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ARBEITSRECHT AKTUELL // 18/127

Ar­beits­ver­trags­richt­li­ni­en sind nicht zwin­gend

Kirch­lich ge­bun­de­ne Ar­beit­ge­ber kön­nen trotz kir­chen­recht­li­cher Pflicht zur dy­na­mi­schen An­wen­dung von Ar­beits­ver­trags­richt­li­ni­en (AVR) schlech­te­re Ar­beits­ver­trä­ge ver­ein­ba­ren: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Ur­teil vom 24.05.2018, 6 AZR 308/17
Gesetzestext mit darauf liegendem Holzkreuz

28.05.2018. Wer bei ei­ner kirch­lich ge­bun­de­nen Ein­rich­tung ei­nen Ar­beits­ver­trag un­ter­schreibt, er­war­tet, dass sein Ar­beit­ge­ber die für ihn gel­ten­den Ar­beits­ver­trags­richt­li­ni­en (AVR) an­wen­det.

Da­mit sind im Nor­mal­fall lau­fen­de Lohn- bzw. Ge­halts­er­hö­hun­gen ver­bun­den, wie sie sich auch bei der An­wen­dung von Ta­rif­ver­trä­gen in­fol­ge der sog. Ta­rif­dy­na­mik er­ge­ben.

In ei­nem Ur­teil von letz­ter Wo­che hat das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) klar­ge­stellt, dass kirch­li­che Ein­rich­tun­gen bei der Aus­ge­stal­tung sol­cher Be­zug­nah­me­klau­seln in­di­vi­dual­ar­beits­recht­lich freie Hand ha­ben: BAG, Ur­teil vom 24.05.2018, 6 AZR 308/17 (Pres­se­mel­dung des Ge­richts).

Können sich kirch­lich ge­bun­de­ne Ar­beit­ge­ber bei der Be­zug­nah­me auf AVR die Ro­si­nen her­aus­pi­cken?

Kirch­lich ge­bun­de­ne Ar­beit­ge­ber wie z.B. Ein­rich­tun­gen der ka­tho­li­schen Ca­ri­tas oder der evan­ge­li­schen Dia­ko­nie wen­den in al­ler Re­gel kei­ne Ta­rif­verträge an, son­dern statt­des­sen sog. AVR. AVR ähneln von ih­rem Auf­bau und ih­ren In­hal­ten her Ta­rif­verträgen, doch sind auf Ar­beit­neh­mer­sei­te kei­ne Ge­werk­schaf­ten fe­derführend be­tei­ligt. Viel­mehr wer­den AVR von kir­chen­in­ter­nen Ar­beits­ver­trags­kom­mis­sio­nen er­ar­bei­tet bzw. fort­lau­fend an­ge­passt. Im­mer­hin ha­ben die Ge­werk­schaf­ten heut­zu­ta­ge auf der Ar­beit­neh­mer­bank der Ar­beits­ver­trags­kom­mis­sio­nen (ne­ben an­de­ren Ar­beit­neh­mer­ver­tre­tern) Sitz und Stim­me.

Auf­grund der lau­fen­den AVR-Ak­tua­li­sie­rung er­gibt sich für Ar­beit­neh­mer kirch­lich ge­bun­de­ner Ein­rich­tun­gen ei­ne qua­si-ta­rif­ver­trag­li­che Lohn­dy­na­mik, d.h. die Löhne und Gehälter der Ar­beit­neh­mer kirch­li­cher Ein­rich­tun­gen stei­gen ähn­lich wie die Löhne und Gehälter von Ar­beit­neh­mern, de­ren Ar­beits­verträge ta­rif­ge­bun­den sind.

Aus Sicht ei­nes kirch­li­chen Ar­beit­ge­bers, z.B. ei­ner Ein­rich­tung ei­nes dia­ko­ni­schen Wer­kes, er­ge­ben sich dar­aus lau­fend stei­gen­de Lohn­kos­ten, die er al­ler­dings tra­gen muss, je­den­falls im recht­li­chen Verhält­nis zu dem dia­ko­ni­schen Werk, des­sen Mit­glied er ist. Denn die Mit­glied­schaft in ei­nem dia­ko­ni­schen Werk ver­pflich­tet zur An­wen­dung der AVR und da­mit auch zur lau­fen­den Erhöhung von Löhnen und Gehältern ent­spre­chend den je­weils ak­tu­ell gel­ten­den AVR-Fas­sun­gen.

