie gel­ten­den Ta­rif­verträge erfüllen.

Denn gemäß § 2 Abs.1 Satz 2 Nr.10 NachwG er­streckt sich die Nach­weis­pflicht auch auf Ta­rif­verträge. Und mit dem schrift­li­chen Nach­weis der gel­ten­den Ta­rif­verträge, z.B. durch ei­ne ar­beits­ver­trag­li­che Be­zug­nah­me­klau­sel, erfüllen Ar­beit­ge­ber zu­gleich ih­re Pflicht zum Nach­weis von Aus­schluss­fris­ten, die in den Ta­rif­verträgen ent­hal­ten sind, wie das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) schon vor lan­ger Zeit ent­schie­den hat (BAG, Ur­teil vom 23.01.2002, 4 AZR 56/01, Leit­satz 1).

Das ver­steht sich nicht von selbst, denn Aus­schluss­fris­ten gehören zu den „we­sent­li­chen Ver­trags­be­din­gun­gen“ im Sin­ne von § 2 Abs.1 Satz 1 NachwG (BAG, Ur­teil vom 23.01.2002, 4 AZR 56/01, Rn.32, 38). Sie se­hen vor, dass Ansprüche aus dem Ar­beits­verhält­nis in­ner­halb ei­ner (meist recht kur­zen) Frist ge­genüber der an­de­ren Ver­trags­par­tei gel­tend ge­macht wer­den müssen und bei Frist­versäum­ung er­satz­los un­ter­ge­hen.

Ar­beits­ver­trag­li­che Ver­wei­se auf AVR ha­ben in die­sem Punkt nicht den­sel­ben Ef­fekt wie Ver­wei­se auf Ta­rif­verträge: BAG, Ur­teil vom 30.10.2019, 6 AZR 465/18.

Im Streit: Höher­grup­pie­rung ei­nes ka­tho­li­schen Kir­chen­die­ners

Ein Kir­chen­die­ner ("Küster"), der bei ei­ner ka­tho­li­schen Ge­mein­de in Düssel­dorf beschäftigt war, klag­te nach sei­ner Be­ren­tung auf an­geb­li­che Lohnrückstände für 13 Jah­re. Denn sein Ex-Ar­beit­ge­ber hat­te ihn, so der Küster, jah­re­lang in ei­ne zu nied­ri­ge Vergütungs­grup­pe ein­grup­piert.

Sein Ar­beits­ver­trag von 1996 ent­hielt ei­ne Be­zug­nah­me auf die kirch­li­che Ar­beits- und Vergütungs­ord­nung (KA­VO) in ih­rer je­wei­li­gen Ge­stalt. In der KA­VO wie­der­um war ei­ne sechs­mo­na­ti­ge Aus­schluss­frist ent­hal­ten. Sie hat­te der Küster für die strei­ti­ge Zeit (Ju­li 2002 bis April 2015) nicht ein­ge­hal­ten, da er sei­ne For­de­rung nach ei­ner Ge­halts­nach­zah­lung erst­mals im De­zem­ber 2015 er­ho­ben hat­te.

Der Ar­beit­ge­ber be­rief sich auf die AVR-Aus­schluss­frist. Der Küster ar­gu­men­tier­te, dass ihm die Frist we­der im Ar­beits­ver­trag noch in ei­nem an­de­ren schrift­li­chen Ar­beits­nach­weis mit­ge­teilt wor­den war.

Das Ar­beits­ge­richt Düssel­dorf (Ur­teil vom 12.01.2017, 10 Ca 4540/16) und das Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Düssel­dorf wie­sen die Kla­ge ab (Ur­teil vom 10.04.2018, 3 Sa 144/17).

BAG: Kirch­li­che Ar­beit­ge­ber müssen ih­re Ar­beit­neh­mer über AVR-Aus­schluss­fris­ten durch ei­nen schrift­li­chen Ar­beits­nach­weis im Voll­text in­for­mie­ren

Das BAG ent­schied ge­gen den Ar­beit­ge­ber. Denn AVR sind kei­ne Ta­rif­verträge, son­dern AGB. Nur die Vor­schrif­ten des NachwG, in de­nen ne­ben Ta­rif­verträgen aus­drück­lich von „ähn­li­chen Re­ge­lun­gen“ die Re­de ist, gel­ten auch für AVR, so das BAG.

Kirch­li­che Ar­beit­ge­ber können ih­re Ar­beits­nach­wei­se da­durch gemäß § 2 Abs.3 Satz 1 NachwG ver­ein­fa­chen, in­dem sie bei den in § 2 Abs.1 Satz 2 Nr.6 bis 9 NachwG ge­nann­ten Ver­trags­be­din­gun­gen auf die AVR ver­wei­sen, d.h. bei Löhnen, Ar­beits­zei­ten, Ur­laubs­ansprüchen und Kündi­gungs­fris­ten. Für Aus­schluss­fris­ten be­steht die­se Möglich­keit al­ler­dings nicht. Denn Aus­schluss­fris­ten wer­den in § 2 Abs.1 Satz 2 Nr.6 bis 9 NachwG nicht ge­nannt.

Auch § 2 Abs.1 Satz 2 Nr.10 NachwG hilft kirch­li­che Ar­beit­ge­bern nicht, denn hier ist nur von Ta­rif­verträgen, aber eben nicht von „ähn­li­chen Re­ge­lun­gen“ (= AVR) die Re­de. Die BAG-Recht­spre­chung, der zu­fol­ge ta­rif­li­che Aus­schluss­fris­ten gemäß § 2 Abs.1 Satz 2 Nr.10 NachwG durch ei­nen Hin­weis auf die Ta­rif­verträge nach­ge­wie­sen wer­den können, kann nicht auf kirch­li­che Ar­beit­ge­ber bzw. auf AVR über­tra­gen wer­den, so das BAG.

Fa­zit: Kirch­li­che Ar­beit­ge­ber müssen AVR-Aus­schluss­fris­ten dem Ar­beit­neh­mer ge­genüber im Voll­text nach­wei­sen.

Gibt der (schrift­li­che) Ar­beits­ver­trag oder ein ergänzen­der schrift­li­cher Ar­beits­nach­weis die AVR-Aus­schluss­re­ge­lun­gen nicht wört­lich wie­der, ist sie zwar Ver­trags­be­stand­teil ge­wor­den, falls im Ar­beits­ver­trag auf die AVR ver­wie­sen wird. Da­von kann sich der Ar­beit­ge­ber aber "nichts kau­fen", denn im Er­geb­nis müssen die Ar­beit­neh­mer die Frist nicht ein­hal­ten. Sie ha­ben nämlich ei­nen Scha­dens­er­satz­an­spruch, da sie in­fol­ge der Ver­let­zung der Nach­weis­pflicht durch den Ar­beit­ge­ber ei­nen Scha­den er­lit­ten ha­ben (§ 280 Bürger­li­ches Ge­setz­buch - BGB). In­fol­ge des Scha­dens­er­satz­an­spruchs sind sie so zu stel­len, wie sie stünden, wenn die Aus­schluss­frist kor­rekt nach­ge­wie­sen wor­den wäre.

Für vie­le Ar­beit­neh­me­rin­nen und Ar­beit­neh­mer, die bei kirch­li­chen Ein­rich­tun­gen beschäftigt sind, gel­ten da­her im Er­geb­nis kei­ne Aus­schluss­fris­ten. Das be­trifft Ein­rich­tun­gen der Ca­ri­tas eben­so wie Ein­rich­tun­gen der Dia­ko­nie. Kirch­li­che Ar­beit­ge­ber können die­se Rechts­la­ge ändern, oh­ne dafür auf das Ein­verständ­nis ih­rer Ar­beit­ge­ber an­ge­wie­sen zu sein. Ein ergänzen­der schrift­li­cher Ar­beits­nach­weis genügt, d.h. die schrift­li­che In­for­ma­ti­on darüber, dass AVR-Aus­schluss­fris­ten gel­ten und ei­nen be­stimm­ten (wört­li­chen) In­halt ha­ben.

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Letzte Überarbeitung: 16. November 2021

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