Vor die­sem Hin­ter­grund fragt sich, ob ein kirch­lich ge­bun­de­ner Ar­beit­ge­ber über­haupt die recht­li­che Möglich­keit hat, in sei­nen Ar­beits­verträgen nur punk­tu­ell auf die für ihn gel­ten­den AVR zu ver­wei­sen. Denn im­mer­hin ste­hen sich Ar­beit­ge­ber kos­tenmäßig güns­ti­ger, wenn sie z.B. auf AVR ver­wei­sen, da­bei aber die lau­fen­den Lohn­stei­ge­run­gen aus­drück­lich aus­klam­mern. Aber ist ei­ne sol­che Ro­si­nen-Pi­cke­rei ar­beits­ver­trag­lich rech­tens?

Im Streit: Nie­dersäch­si­sche So­zi­al­ar­bei­te­rin ver­langt un­ter Ver­weis auf die AVR der Dia­ko­nie Deutsch­land Loh­nerhöhun­gen, die aber ar­beits­ver­trag­lich aus­ge­schlos­sen sind

Ge­klagt hat­te ei­ne So­zi­al­ar­bei­te­rin, die bei ei­ner ge­meinnützi­gen GmbH (gGmbH) als so ge­nann­te All­tags­be­glei­te­rin tätig war. Die gGmbH war Mit­glied im Dia­ko­ni­schen Werk evan­ge­li­scher Kir­chen in Nie­der­sach­sen e.V. (DDN). Des­sen Sat­zung ver­pflich­te­te sei­ne Mit­glie­der und da­mit auch die gGmbH, beim Ab­schluss von Ar­beits­verträgen ent­we­der die vom DDN ver­ein­bar­ten Ta­rif­verträge oder die AVR der Dia­ko­nie Deutsch­land (AVR-DD) an­zu­wen­den, und zwar in ih­ren je­weils gel­ten­den Fas­sun­gen.

Im Ar­beits­ver­trag der Kläge­rin war zwar die Vergütung nach Ent­gelt­grup­pe 3 AVR-DD ver­ein­bart, doch ent­hielt der Ar­beits­ver­trag fol­gen­de wei­te­re Re­ge­lun­gen:

„1. In der Zeit vom 01.07.2011 bis 31.12.2015 erhöht sich mein mo­nat­li­ches Ent­gelt um je­weils 1,25 % je­weils zum 01.07. die­ser Jah­re. Wei­te­re Erhöhun­gen des mo­nat­li­chen Ent­gel­tes fin­den nicht statt.

2. Ei­nen An­spruch auf Jah­res­son­der­zu­wen­dung be­steht nur zur Hälf­te; die zwei­te Hälf­te kann für 2011 bis 2015 auch dann nicht be­an­sprucht wer­den, wenn das Be­triebs­er­geb­nis po­si­tiv sein soll­te.“

Ge­gen En­de des zum 31.01.2016 be­fris­te­ten Ar­beits­verhält­nis­ses war die So­zi­al­ar­bei­te­rin länger krank und ver­lang­te über ei­nen An­walt vom Ar­beit­ge­ber Nach­zah­lung der bis­lang nicht ge­leis­te­ten Ge­halts­erhöhun­gen gemäß den AVR-DD so­wie Zah­lung der bis­lang ein­be­hal­te­nen hälf­ti­gen Jah­res­son­der­zu­wen­dung, ins­ge­samt.

Das Ar­beits­ge­richt Göttin­gen wies die Kla­ge ab (Ur­teil vom 05.07.2016, 2 Ca 53/16), und auch in der Be­ru­fung vor dem Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Nie­der­sach­sen hat­te die Kläge­rin kein Glück (LAG Nie­der­sach­sen, Ur­teil vom 27.04.2017, 7 Sa 944/16).

BAG: Kirch­lich ge­bun­de­ne Ar­beit­ge­ber können trotz kir­chen­recht­li­cher Pflicht zur dy­na­mi­schen An­wen­dung von Ar­beits­ver­trags­richt­li­ni­en (AVR) schlech­te­re Ar­beits­verträge ver­ein­ba­ren

Auch in Er­furt vor dem Bun­des­ar­beits­ge­richt zog die Kläge­rin den Kürze­ren, denn das BAG bestätig­te die kla­ge­ab­wei­sen­den Ur­tei­le der bei­den Vor­in­stan­zen (Ur­teil vom 24.05.2018, 6 AZR 308/17). In der der­zeit al­lein vor­lie­gen­den Pres­se­mel­dung des BAG heißt es zur Be­gründung:

Der Ar­beit­ge­ber hat­te im Streit­fall zwar durch die Ver­ein­ba­rung ei­ner ver­trag­li­chen Vergütungs­re­ge­lung, die zu­las­ten der Kläge­rin von den AVR-DD ab­wich, ge­gen kir­chen­recht­li­che Re­ge­lun­gen ver­s­toßen, doch bin­den die­se Re­ge­lun­gen den Ar­beit­ge­ber „nur im kirch­li­chen Rechts­kreis“, so die Er­fur­ter Rich­ter. In­fol­ge­des­sen muss­te die gGmbH hier im Streit­fall we­gen der Miss­ach­tung der Pflicht zur An­wen­dung der AVR-DD „kir­chen­recht­li­che Kon­se­quen­zen befürch­ten und mit ei­ner Zu­stim­mungs­ver­wei­ge­rung der Mit­ar­bei­ter­ver­tre­tung zur Ein­grup­pie­rung rech­nen“.

Das al­les aber ändert nichts dar­an, dass der hier ver­ein­bar­te Ar­beits­ver­trag wirk­sam war. An­ders ge­sagt: Der Ver­s­toß ge­gen kir­chen­recht­li­che Vor­ga­ben bei der Aus­ge­stal­tung von Ar­beits­verträgen führt nicht zur Un­wirk­sam­keit sol­cher Ar­beits­verträge. Auch die Re­ge­lun­gen der Sat­zung des DNN ha­ben kei­ne „drittschützen­de Wir­kung“, d.h. sie gel­ten nur im Rechts­verhält­nis zwi­schen der Mit­glieds­ein­rich­tung (hier: der gGmbH) und dem dia­ko­ni­schen Werk, d.h. dem Ver­ein, dem die Mit­glieds­ein­rich­tung an­gehört. Drit­te, d.h. die Ar­beit­neh­mer ei­ner Mit­glieds­ein­rich­tung, können aus die­sen Sat­zungs­be­stim­mun­gen kei­nen Ho­nig sau­gen.

Ergänzend weist das BAG dar­auf hin, dass der Ar­beit­ge­ber hier im Streit­fall auch nicht ge­gen das Prin­zip von Treu und Glau­ben (§ 242 Bürger­li­ches Ge­setz­buch – BGB) ver­stieß, in­dem er sich vor Ge­richt auf die Wirk­sam­keit der ver­trag­li­chen Ge­halts­ver­ein­ba­run­gen be­ru­fen hat­te.

Fa­zit: Ar­beit­neh­mer kirch­lich ge­bun­de­ner Ein­rich­tun­gen müssen beim Ar­beits­ver­trags­schluss dar­auf ach­ten, dass der Ar­beit­ge­ber die Be­zug­nah­me auf die ein­schlägi­gen AVR nicht durch in­di­vi­du­el­le Ab­wei­chun­gen aus­he­belt bzw. ein­schränkt. Denn sol­che Ein­schränkun­gen sind, wie das BAG bestätigt hat, recht­lich wirk­sam, auch wenn der Ar­beit­ge­ber da­mit ge­gen das Kir­chen­recht verstößt.

Im Er­geb­nis ste­hen sich Ar­beit­neh­mer kirch­li­cher Ein­rich­tun­gen da­mit ähn­lich wie Ar­beit­neh­mer nicht ta­rif­ge­bun­de­ner Ar­beit­ge­ber der Pri­vat­wirt­schaft. Auch sol­che Ar­beit­ge­ber ver­wei­sen in ih­ren Ar­beits­verträgen oft durch Be­zug­nah­me­klau­seln auf Ta­rif­verträge, schränken de­ren An­wen­dung da­bei aber nach Er­mes­sen ein. Der­ar­ti­ge Ein­schränkun­gen sind im Prin­zip recht­lich wirk­sam. Ins­be­son­de­re ist es zulässig, die sog. Ta­rif­dy­na­mik aus­zu­sch­ließen, d.h. Ta­rif­verträge mit ge­nau den Ge­halts­vor­ga­ben in den Ar­beits­ver­trag ein­zu­be­zie­hen, wie sie zu ei­nem be­stimm­ten Zeit­punkt ta­rif­lich fest­ge­schrie­ben wa­ren.

Nähe­re In­for­ma­tio­nen fin­den Sie hier:

Hin­weis: In der Zwi­schen­zeit, d.h. nach Er­stel­lung die­ses Ar­ti­kels, hat das BAG sei­ne Ent­schei­dungs­grün­de ver­öf­fent­licht. Das voll­stän­dig be­grün­de­te Ur­teil des BAG fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 29. Juni 2020

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